Theater der Zeit

Stück

Warten auf’n Bus

Fassung Theater Bielefeld

von Oliver Bukowski

Erschienen in: Theater der Zeit: Oliver Bukowski: „Warten auf’n Bus“ (01/2022)

Assoziationen: Dramatik Theater Bielefeld

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Akt 1: GEFÄLLE
MAIK stemmt die Pfoten in den Dreck und bellt wütend eine voll erblühte Blume an.
RALF MAIK, MANN!!! BESCHEUERT?! (Zu Johannes:) Was hatter denn?
JOHANNES Bellt.
RALF Ach wat.
JOHANNES Wat willste, er schlägt an. Sonst schlägt er nie an, und du nölst’n voll.
RALF Mann, das is ne Blume! Er kläfft ne scheiß Blume an!
JOHANNES Vielleicht nervt ihn der Jeruch.
RALF Dann sollerse anpissen und fertig.
JOHANNES Oder die Schönheit.
RALF Die Schönheit?
JOHANNES Er verbellt die, na ja, Schönheit, weil, se ihm uffe Nüsse jeht. Ick meine, sieh ihn dir an. Er sieht aus wie’n Uffahrunfall und denn kommt diese Blume und … Ick meine: det Jefälle …
RALF „Und dann kommt diese Blume“ – du hastse ja nich alle. (Zum Hund:) MAIK!!! MAIK, HER HIER! BEIFUSS!
JOHANNES Als wenn er uff so wat hören tut.
Tatsächlich dreht Maik sich nicht einmal um. Eine  volle Bierdose schlägt neben ihm in den Sand, dass es stiebt – ihn stört es nicht. Er riecht kurz dran, pinkelt auf die Dose, bellt weiter.
JOHANNES War die noch voll?
RALF (mürrisch) Ja, Mann.
JOHANNES Hm.
Ralf hat Maik auf dem Schoß. Johannes werkelt noch irgendwas am Hund. Als Maik wieder zu sehen ist, hat er die Blume „im Haar“ und hechelt vergnügt.
RALF Nich dein Ernst, mach das weg!
JOHANNES Watn?! Er wirkt doch sehr zufrieden. Vielleicht war dit ja sein Plan. Überleg mal: warum hat er die Blume nich einfach zerbissen? Nee, der Hundi bellte, weil er wollte, dass wir sie ihm holen und ihn, na ja, schmücken. Er kann sich det Ding ja nich selber anstecken. Also, hat er sich jedacht, ick bell’ jetzt mal, bis …
RALF … Vorhin hatter dit Schönheitsjefälle auskalkuliert, jetzt machter in Kopfschmuck, allet klar. Hannes, dit is Maik, der Hundi, Wau-Wau, remember?! Der frisst, scheißt und wedelt mit’m Schwanz, aber der denkt sich nüscht. Null!
JOHANNES Hunde können denken.
RALF Der hier nich.
JOHANNES Und wenn doch?
RALF Bitte, er kann sich nicht mal ’n Kommando merken. Nich eens! MAIKI, FASS! KEHLE!
Maik sieht ihn begeistert an und leckt ihm das Gesicht.
JOHANNES Vielleicht will er sich ja keene Kommandos merken. Oder sein Jehör ignoriert allet, wat wie Kasernenhof klingt. Wäre doch ooch für uns nich so übel. Jetz ma so menschheitsmäßich.
(Schnarrt wie Hitler:) WOLLT IHRRRR DEN TOTALEN KRRRIEK?! und allet leckt sich freundlich den Anus.
Ralf hebt Maik von der Bank, kniet sich vor ihn hin und nestelt einen Taschenspiegel aus der Jeans.
JOHANNES Wat nu?
RALF Test.
JOHANNES Du hast n Taschenspiegel?
RALF Hm.
JOHANNES Ick kenne keenen Mann mit Taschenspiegel.
RALF Hmhm.
JOHANNES Nich eenen.
RALF Hm.
Ralf hält den Spiegel Maik vor die Schnauze. Der wendet sich ab.
JOHANNES Haste ooch Abdeckstift und so?
RALF Isjut jetzt!
Versucht, Maiks Schnauze wieder in den Spiegel zu drehen.
JOHANNES Is wegen dem 17er, nich?
RALF Wegen dem Bus? Ick hab Taschenspiegel, weil der Bus kommt?
JOHANNES Nicht wegen dem Bus. Wegen der Busfahrerin! Tu nich so dusslich. Du hast …
RALF … NEIN!!!
JOHANNES Frag ja nur.
Schweigen. Ralf arbeitet an Maik: drapiert die Blume neu auf Maiks Kopf, hält ihm wieder den Spiegel vor. Johannes sieht zu. Ralf gibt auf.
JOHANNES Also wenn ick jetzma deinen Tierversuch hier richtig interpretiere, dann, na ja, dann dürfte für die Fachwelt nu endlich zweifelsfrei erwiesen sein, dass Hunde mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit keene Taschenspiegel benötigen. Heureka!
RALF Idiot.
JOHANNES Dann erklärs mir. Du bist hier das Ingenieurswesen.
RALF Pardonk, ick war das Ingenieurswesen, ick bin seit zwanzig Jahre in Verjangenheitsform.
JOHANNES Ja, ja, jeschenkt, keene Klagelieder; wir sind allet arme Mäuse. Also?
RALF Also, wir wollten rausfinden, ob Maiki denken kann, richtig?
JOHANNES Richtig.
RALF Und dit hier ist fürs erste so ’n Test, um rauszufinden, ob der Hundi wenigstens so wat wie Selbstbewusstsein hat.
JOHANNES Und?
RALF Hatter nich.
JOHANNES Na scheiß druff! Ick ooch nich.
RALF Nich so’n Selbstbewusstein, nich wie „ick-bin-so-geil-mein-Arsch-bläst-Sonnenschirme-uff“ sondern so mehr eins drunter noch, so Ick-Bewusstsein. Elementar. Also ob der Hundi überhaupt weeß, det es ihn persönlich jibt, vastehsse?
JOHANNES (verständnislos) Aha.
RALF Du vastehst keen Wort, wa?
JOHANNES Sieht man dit?
RALF Ick kann durch deine Oogen bis zur hinteren Schädelwand durchkuckn. Mann, hier!!!
Hält ihm den Taschenspiegel vors Gesicht.
RALF Wat siehste?!
JOHANNES (schüchtern) Mich?
RALF Jenauer!
JOHANNES Ick bin alt und krieg Hängebacken.
RALF Nee!
JOHANNES Doch!
RALF Ja, du hast Schweinebacken …
JOHANNES … Hängebacken …
RALF … Hängebacken, aber darum jehts nich. Meine Fresse, ist doch nicht so schwer. Du siehst nicht dich, sondern …???
JOHANNES Jelebtet Leben? Innere Werte? Hackfresse?
RALF (genervt) MAAAAANNN!!!
Er holt seinen Kaugummi aus dem Mund, pappt ihn Johannes an die Stirn und hält ihm den Spiegel vor.
RALF Und wat jetzt?
JOHANNES Dit jetzt!
Seine Faust trifft Ralf und fegt ihn von der Bank. Johannes entfernt angewidert den Kaugummi von seiner Stirn.
RALF Siehste!
JOHANNES (mürrisch) Wat?
RALF Test bestanden. Hättest du keen Ick-Bewusstsein, würdeste vielleicht versuchen, den Kaugummi von deinem Spiegelbild abzukratzen. Aber du weeßt: Hier bin ick, und das da is nur mein Spiegelbild.
JOHANNES Ick bin eine Koryphäe, ein Genie.
RALF Jedenfalls schlauer als der Hundi. Glückwunsch! War knapp.
Setzt sich wieder auf die Bank, sie öffnen sich ein Bier. Ralf versucht, mit dem Taschenspiegel unauffällig zu prüfen, ob Ackermanns Schlag Spuren hinterlassen hat.
JOHANNES Halt die kalte Büchse ran und se sieht nüscht.
RALF Zum letzten Mal: Ick mach das nicht wegen der!
JOHANNES Nee.
RALF Wirklich nich!
JOHANNES Weeß ick doch. Wäre ja ooch lächerlich.
RALF Jenau.
Schweigen.
RALF Wieso wär’ det lächerlich?
JOHANNES (ausweichend) Na ja …
RALF Ja?
JOHANNES Ach, jeht mich nüscht an. Wie heeßtet: Einjeder hat seine Art, unglücklich zu sein, man soll ihn nicht dabei stören.
RALF Du feiget Aas, verkriechsta wieder hinter deine Sinnsprüche?! Det is Ausweichbewegung und Eskapade!
JOHANNES Eskapismus. Und wat is mit dir und dein Handy, du Google-Frettchen?!? Denkst, det is weniger Weltflucht?
RALF Information is Realität, du Arsch.
JOHANNES Und nüscht weiter?
RALF Und nüscht weiter.
JOHANNES Is dann aber ’n armet, armet Hascherl, deine Realität, hm?
RALF Ackermann, lock mir nich ins schlammich Philosophische! Wir hatten per Handschlag und Blick inne Oogen vereinbart, det du mit Bandenwerbung, Sprichwörtern, Zitaten und sonstawat für klugscheißendet …
JOHANNES … is ja jut! Sind wir ssweebeede eben Dichtung und Wahrheit. Du die Info, ick der Spruch dazu, quasi die Penny-Tüte für die schicken Daten.
RALF Zum letzten Mal: Meine Daten jehörn nich in deine Glückskeksscheiße!
JOHANNES Glückskeks? Dit war Aristoteles!
RALF Wurscht, ick krieg ’n Zehner.
JOHANNES Wat?! War nie abjemacht!
RALF Dann antworte! Von Mann zu Mann und direkt direkte Rede: Warum isset lächerlich, det die Frau vom Bus und ick …
JOHANNES … Hier haste!
Drückt Ralf zehn Euro in die Hand. Ralf starrt auf den Schein und kann es nicht fassen.
JOHANNES Wat glotzte? Du hast jesagt, mit zehn Euken bin ick raus ausse Nummer. Det sind zehn Euken.
RALF Kost’ jetzt ’n Fuffi.
JOHANNES WAT?!
RALF Musst ja nich, kannst ja reden.
Johannes kramt sein Geld aus der Hosentasche und besieht es auf der Handfläche.
JOHANNES Hm, muss ick erst zum Automaten.
RALF Det gibts doch nich! Det is jetzt einfach nicht wahr! Du kriegst 350 Stütze, hast keen blanken Knopp inne Tasche und willstn FUFFI löhnen, nur weil du mir nicht sagen willst, det ick – ja, wat? – det ick zu jeringfügig für die Dame bin, einfach zu niedrige Liga???
JOHANNES Wer hört so wat denn schon jerne.
RALF Ackermann, sie is Busfahrerin! Busfahrerin, und nich der PAPST ODER DIE SHAKIRA!
JOHANNES JA UND? UND WAT BIST DU?
Ralf will kräftig was erwidern und hat schon angeatmet – stockt dann aber, hält inne und sackt in sich zusammen: Johannes hat recht.
RALF Hast recht.
JOHANNES (beschwichtigend) Nu, nu.
RALF Hm.
JOHANNES Du hast ooch deinen Charme.

Irgendwie.
RALF Leck mich.
JOHANNES Doch. Also ick würd dir nehmen.
Ralf sieht ihn an, Johannes beeilt sich:
JOHANNES Also wenn ick ne Frau wäre
Etwas später. Ralf zeigt gerade die selbstgebastelte Website auf dem Handy.
JOHANNES … Echt? Und das stellste da allet rein? Bist jetzt so ne Art Entblößer oder wat?
RALF Wieso? Is ooch nüscht andret als’n Familienalbum.
JOHANNES Im Familienalbum is keene Arschbacke mit Tattoo.
RALF In meinem schon. Meine Website, meine Arschbacke, mein Leben.
JOHANNES Ralle, du fotografierst dir selber!
RALF Mein Leben. Nur hier kann ick mein Leben jenau so erzählen, wie ick will.
JOHANNES Ja. Traurig.
RALF Janz normale Selfies.
JOHANNES Du bist nicht mehr jung, du musst det nich.
RALF Is nich nur für Junge. Im Jegenteil:
Im Netz bleiben die Dinge. Ick hau da meine Bilder rein und hinterlass damit eben mehr von mir als nur’n Fleck uffm Sofa. Die Welt weeß ab jetzt imma: Ralle war da, hat dies und das jemacht und is in Würde abjetreten. Ewigkeit, ick komme!
JOHANNES Du denkst aber janz schön bestatterhaft. Is irjendwat? Haste ne blöde Diagnose bekomm’?
RALF Willste nu Fotos kuckn oder nich?!
JOHANNES Sind welche von deim Stuhlgang mit bei?
RALF (verärgert) Ok, dann nich.
Will das Handy wieder einstecken.
JOHANNES (beeilt sich) Schon gut, schon gut, ick will!
RALF Ohne blöde Sprüche?
JOHANNES Ohne Sprüche, blitzernst und janz flache Atmung. Ick kann das, ick hatte ne schwere Kindheit mit Lichtbildvorträge.
RALF Jut. Zweete Schangs.
Holt das Handy wieder vor.
RALF Sind ooch nicht allet Selfies. Ick hab die Bilder ausm Schuhkarton ooch mit eingescannt. Hier kuck! (Zeigt.)
JOHANNES Nich schlecht. Wer is die Frau?
RALF Gleich gibts Fresse.
JOHANNES Wieso? Is doch hammergeil.
RALF Det bin ick, Mann!
JOHANNES Ach du Scheiße!
Rückt ängstlich von ihm ab.
RALF Wat jetzt? So schlümm?
JOHANNES (fassungslos) Du warst mal ne Frau?
RALF Mann, ick war schlank, hatte lange Haare, Clogs, Jeans und … Dit war die Mode, Mann! Glamrock, Glitter, Bowie und so Scheiß. Außerdem is det hier’n Kostüm.
JOHANNES Kostüm.
RALF Turniertanz. Lateinamerikanische Tänze.
JOHANNES Turnier …? Richtig mit jeputzte Schuhe, Schulterhaltung und so arrogant blödem Blick?
RALF Platz 4 Bezirksmeestaschaften.
JOHANNES Nee!
RALF Doch!
JOHANNES Du kannst unmöglich im Tagebau gewesen sein und gleichzeitig ne Hupfdohle!
RALF Wieso nicht?
JOHANNES Weil die Kumpels dir dann die Fresse verbeult hätten. Spätestens vorm Duschen.
RALF Habense. Vollet Rohr. (Lacht.) Anfangs bin ick mit’n Schlagring unter die Dusche.
JOHANNES Anfangs. Und dann?
RALF (leicht genervt) Dann, dann … dann musst ick eben ooch noch Boxen studiern.
JOHANNES Ick weeß. Boxen weeß ick wieder.
RALF BSG Dynamo. Platz 3 Bezirksmeestaschaften.
JOHANNES Du warst dauernd am Trainieren, zwee Mal hamse dir die Nase jebrochen und du hattest ne Anzeige wegen jefährliche Körperverletzung. Allet nur, um in Ruhe duschen zu können?
RALF Ick wollte tanzen, Ackermann. Tanzen. Klar?
JOHANNES (unsicher) Klar.
Johannes betrachtet den Freund aus den Augenwinkeln. Er ist ihm jetzt ein wenig unheimlich, andererseits bewundert er ihn auch.
JOHANNES Und wieso weeß ick bis heute nüscht davon?
RALF Du wusstet det. Ick wollter sogar mal uff’n Tanzturnier mitnehmen. Nur zukuckn, bissel klatschen und so.
JOHANNES Und ick?
RALF Du hast jesagt, det du janz jerne mein Kumpel bist, aber wenn det weiter klappen soll, denn willste von meine schwuchtelige Seite nüscht wissen.
JOHANNES (stöhnt, peinlich verlegen) Schwuchtlige Seite?
Ralf nickt.
JOHANNES Ick war’n ziemlichet Arschloch.
RALF (zuckt mit den Schultern) Ooch nich mehr als die andern. Ick hab dir dafür jede Olle vor der Nase wegjetanzt. Und wenn im janzen Schuppen nur drei Grazien warn: wurden die Stühle hochjestellt, hatte Herr Paschke eene am Wickel.
JOHANNES Und ick saß alleene im Bus.
RALF Wie es sich für Arschlöcher jehört.
Johannes sieht sich das Bild genauer an.
JOHANNES Hm.
RALF Erkennstma?
JOHANNES Ja. Jetzt schon, nur …
RALF … Soll icks rausnehmen? Meinst, sie könnt das Foto seltsam finden?
JOHANNES Sie? Du willst ihr das zeigen?
RALF Nicht direkt. Ick hab ne Visitenkarte mit dem Link uff meine Seite. Die wollt ick ihr verpassen.
JOHANNES Du hast ne eigene Seite, ne richtige eigene Website???
RALF Du nich?
Johannes lacht auf.
RALF Also wat is jetzt mit dem Foto? Raus oder rin.
JOHANNES Na ja … hm …
RALF „Naja, naja, hömhöm“ – wat stöpselste denn heute so rum?! Einfache Frage, einfache Antwort!
JOHANNES Kannst ruhig drinstehen lassen.
RALF Aber?
JOHANNES Nüscht aber. Schönet Foto.
RALF Aber du grinst doch!
JOHANNES (grinst) Keene Spur!
RALF Dit is ne Falle, du lässtma ins Messer loofn! Sie klickt uff mein Bild, lacht sich scheckich und du jehst innerlich uff Polonese.
JOHANNES Nee Mann, ick grins nur weil … also …
RALF … weil???
JOHANNES Wie soll ick sagn … Janz ehrlich, Ralle, du hättest besser dabei bleiben sollen.
RALF (versteht nicht) Dabei bleiben?
JOHANNES Frau, mein ick. Du hättest Frau bleiben sollen. Ick mein, hässliche Kerle jibts ja schon jenuch und …
Ralf starrt ihn an – Johannes hebt abwehrend die Hände.
JOHANNES (beschwichtigt eilig) Schon jut, schon jut, mach weiter! Zeig mir, wat du ihr zeigen willst. Ick coach dir, ick bin dein Trainer!
Johannes nimmt das Handy von Ralf und wischt Foto für Foto über den Screen.
JOHANNES Ralf beim Kegeln. Ralf beim Grillen. Ralf hat ein Bier in der Hand. Wir in einem Faltboot. Mit Bier.
RALF Weeßte noch?
JOHANNES (brummt) Hm. Weiter.
RALF Hier warn wir nu…
JOHANNES (würgt ihn hart ab) … bei den ägyptischen Pyramiden, ick weeß. Weiter!
RALF Pyramiden?
JOHANNES Mann, ja doch, wir warn kurz nache Wende in Paris. Weiter!
RALF Wat biste denn mit een Mal so kotzbrockich?
JOHANNES Weiter!!
5. FOTO: der junge Ralf mit Helm im Tagebau. Er zeigt gerade in die Ferne (oder auf eine Förderbrücke) und sieht dabei sehr selbstbewusst und imposant aus. – Ralf wischt das Foto weg.
JOHANNES Halt! … Zurück!
Ralfs Finger wischt das Foto wieder auf den Schirm.
JOHANNES DAS musste nehmen! Nimm det als Startbild!
RALF (skeptisch) Ick weeß nich.
JOHANNES Nimm das Foto hier! Du, als das nüchterne, ausstudierte Ingenieurswesen im Tagebau.
RALF Is aber ewig her. Und nüchtern bin ick da ooch nich.
JOHANNES Zumindest wirkste so, als könnteste den Blick halten. Mensch, kiek doch mal hin!
JOHANNES Kuck! Du siehst da aus wie’n scheiß Feldherr, wie der blanke, richtungsblinkende Visionär siehste aus! Du bist ’n richtiges Rolemodel, Ralle. Dit nächste Aphrodisiakum trägt deinen Namen! (Lacht knapp.) Depression is psychische Volkskrankheit Nummero Uno. Gerade bei den Jungen. Und da, Bamm!, is plötzlich eener mit Helm uffe Omme und ohne Babyface hinterm Bart. Und dieser junge Mann – Kreisch! Sprechchöre! Rhythmischet Stampfen! – und jener herrliche, gutrasierte junge Mann zeigt – Bengalische Feuer! La Ola, erste Schlüpper fliegen! – und dieser enorme Typ zeigt ooch noch INNE ZUKUNFT! Halleluja!
RALF Die Zukunft is aber jetzt ’n Baggersee.
JOHANNES (entnervt und resignierend) Ja, mimimi, dann zeig doch deiner Fee die nackigte Plautze und paar Schwimmflügel! Mach ihr den Bademeesta!
Kurze Stille. Ralf mustert den beleidigten Freund.
RALF Sachma.
JOHANNES (mürrisch) Hm.
RALF Warum machstn det?
JOHANNES Wat?
RALF Warum gibstn dir sone Mühe, mir zu verhökern?
JOHANNES Mach ick nich.
RALF Machste doch! Du schraubst an mir rum, als wennste mich schnell noch verscheuern willst, bevor ick nich mehr durchn TÜV komme. Stinke ick? Geh ick dir so dermaßen uffe Ketten?
JOHANNES Nee.
RALF Wat dann?
JOHANNES Nüscht.
RALF WAT! DANN!
JOHANNES Na ja, ick denk ja, det eena von uns sweebeede mal Glück haben sollte. Det is jetzt mal dranne, denk ick. Wenigstens bei eem. Det würd mir irgendwie uffbaun, vastehsse? Ick tät ’n Bild von deine Hochzeit an’ Kühlschrank pappn und immer, wenn ick mir ne Wurscht oder ’n Monte raushole, kuck ick druff und sag mir: Kuck,’s jeht doch.
RALF Du frisst Monte???
JOHANNES Mann, is doch wumpe! Ick will, det eena von uns ’n Treffer landet im alljemeinen Schiffeversenken. Darum jehts!
RALF Is ja ooch ’n schöner Jedanke. Aber warum sollst du nu keen Glück ham? Warum ick und nich du? Ick meine, du bist doch, wie sacht man: stattlich. Een Kerl wie ne Mischung aus Zementmischer und Schlachteplatte.
JOHANNES Wat bin ich, ne Mischung aus Zementmischer und Schlachteplatte? – schönen Dank ooch. Da strömen die Damen und wolln sich drin wälzen.
RALF Mann, sorry, weeßt schon, wat ick meine. Trotzdem: Warum nich du? Wenn du mal – jetzt nur mal beispielshalber – wenn du dir mal nur unsre Busfahrerin …
JOHANNES … se heeßt Kathrin.
Ralf stutzt verblüfft.
RALF Kathrin.
JOHANNES Ja.
RALF HA!
JOHANNES Wat „ha“?
RALF (leise durch die Zähne) Du kleene, dreckige Arschkrampe du!
JOHANNES („erstaunt“) Wat’n nu los?
RALF Woher weeßte denn, wie se heeßt? Hä? Woher?! Kuck mir in die Oogen!
JOHANNES (eiert) Ick weeß es, weil … Ick hab se jefragt. Tach, Kathrin, wie heeßen Sie denn so, hab ick se mitten ins Jesichte jefragt. Also …, jetzt mal ohne „Kathrin“. Konnt ick ja da noch nicht wissen, nich wahr. (Lacht dünn.) Jedenfalls: ick hab jefragt und sie hat jeantwortet: Kathrin Stoklosa, gebürtig in Poznan.
RALF Gebürtig in Poznan.
JOHANNES Ja, aber lebt schon lange hier.
RALF Du hast jefragt und sie hat jeantwortet: Kathrin Stoklosa, gebürtig in Poznan?
JOHANNES Jenau.
RALF „Gebürtig“.
JOHANNES Gebürtig in Poznan.
RALF Und dann hat se mit den Hacken jeknallt und dein Formular ausjefüllt.
JOHANNES Wat denn für Formular?
RALF „Gebürtig“, du Eimer, so redet keen Mensch, so redet das Amt! Du hast keen Wort mit ihr jesprochen!
JOHANNES Hab ick doch!
RALF Haste nich!
JOHANNES Doch!
RALF Nä!
Maik kläfft vergnügt. (aus dem Off)
RALF Schnauze, Maik, nimm ihn nich ooch noch in Schutz! Dit Aas lügt.
JOHANNES Tu ich nich!
RALF Schwöre!
JOHANNES Ick schwöre.
RALF Wenn du also wirklich und tatsächlich jefragt hast, und die Frau ...
JOHANNES … Kathrin.
RALF Und diese Kathrin wirklich und tatsächlich in jenau diesem Wortlaut jeantwortet hat (jebürtig und so) denn, also denn is nu alles klar.
JOHANNES Klar? Wat denn?
RALF Se is komplett verblödet, se hat nicht nicht alle Latten am Zaun.
Johannes springt sofort auf und hebt die Faust. Ralf hat das erwartet, steht ebenso schnell in Kampfposition. Dabei:
JOHANNES + RALF PASS UFF, DU!!!!
Beide frontal mit schlagbereiten Fäusten. Kurze, angespannte Pause. Dann, endlich, hellt Ralfs Gesicht auf, er grinst.
RALF Erwischt, hä? Sauber erwischt! Du liebstse. Du liebstse wie blöde! Stellst dich vor se, machst den Ritter und willst für olle Kathrin sogar deinem ältesten und besten Freund die Fresse poliern.
Johannes ist überführt und sackt auf die Bank.
RALF Wie hastes jemacht?
JOHANNES Führerschein. Flog ihr vonne Sichtblende und da hab ick’n uffjehoben und schnell jelesen.
RALF Hm. … Ooch schon egal. Sieht verschärft so aus, als obwa se beede wollen. Eben noch lost in Brandenburch, schon mitten in scheiß Hollywood.
JOHANNES (nickt betrübt) Kann man so sagen. Zwee Hunde und een Knochen – dit is nu wirklich dit letzte, abjefuckte Filmprinzip am Markt.
RALF Wie jehts aus?
JOHANNES Die Frau guckt traurig, gibt jedem seine Arschkarte und nimmt sich’n Dritten.
RALF Scheiße.
JOHANNES Keene Sorge. Ick komm dir nich in die Quere. Ick bin hier mehr so die Brautjungfer.
RALF Jenau det is ja meine Frage! Warum coacht du mich wie blöde, und willst nich selber mit’n Bus innen Sonnenunterjang brettern?
JOHANNES Weil ick mich nich so für Paarbeziehungen eigne, Mann! Zwee Ehen vermasselt, da is Ende der Versuchreihe. Ick verstumme in Jefangenschaft. („Lacht“) Im Ernst, ick wusste nach zwee, drei Jahren immer nich mehr, wat ick sagen soll. In meine Not hab ick dann Rollende Woche Schichten jekloppt. Immer uff Arbeit, immerzu Maloche, damit Herzdame nüscht merkt. Als dann aber ooch noch der Job weg war, bin ick prächtig uffjeflogen. Du bist da janz anderer Schlach. Wenn dir bei den Frauen nüscht mehr einfällt, kannste wenigstens lateinamerikanisch tanzen. Ick nich. Ick kann nich tanzen. Nich mal deutsch.
Ralf mustert ihn von der Seite.
RALF Steh uff!
JOHANNES Wat?
RALF … HOCH, DU SACK!
Ralf zerrt ihn hoch.
RALF Du bist tief im Osten jeboren, da kann jeder bissel tanzen. Tipp-Tanz, Diskofox, Annemarie-Polka. So Säbelschieber wirste wohl noch hinjekriegt haben.
JOHANNES Du warst die große Abschleppmaschine, ick die Pfeife im Bus.
RALF Schon. Aber du hast Rhythmusjefühl.
JOHANNES Nee. Hab ick nich, werde ick nich, will ick nich!
RALF Is keene Ermessensfrage, is ne Frage des Fairplays. Wenns um Frau Kathrin Stoklosa geht, sollten wir beede die gleichen Ausjangsbedingungen haben. Los!
Fasst ihn und zwingt ihn energisch in Tanzhaltung.
RALF Eens zwee Tipp, Eens zwee Tipp. Janz einfach.
JOHANNES Eens zwee Tipp.
RALF Jenau.
Sie tanzen und zählen und singen bald.
RALF Eins zwei Tipp, eins zwei Tipp, ein zwei Tipp. (Singt:) Ein weißer Schwan/ ziehet den Kahn/ mit der schönen Fischerin/ auf dem blauen See dahin … (usw.)
JOHANNES (zählt verbissen mit) Eins zwei Tipp, eins zwei Tipp. Eins zwei Tipp. (Fällt schüchtern in den Gesang ein:) … mit der schönen Fischerin/ auf dem blauen See dahin … (usw.)
Es klappt, sie werden mutiger und lauter. Schließlich hopacken sie wie die Teufel vor der Haltestelle und grölen das dümmliche Volkslied. Maik kläfft wie besessen.
RALF MAIK, IS JA JUT, MANN! … Mit der schönen Fischerin, auf dem blauen See dahin … (Maik kläfft) MAIK! Echt, ick lass das Vieh einschläfern! MAIK, DAS IS NUR NE BLUME!
JOHANNES Isset nich.
Macht sich energisch los.
RALF Wat denn, wat denn?! Lief doch bestens!
Hannes starrt in die Richtung, in die auch Maik kläfft. Endlich folgt auch Ralfs Blick dahin: der Linienbus. Letzte FAHRGÄSTE glotzen durch die Fenster, manche filmen mit dem Handy. Schlimmer für Hannes und Ralf ist aber, dass KATHRIN sie (wie lange schon?) bei ihrem peinlichen Tänzchen beobachten konnte.
RALF (flüstert) Wir sind erledigt.
JOHANNES (ebenso) Für immer und alle Zeit.
RALF (flüstert) Gib ihr fünf Sekunden. Kann sein, dass se es jut fand und lächelt.
JOHANNES (ebenso) Vergiss es! Sie hält uns für besoffene Penner, bestenfalls für schwul und durchgeknallt.
RALF (flüstert) Abwarten.
Maik will nicht aufhören, zu kläffen – da trifft ihn Kathrins Blick. Er quiekt auf, verstummt und versteckt sich hinter seinen Herrchen.
Kathrin hebt die Augen und nimmt die beiden Männer wieder ins Fadenkreuz.
JOHANNES (leise und gepresst) Scheiße. Atmest du?
RALF Nee. Du?
JOHANNES Ooch nich.
Drei Sekunden angespannte Stille, dann lächelt sie. Kaum merklich, aber sie lächelt.

Akt 2: INNERE UNRUHE
Johannes und Ralf an der Bushaltestelle, trinken Bier. Ralf steht auf, stolpert, fällt hin und bleibt am Boden liegen.
JOHANNES (besorgt) Ralle? Allet klar?
RALF Allet klar. Mir jehts jut.
Ralf liegt aber noch immer. Er birgt nur das Gesicht in der Armbeuge.
JOHANNES Na dann.
RALF Ja.
JOHANNES Liegst einfach bisschen im Dreck.
RALF Hm.
JOHANNES Muss ja ooch mal sein.
Schweigen.
JOHANNES (explodiert) Mann, wat is denn HEUTE MIT DIR LOS, MANN! Haste wieder scheiß Post jekriegt? Absagen?
RALF Nee.
JOHANNES Nee?
RALF Doch. Aber ick komm schon klar. Mittlerweile krieg ich det janz jut uffe Reihe.
JOHANNES Is nich zu übersehn.
RALF Bin gleich wieder Kopp oben. Momentchen noch. Momentchen.
Man schweigt ein paar Sekunden, dann bricht es aus Ralf heraus: ein stummer Weinkrampf schüttelt ihn durch. Johannes sitzt auf der Bank und beobachtet den liegenden Ralf. Maik auch. Er leckt ihm Hals, Gesicht und Hände und fiept besorgt.
RALF (mühsam) Mann, wenigstens eene! Wenigstens eene Einladung, EEN scheiß lumpiget Vorstellungsjespräch! Ick meine, dit warn knapp zweehundert Schreiben, da kann man doch …
Ihm bricht wieder die Stimme weg, es schüttelt ihn ¬wieder durch. Johannes wartet geduldig. Dann steht er auf, geht zu Ralf und sieht auf ihn herab.
JOHANNES Hoch!
RALF Gleichdoch. Nur mal noch kurz bissi durchschnaufen und …
JOHANNES … HOCH, sach ick!!!
RALF Sekunde, bin gleich …
JOHANNES … Maik, scheiß auf ihn! Piss ihn an!
RALF Wat?!
JOHANNES Ick bitte deinen Hund, auf dich flennendes, wimmerndes, selbstmitleidiges Stück Opfer … Ach, egal. Maik, los! Scheiß ihn einfach zu!
Maik fiept und legt überfordert den Kopf schief, hebt aber immerhin schon das Bein.
RALF Maik! (Tritt ihn weg.) Hastese noch alle?!
JOHANNES Maik schon, du nich.
Ralf steht auf, klopft sich ab, setzt sich mürrisch auf die Bank der Haltestelle, zündet sich eine Zigarette an und inhaliert tief.
RALF Weeßte, ick bin vielleicht keene Zwanzig mehr, aber dafür hör ick ’n falsch justierten Zylinder uff hundert Meter. Ick kann schrauben, Baupläne lesen, Fliesen legen, Dach decken, Heizungen abdichten und allet, allet, wat die mir anbieten is …
JOHANNES Security.
RALF Security, Security – wat denn bloß los! Dit janze Land will nur noch Personenschutz und Nachtwächter und Streifen und Posten und Bullen und Politessen und … Wat soll det?! Ick meine, so viel Schiss kann doch gar keen Aas haben, wie wir hier an Security uffstelln. Jedenfalls … Ja, meine Fresse, war ’n schwacher Moment. Vorübergehende Unpässlichkeit. Sorry. Aber keen Grund, gleich den Hundi uff mich kacken zu lassen.
JOHANNES Als ick heute früh um Viere uffjewacht bin …
RALF … Moment, du wachst um viere frühs uff? Immer noch?
JOHANNES Immer noch. Als wenn ick uff Schicht muss.
RALF Ick ooch, Mann, ick ooch!
JOHANNES Na knorke, bratenwa uns ’n Ei druff. Als ick also um Viere hoch bin, saß ick uffe Bettkante – ick mein, ick musst ja nirjendwo hin – und denn sah ick mit eenmal wieder allet, wie es nu mal is und – noch schlimmer – wie’s wird.
RALF Dit Frühstücksfernsehn quakt, Mundjeruch, außen grau/innen grau und überall is nur …
JOHANNES … dit blanke, vernieselte Nüscht. Jenau. Nüscht gegen dich und det hier. (zeigt rundum auf die Haltestelle). Aber jenau von hier aus sindwa mal jeden Morgen jestartet, Ralle. Dit war unser persönlichet Baikonur. Von hier aus sind wa uffjebrochen, um neue Welten zu erkunden.
RALF Halblang, Kirk. Wir sind janz simpel uff Arbeit. Thermoskanne und Stullenbüchse.
JOHANNES Oder so. Jedenfalls allet besser als dit jetzt. Ick wüsst ja nichmal wohin, wenn ick ne Fahrkarte hätte. Ralle, ick komm nur noch hierher, weil … weil ick hierher komme.
RALF Nu, nu, det is hier zwar nich Baikonur, det Sternenstädtchen, aber ooch nich irjendwat! Det, mein Freund, is die letzte, verdammte Schnittstelle zwischen der Zivilisation und der absoluten Pampa. Von hier ab in die Richtung (zeigt) hört jedes intelljente Leben uff. Wir sind der letzte Außenposten, die Gralshüter quasi.
JOHANNES (lacht) Ach du Scheiße! Und dit hilft? Dit redste dir jeden Morgen ein?
RALF Manchmal hole ick mir auch einfach een’ runter.
JOHANNES Hilft ooch nur mäßich. Die innere Unruhe is für zwanzig Sekunden weg aber danach fühlste dir doppelt leer. Vorher biste ’n Penner mit Masturbationsfantasie, danach biste immer noch Penner, nur eben ohne Fantasie. Nüscht mehr im Kopp und nu ooch nüscht mehr inne Hose.
RALF Nee, im Kopp is dauernd wat. Andauernd! Det ist es ja!: in der Birne hört es nich uff zu plappern. Immer und immer. Mach dies, mach das, reiß dich zusammen, bring dich um, rasier dir wenigstens.
JOHANNES Dämliche Jedankenschleifen. Tritt sich dit fest, isset der direkte Weg in die klinische Depression. Ick habs mit Dauer-TeVau versucht. Eene Serie nache andere. Oder einfach denselben Film nochmal. Und nochmal. Und nochmal – und det beruhigt. Jedenfalls hörn die Fingerspitzen uff zu jucken. Wenn ick aber morgens annen Briefkasten jehe …
RALF … scheißte dir ein, weilste nich weeß, wat drin is. Mahnungen, Inkasso, wat vom Amt oder Vermieter, Krebsdiagnose.
JOHANNES Siehste.
RALF Aber dein Filmekieken is nüscht andret als Weltflucht. Du lebst denn nich mehr inne Realität.
JOHANNES Na, dit hoff ick doch sehr, hoff ick det.
RALF Haste nur noch Film im Koppe, unterscheideste dir keen bisschen von eem mit Hallus und Wahnvorstellungen.
JOHANNES Mal so, mal so. Wenn ick zum Beispiel Arielle (gesprochen wie geschrieben) jekiekt hab …
RALF … Arielle? (ebenso) Die Meerjungfrau, dit Märchen?
JOHANNES Ja. Wat jegen?
RALF Nö, nö, frag ja nur.
JOHANNES Doch scheißegal, Mann! Hauptsache, es hilft. Richtig?
RALF Richtig.
JOHANNES Und dit half. Weil da – also die Stelle, wo se uffn Stein hockt und singt – da musste ick immer heulen.
Ralf brüllt laut lachend auf. Johannes straft ihn mit einem Blick.
RALF (mühsam beherrscht) Tschuldigung, Tschuldigung.
JOHANNES Mann, ick wusste selber, dasset bescheuert war, bei so’m Schinken zu flennen, aber da ick sowieso immerzu heulte, konnte ick mir einreden, dass ick deswegen heule. Klar? Für den Moment war ick also NICH IRRE, sondern janz normal. Ick heulte ja nich mehr einfach so. Ick heulte und hatte dafür ooch ’n klar benennbaren Grund: nämlich Arielle.
Der Bus kommt. KATHRIN steigt aus und lehnt sich, in Jeans, Lederjacke und schweren Stiefeln gekleidet, an den Kühlergrill ihres Linien-Busses. Sie hat die ¬Augen geschlossen, hält ihr Gesicht in die Sonne und raucht. Ein schönes Bild. Die Männer bemerken sie.
Maik kommt und leckt Kathrin ab. Sie findet ihn süß.
KATHRIN Wie heeßter denn?
JOHANNES Maik.
KATHRIN Ach du Scheiße.
RALF Oder einfach „der Hundi“.
KATHRIN Noch schlimmer. Seid ihr fünf?
RALF Nich unsre Schuld. Der hieß schon so, als ick’n ausm Heim holte. Und der Sack ließ sich nicht umtaufen.
JOHANNES Und wir ham allet probiert. Torsten, Manfred, Lothar – die janzen Hundenamen durch, aber führt keen Weg rin. Er hört sowieso schon uff so jut wie nüscht, aber sachste nich Maik oder Hundi, frisster nich mal.
RALF Oder kackt nich.
JOHANNES Oder kackt, wann und wo er nich soll. Guerilla-Kacken sozusagen.
RALF Manchmal hälter sogar die Luft an und fällt um.
KATHRIN Weil ihr ihn falsch anquatscht?
RALF Wer weeß, kann sein.
JOHANNES Wir dringen nicht allzu weit zu ihm vor. Er macht sein Ding, wir unsret. Sie.
RALF Andererseits, wollen Sie falsch anjesprochen werden?
KATHRIN Ick? Wie denn?
RALF Na, keene Ahnung, Wiebke oder so.
JOHANNES Wie kommstn jetz uff Wiebke?!
RALF Wat is denn jegen Wiebke zu sagen?
KATHRIN (zu Johannes) Fällt dir wat andret zu mir ein?
JOHANNES Kathrin reichtma völlig.
KATHRIN Richtige Antwort, Schwein jehabt. Richtige Antwort, aber ooch bissel feige. Hättst dir ruhig wat einfalln lassen könn’. Oder besser nich. Nachher bin ick Arielle oder Angela oder so wat und komm da nich mehr raus. Ick denk ja, dass Name und Mensch mitte Zeit identisch werden. Stückchen jedenfalls. Du zum Beispiel (sieht Johannes an), ick rate jetzt mal, bist für mich ’n typischer Ralf. Und du (sieht zu Ralf) bist – na ja, na ja … geh mal paar Schritte!
Ralf geht ein paar Schritte.
KATHRIN Hände einstützen und leichten Ausfallschritt nach links!
Ralf tut es.
KATHRIN (ruft) Deine Lieblingsdrohjebärde.
RALF (ruft zurück) Lieblings-wat?
KATHRIN Drohjebärde. Mach, wat anzeigt, det de höllisch uffe Palme bist. Und bitte nich Mittelfinger, dit würde mich irjendwie von dir enttäuschen.
Ralf ist ratlos. Probiert dann aber irgendwas. Kathrin lacht.
KATHRIN So kommwa nich weiter. Mach mal paar Hockstrecksprünge! Wir müssen dich lockern und neu uffsetzen.
Ralf tut es.
JOHANNES Und det brauchense allet, um sein’ Namen zu erraten?
KATHRIN Quack, aber der macht so wunderbar blöde mit. (Zu Maik:) Herrchen pariert, wa? Herrchen haste jut dressiert!
KATHRIN (Ruft zu Ralf:) Ok, kannst uffhörn. Ick denke, du bis ’n schwerer Fall von Heintje oder Hans. Lieg ick richtich?
Ralf und Johannes sehen sich verblüfft an.
JOHANNES Ja, schon. Is nur … nur jenau umjedreht.
KATHRIN (lacht) Jenau, umje … (Lacht.) Herrchen & Hundchen oder Paare. Sind die lange jenuch zusammen, sieht der eene aus, wie der andere heeßt. Na, nüscht für unjut, nur so Jedanken. Am Lenker hat man viel zu vülle Zeit. (Sieht auf ihre klobige Taschenuhr) Ick muss jetzt, Leute. Bin schon wieder späte dran. Allewidätschi, ihr Beeden Hannes-Ralleoder-Umjedreht, bis Morgen!
Ist schon im Bus, startet, fährt los und winkt noch einmal. Johannes sieht Ralf an, Ralf sieht Johannes prüfend ins Gesicht.
JOHANNES (unbehaglich) Wie der eene aussieht …
RALF Pff.

Akt 3: IRGENDWO DAZWISCHEN
RALF und JOHANNES kommen gerade von einem ihrer zahlreichen Nebenjobs aus dem Wald. Für 10 Euro/h wilderten sie ein Bienenvolk aus. Die beiden Männer sind noch immer in der geborgten Imkerkluft samt Imkerhelm und Schleier, selbst MAIK ist provisorisch verschleiert. Das Auswildern ist eine sehr umstrittene Methode, um Bienen besser überleben zu lassen, und die Männer sind in einer schrulligen Debatte über das Für und Wider des Verfahrens und Etliches mehr. Immer wieder bleiben sie stehen, um zu streiten.
JOHANNES .… kapierste nich: stirbt die Biene, hat der Mensch noch fünf Jahre zu leben! Noch fünf, Ralle!
RALF Aber det sind jetzt schon Haustiere. Ne Kuh wilderste ja ooch nich aus.
JOHANNES In Zahlen FÜMPF, mein Freund! Nur noch fünf Jahre! Dit lasst dir mal uffn Stirnlappen zerjehn.
RALF Schon verstanden. Wir schaffens nich bis zur Rente.
JOHANNES Jenau.
RALF Scheißdruff, eene Peinlichkeit weniger.
JOHANNES (schnaubt) Pff, wie dit nervt! Kannste ma uffhörn, immer nur an dich zu denken?
RALF Und du höre uff, bei jede Jelejenheit dein Ego uffzublasen. JADOCH, wir ham paar Bienen ausjewildert, aber deshalb sind wir nich gleich det Penicillin. Für zehn Euken die Stunde wildere ick selbst Maiki aus.
Maik bellt froh (weil er seinen Namen hört). Plötzlich bleibt Hannes abrupt stehen. Ralf läuft hart auf ihn auf.
RALF Wat is?!
An der Haltestelle prallt Hannes auf eine Burka-verhüllte Frau (INES). Sein Aufzug als Imker (ähnlich verhüllt) lässt die Begegnung grotesk werden. Ralf lacht auf. Hannes und die Burka- Frau schrecken voreinander zurück und gehen auf Distanz.
JOHANNES (erschrocken und unsicher) Tachchen, äh Bonjour, äh Simsala … Tut mir leid, ick wollte Sie nicht …
RALF Simsalabim? (Lacht.) Echt, Hannes? Simsalabim???
JOHANNES Mann, ick … Uff die Schnelle … Ick …
RALF … As-salam alaykom, wollte mein Freund sagen, As-salam alaykom. Ick entschuldige mich in aller Form für ihn. Wenner uffjeregt is, mutiert er schnell mal zum Pfosten. Und er is uffjeregt, weil … na ja, wir haben hier nur sehr selten internationalen Besuch. Darf man fragen, was Sie hierher an diesen … diesen … (sucht)
JOHANNES … Arsch der Welt …
RALF … was Sie an dieset schöne Fleckchen unserer deutscher Heimat verschlagen hat?
Die Burka-Frau „starrt“ sie reaktionslos an.
JOHANNES (flüstert) Vielleicht spricht sie ja keen Deutsch oder se kann uns unter ihre Burka nich richtig hören … HEL-LO?
Wedelt idiotisch mit der Hand vor der Frau herum.
JOHANNES Can you hear me da drinne?
Mit einem Satz ist Burka-Frau INES bei Hannes und stößt ihn vor die Brust, sodass er gegen die Haltestelle kracht.
INES Und wie ick dir hörn kann, Schweine-Nazi, jedet scheiß Wort!
JOHANNES (überrumpelt) He!
INES Wat soll das?! Wollt ihr braunen Arschlöcher euch jetzt auch noch über uns lustig machen, ja? Uns verhöhnen, ja?!
JOHANNES Verhöhnen? Wat denn verhöhnen?
INES Appropriation, oder wat? Kulturelle Aneignung? Wat soll dieser Uffzuch!
RALF Der is jegen Bienen! Und deiner?
Johannes nimmt den Imkerhelm ab.
JOHANNES (beschwichtigend) Nu, nu, mal schön Ruhepuls. Ick gloobe, hier liegt einfach ’n Missverständnis vor.
INES (schnaubt) Fascho bleibt Fascho. Da jibts keene Missverständnisse.
RALF Wer immer du da drinne bist, WIR sind keene Nazis! Kapiert?!
INES Ach ja?
JOHANNES Ach ja!
INES Ihr hängt hier einfach nur so ab, Tach für Tach?
RALF Jeht dich ’n Scheißdreck an, aber kann man so sagen.
INES Na dann ist doch alles klar, mein Ralle. Heil Hitlerchen!
RALF Wat is klar? Und wieso weeßte, wie ick heeße? (Ihm geht ein Licht auf.) Die Stimme! Ick kenn dir. Du bist Null-Muslima, du bist dit blanke Jegenteil. Du bist, warte, bist …
JOHANNES … Ines! Ines Katschkowski! Wir waren alle anner Juri Gagarin. Du warst die scheiß Freundschaftsratsvorsitzende, dit Glühendrote-Ines.
Ines nimmt die Kopfbedeckung der Burka ab und schüttelt die Haare.
RALF Aber warum trägste nu Burka? Biste konvertiert, so von Arbeiterfahne zu Jebetsteppich, oder wat?
Ines holt ein Walky-Talky raus. (In den Funklöchern der Region kein schlechter Behelf.)
INES Tja, wie soll icks nennen: Köder? Trüffel für euch Nazi-Schweine? Uff nüscht reagiert ihr Arschgeigen deutlicher als uff Frauen in Burkas.
RALF Hä? Versteh keen Wort.
INES Aber gleich, kleener Ralle, aber gleich.
Ines hebt das Walky-Talky hoch, lächelt kalt und drückt eine Taste als würde sie eine Bombe zünden. Am Waldrand explodieren MOTORENGERÄUSCHE von Crossmaschinen. Die Motorräder schießen aus ihrem Versteck, steigen auf die Hinterräder und sind in der nächsten Sekunde an der Bushaltestelle. Drei BULLIGE TYPEN IN LEDERKLUFT und schwarzen, blickdichten Vollvisierhelmen (gewissermaßen auch „vermummt“) steigen ab und klatschen sich die Fäuste oder Baseballschläger in die Handflächen. Ines neigt neckisch den Kopf:
INES (WEITER) (grinst) Simsalabim.
SPÄTER
Ralf und Johannes sind die Hände mit Kabelbindern gefesselt. Sie knien hinter der Bushaltestelle in einer Art Tribunal und wissen endlich, was Ines meint: Die gesamte Rückfront der Wartehaus-Bude ist mit Nazi-Parolen, Reconquista und einem riesigen Hakenkreuz beschmiert. Auf jeden Fall: „GENDERWAHN“ Ines telefoniert Ralf und Johannes’ „Alibi“ hinterher:
INES (in den Hörer) … Bienen? Wirklich Bienen? Und dit is jetzt nicht ’n scheiß völkischet Code-Wort für irgendwat? Ick meine, wir überprüfen det und wir wissen, wo Se wohnen. Dit is Ihnen hoffentlich klar, ja? …
JOHANNES (stöhnt) Mann, Ines! Dit einzig Völkische hier is dit scheiß Bienenvolk.
RALF Wir könn’ dich mit’n Arsch rinsetzen, damittes kapierst!
Für die Frechheit gibts von einem der Typen in Lederkluft eine schnelle Backpfeife.
INES (weiter in den Hörer) … Drohung? Ja selbstverständlich is dit ne Drohung. Denkense ick lad Se hier uff Kaffe & Kuchen?! ICK FLIRTE NICH, ICK DROHE, JUTER MANN! Ick … Hallo? (man hat aufgelegt) Idiot.
Ines legt ebenfalls auf und blickt nachdenklich auf Johannes und Ralf herab.
JOHANNES Ines, Mann, wie oft noch!: wir haben den Scheiß da nicht ranjeschmiert! Wir nich!
INES (nachdenklich) Wer sonst? Ihr hängt hier jeden Tach ab, nur ihr. Weeß jeder: die beeden schrägen Kloppies anne Haltestelle. Ihr seid hier Inventar.
RALF Gerade deshalb werden wir nich so blöde sein, jenau hier ’n Hakenkreuz anzumalen.
JOHANNES Man scheißt nicht, wo man frisst.
INES (lacht) Ihr scheißt Hakenkreuze?
RALF Mann, Metapher! Dit war jetzt mal Metapher und Volksmund 1.0 und so. Hannes is der Experte vonne Volksmünder. Er wollte nur sagen … Äh, wat wolltste nur sagen?
JOHANNES Wir warns nich.
RALF Jenau.
Ines überlegt. Maik hechelt und wackelt mit dem Schwanz. Dann geht alles schnell.
INES Okay. (Seufzt) Machtse los. Die Beeden sind so blöd und harmlos wie ihre Töle.
Die Ledertypen machen Hannes und Ralf los, Ines geht schon zu den Motorrädern. Johannes steht auf, reibt sich die Handgelenke und ruft ihr wütend nach.
JOHANNES Und dit wars, ja? Kurz mal jefesselt und jefoltert und dit wars denn einfach? Guantanamo fürn kleenen Hunger, oder wie?
Ines steigt schon auf ein Motorrad.
INES (ruft zurück) Sorry, blöd jelaufen, aber wir sind nu mal im Krieg.
JOHANNES Krieg?
INES Krieg!
Sie lässt das Motorrad an. Johannes brüllt drüber:
JOHANNES (ruft) SCHEISSE, INES, NOCH’N SPRUCH UFF’N WEG: WÄHLE DEINE FEINDE JENAU, DENN DU WIRST WIE SIE!
INES (brüllt zurück) WAT?
JOHANNES WÄHLE DEINE FEINDE JENAU, DENN …
RALF (würgt ihn ab) … ALLET IN ORDNUNG! TSCHÜSS, INES!
INES KRIEGTER WIEDER SEINE JEDICHTE?
RALF JA. WIRD OOCH NICH MEHR BESSER.
INES (lacht) WAR SCHON INNE SCHULE UNSER ABREISSKALENDER. (lacht) TSCHÜSS, SUPPENLUTSCHE, UND IMMER SCHÖN VORSICHTIG. WIR (zeigt mit zwei Fingern) BEHALTEN EUCH IM OOGE!
Sie reißt die Maschine hoch und rast los. Ihre Leute tun es ihr nach und folgen ihr mit schleudernden Rädern. Johannes und Ralf bleiben im Staub zurück.
JOHANNES (beleidigt) „Abreißkalender“? „Wird ooch nich mehr besser“?
RALF Wat willste, du warst schon wieder druff und dran, Glühend-Rotet-Ines zu provoziern.
Johannes schweigt mürrisch ein paar Sekunden.
JOHANNES Und jetzt?
Ralf sieht auf die Nazi-Schmierereien.
RALF Hm.
Johannes und Ralf haben tatsächlich Farbe und Pinsel geholt, um „ihr“ Wartehaus vom Nazi-Müll zu reinigen. Die beiden streichen die Haltestelle und dabei ist nicht zu verhindern, dass sie das Geschmiere lesen. Johannes ist gerade bei „Sicherheit braucht Grenzen“.
JOHANNES (reagiert auf das Schild) Die Idioten. Und damals plärrten se „Die Mauer muss weg“, „Die Mauer muss weg“.
RALF Will keena mehr wissen, dass wa selber Flüchtlinge warn. Und nich mal politische. Ick meine, keene, wo die heeme mits Erschießungskommando warten. Die unterste Sorte Wirtschaftsflüchtlinge warn wa.
RALF KOMMT DIE D-MARK BLEIMWA (hdt: „bleiben wir“) HIER/…
JOHANNES KOMMTSE NICH/ GEHN WIR ZU IHR!!!
RALF KOMMTSE NICH/ GEHN WIR ZU IHR!!!
Erinnerndes Gelächter.
JOHANNES Und kaum hattenwa bissi Westkohle, denn zammraffen und buddelflink zu Loche schleppen. ALLET MEINS!
RALF (Sächsisch:) Und MAUER WIEDER HOCH! (Lacht.) „Dit Deutsche, dit Deutsche, dit Deutsche jeht in Eimer“ flenn’ die immerzu. Und fragste nach: Ohjemineh, dit Deutsche jeht flötn, aber wat is denn nu dit Deutsche gleichma? Und wieso isset so schlimm, wenns weg is?
JOHANNES Denn kommt erstma der Scheiß mitte Qualitätsarbeit und die deutsche Ingenieurskunst.
RALF Und ick sag VW-Diesel und frag, wo die deutsche Ingenieurskunst denn da war.
JOHANNES Denn ziehnse sofort mit Joethe nach. Der Mann is nich tot zu kriegen.
RALF Echt, die können kaum ’n Küchenzettel lesen, aber hupen immer noch mit „Land der Dichter und Denker“ und olle Goethe rum.
JOHANNES Aber ick sag Okay.
RALF Du sagst okay?
JOHANNES Man muss ooch mal ok sagen. Ick zitiere dann gleich immer wat, und stöhne und verdreh vor lauter Kunstjenuss die Oogen.
RALF Und die?
JOHANNES Stöhnen und verdrehn kräftich mit. Bleibt ihnen ja nüscht andret übrich.
RALF Fies.
JOHANNES Doppelt fies. Denn ick zitier’ nich mal Joethe, ick zitiere wat von mir!
RALF Wat?! Glatter Betruch also. Du bist ne Fake-News uff zwee Beene.
JOHANNES (zuckt mit den Schultern) Wat solls, für den Moment bin ick Joethe.
RALF Muss ooch mal sein.
Beide lachen.
RALF (vorsichtig) Also du schreibst, sagste. Ick meine, so richtich richtich? Und wieso weeß ick’n det nich?
JOHANNES (energisch) Keene weiteren Fragen!
RALF Wieso denn?! Also ick würde jerne, sehr jerne mal wat von dir …
JOHANNES … Lass sein, okay?
RALF (leicht beleidigt) Hmhm.
JOHANNES Ralle, bitte, ick zick’jetz hier nich uff Jeheimnisträger und Wundertüte. Is nur … Also dit Jeschreibsel is nur so für mich, und, na ja, dit solls ooch bleiben. Ick brauch irjendwat, wat nicht vakoofbar is, vastehste? Also dit heeßt jetz nich, dass ick denke, dassde mein Zeug koofen sollst oder dasset überhaupt vakoofbar is. Ick will nur …
RALF … Irjendwat, wat janz deine is und von dir kommt und wat nich anjegrabscht und befingert und verglichen und bewertet und ausjepreist werden kann.
Johannes sieht ihn verblüfft an.
RALF Jetzt glotz nich so!
JOHANNES Wie glotz ick denn?
RALF Als wennde „Ei der Daus“ oder „Donnerwetter“ sagen willst.
JOHANNES Will ick ja ooch.
RALF Lasset. Schon dassde so verblüfft jekiekt hast, isn Fall von benevolenter Diskriminierung.
JOHANNES Benewo-wat?
RALF Positive Diskriminierung: Komplimente in Jestalt von Backpfeifen. Ick lob so von oben herab uff dir runter. In etwa wenn du machst: Ei der Daus, der kleene Ralle hat ooch mal wat jeschnallt. Is meist so’n Sexismusding zwischen Männern und Frauen: Die Frau macht oder sacht irjendwat und der Kerl macht „Möönsch, gar nich mal schlecht für ne Püppi“.
JOHANNES Ja, scheiß die Wand an, woher weeßt denn du so wat?
RALF Da gleich wieder: benevolente Diskriminierung. Oder halt, dit war jetzt sogar ne offene.
JOHANNES Und jetzt?
RALF Wirste zermalmt und kommst uffn Sondermüll vonne Weltjeschichte. Irjendwelche letzten Worte?
JOHANNES Nur nochmal die Frage: Woher weeßte dit allet? Internet?
RALF Falsche Tür.
JOHANNES Falsche Tür.
RALF Also dit war so: Ick war inne Kreisstadt uffs Amt und musste schiffen. Ick hatte schon mächtig Druck uffe Pumpe und …
JOHANNES … Ok, könnwa die Schifferei überspringen?
RALF Diesmal nich, fürchte ick. Trotzdem weiter?
JOHANNES (widerwillig) Weiter!
RALF Ick also rumjetigert, schon Schweiß uffe Stirn, und denn endlich: Da! Die Klos! Blöde nur: die haben da jetzt nichmehr so Ampelmann und Ampelfrau uffe Tür, sondern diese Geschlechterzeichen. Also die Kullern mit oben so’n Pfeil, oder eben unten so’n Kreuz. Und jenau dit war dit Problem. Ick weeß immer nicht: is nu der Pfeil für die Kerle oder dit Kreuz? Oder janz andersrum? (Dramatisch:) Und der Druck und die Pumpe und der Schweiß uffe Stirn und Roter Draht/ Blauer Draht …!
JOHANNES (ungeduldig) … Mann, Kreuz für Frau, Pfeil für Mann!
RALF Ooooder?
JOHANNES Wat „oooooder“? Nüscht oder.
RALF Doch! („Pastoral“:) Denn siehe, da war eine dritte Tür. Und jene trug eine Kuller mit Kreuz UND Pfeil, und es war gut. Jedenfalls für mich. Ick ruff und aaahhh und schon entspannte sich det janze Amt. Aber wie ick wieder rauskam, sprichtma eener an und sagt, dit das jetzt aber mutig war. Ick sach, dass ick mir nich anders kenne, aber trotzdem jerne mal wissen würde, wat denn am Pissen nu so mutig is. Und er sagt, dit ick uff „Divers“ war, und dass es – leider, leider – noch immer so sei, det alleene der Gang zu diesem Klo den Klogehenden stigmatisiert. Und jerne, sehr jerne, würd er mich in Raum 219 mitnehmen. Sie hätten da gerade einen Workshop am loofn und könnten unmöglich uff meine Erfahrungen verzichtn.
JOHANNES (grinst) Und du bist mit?
RALF Wann wollte schon ma jemand wat von meine Erfahrungen hörn! (Außerdem jabs kostenlos Blechkuchen und Handmaterial).
JOHANNES Und dann Raum 219.
RALF Könnwa überspringen.
JOHANNES Nüscht! Ick will Details. Wann hastes jemerkt?
RALF Is doch scheiß egal. Ick hab mir die Powerpoints anjesehn und zujehört. Allet sehr interessant. Weeßte, wieviele Jeschlechter momentan im Anjebot sind?
JOHANNES (beharrlich) Wann. du. es. jemerkt hast?!
RALF Also jut, der Klassiker: die Seminarleiterin wurde mir als Monique vorjestellt, aber überall stoppelte und haarte noch ’n Manfred durch. Und am Tisch jing dit so weiter: überall Leutchen im Umbau.
JOHANNES Und du?
RALF Ick … also … Klar, ick musste ja nu ooch zeigen, dass ick hier nich so janz grundfalsch bin, in Zimmer zweehundertneunzn.
JOHANNES Klar. Hättst aber – „Sorry, Missverständnis“ – ooch einfach jehn könn’.
RALF Hab ick tatsächlich kurz überlegt, aber da wäre ick dann entweder a) ’n Perverser, der sich aus perversen Gründen uffm falschen Klo rumtreibt oder b) ’n Idiot, der nichmal Schilder lesen kann oder c) ’n Idiot, der von anjesagten Jeschlechterfragen keene Ahnung hat, oder d) ’n Fascho, der uff Genderhass is und dit Klo sabotieren will.
JOHANNES Een mal pervers, een mal Idiot, een mal Nazi.
RALF Ja, schlechte Karten. Und da hab ick ma in meine Not einfach an dir erinnert.
JOHANNES An mir???
RALF Ja. Weeßte noch, wie wa mein Fotoalbum uffm Handy durchjeblättert haben?
JOHANNES Ja und?
RALF Die 80er?
JOHANNES (versteht nicht, worauf Ralf hinauswill) Jaaaa? … AH NEE, NE?!
RALF Doch!
JOHANNES Dit hast nich jemacht, dit nich! Sag, dassde dit nich jemacht hast!
RALF Mann, watten sonst?! Der Typ hielt mir für mutig und dit ick den Arsch voll schicke Erfahrungen hab, und ick wollte ihmchen nich blöde dastehn lass, und mir selber ooch nich.
JOHANNES Und denn haste tief Luft jeholt und mal einfach so jesagt, dassde … (Kann den Lachanfall kaum noch zurückhalten.) … dassde ne Frau werden willst, oder wat?
RALF Nee.
JOHANNES Nee?
RALF Nee.
JOHANNES (erholt sich kurz) Jottseidank, ick dacht schon, dassde nu völlich …
RALF … Dass ick eene war, hab ick jesagt. Dass ick mal eene war.
JOHANNES (schnappt nach Luft) WAT?!
Fällt auf die Knie, wälzt sich in einem Lachkrampf.
RALF Wat hätt ick denn sagen sollen!
Johannes kämpft sich ruhig, beherrscht sich nur mühsam. Ralf lächelt gutmütig und wartet ab.
JOHANNES Und denn?
RALF Nüscht und denn. Da wird nich blöde nachjehakt, die lassen dir in Ruhe. Aber inne Workshop-Pause hatma eener jefragt, wo ick hab machen lassen. – Er frage nur, weil ick so jut jelungen wär’!
JOHANNES (atemlos) Und du?
RALF Na wat! Hab ma jefreut. Hört man ja ooch nich alle Tage.
Johannes starrt den Freund mit offenem Mund an.
RALF Wat nu? Musste niesen oder gackerste gleich wieder los.
Johannes steht auf und umarmt den Freund.
RALF Ö ö ö ö ö!
JOHANNES Allet jut. Is nur … Also … Biste wirklich. Irjendwie.
RALF Wat denn?
JOHANNES Jut jelungen.
RALF (misstrauisch) Benevolent? Freundliche Diskriminierung, oder wat?
JOHANNES Teils, teils.
RALF Kann ick mit leben. Ick dachte schon, du hältstma für völlig bescheuert.
JOHANNES Wie jesagt: Teils, teils.
Lässt ihn wieder los. Sie grinsen sich an.
RALF Ick hab nämlich ne Idee.
JOHANNES (stöhnt resigniert) Und gerade war die Welt in Ordnung.
RALF (unbekümmert) Hier, kucke (Holt sein Smartphone raus)! Du gloobst nich, wieviele Jeschlechter es jibt! Und wat für welche! (Liest ab): „Alexigender:“ dit heeeßt: „zwischen mehr als einem Geschlecht wechselnde Genderidentität“ Und hier: „Cadensgender: ein Geschlecht, das sich leicht von Musik beeinflussen lässt.“ Von Musik, Mann, von Musike! Oder hier: „Daimogender: ein Dämonen und dem Übernatürlichen stark verbundenes Geschlecht“ …
JOHANNES … Wat soll das? Machst dich lustig? Bist vielleicht die Nazi-Sau, die hier det „Genderwahn“ ranjeschmiert hat? Hat Glühend-Rotet-Ines am Ende recht?
RALF WAT?! Komm und kuck, wat ick hier ranjeschmiert hab! Komm kuckn!
Johannes folgt Ralf auf die Seite, wo Ralf malerte. Eine leidenschaftliche, aber talentfreie Zeichnung, offenbar ein Porträt.
RALF (stolz) Da bitte! Von wegen Nazi-Sau!
JOHANNES (ratlos) Merkel mit Mütze?
RALF Mann, dit is Che! Che Guevara!
JOHANNES (vorsichtig) Okeee.
RALF Ja jenau.
JOHANNES Wat hattste denn nu für ne Idee?
RALF Besser nich. Am Ende hock ick alleene hier.
Johannes denkt zwei, drei Sekunden nach.
JOHANNES Hm, ick sagma … du wolltest ’n Ostjeschlecht finden oder erfinden, stimms? Eastgender oder Gender-Ost oder so.
RALF (verblüfft) Eastgender. Verdammich, bin ick wirklich so berechenbar?
Johannes grinst.
RALF Ick dachte, wenn die die Genders schon aus Musik und Dämonen jebacken kriegen, dann kann ick ooch … Ick meine, is doch allet mit bei. Ick konnte die janzen großkopferten Wörter vom Workshop anwenden. Besondere Individuation und Sozialisation unter ick sachma „hermetisch isolierten“ Laborbedingungen, später sogar ne Transidentität vom Ossi zum Wessi und so weiter. Keen so üblet Gender, wat sachste?!
JOHANNES Ralle, Mann, ’n sozialet Jeschlecht is doch keen Rabattmarken-Club oder ne App. Wat sagen denn die Typen von dei’m Workshop zu.
RALF Nüscht, dürfen die irgendwie nich. Die ham jekuckt, als ob ick nich alle uffn Christboom hätte, aber jesagt hamse: „Ralf, wenn du so empfindest, dann ist das so.“
JOHANNES (lacht) Obwohl … Na ja, hm. Ne Nebenwirkung wäre immerhin, det wir es damit zu so ner Art jeschützten Minderheit schaffen würden. Wer den Ossi anpöbelt, wäre sofort ’n Rassist oder Sexist. Shitstorm inklusive.
RALF Meine Rede. Wir Ossis hätten endlich dit, wonachwa immerzu flennen: Anerkennung und Respekt für lau. Du sagst einfach „mein Gender, mein sozialet Jeschlecht is ostdeutsch“ und, Bamm, allet hat ’n Hofknicks zu machen.
JOHANNES Und die Kuller trägt Hammer und Sichel.
RALF Wat für Kuller?
JOHANNES Die uffe Klo-Tür.
RALF (lacht) Jenau, Hammer und Sichel.
Ein Mann brüllt und lässt Ralf und Johannes herumschrecken.
NAZI 1 HEEE!!!
Drei Nazis haben sich an der Bushaltestelle martialisch aufgebaut.
RALF (leise) Oder doch einfach ’n Hakenkreuz an die Kuller.
NAZI 1 He, Schwuchteln! Wart ihr das?
Zeigt auf die frisch überstrichenen Wände.
JOHANNES Wau, wau, zünftiger Zeitjenosse, wat is dein Begehr?
NAZI 1 Begehr? Dir paar uffe Fresse is mein Begehr. Eure Pinsel, eure Eimer?
Stößt einen Eimer mit einem Stiefeltritt um. Er inspiziert die Haltestelle, sein Blick fällt auf Ralfs Zeichnung.
NAZI 1 (nun doch erstaunt) Merkel mit Hut? Wie krank seid ihr Penner eigentlich?!
RALF Dit is Goebbels.
NAZI 1 Goebbels?
RALF Ja, späte Phase. Die Drogen, die Drogen …
NAZI 1 (ihm reichts) Okay, Leute …
Alle drei machen sich schlagbereit und nähern sich Ralf und Johannes.
RALF Würd ick nich machen, ick lass den Hund los!
NAZI 1 Hmhm. Den „Hund“.
Lässt den Baseballschläger in die Hand klatschen und nähert sich weiter.
RALF (leise durch die Zähne) Komm, Maik, nur een Mal! Nur ein eeziges scheiß Mal in deinem Leben! KOMM, KEHLE!!! FRISS’N UFF!
Aber Maik sieht sich die Situation an, fiept noch einmal und haut ab. Feistes Gelächter bei den Nazis.
RALF (seufzt enttäuscht) Oh, Maiki …
Johannes fängt sich den ersten Schlag. Die beiden werden verprügelt und gefesselt. Die Gesichter und Haare sind voll Farbe, ihre Oberkörper sind über und über mit Farbe beschmiert. Beiden, Johannes und Ralf, wurde ein Hakenkreuz auf die Brust (über das Herz) gezeichnet. Die Nazis sind bester Laune. Sie saufen Bier, johlen und demütigen Ralf und Johannes weiter mit Pinsel und Farbe. Sie malen ihnen gerade Hitlerbärtchen an.
NAZI 1 Und ihr Sackfressen meint also, unser Zeug so einfach mal überpinseln und wegwischen zu können, ja? So „Schöner unsere Dörfer und Jemeinden“ oder so?
RALF (wie Hitler) Jawoll, mein Dorrrfgruppenführer, Teutschland muss wieder niedlich werden!
JOHANNES Mein Freund meint es nicht so.
NAZI 1 Wie meinters denn?
JOHANNES Er liebt Sie, er kann es nur nicht so richtig zeigen.
RALF Sie mögen Fesselspiele, mögen Sie es auch rektal?
JOHANNES Er würde Ihnen gern mit dem Baseballschläger aushelfen.
Nazi 2 will wieder mit einem Schlag abstrafen, Nazi 1 hält ihn mit einer royalen Geste zurück. Nazi 2 und Nazi 3 gehen, um unter infantilem Gegacker, das Wartehäuschen wieder mit ihren ekelhaften Sprüchen und Zeichnungen zu versehen.
NAZI 1 Ihr haltet euch für überlegen, ja? Geistig, rhetorisch, moralisch janz andere Liga, stimms? Und, warum oooch nich, kann ja durchaus sein. Die Beeden hier (zeigt mit einer Kopfbewegung auf seine Nazi-Kumpels) sind nich unbedingt die schlausten. (Ruft nach hinten:) NICH, LEUTE, IHR HABTS DRUFF! IHR SEID KNALLHART MENTAL RETARDIERT, DA MACHT EUCH KEENA WAT VOR!
Die beiden Nazis grüßen und grölen zustimmend zurück.
NAZI 1 Dit sind eben janz normale Jungs von hier. Und wir kennen die, und wir wissen, wie se reden, und wir können ooch so reden – und deshalb, tarah!, sind die nich bei euch, sondern bei uns. Klar soweit? Aber, nu kommts!, wir sammeln nich nur die Hirnis uff, NEE, wir kassiern ooch solche Wichser wie euch. Tatsache! Und warum? Weilwa nich nur wissen, wie die Dorfbengels quatschen, sondern ooch, wie ihr quatscht – und dit problemlos jenau so können. Wir fordern „Ethnopluralismus“ und „biokulturelle Diversität“, und wir sind wie ihr jegen die bösen „Eliten“ und die scheiß „neoliberale Globalisierung“, und wir reden wie dazumal eure 68er von Widerstand, Zensur und „Lügenpresse“. Ja, wir sagen sogar „Kultur-revolution“! (Lacht ausgelassen.) Und deshalb, Kinder, hamwa nich nur die Kloppis, sondern eben ooch die Profs und Doktoren. Jeden Tach mehr. Und irjendwann, ihr kleenen, sarkastischen Arschgeigen, dit is nur noch ne Frage der Zeit, irjendwann sindwa janz oben dranne. Und dann? Ja wat schon, die Pläne sind samt und sonders ausjearbeitet und fertig, aber damit ihr schon mal bisschen Bescheid wisst (Zerrt sich Johannes und Ralf an den Haaren vors Gesicht.): Solche wie euch, stelln wa als erstet an die Wand. Klar? (Stößt sie wieder von sich.) Aber nu mal Schluss mits Jequatsche. (Steht auf. Reckt, dehnt und rekelt sich.) Jetzt muss ick mal wieder wat für meine Jungs tun.
Er tritt auf Johannes und Ralf zu, öffnet die Hose – und pisst sie genüsslich an. Nazi 2 und Nazi 3 sind sofort da, johlen begeistert und öffnen ebenfalls die Hosen …
KATHRIN SIEG HEIL, KOLLEGEN. BITTE ALLE MAL HERSEHN!
Die Nazis schrecken herum und sehen eine Frau in Jeans und schweren Schuhen auf dem Bushäuschen: KATHRIN. Sie hat eine Kippe im Mundwinkel und filmt lässig per Handy.
NAZI 1 Du kleene Votze filmst uns?
KATHRIN Tut mir selba leid und mein Handy kotzt ooch gleich, aber ick brauch bissel Material fürs Netz und die Bullen.
NAZI 1 Und du denkst, dit kriegste so einfach.
KATHRIN (zuckt die Schultern) Sehe hier keenen, der mir hindern könnte. Sachma, dürfen Nazis eijentlich beschnitten sein?
Die Nazis nähern sich ihr langsam, Kathrin filmt gelassen weiter.
KATHRIN (WEITER) Ja, komm, komma, immer schön ran hier, immer schön uffs Vögelchen kuckn. Mein Jott, Kleena, mit deine Fresse kannste ooch Eier abschrecken. Soll Mutti bissel mit Photoshop drüber? Mach ick, mach ick alles …
Der erste Nazi hat sie erreicht und grabscht nach ihr, sie weicht aus, verpackt in Ruhe ihr Handy und schnippt die Kippe weg. Dann geht alles sehr schnell. Kathrin springt vom Dach. Die Nazis grinsen siegesgewiss und nähern sich ihr – sie kommen nur zwei Schritte, dann sind sie blind und wälzen sich am Boden. Zwei Dosen Reizgas, beidhändig gesprüht. Während die Faschos stöhnen und sich blind winden, ist Kathrin schon bei Hannes und Ralf. Sie macht -Johannes und Ralf die Kabelbinder los.
KATHRIN Wenn die Herren mir mal zur Hand gehen würden?
Die Nazis lehnen gefesselt (Kabelbinder und eigene Gürtel) und geknebelt (Klebeband) an der Wand der Haltestelle. Kathrin setzt sich zwischen die hilflosen Nazi 1 und Nazi 2. Sie legt kumpelhaft die Arme um die beiden und kippt sich ihre Köpfe an die Schulter: ein seltsames „Freundschaftsbild“, ein Selfie.
KATHRIN (zu Ralf) Los, drück druff! So, liebe faschistische Mitbürgerinnen und Mitbürger, heute is Freitag, der 17. 06. 2019. Ick bin Busfahrerin, wiege bissel über 65 Kilo und habe mir heute ’n paar von euern Kollegen jeschnappt, verkloppt und sauber verpackt. Nich wahr, ihr süßen Racker? (Schmatzt den beiden Nazis einen Kuss auf die Wange und wuschelt ihnen das Haar.) Allet keen Problem, wie ihr seht. Wie jesagt, ick wiege nur 65 Kilo, aber anderthalb davon sind Jehirn. Mindestens. Det isset wohl, wat mich hier von den Herren an meiner Seite unterscheidet. Fröhlich jegen Führer, Volk und Vaterland, eure Kathrin. Und nu ab inne Sonne!
Kathrin nimmt das Handy und hält es Nazi 1 vors Gesicht.
KATHRIN Kapiert? Egal, wie es bei den Bullen ausjeht: taucht ihr hier wieder uff und macht een uff Rache oder so, stell ick das Ding ins Netz und ihr seid die Luschen der Nation. Is det klar?
Nazi 1 starrt wütend und reaktionslos vor sich hin.
KATHRIN Okay. Ralle, gib mir ’n Kuli. Ick mal dem Herrn noch Spongebob und paar lustige Herzchen uffe Stirn.
Nazi 1 windet sich und wütet.
KATHRIN Jetzt klar?
Nazi 1 nickt mürrisch.
KATHRIN Na bitte.
Kathrin führt die Nazis ab.
JOHANNES Sie ist … einfach großartig!
RALF Der Hammer!
Ein BELLEN: Maik. Der Hundi zeigt sich wieder. Er setzt sich in sicherer Entfernung auf den Hintern und kuckt erst mal.
RALF (ruft) Ja, du geierfeige Lusche, kannst kommen! Die Luft is rein!
Maik bellt kurz und fröhlich und kommt mit fliegenden Ohren angerannt.
RALF Manchmal könnt ick die Töle einfach schnappen und durchdreschen.
JOHANNES Könnteste nich.
RALF Na gut.

Akt 4: EINFACHE FÄLLE
RALF und JOHANNES zeigen BRITZKE das Video auf Kathrins Handy.
BRITZKE (lachend) Geil! Einsam Rasseklasse die Lady: Vermöbelt drei ausjewachsene Kerle und liefertse mir per Bus frei Haus! Ick fasset nich, der ab-so-lu-te Knaller! (Lacht.)
RALF Ist dit ihr Handy?
BRITZKE Jetzt isset meins. Beweismaterial. Aber frag nich, sind keene Nackigtselfies druff.
RALF (angeekelt) Britzke, du bist ’n derart wider … widerlichet …
BRITZKE … Wat denn, wat denn! Euer Sheriff is ooch nur’n Mann.
JOHANNES Dit is allet in janz großer Gaudi für dich, wa? ’n riesen Fez!
Erneuter Lachanfall des Mannes.
BRITZKE (lachend) JA! (Lacht brüllend.) JA!, JA!, JA! Und für euch nich, ick weeß! Is mir nich entjangen, Baby. (Lacht.) Aber die Jungs hatten viel Spaß mit euch. Wo warn eigentlich eure Eier? Habter se Maiki unter die Frolics jemischt?
JOHANNES Die „Jungs“? Die „Jungs“??? Britzke, du wirst nie ’n Ami-Cop. Da kannste noch so breitbeenig labern und die Faust inne Handschuhe patschen.
BRITZKE Wenigstens muss mir keene Frau den Arsch retten. Obwohl, von der würde ick ja nu …
RALF … Is jut, ick kotz gleich.
JOHANNES Stell einfach deine Fragen und verpiss dich.
BRITZKE Mein lieber, lieber Loser Hannes, ick bleib, wie und wo und solange ick will. Ihr zweebeede seid nich inne Position, mir oooch nur irjendwat zu sagen. Wir sind nich mehr uffn Schulhof.
JOHANNES In welche Position sindwa denn?
BRITZKE Hm, lass überlegen: … Penner? Sozialschmarotzer? Schwanzlose Opfer?
Johannes will auf ihn los, Ralf hält ihn zurück. Britzke grinst.
BRITZKE (entspannt) Seht ihr beede das irgjendwie anders, oder wat? Ick meine, – helft mir uff, wenn ickma irre –, ist der jute alte Sheriff nicht hier, weil es mal wieder darum jeht, dass man euch jefickt … sorry, bleiben wir jenau im Detail und Tathergang: dass man euch ins Gesicht jepisst hat, und ihr nu janz klassisch und juristisch dit seid, wat man Opfer nennt? Opfer, Opfer, Opfer?
Johannes und Ralf schweigen. Britzke mustert sie halb verächtlich, halb mitleidig.
BRITZKE Und dit is nur der aktuelle Fall. Aber, naja, wenn ick euch so ansehe … wahrscheinlich besteht euer aktuellet Leben nur aus solche Sorte aktuelle Fälle. (Lacht.) Wisster, dass ick euch mal bewundert hab? Doch, Tatsache! Ihr wart die dunklen Lords der Raucherecke, die coolsten Säue der Polytechnischen Oberschule Juri Gagarin. Wat is passiert, ihr Pfeifen, wo habter die Kurve nicht jekriegt?
JOHANNES Und du hast die Kurve jekriegt, Britzke. Du ja?
BRITZKE Ah, ick habs jeahnt: jetzt kommt wieder dit Ding, dit „Vakoofs“-Argument! Jeder verkrachte Idiot guckt uff meine Bullen-Uniform und sagt mir, dass er „sich wenigstens nicht vakooft“ hat.
RALF Und dit is natürlich janz, janz anders.
BRITZKE Ja.
Ralf und Johannes genießen sich in ihrem Pingpong:
JOHANNES Sag uns, wie, großer Sensei! Kläre uff, wasche, salbe und erleuchte uns: wie jelingt es Mark Britzke tagein tagaus, Mark Britzke zu sein?
RALF Wie beherrscht man rund um die Uhr den Würgereflex?
JOHANNES Arbeitest du morgens mit weichem Licht und besonderen Spiegeln oder rasierst du dich blind?
RALF Jibt es noch mehr von dir?
JOHANNES Nimmst du Schluckimpfungen oder verhindert die Dienstwaffe, dass du dich versehentlich vermehrst?
RALF Kann man noch aussteigen, wenn es einen erwischt hat?
Britzke grinst gelassen. Er kennt das Spiel der beiden.
JOHANNES Du grinst. Verstehst du unsere Sprache?
RALF Verstehste überhaupt eine Sprache?
BRITZKE (lacht) Schon jut, schon jut Leute! Allet wieder klar: Ihr seid noch dieselben arroganten Arschgeigen wie damals. Keene Ahnung, woher ihr dit Selbstbewusstsein nehmt. Wahrscheinlich gloobt ihr sogar, det sich diesmal euer Opfer jelohnt hat und ihr nu endjültig so „Märtyrer der juten Sache“ seid.
JOHANNES (zuckt mit den Schultern) Immerhin sitzen drei Nazis im Loch.
BRITZKE (lacht knapp) Längst wieder raus.
JOHANNES WAT?!
RALF WAT?!
BRITZKE (genüsslich) Kuckter, wa?! Ja, ja, Rechtsstaat kommt von „rechts“, sonst hießer ja Linksstaat, meine Herren. Besser, ihr jewöhnt euch dran. (Lacht hohl über seinen Kalauer.) Aber wird noch geiler: die sojenannten Nazis werden euch fett verklagen. Jawoll! Schwere Körperverletzung. Ihr habt jeknebelt und jefesselt und jenötigt und Reizgas benutzt. Allet nich unter zwee ’n halb Jahre Bautzen.
JOHANNES Wat? Die haben uns jeknebelt und jefesselt, uns! Und dit weeßte!
BRITZKE Ach, na ja, die eenen sagen so, die anderen so. Habter Beweise? Wenigstens paar ärzt¬liche Jutachten? Die andern wurden sofort untersucht, als eure hammergeile Busfahrerin se abjeliefert hat. Fotos, Röntjen, Pipapo. Wir sind da sehr jenau.
RALF Wir ham das Video!
BRITZKE Welchet Video?
RALF Dit VIDEO! DEN BEWEIS!
BRITZKE Ah ja, dit Video.
Schaltet Kathrins Handy an, guckt versonnen auf die Bilder und spielt mit dem Gerät. Johannes ahnt, was er vorhat.
JOHANNES Wehe, du Arschloch! Trau dich! WEHE!
Britzke löscht das Video.
BRITZKE Hups! Jelöscht. („Infantil“:) Wech, einfach putt. Sorry, Leute, ick muss da irjendwo ranjekommen sein. Ihr hattet recht, ick bin einfach zu blöd.
Er grinst. Ralf will auf ihn losstürzen, jetzt hält Johannes ihn zurück.
JOHANNES Komm, lass! Lass!
RALF DU SAU! ICK SCHLAG DIR DIE DÄMLICHE BULLEN-SCHWEINE-NAZI-FRESSE EIN. ICK …
BRITZKE … Doch nich. Guckma!
Zeigt Ralfs Wutanfall auf Kathrins Handy. Britzke hat mitgefilmt, Ralf und Johannes sind ihm in die Falle gegangen.
BRITZKE Also ick gloobe, dass ick Ralle janz jut jetroffen hab. Findeter nich?
Schweigen. Ralf und Johannes beherrschen sich mit letzter Kraft. Britzke filmt genießerisch weiter:
BRITZKE (schwelgt) Ohhja! Uohhja, bleibt so! Dieser Blick, diese jeduckte Haltung! Schwer empört, aber hilflos wie Osterküken: der Ossi wie er leibt und lebt. Mann, dit Bild hätt ick euch damals inne Raucher-Ecke zeigen müssen. (Lacht.) Da, hätte ick sagen müssen, da gehts mal hin mit euch. Dit is euer Vollbild! Zwee Penner anne Bushaltestelle, die nüscht, rein gar nüscht, gegen den kleenen Marki Mark Britzke machen können. (Schnutig:) Na, wollter mir nicht doch noch eene rinhauen? Los, Kinder, gebt mir ’n Grund, so wat wie euch einzulochen oder, wat weeß ick, zu … zu …
JOHANNES … zu deportieren, zu vergasen, abzuknallen, „so wat“ wie uns?
Britzke packt das Handy ein.
BRITZKE (seufzt) Määänsch, nu hört doch mal uff mit de olle Scheiße! Gloobt ihr wirklich, dass ick ’n Nazi bin?
JOHANNES Ja.
RALF Vollet Rohr!
BRITZKE Aber ick hab zuhause ’n Wurf Kätzchen.
RALF Nazi bleibt Nazi.
BRITZKE Jut, passt uff: Vorschlag zur Jüte. Ihr wollt keenen Ärger und ick ooch nicht. Und der Sheriff is cool und kommt euch ’n Schritt entjegen. Also Deal: Ick sorg dafür, dass die Anzeige gegen euch fallenjelassen wird, und dafür is ab sofort Ruhe, Vorgang abjeschlossen, Akte zu. Ihr macht mir keenen Ärger, und ick mach euch keenen.
JOHANNES Aber wat is, wenn wir bei deinem Deal nich mitdealen?
BRITZKE Hab ick det Video. Angriff uff eenen Beamten im Dienst. Boing!
JOHANNES Wieso machste dit? Wieso willste plötzlich verhandeln?
RALF Kapierste nich? Er hat ooch noch das andere Video irgendwo wegjespeichert. Der Sack erpresst in alle Richtungen.
BRITZKE Na ja, „erpressen“. Als Bulle bin ick eigentlich immer der Arsch. Entweder für die Rechten oder für die Linken oder für die Mitte oder die Ökos oder einfach so. Mir wurscht, ick kenns nicht anders, aber will ick keenen Infarkt und noch wat vonne Rente, muss ick bissel deeskaliern. Kapiert? Bissel die Spannungsspitzen runterpegeln. Und, Leute, echt mal: eijentlich jibts hier so richtig richtich gar keen rechts oder links.
RALF Wat?!
BRITZKE Allet nur paar querliegende Fürze oder bisschen überschüssiget Testosteron oder Östrogen oder wie dat heeßt. Allet nur Ego-Scheiße. Kuckt euch an. Und, come on!: isset nich ooch schön, wenn die Leutchen sich artikulieren und ihre Wut bissi Luft machen dürfen? Hä? War früher nicht möglich, jetzt aber schon.
RALF Britzke, die haben uns mit Kabelbindern festjemacht und uffs Maul jehauen!
BRITZKE Demokratie, Ralle! DEMOKRATIE! Da muss man schon paar inne Fresse aushalten.
Er setzt sich in den Wagen und startet ihn. Letzte Worte durch die offene Tür:
BRITZKE Hamwa uns verstanden, Jungs?
JOHANNES Sicher nich. Aber wir ham DICH verstanden.
BRITZKE Und daruff kommts an, Jungs. Nur daruff.
Sagt Hauptwachmeister Britzke und fährt gutgelaunt los.
RALF (äfft wütend Britzke nach) „Demokratie, Ralle. Da muss man schon paar inne Fresse aushalten.“
JOHANNES (lacht) Weil „Ärger macht nüscht wie Ärger“.
RALF Ick könnt ihm mit Anlauf eine rinfenstern.
JOHANNES Könntest du, aber würdest du nich.
RALF Weil du ma festjehalten hast.
JOHANNES Ralle, bitte! Verarsch dich nich selber.
RALF Du hast ma aber festjehalten!
Schweigen und Grübeln.
RALF Hat bei dir mal wat jeklappt?
JOHANNES Wat?
RALF Ob mal irjendwat jeklappt hat, wasde dir vorjenommen hast. Irjendwat.
JOHANNES Du fragst dit jetzt nur, weilste denkst, det Britzke nu gleich in allen Fragen recht hat. Ooch, wat uns anjeht.
RALF Hatter nich?
JOHANNES Nee.
RALF Ick denke schon. Die „dunklen Lords der Raucherecke“. Dit wars. Dit war unsere beste Zeit, danach kam nüscht mehr.
JOHANNES Wat wird das? Ne Generalabrechnung? Biste wieder im Selbstzerstörungsmodus?
RALF Also haste, oder haste nicht?
JOHANNES (schon leicht genervt) Wat denn, Mann?
RALF Irjendwat fertigjebracht.
JOHANNES Hab ick.
RALF Schnitzelfressen und Onanieren zähln nich.
JOHANNES Ja, pff, gloob schon. Irjendwat wird schon mal jeklappt ham. Nur bin ick mir nicht sicher, ob icks mir vorher ooch vorjenommen habe.
RALF Wie bei mir! Wie bei mir! Keen Plan, keen Ziel aber immer vollet Rohr. Stand schon in mein Zeugnis: „Ralf ist hoch motiviert, nur weiß er nicht, wozu.“
JOHANNES Und wat sagt uns dit jetzt über uns?
RALF Dit Britzke falsch liegt. Wir sind keene Loser mit Antriebsstörung, uns fehlen nur die Pläne. Selbstermächtigung.
JOHANNES Selbstermächtigung?
RALF Dit isset, mein Freund. Dit is, watwa nie lernen konnten, watwa noch nich druff haben und wat uns bitterlich fehlt. Selbstermächtigung.
JOHANNES Im Ernst? Dit is allet?
RALF Allet, wat uns darin hindert, inne Chef-Etagen uffzusteigen oder für unsere eigenen Anjelegenheiten zu fighten. Jenau. Selbstermächtigung is die Lösung! Ooch mal in zu große Latschen steigen und zu sich selba sagen „Ick. kann. det!“
JOHANNES Ick kann det?
RALF Ja!
JOHANNES Oder vielleicht „Yes, we can“ oder „Wir schaffen dit“ oder „Icke first“?
RALF Wat willste mir sagen?
JOHANNES Das de druff und dran bist, ne Hülsenfrucht zu werden. So leer wie deine Slogans. Irjendwann sitzte flennend innem jeleasten Kleenwagen und hörst Motivationskassetten auf ’m Weg zum nächsten Kunden. Ralle, allet, was so kurz ist, dasset als Werbe-Spruch taugt oder uff’n Protestschild passt, ist DRECK! Dit Leben hat keen Spielzeit-Motto und du bist hier ooch nich im Theater, du bist uff Butterfahrt in dein Unglück. Kehr um, mein Junge! Wer sich solche Sprüche ausdenkt, will dir betrügen, Ralle, von Hacke bis Nacke bescheißen!
RALF Nee, Hannes, wollnse nich.
JOHANNES Konsument und Wähler. Die Wirtschaft braucht uns immer noch als Käufer und die Politik als Stimmvieh.
RALF Nich mal dit. Die brauchen uns überhaupt nicht mehr. Die müssen sich nicht mal mehr Mühe geben, uns zu bescheißen. Wir sind ihnen wurscht. Der janze Osten, Hannes, der janze Osten war drei, vier Jahre zu wat nütze. Man hat mit ihm ne Mark jemacht, paar Autos vakooft, ne Wahl jewonnen, dann wars det. Jetz isser ausjeplündert. Sondermüll, schwierig zu entsorgen. Vielleicht solltenwa uff Kompost umschuln und uns als Dünger bewerbn.
JOHANNES (erstaunt) Mann Ralle, watten los? Du klingst ja plötzlich wie …
RALF … wie kling ick denn?! Wie SCHNAUZE VOLL kling ick! Wie ICK BIN NICH DER HÜGEL-WILLIE DER NATION kling ick!
JOHANNES Nee, wie die Braunen selber klingste. So halb Wahrheit, halb Verschwörung: „Die da oben“, „Die da oben“! Und immer mit diesem Quengeln drunter, so ner Mischung aus dauerköchelnder Wut und Kullerträne.
RALF Dit war klar. Kleene Kritik, bissel andere Sicht, und gleich bin ick’n Nazi.
JOHANNES Da! Schon wieder! „ZENSUR, ZENSUR“ Fast OTon! Du müsstest jetzt nur noch „Dit wird man doch wohl noch sagen dürfen“ plärrn und dit janze Fascho-Tourette wär’ komplett.
RALF Arschloch. Wegen jenau so ne herablassende Art ziehnwa uns immer weiter zurück und scheißen uff euch.
JOHANNES Hoppla, wer is „wir“? Wer scheißt hier uff wen? Bitte mal Richtungsanjabe!
RALF (übergeht die Frage) Weeßte, ick habs einfach satt, für ne undankbare, inkompetente, selbstmitleidige Lusche jehalten zu werden. Und ick bin ooch keene Altlast oder ne zu vernachlässigende Größe. Wenn man mir nich mal mehr wahrnehmen will, denn …
Verstummt.
JOHANNES Denn? Wat denn?
RALF (übergeht die Frage) Dit kannste ooch janz einfach nachgoogeln kannste det. Soziologie für Kloppies: Werden Leute uff Dauer anjepöbelt und ausjepfiffen, schließen die sich unternander zusammen und kloppen nach außen. Is ja klar, wer dich die janze Zeit scheiße behandelt, zu dem wirste nu nich unbedingt freundlich sein. Da roochts dann ooch mal, da jibts keen Pardon.
Johannes wird immer misstrauischer.
JOHANNES „keen Pardon“.
RALF Jenau. Die übergehen und übersehen uns, die machen sich lustig? Aha, ok. Keen Problem, wir können ooch anders.
JOHANNES (fast schon ängstlich) Wer ist „wir“, Ralle? Wer zum Geier ist „wir“???
RALF (stur weiter) Biste jefährlich, wirste wahrjenommen. Bescheuerte Lösung, klar, aber wollten wir, dit es so läuft? Nee, wolltenwa nich. Wir wurden dahin jedrängt, Hannes, jedrängt! Ossi-Witz für Ossi-Witz wurden wir inne Ring-Ecke jedroschen, bis wir nicht mehr wussten, ob Adolf nicht doch recht hatte und es wirklich so wat wie „unwertet Leben“ jibt – nämlich uns. Uns, die scheiß doofen Ossis. Mann, dit is Notwehr, Hannes! Kapierste nich?! Einfach Notwehr!
Johannes reicht es. Er schnappt sich Ralf und stemmt ihn krachend gegen die frischgestrichene Wand.
JOHANNES WER IST „WIR“!!!
Ralf schweigt. Er wehrt sich nicht, weicht nur dem Blick aus – Johannes weiß Bescheid. Er lässt den Freund los, wischt sich angewidert die Hände und tigert aufgebracht auf und ab.
JOHANNES Junge, Mann …! Wat soll dit? Is dit’n Trick? So’n altchinesischer Scheiß „Wüllst du oinen Feind vernüchten, so mach ühn dür zum Freunde“, so wat?
Ralf schweigt.
JOHANNES Jestern haben die Arschlöcher dir die Socken ins Maul jestoppt, dich abknien lassen und anjepisst …
RALF … War ja ooch nich gestern.
Johannes hält inne und fixiert den Freund frontal.
JOHANNES Wann?
RALF Wat weeß ick, is schon bissel her. Und ooch nur eens, zwee Mal. Montachsdemos.
JOHANNES Montachsdemos? Dresden also. (Sächsisch:) „Wir sind das Volk“, ja? „Touristen willkommen – Ausländer raus“, ja?
RALF … JA DOCH! ES WAR SCHEISSE!!! ICK WAR SCHEISSE! Ick habs dir jesagt, und ick hab versucht, es dir zu erklärn. Mehr kann ick nich tun. Nu mach, watte willst.
JOHANNES Ja?
RALF Ja.
Johannes und Ralf prügeln sich. Kathrin kommt mit dem Bus angefahren, schaut sich die prügelnden Jungs eine Weile mitleidig an.
KATHRIN Is ja nicht mitanzusehn. Seid ihr sicher, dass det der Stil is, wie ihr den Scheiß zwischen euch klärn wollt?
JOHANNES (unschlüssig) Ja, na ja –
Er sieht fragend zu Ralf hinüber.
RALF Allet korrekt. Hat allet seine Richtigkeit.
KATHRIN Also wieder Frieden in Brandenburch?
Keine Reaktion.
KATHRIN HEY! Frage nich verstanden?! Isset wieder jut zwischen euch zwee Arschkrampen?
Zögernd zustimmendes Gemurmel der Männer.
JOHANNES Hm, kloar, nu ja, von mir aus …
RALF Klar, ja, warum ooch nich …
Kathrin schnippt die Kippe in den Sand.
KATHRIN Ok.
RALF Ok.
JOHANNES Ok.
KATHRIN Ick muss dann ooch mal wieder. Schönen Tach noch, die Herren.
JOHANNES Dir ooch, Kathrin. Schönen Tach.
Sie löst sich von der Haltestelle, wirft den Kaffeebecher in den Papierkorb und schlendert zu ihrem Bus. Die Blicke der Männer folgen ihr. In der Tür des Busses dreht sie sich doch noch mal um.
KATHRIN (ruft grinsend) Na immerhin machter schon wieder wat jemeinsam.
RALF Wat denn?
KATHRIN Mir uffn Hintern kuckn.
Sie lacht, setzt sich auf den Fahrersitz und fährt los.

Akt 5: #lovelylosers
Große Einkaufstaschen (Ikea, Aldi usw.), randvoll mit Klamotten. JOHANNES dreht sich vor RALF unter der breiten Krempe eines Hutes, er trägt das volle Ornat eines Zimmermanns. Ralf hat sich mit Helm und Blaumann als Kohlekumpel hergerichtet. Er ist gerade dabei, sich das Gesicht zünftig zu verdrecken.
RALF Da, fertig: Kohlekumpel, orijnal Tagebau Kittlitz. Mit Helm und dreckiger Visage sprech ick deiner Nichte gleich mal ’n zünftijet Jedicht in die Kamera. (Stellt sich auf:) Für Mandy …
JOHANNES … se heeßt Meike. Und det weeßte.
RALF Für Meike, ein berufsinternes Kurzjedicht für coole Berliner Nichten von Onkel Ralle.
Springt Großhelden-theatralisch auf. Räuspert sich. Posed Vortrags-Pathos.:
RALF „Das Grubenunglück: … Rumpeldipumpel Und tot sind die Kumpel“ … … Danke, vielen Dank. Ick liebe euch, ick sauf euer Badewasser. Danke, Danke …
Verneigt und feiert sich theatralisch mit Kusshänden vor imaginärem Publikum. Springt von der Bühne und ist wieder bei Johannes.
RALF (stolz) Naha?
JOHANNES Du bist klinisch talentfrei und det war’n uraltet Untertage-Jedicht. Außerdem warst du Übertage. Tagebau. Da „rumpeldipumpelt“ dir nüscht tot.
RALF Watte nich sagst! Bei uns sind jenuch im Abraum verschütt jegangen oder untern Bagger jerutscht …
JOHANNES … besoffen untern Bagger jerutscht. Wenns bei euch jemanden erwischt hat, denn durch’n Blauen Würger, den drecks Deputat-Fusel. Meine Fresse, 80 Promille, achtzig! Jeder Staat, der zulässt, det 80prozentiger Fusel unter eensfuffzig vakooft wird, betreibt Völkermord. Wer daran nich gleich druffging, wurde mindestens blind.
RALF Wat jabs im Osten schon zu sehn?
JOHANNES (schnauft) Geht det jetzt so weiter? Willste mit deine abjehalfterten Sprüche unsere janze biografische Herkunft in Grund und Boden witzeln? Det Mädel will uns filmen und interviewen, weilse die Wahrheit wissen will, die Wahrheit!
RALF Weil ja Instagram-Kiddies von nem Charlottenburger Privatgymnasium ooch unbedingt anne Wahrheit interessiert sind. Und wieso trägste eijentlich Zimmermann, du warst ’n jauchestinkender Bauer uffe LPG?
JOHANNES Ick hab Zimmermann jelernt, mein Freund.
RALF Drei Wochen, ja. Und warum hat Herr Ackermann diesen schönen Beruf so arg früh -hinschmeißen müssen? Weil Herr Ackermann HÖHENKRANK war. Und is. Darum.
JOHANNES Det muss Meike nich unbedingt wissen. Mann, Ralle: Die hat an ihre Charlottenburger Penne so, na, so Dingens … Projekttage und da willse …
RALF … Wat?! Keen richtiger Film, ick bin Wasserträger für ne Schulnote?
JOHANNES Du hastet versprochen. Außerdem isset fürn juten Zweck.
RALF „Zweck“, klar. Neuerdings benutzt jeder den Osten für seine juten Zwecke. Wir sind det ¬Papiertaschentuch der Nation: Zweckmäßig im Jebrauch, aber gleich danach keenen Jedanken mehr wert. Nur noch: wo is die nächste Tonne, wie werd’ ick den klebrigen Scheiß wieder los.
JOHANNES Und jenau da kommt Meike ins Spiel. Die Charlottenburger Hipster kennen nur die eene, die hipstermedial jepuschte Seite. Für die is Osten komische Frisuren, Dunkeldeutschland und Wir-sind-det-Volk-WauWau. Damit det Bild nu endlich wieder komplett und richtich wird, will meine kleene Meike jetzt eben die andere, die schöne Seite, na ja … betonen.
RALF Betonen.
JOHANNES Ja. Paschke, Mensch, wir sind Zeitzeugen!
RALF Holla.
JOHANNES Tu nich so, als wenn sich dauernd wer für uns interessiert. Wir kriegen nich mal mehr Werbung innen Briefkasten.
RALF Und so’n propperer ZEITZEUGE kann natürlich keen Schweinebauer sein, der mit Gummistiefel und Gülle am Hacken durchs frisch komplettierte Bild latscht. Zimmermann muss schon sein, mindestens.
RALF Schön mit Trapperhut uff, bisschen Old Shatterhand, hä?
JOHANNES (weicht aus) Ja. Na ja.
RALF Du schämst dich, Hannes. Du schämst dich.
JOHANNES Wat?!
RALF Du schämst dich vor deiner erfolgreichen Charlottenburger Schwester, du schämst dich vor deiner kleenen Nichte, du schämst dich für dir selba.
JOHANNES Ick schäme mich nich!
RALF Schämste wohl!
JOHANNES Nee!
RALF Doch! Deine Schwester hat einfach bissel mehr Glück jehabt. Hätte dich die Wende paar Jahre jünger erwischt, wären deine Zeugnisse und Abschlüsse ooch wat wert.
JOHANNES Sie hat nich „Glück“ gehabt, sie hats einfach druff!
RALF Und du nich, oder wat?
Klappt ihm auf die Hutkrempe. Johannes schweigt und stiert vor sich hin.
JOHANNES Meike is siebzn, Mann. Kannste dich erinnern, wie wir mit siebzn waren?
RALF Idiotn.
JOHANNES Haben wir uns für „innere Werte“ und so wat interessiert?
RALF Einen Scheiß.
JOHANNES Also bitte. Sie kommt, und sie sieht, watse sieht – und keen bisschen mehr. Und nu kiek dir um. Wat siehtse?
RALF Ne Bushaltestelle. Wir holense vom Bus ab. Und?
JOHANNES Wir leben hier, du Kloppi! Dit is quasi unser Zuhause!
RALF Na, na! Det würd ick nu nich sagen. Ick hab ooch noch meine Bude.
JOHANNES Und wie oft biste da? Die Zeit, woste pennst, mal abjerechnet?
RALF Nu ja … (Überlegt/rechnet an den Fingern ab/kommt zum Ergebnis:) Scheiße, ick bin ’n Assi.
JOHANNES Und nur dit siehtse. Wir sind wat, wat man nur noch mitm Stock anstößt, damit man nich irjendwo drannekommt und sich wat wegholt. Aber du hast Recht: Wennschon, dennschon.
Steht energisch auf und beginnt, sich das Zimmermanns-Outfit herunterzureißen.
JOHANNES Schluss mit Fasching und Jeschwindel. Hat Meike eben keenen Onkel zum vorzeigen, sondern eenen zum gruseln. Is vielleicht sogar ¬pädagogisch wertvoll, so’n abschreckendet Beispiel inne Familie. Weeß Meike immer: Uffjepasst!: so nich, so uff gar keenen Fall. Ick geh nich mehr als Zimmermann, ick geh als lebende Warnung!
Zieht sich weiter aus.
RALF Wat soll dit werden? Willste ihr jetzt so entjegentreten: Hallo Meike, ick bin zwar nackig und hab Haare uffm Rücken, aber ick bin verdammt pädagogisch wertvoll?
JOHANNES Und wenn! Wahrheit is selten schön.
RALF Denn biste janz furchtbar wahr.
JOHANNES Ralle, es geht hier um Realität. Und is die für dich zu hart, denn biste … biste zu schwach.
RALF Du pumpst dir deine Argumente jetzt ausse Werbung?
JOHANNES Und?
RALF Nüscht. Du baust ab.
JOHANNES Deshalb stimmts nicht weniger.
RALF Dass ick zu schwach bin? Det stimmt?
JOHANNES Ja.
RALF Det sagst mir nich nochmal!
JOHANNES Schwachmat. Pfeife. Lusche. Pussy.
RALF Ok. Ick zeig dir, wie schwach ick bin. Ick zeig dir, wer hier die Pfeife is!
Springt auf und beginnt, sich ebenfalls auszuziehen.
Der Bus kommt. Die Türen zischen auseinander und KATHRIN (die Busfahrerin) schmeißt eigenhändig zwei Jugendliche raus. Der eine, JAN (16), filmt mit seiner Kamera sogar noch weiter, als sie wütend nach ihm tatzt. Er lacht, er scheint die Busfahrerin zu mögen. Die andere Hälfte des Filmteams ist Nichte MEIKE – und Meike ist nicht weniger von Kathrin begeistert. Während Kathrin schon wieder abdreht und schnell von diesen Nervensägen wegwill, reckt Meike die Faust und ruft ihr nach:
KATHRIN Verpiss dir, Mädel, ick bin keene Feministin! Die Zukunft wird noch lange nich besser, nur weilse Titten trägt.
MEIKE Girlpower, Schwester! It takes balls to be a woman!
Kathrin steigt ein und zeigt ihr über die Schulter hinweg den Mittelfinger.
MEIKE (raunt) Genial! Diese souveräne Gelassenheit, die naturbelassene Coolness – das ist typisch ostdeutsche Frauen-Emanzipation. Haste den Finger?
JAN (während er weiter den Bus filmt) Hab ich.
Kathrin legt den Gang ein und donnert los, es wirkt wie eine Flucht.
MEIKE Und das Halbprofil? Die Tattoos? Die Fäuste am Lenkrad – ich brauch unbedingt die Fäuste am Lenker!
JAN Hab ich. Und ich hab auch den Satz, dass se nüscht mit dir zu tun haben will. (Ahmt Kathrin nach:) „Verpiss dir, Mädel, ick bin keene Feministin! Die Zukunft wird noch lange nich besser, nur weilse Titten trägt.“ (Lacht.)
MEIKE Ideologische Altlasten. Eins, zwei Worte von Frau zu Frau und wir sind im selben Lager.
JAN Oder du fängst dir eine.
MEIKE (schnaubt) Mein lieber Jan, damit wir uns richtig verstehen: Du filmst, ich führe Regie. Sollte ich Kommentare zu meiner Arbeit wünschen, sag ich es dir.
Ein Ruf weht dünn und schüchtern vom Bushäuschen her.
JOHANNES (dünn) Hal-lo. Hallo, Meike.
Meike dreht sich um und erschrickt:
MEIKE (ruft zurück) Bah, meine Fresse! Onkel Jo, wie siehst du’n aus! Is was mit Oma?
HANNES UND RALF SITZEN NEBENEINANDER IN IHREM WARTEHÄUSCHEN. Sie tragen „Präsent 20“-Anzüge. Sie stehen auf, um Meike und Jan entgegenzugehen.
JOHANNES (lacht, ruft zurück) Oma jehts jut. Dit is keen Trauerfall, det is PRÄSENT 20. Der beste Stoff des Ostens, eigene Produktion! (Also, na ja, vielleicht doch ’n Trauerfall.)
RALF (leise) Seit wann nennt sie dich „Onkel Jo“?! Sind wa jetze Huckleberry-Finn oder wat?
Johannes reagiert nicht darauf, denn Meike kommt ihm entgegen und fällt ihm um den Hals.
JOHANNES Tach, Meike. Möönsch, groß biste jeworden und schwer. … (Bemerkt seinen Lapsus.) Oh! Ick meine, du bist natürlich nich …
JAN Den Satz hab ich.
MEIKE Das ist Jan „the asshole“ Schneider, unser Kameramann.
JAN (winkt filmend) Tachchen.
MEIKE Jan, das ist mein Onkel Johannes und sein ewig ewig ewiglicher Freund Ralf.
RALF Im Osten nannte man det „unverbrüchlich“. Aber keen Aas wusste so jenau, wat das eigentlich heeßen soll. „Unverbrüchliche Klassenbrüderschaft“.
JOHANNES Kommt „unverbrüchlich“ nu von „unzerbrechlich“ oder von „Verbrechen“. Dit war die Frage.
MEIKE Oder auch nicht.
RALF Aha, da hat wohl eene schon alle Antworten. Na, hatte ick in deinem Alter ooch. Tach, Meike.
Umarmt sie.
MEIKE Ich habe keine Antworten, ich bin hier, um euch zu entlarven. Tach, Onkel Ralli.
JOHANNES Entlarven?
MEIKE Als sanfte, kluge, witzige und liebevolle Männer. Als die stillen Macher der friedlichen Revolution. Als Menschen, die man verraten und verhöhnt hat und die trotzdem nicht verbitterten. Als Helden, meine Helden.
Johannes und Ralf lachen laut auf, Meike nicht. Sie blickt sehr ernst – was schließlich auch den beiden auffällt.
JOHANNES (fragend zu Jan) Sie meintet doch nich ernst, oder?
JAN Jedes Wort.
JOHANNES (besorgt) Mann, Kleene …
Sie starren Meike an. Ralf fängt sich als Erster.
RALF Det letzte Mal, als ick dich jesehn hab, warste im Sandkasten und hast den kleenen Thorben mitte Schippe verdroschen. Ick hab dir jetröstet.
MEIKE Weil er zurückgehaun hat?
RALF Weiler abjehauen is. Er war schon bissel älter und konnte besser rennen. Du hast vor Wut jeweent.
JAN Heute erwischt sie jeden Thorben. Sie hat massenhaft Kreuze im Sandkasten.
MEIKE Halt die Klappe.
JOHANNES (händereibend) Wie isset? Wollen wir nich erst mal wat essen, Kinda? Ick hab die blaue Kühlbox mitbei.
JAN JA!
MEIKE Nee. Später vielleicht. Ich möchte erstmal anfangen. Das Licht –
Meike ist schon unterwegs und sucht Perspektiven.
JOHANNES (ehrfürchtig) Det Licht.
Sieht zu Ralf. Der nickt ebenso ehrfürchtig zurück.
RALF Det Licht.
JAN Halblang, Genossen, das wird hier nicht der Golden Globe, sondern mehr so deutscher Problemfilm, Berliner Schule.
RALF Und dit heeßt?
JAN Zunächst mal raus aus’m schnieken Präsent-Anzug und was anderes an.
RALF Wir hatten ooch wat anderet an. (Mehr oder weniger an.)
JOHANNES Ick gloobe aber, dit will der Herr Jan lieber nicht kennenlernen.
JAN Wie auch immer. Ich persönlich hab ja nix gegen den Vertreter-Look, aber die Herrin Regisseurin wills irgendwie prekärer.
JOHANNES Und dit heeßt?
JAN Oi, hier draußen ist der Traffic aber langsam. Sprechen wir dieselbe Sprache? DU MICH VERSTEHEN?
JOHANNES Gleich knallts.
JAN Nice, ganz die Nichte. Die Gewalt liegt in der Familie. Also ich erklär mal: Arbeitstitel „Krisengebiet Ost“. (Obwohl „Osten“ und „Krise“ für mich dasselbe bedeuten.) Ich sage „Kamera läuft/Ton läuft“, dann fragt Meike so was wie „Haben Sie noch alle Zähne?“, und Sie schütteln traurig den Kopf. Dann machen Sie den Mund ganz weit auf und ich filme Ihren schlimmen, schlimmen Zahnstand. Alles klar?
Johannes und Ralf starren ihn stumm an und können nicht glauben, was sie hörten. Aber Meike kommt gerade von ihrer Motivsuche zurück, blickt von einem zum anderen und weiß die Situation zu lesen.
MEIKE (energisch zu Jan) Hast du was gesagt?!
JAN („unschuldig“) Üüch?
MEIKE (zu Johannes und Ralf) Wenn er was gesagt hat, vergesst es! Einfach innere Löschtaste. Er kann was an der Kamera, aber er ist ’n zynisches Arschloch. Nicht selten bei Nerds.
JAN Richtig, ich bin hier nur der Sherpa. (Ironischer Hofknicks.) Regie-Massa meint, dass Sie zwar Ossis und Opfer sind (was ich wiederum für dasselbe halte), aber Sie Beide sollen niedlich rüberkommen. So Hashtag „Lovely Losers“. Was zum Mitweinen eben.
Meike blickt ihn an, fassungslos über den Verrat.
JOHANNES (nun doch misstrauisch) Stimmt das, Meike?
RALF Wenn das stimmt, bin ick raus.
MEIKE NEI-HEIN!!! Ich will einen anderen Außeneindruck von uns Ostlern zeigen.
RALF „Uns Ostlern“? Mädel, als du jeborn wurdest, hatte es sich schon lange ausjeostet.
MEIKE Wurscht, ich fühle ost. Und ich will rehabilitieren, nicht denunzieren!
JAN (kräht fröhlich) Genau! Der Ossi, denken alle, ist außen Nazi aber innen kuschlig. Wir sind da anders, wir denken genau andersrum.
Ralf reicht es, er schnappt Jan und zieht ihn sich vor das Gesicht.
RALF Vorsicht, mein Junge. Janz vorsichtig!
JAN (erschrocken) Sie … Sie haben das Bonmot verstanden?
RALF (drohend) Und dit überrascht dich?
JOHANNES Er hält uns für bescheuert.
JAN (Angststottern) Nene … Nein.
MEIKE (schnauft resigniert) Ok, Licht ist überschätzt. Vielleicht doch erstmal die blaue Kühlbox.
RALF Erst essen?
MEIKE Ja.
RALF Schwein jehabt. Und wie sagt man?
JAN (weiß nicht) Guten Appetit?
RALF Danke, liebe Meike, dass du mir den Arsch jerettet hast. Klar?
Setzt Jan ab.
JAN (kläglich) Klar.
Meike und Johannes sitzen auf der Milchrampe (oder sonstwo) und essen. Johannes hat auf einem Tuch seinen Imbiss ausgebreitet. Sie essen und reden nebenher, während Jan mit Ralf – jetzt in gewöhnlicher Alltagskleidung – im Hintergrund Schwenkfutter für den Film dreht.
MEIKE Biste nicht sehr allein hier draußen? Ist das nicht alles, naja, bisschen deprimierend? (Schreit unvermittelt in Richtung Jan und Ralf:) Ganz normal, Onkel Ralf! Geh einfach ganz normal und entspannt!
RALF (ruft zurück) Mach ick doch!
Jan filmt und Ralf „schlendert“ total verkrampft im Passgang.
JOHANNES Ja. Manchmal.
MEIKE (hat ihre Frage schon wieder vergessen) Was?
JOHANNES Schon gut.
RALF (brüllt Jan an) Hüftschaden?! Ick hab nüscht anne Hüfte!
Jan hebt entschuldigend/abwehrend die Hände.
RALF (ruft zu Meike) Wat soll das? Ick weeß, für euch sind wir nich janz dichte, aber müssen wir nu ooch noch hinken?
JAN (ruft ebenso zu Meike) Ich habs nicht so gemeint. War doch nur ne Frage. Ich wollte ihm entgegenkommen.
JOHANNES Ralle, echtma, selbst besoffen bewegste dir elejanter.
RALF Ja dann gebt mir wat zu saufen!
JAN Soll ich? Ich hab aber nur bisschen Gras.
MEIKE Wehe! Der Ostler wird dauernd als matt, undankbar und faul dargestellt. Ich will Power in der Pampa. Ich will die Kraft zeigen, auf die der Westen so blöde verzichtet. Also bitte mal klarer Blick, aufrechter Gang, Würde. Kriegt ihr das hin?
JAN Kein Problem, Frau Riefenstahl.
Ralf schnappt schon wieder nach Jan.
RALF Wat sagste da?!
JAN Schon gut, schon gut.
MEIKE (zu Johannes) Pause vorbei, fürchte ich.
JOHANNES Sehe ick ooch so.
Meike moderiert in die Kamera an.
MEIKE … Zwei von vielen, die ihr halbes Leben in einem tyrannisches System verbrachten, dann mutig rebellierten und das Unrechtssystem kippten, um danach in unserer bundesdeutschen Wirklichkeit ignoriert, denunziert und betrogen zu werden. Johannes Ackermann, mein Onkel, und sein Freund Ralf Paschke. Zwei Revolutionäre, zwei tragische Helden.
Blick frei auf die beiden in ihrer Bushaltestelle. Sie sitzen schüchtern nebeneinander. Ralf grinst verlegen in die Kamera und winkt.
JOHANNES (hüstelt verlegen) Na ja, „Revolutionäre“ … der Schabowski hat einfach den falschen Zettel vorjelesen.
MEIKE Cut. Onkel Ralf, könntest du bitte das Winken lassen?
RALF Nicht winken. Geht klar.
MEIKE Noch mal von vorn. Die Anmoderation machen wir später. Jetzt erstmal das Interview.
JAN Aye, aye, Sir.
Die Kamera steht auf einem Stativ und Jan filmt. Meike setzt sich auf die blaue Kühlbox, hat ihre Notizen vor sich und führt das Interview.
MEIKE Also der Plan war (Liest von ihren Notizen:) „Eine Gesellschaft, in der die Entwicklung des Einzelnen die Bedingung für die Entwicklung aller“ sein soll.
Ralf ging das zu schnell.
RALF Hä?
JOHANNES Marx, nicht wahr?
MEIKE Ja. Also, Onkel Ralf: (Übertrieben langsam:) Eine Gesellschaft … in der die Entwicklung der Einzelnen …
RALF Bissel schneller kannste schon. Du wirst es nich glooben, ick wohne in Brandenburch, hab trotzdem mehr Grips als ne Salatschüssel.
MEIKE Entschuldige. Also eine Gesellschaft, wo der Einzelne sich frei in alle Richtungen entwickeln kann und genau deshalb die anderen auch.
RALF Und? Was ist damit?
MEIKE Na, klingt doch.
RALF Det will ick meinen.
MEIKE Warum habt ihr dann hingeschmissen und wolltet den Westen?
JOHANNES So, wie dus vorjelesen hast, hat sich Marx aber den Kommunismus gedacht, det Paradies janz am Ende. Und wir krepelten ja noch im Sozialismus.
RALF Oder noch schlimmer. Im „Real existierender Sozialismus“.
MEIKE Und das dauerte euch zu lange? Ich meine, ist doch immerhin eine, wenn auch schwierige Stufe hin zum Kommunismus, einem lohnenden Ziel, wie wir ja vorhin gehört haben. Also warum habt ihr aufgegeben?
RALF Na ja, es jab da so ne Bande alter Männer in der Führung …
MEIKE … die gibts überall. Weshalb habt ihr nicht die alten Patriarchen zum Teufel gejagt, sondern gleich den ganzen Staat? Wegen der D-Mark? Weil ihr reisen wolltet?
Johannes und Ralf schweigen verlegen.
MEIKE Reist ihr denn?
RALF Anfangs schon. Jetzt, na ja … Die Kohle, dit Jeld –
MEIKE Also keine Reisen und kein Geld. Oder genauer: keine Reisen weil kein Geld.
RALF Kann man so sagen, ja.
MEIKE Hm.
JOHANNES Woruff willste hinaus, Meike?
MEIKE Vorher hattet ihr die Mauer und konntet nicht reisen. Jetzt habt ihr kein Geld, und könnt nicht reisen. Erst sperrte die Mauer euch ein, jetzt die fehlende Kohle.
JOHANNES Ja?
MEIKE Wo ist der Unterschied?
RALF Det Leben besteht ja nich alleene aus Reisen.
MEIKE Sondern?
RALF Nu ja, dies und das.
MEIKE Und „dies und das“ ist jetzt besser?
Johannes und Ralf schweigen wieder.
MEIKE Die DDR war eine Diktatur, eine paternalistische Tyrannei. Keine freie Meinungsäußerung, ständige Bespitzelung.
RALF Och, na ja. Muss man sich nich so vorstellen, dass nu immer und immer wer im Trenchcoat oder mitn Loch inne Zeitung an dir rumjespitzelt hat.
MEIKE Euer Leben war grau, karg und ärmlich. Eine bürokratische, spaßfreie Mangelgesellschaft. Ihr hattet es satt.
RALF (lacht) Wat?! Ick hatte meinen Spaß! Und du ooch! (Knufft Johannes.) Wir hatten unsern Spaß, aber frage nich nach Sonnenschein!
JOHANNES Meike, wennste willst, dass wir bestimmte Sätze uffsagen, denn bewegen wa einfach die Schnauzen und machen Lölö, und du synchronisierst später rin, wat dir passt.
RALF Oder Maiki bewegt die Schnauze.
Johannes und Ralf lachen. Meike nicht. Sie muss schlucken, weil sie spürt, wie ihr die Wut Tränen in die Augen treibt.
MEIKE Tut mir leid, ich wollte nur … Onkel Hannes, weeßte noch: Oma Käthe – also deine Mutter – sagte immer (Ahmt sie nach:) „Mach, Kindchen, mach. Wennste dir verbessern kannst, mach!“ Weißte das noch?
RALF Als wenn der ’n Spruch verjessen könnte.
JOHANNES Klar weeß ick dit noch. Und?
MEIKE Na ja, was würde Oma sagen? Würde sie sagen „Ja, Hannes, wennste dir verbessern kannst, dann mach! Dann kipp die Mauer um, pfeif uffn Kommunismus und ab in’ Westen.“ Würde sie das sagen?
Nach kleiner, nachdenklicher Pause:
JOHANNES Nee, würde se nich.
MEIKE War doch gut, war doch ne geile Idee. Die beste vielleicht, die die Menschheit je hatte. Sieht man doch, wie gerade alles gegen den Baum läuft. Man sieht doch, wie sehr man genau so was braucht. JETZT braucht. Und was zum Geier kann der Kommunismus denn dafür, dass paar alte, weiße, hetero-normative Cis-Säcke ihn nicht kapiert und vermasselt haben, WAS KANN DER DENN DAFÜR, HÄ?!?!
Schweigen. Meike schnieft.
JOHANNES Watten los, Kleene? Weenste? Wat denn los?
JAN Keine Sorge, ist jetzt wieder nur die Wut, glaub ich. Sie ist bei Friday for Future, Attac und sonstwo, sie hats gern revolutionär.
MEIKE „HATS GERN REVOLUTIONÄR“ – du Wichser!!! HATS GERN REVOLUTIONÄR, ja? Ja, ick habs gern revolutionär. Und ihr, wollt ihr das alles so lassen? Soll das jetzt einfach so weitergehn, ja? Na dann lasst doch den Planeten verrecken und die Glatzen kommen, NA DANN GEHT DOCH ZU NETTO!
Meike weint und schluchzt, Johannes nimmt sie in den Arm.
JOHANNES (tröstend) Nu, nu … „Der Weg ist noch nicht zu Ende, wenn das Ziel explodiert.“
MEIKE (verheult in seinem Schoß) Deine scheiß Sprüche.
JOHANNES Na ja.
MEIKE Von wem ist der jetzt? Lenin? Mao? Günther Jauch? Und was soll das Geschwurbel heißen?
RALF Wer abrutscht, darf noch mal, heeßtet.
MEIKE Wer abrutscht … Echt? Ihr wollt noch mal ran?
Sie richtet sich wie neu belebt auf. Johannes und Ralf winden sich.
JOHANNES Na ja …
JAN Pfff, wird doch nüscht.
MEIKE Aber was dann? Was dann??? Habt ihr keene Angst? Bin ich hier echt die Einzige, die so ne scheißende Angst hat, dass se unbedingt wat tun will, wat tun muss?
Sieht in die Runde, sieht sich die Männer an. Allen wird unwohl, sie senken den Blick.
MEIKE (verächtlich) „Männer“ – ich wollts nicht glauben, aber scheint wirklich so.
JOHANNES Wat denn, meine Kleene?
MEIKE Its over, Jungs. Eure Zeit ist rum.
RALF Na na!
MEIKE ,Natürlich tut ihr mir leid. Aber die letzten paar Tausend Jahre habt ihrs doch wirklich ganz schön gehabt.‘
Jan lacht auf.
JOHANNES Nich schlecht, det ist die freche Schnauze deiner Mutter.
MEIKE Leider nich. Det ist die freche Schnauze Jodie Fosters, Onkel Hannes. ’n Zitat für deine Sammlung. Mein erstes und letztes, ab jetzt wird nur noch selber gesprochen. (Zu Jan:) Und du brauchst gar nicht so blöde zu wiehern. Du bist kein bisschen besser, nur jünger.
Kathrins Bus ist zu hören, Kathrin HUPT. Meike horcht auf.
MEIKE Geil. Wie auf Stichwort.
Sie springt auf und herrscht Jan an.
MEIKE Komm mit! Schnell!
Sie schnappt die Kamera samt Stativ und stürmt dem Bus entgegen.
JAN Was denn los?
MEIKE KOMM MIT, SAG ICH!
RALF Sollte der Film nich von uns handeln?
JOHANNES Du hast sowieso keen Leinwandjesicht.
RALF Aber dich liebt die Kamera, oder wat?!
JOHANNES Nee. … Die ooch nich.
Leises Gelächter. Sie spucken die Schalen der Sonnenblumenkerne in den Sand und sehen weiter zu.

Akt 6: PHILOSOFM
JOHANNES und RALF am Abend eines Jahrhundertereignisses: eine Mondfinsternis steht an. Sie haben ein Sofa auf das Dach des Bushäuschens geschleppt. Johannes baut unten schon den Grill, Schwedische Fackeln usw. auf. Ralf schraubt noch an einem Plaste-Fernrohr aus einem Optik-Baukasten für Kinder (noch aus der DDR), in der Hauptsache verfolgt er auf dem Handy aber ein Spiel von Energie Cottbus, seiner Leib- und Magenmannschaft.
JOHANNES … ’s Blödsinn, det Sofa uffs Dach zu schleppen. Die zwee Meter höher bringen uns der Sache ooch nich näher.
RALF Is unsere Sternwarte. Bisschen Stil muss sein.
JOHANNES „Stil“. Ne Sternwarte mitm Fernrohr aus’m Optikbaukasten, allet klar. Du bist da oben, weilste besseren Empfang hast. Du willst nur deine Schweinemannschaft sehn, det Universum is dir wurscht.
RALF (nebenher) Ick liebe det Universum, ick könntes ständig ablecken. (Reagiert auf den Handy-Fußball:) SCHEISSE, DU DÄMLICHET …! MANN, WAT’N ARSCHKREBS! AH, NEE!!
JOHANNES Ralle, dit kann jetzt nich sein: det is Kreisklasse! Danach kommt nur noch det Bolzen mit leeren Bierbüchsen.
RALF Wir steigen schon wieder uff. Hinten hat der Fuchs die Eier.
JOHANNES Idiotischer Spruch. Wat soll das heeßn?
RALF Weeß ick jetzt ooch nich. Stand uff der Vereinsseite.
JOHANNES Paschke, ne Mondfinsternis! Ne fast totale Mondfinsternis, ein planetarischet Großereignis! Nur alle hundert – in Zahlen: hundert! – nur alle hundert Jahre stelln sich Sonne, Planeten und Mond jenau so hinternander inne Schlange und zeigen stramm in eene Richtung. Und uff wen zeigense? Uff uns, Ralle, uff uns! Für diesen eenen kleenen Moment duzt uns die Schöpfung quasi. Und du?
RALF Wat „ick“?
JOHANNES Kuckst untere Kreisklasse.
RALF Man gibt seine Mannschaft nicht uff, nur weilse mal ’n Formtief hat. Samma, wat tustn mir hier schon wieder vollphilosophiern, haste nüscht zu tun?
JOHANNES Philosophie is nüscht für wenns mal nüscht zu tun jibt. Philosophie is keen Pausensnack.
RALF Aber jenau isse det! Philosophie is voll wat für die Halbzeitpause. Wahrscheinlich wurde se sogar da erfunden. Die alten Griechen kucktn gerade, wie sich der Löwe zwee, drei Gladiatoren reinzieht, dann Bong, Pausengong. Viertelstündchen, bevor die Bären kommen und Hanneskrates zu Ralfkrates: Na, Alter, und sonst so? Philosophie erfunden.
JOHANNES Himmel, is dit noch Fantasie oder haste schon vorgeglüht?! Und wennet schon so abjeloofen is, dann ham die nich schlaff „und sonst so“ jefragt, sondern Warum.
RALF Warum.
JOHANNES Warum. Fragste stur Warum, Warum, Warum – und permanent so weiter, wirste irjendwann automatisch philosophisch.
RALF Oder fängst dir eene ein.
JOHANNES Dein Vadder?
RALF Stiefvadder. Die Erziehung des Herrn hatte noch Hand und Fuß: Backpfeifen und Arschtritte. (Lacht.)
JOHANNES Hat Muttern nüscht jesagt?
RALF Na, kennstse doch. (Brüllt auf:) JA, JA, JA, YESSSS!!
Beckerfaust und Freudentanz.
JOHANNES Wat jetzt? Habter jewonnen?
RALF Quatsch. Wir ham Ecke.
JOHANNES Du feierst, weil …??? Okay, ick jebs uff.
Ralf starrt gebannt auf den Schirm und begleitet den Anlauf des Spielers mit anschwellenden Lauten, als wenn eine Rakete starten würde.
RALF (immer lauter) HoooOOOOOOH JAPP!!!
Fällt enttäuscht in sich zusammen.
JOHANNES Mach dir nüscht draus. Wenn ihr janz, janz dolle trainiert und euch zusammenreißt und du immer feste die Daumen drückst, denn passierts, denn kriegt ihr det nächste Mal vielleicht sogar … (rollt bedeutsam die Augen, raunt:) Einwurf.
RALF Schnauze.
JOHANNES (grinst) Oder der Schieri lässt euch mal pfeifen.
RALF Noch een Wort und ick …
JOHANNES … oder ihr dürft den Rasen mähen und die Striche mitm kleenen Haushaltspinsel …
RALF … HANNES, ’S REICHT! ECHT!!! Dit is für mich keen Spaß, dit is für mich …
JOHANNES Ja wat denn?
RALF (verlegen und vernuschelt) Zuhause. Heimat, irjendwie.
JOHANNES Elf talentfreie Kloppies in kurzen Hosen?
RALF Ja. Ooch. Von allem wat. Det Stadion, der Jeruch, die Stimmung …
JOHANNES … die Nazis im Publikum und inner Security.
Ralf schweigt düster und bedrückt.
JOHANNES Tut mir leid. Fußball is für mich wat, wo sich der Mensch, na ja … irjendwie enttarnt. So, wie am Eimer Sangria uff Malle oder bei Heidi Klum. Ick denk dann immer: Also doch! Egal, wat wir tun und machen, wir sind unten drunter doch nur jemeine, fiese Viecher.
RALF Hm. Jeht mir neuerdings mitm Netz so.
JOHANNES Holla! Dein jeliebtet Internet macht Zicken?
RALF Für die Warum-Fragerei isset schon noch geil. Die Bälger müssen keen mehr umständlich fragen. Die drücken ’n Knopp und sind im Bilde, Know-it-all-Kiddies. Wenn ick damals Netz jehabt hätte, wäre ooch manchet anders jeloofen.
JOHANNES Zum Beispiel?
RALF Was waren denn deine schärfsten Fragen? Womit haste dir und deine Alten am meisten jenervt?
JOHANNES Ja, pff, det Übliche, denk ick mal: Wat is der Tod und wat kommt danach, wie unendlich is die Unendlichkeit, schläft meine Seele ooch, wenn ick schlafe, wat is dit überhaupt: Seele. So Zeugs eben. Bis du zwölf bist, haste ja die janz großen Fragen. Bis zwölf biste quasi naturbedingt Philosoph.
RALF Und dann?
JOHANNES Kommt die Jeschlechtsreife und mit ihr die Verblödung.
Im Hintergrund (Straßenseite der Haltestelle) unbemerkt und leise: Geräusche eines ankommenden Fahrzeugs, Türenklappen.
RALF … Warte!
JOHANNES Wat haste denn plötzlich?
Ralf steht auf, breitet die Arme aus, singt das obligatorische Fußball-Na-Na und wiegt sich dabei, als würde er inmitten einer La-Ola-Welle stecken:
RALF (singt mit Fan-Inbrunst) NaneNaNa, NaneNana, He Hehe, Wir ham verlorn./NaneNaNa, NaneNana, He Hehe, Wir ham verlorn./
In der nächsten Wiederholung stimmt plötzlich eine begeisterte Frauenstimme mit ein.
RALF NaneNaNa, NaneNana, He Hehe, Wir ham verlorn.
KATHRIN NaneNaNa, NaneNana, He Hehe, Wir ham verlorn. (lacht) Geil! Ick hab ja schon viele Schlachtjesänge jehört, aber so cool jeht keena mit ner Niederlage um.
JOHANNES Die kennen nüscht andret. Nabend, Kathrin. Schön, dass Se kommen konnten.
KATHRIN Moinmoin. Ick hab ooch Kiste Bier und bissel Grillzeugs mit bei. Bin gleich wieder da. (Zu Ralf:) Tach, Ralf. Wirklich lässig abjesungen.
RALF Tach, Frau, äh, Kathrin. Schön, dass Sie …
Kathrin ist schon halb unterwegs, um das Zeug aus ihrem ramponierte B 1000 (eine Art Ost-Van) zu holen.
RALF (leise zu Johannes) Du wusstest, dass se kommt?
JOHANNES Nich sicher.
KATHRIN (kräht von hinten) Er hat mich einjeladen: Bier und Wurscht und Weltuntergang. Und ick hab sofort zujesagt.
JOHANNES Sie ham jesagt Nein, auf keinen Fall.
KATHRIN Oder so. Jedenfalls bin ick nu da. Passts dem Herrn nich?
RALF Doch, doch, sehr! Ick freu mich.
Kathrin, Bierkasten und Grillzeug schleppend wieder auf – Johannes nimmt es ihr ab.
KATHRIN Dein Glück.
RALF Jenau.
Party! MUSIK (80er/frühe 90er?) Drei Bierflaschen krachen prostend ineinander Ralf zeigt auf der Bushaltestelle ein Luftgitarren-Solo. Die anderen jubeln ihm von unten zu. Alle drei tanzen auf dem Dach des Bushäuschens. Kathrin tanzt in Country-Squaredancefiguren von einem zum anderen. Sie verfehlt einen Fangarm und stürzt vom Dach. Ralf und Johannes knien sofort panisch besorgt am Rand des Daches. Kathrin liegt unten auf dem Rücken und lacht. Johannes trommelt mit zwei Grillzangen auf dem (nun leeren) Grill, dass die Funken wie bei der Blue-Man-Group stieben. Kathrin führt gutgelaunt eine Mini-Polonaise an. Sie liegen mit den Köpfen nah aneinander (ein Dreistern) auf dem Rücken, trinken, reichen das Plaste-Fernrohr rum, reden miteinander und sehen ab und zu in den Nachthimmel.
KATHRIN (kichert vergnügt) … Nee, Hannes, will ick nich. Echt nich.
RALF Aber Hannes is’n schlauer Hund. Hat zehntausend coole Sprüche druff und grillen kanner ooch.
JOHANNES Lass jut sein, ick hab ma schon so wat jedacht. (Halb zu Kathrin:) Außerdem: Wenn eener mit Frauen kann, denn Ralle. Der kann lateinamerikanisch tanzen wie die schärfste Turniertanz-Hupfdohle und biste mit dem, wirste immer … immer, na ja, …
KATHRIN Na, wat werd ick denn immer?
JOHANNES Immer jut schlafen. So viel is sicher.
KATHRIN (lacht) Spinn ick oder preist ihr euch jetzt jegenseitig an?!
RALF Det täuscht. Selbstverständlich geh ick, Ralf Paschke, selber und im vollen Vollbesitz meiner jeistigen Kräfte vor dir uffs Knie und frage dich hiermit …
Richtet sich halb auf.
KATHRIN … nee, dich ooch nich, Ralle, leg dir wieder hin! Ein für alle Mal: ick will nich heiraten!
RALF Nich?
Sinkt wieder zurück in die Rückenlage.
KATHRIN Nee. Keenen von euch.
RALF Hm.
KATHRIN Sind wa jetze durch? Sonst noch wer?
JOHANNES Durch.
RALF War nich böse jemeint.
KATHRIN Ick weeß. Und ick fühl ma ja ooch schwer jeschmeichelt, aber ick habs jerade mal wieder hinter mir. (Lacht bitter.) Ick wurde verlassen, det es nur so jescheppert hat.
JOHANNES Wat?! Du?
KATHRIN Nach Strich und Faden.
RALF Wat für’n Idiot macht denn so wat!
KATHRIN IdiotIN, wennschon.
RALF Tin?
KATHRIN Tin.
JOHANNES Da hätten wir also sowieso nich …
KATHRIN … Quatsch, ick bin nich lesbisch. Det heeßt, manchmal schon. Kommt immer druff an, wen ick gerade liebe.
JOHANNES Und dit funktioniert?
KATHRIN Bei dir nich? Ah, klar, det Herz det Hannes folgt seinem Johannes. Aber vielleicht liegste falsch? Vielleicht biste heimlich komplett in Ralle verknallt?
RALF (schreit angewidert auf) Huaaah!
JOHANNES (schreit angewidert auf) Huaaah!
Kathrin lacht.
KATHRIN (amüsiert) Ihr Kerle seid echt zum Piepen.
JOHANNES Und nu?
KATHRIN Wat und nu? Und nu bin ick hier. Ooch schön. Ick liege anjesoffen und voll Grillwurscht mit zwee Kerle im Dreck und warte, det dem Mond das Licht ausjeht.
RALF Ick liege anjesoffen und voll Grillwurscht mit’m Kerl und ner Frau im Dreck und warte, det dem Mond das Licht ausjeht und … fühle mich janz wohl.
JOHANNES (lacht leise) Ick liege anjesoffen und voll Grillwurscht mit’m Kerl und ner Frau im Dreck und warte, det dem Mond das Licht ausjeht, und fühle mich janz wohl, weil ick kapiere, det der Mann uffm Mond …
KATHRIN (vergnügt) Ick liege anjesoffen und voll Grillwurscht mit zwee Kerlen im Dreck und warte, det dem Mond das Licht ausjeht, und fühle mich janz wohl, weil ick kapiere, det der Mann uffm Mond … ooch nur anjesoffen mit zwei Kerlen uffm Rücken liegt und wartet.
RALF (lacht) Jewonnen. Aber woruff wartet der?
KATHRIN Keene Ahnung, uffn Zeichen. Woruff wartet ihr denn hier draußen?
JOHANNES Uffn Bus.
KATHRIN Erzähl keinen Scheiß.
RALF Uff dich.
KATHRIN Ick sagte, du sollst keen’ Scheiß erzähln!
RALF Also wenn de dich so umkiekst, unsere erste gemeinsame Nacht. Und was sachste so?
KATHRIN Det ick komplett im Arsch bin, keene Frau und keen’ Wohnungsschlüssel hab.
JOHANNES Oh, finstre Nacht!
KATHRIN Du sagstet.
Kathrin steht auf (Johannes und Ralf mit ihr) und reckt sich.
KATHRIN Und jetzt hab ick ooch gleich wieder Hunger. FLEESCH, FLEESCH, FLEESCH! (Affektiert:) Garçon, ist noch Fleisch vorhanden?
JOHANNES (wie ein britischer Butler) Bis zur allergischen Reaktion, Mylady.
RALF Wenn nüscht im Osten sicher is: dit ja.
KATHRIN Und dafür liebe ick euch – also in Maßen. Sehr in Maßen.
RALF Schon kapiert.
Schwedische Fackeln und glühender Grill, alles im weichen Licht der Flammen.
KATHRIN (mit vollem Mund) Also du die Zahlen und Hannes den Klugscheiß – so läuftet bei euch?
JOHANNES (während er grillt) Im Prinzip schon.
KATHRIN Und wozu?
RALF Wat wozu?
KATHRIN Na, soll dit irjendwat werden, sich irjendwohin entwickeln? So erst so kleenet Eremiten-Mini-Ding nur zwischen euch, und denn wächst sich das aus zur Sekte oder Loge und schließlich zur Weltherrschaft mit vorne und hinten viral und so.
Ralf und Johannes sehen sich unschlüssig an.
RALF Nö.
JOHANNES Muss nüscht werden, is schon wat.
KATHRIN Echt? Vielleicht sollt ick unsre Vermählung doch nich storniern. Bisher kannte ick nämlich nur Männer, wo’s immer wat (bellt zu Gorilla-Moves:) „WERDN! WERDN! WERDN!“ musste. Eener wollte sogar für seine Streichholzhäuschen ’n Pokal und ’n Lehrstuhl. Oder Garagen – is die Bushaltestelle für euch nich so wat wie ne Garage?
JOHANNES (verständnislos) Nee?
Kathrin redet immer eindringlicher und schneller. Ralf und Johannes werden unruhig, lächeln aber tapfer.
KATHRIN Garagen sind nämlich det Oberletzte für den zeitjenössischen Mann. Ob Band, Startup, Werkstatt, „Atelier“ oder sonstwat für Scheiß: ¬Muttis Nissan-SUV wird rausjekarrt und los jehts. Ick steh da und kann nur hinterhergröln: „Finn-Ole, bitte! Wer ne Garage hat, is noch lange nich Bill Gates!“ Aber keen Rinkommen. Die Garage is ihr Terrarium für den Amerikanischen Traum.
RALF Tja, naja. Hier is Brandenburg.
KATHRIN (immer schneller) Ick quatsch zu viel, tut mir leid. Wenns mir jut geht, krieg ich die Logorrhoe, also ick kann die Wörter nich bei mir halten, meint dit. Ick wollte gerade nur mal mit’m Fremdwort anjeben. Wie gesagt: ich quatsch zu viel, wenns mir jut jeht. Oder … wenns mir überhaupt nich … jut geht.
Weinkrampf. Sie verbirgt ihr Gesicht unter der Decke. Ralf und Johannes haben den Zusammenbruch nicht kommen sehen, sie sind überfordert.
JOHANNES (ratlos) Ja … Also … Na ja …
RALF Vielleicht den Goldi?
JOHANNES Nicht doch gleich dit letzte Mittel! Wir sollten vielleicht erstma …
Er nähert sich Kathrin, und obwohl sie nichts sieht, schießt ihre zur Abwehr aufgestellte Hand unter der Decke hervor.
KATHRIN … Keen Mitleid, keen Trost: KÜCHENROLLE!
JOHANNES Wat?
KATHRIN KÜCHENROLLE!
Johannes gibt ihr eilig die Rolle Küchenpapier.
KATHRIN Ohren zu! Dit wird jetzt hässlich. Ohren zu und umdrehn! Habter?
RALF Ja.
KATHRIN Wie kannst du Pfeife die Ohrn zuhaben, wennde mich hörst?!
RALF Tschuldigung.
Steckt sich die Finger in die Ohren.
KATHRIN Fertig?
Johannes hat wie Ralf beide Finger in den Ohren.
Kathrin richtet sich unter der Decke auf.
KATHRIN (brüllt) MANN, KATJA, DU BLÖDE KUH, MACH DOCH SO WAT NICH MIT MIR, DAS HÄLT DOCH KEEN AAS AUS, DAS KANNSTE DOCH NICH, DET IS DOCH NICH … AAAAAAAAAAA
Sie brüllt sich laut und ausdauernd den Trennungsschmerz aus dem Leib.
KATHRIN (leise und traurig) Okay, na dann … Na dann hau eben ab. Ick wünscht dir viel Glück, wirklich. Wo immer du bist … (Lacht ein bisschen.) Wie heeßtet: Bye, bye, Junimond, meine Kleene. Bye, Bye.
Kathrin holt tief Luft und schnäuzt sich trompeten¬artig. Dann trocknet sie sich die Tränen und testet ein erstes Lächeln.
KATHRIN Danke.
Keine Reaktion. Kathrin versteht: sie bedeutet den Männern, dass sie nun wieder die Finger aus den Ohren nehmen können.
KATHRIN Danke. War jewissermaßen ne Not-OP am offenen Herzen. Und ihr, OP-Schwester Hannes und OP-Schwester Ralle, habt mir janz wunderbar assistiert. Und jetzt, jetzt brauch ick wat Süßet!
JOHANNES Ick hab Torte da, aber ick fürchte, die is noch nich janz uffjetaut.
KATHRIN Eistorte! Janz hervorragend. Und dazu bitte ick um deinen schärfsten Spruch.
JOHANNES Wat denn für Spruch?
KATHRIN Dein bester, dein liebster.
JOHANNES Na ja, da jibtet viele. Da kann man nich so …
RALF … Ja, jibts det! Dauernd fällt dir so Klugscheiß ausse Birne, andauernd nervste, und nu bittet dich eener mal und du zierst dich wie ne Kreisstadt-Bibliothekarin?
JOHANNES Mann, ick weeß nich, wat mein „schärfster“ Spruch sein soll. Ick hab da keen inneret DSDS.
KATHRIN (zu Ralf) Sag du! Wat is sein bester, wat quatschter am liebsten?
RALF Also, hm …
KATHRIN … überlege jut! Ick will nur feinste Ware. Ick bin een frischblutendet Trennungsopfer und gerade erst wieder anjekommen. Niegelnagelneu im Leben, da will man keen Quatsch hörn, da braucht der Mensch wat Handfestet zur Orientierung. Klar?
RALF Klar. Also, na ja, ick finde den mit de Freiheit am besten. Den von dem Russen.
JOHANNES Rousseau.
KATHRIN Kenn ick. Französischer Philosoph, siebznzwölf bis siebznachtundsiebzig, Autor von „Der Jesesellschaftsvertrach“, acht Buchstaben, vorne fies mit „o u“ jeschrieben und hinten gleich noch fieser mit „e a u“. Herrgott, ick rede schon wieder!
RALF Egal. Der Spruch is, – jetzt weeß ick wieder –
JOHANNES Du hast jegoogelt!
RALF Na und! Jeder, wie er kann. Also der Spruch geht (liest vom Handy ab:) „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern darin, dass er nicht tun muss, was er nicht will.“
Schweigen.
KATHRIN (nachdenklich) Hm.
RALF (erklärend) Nicht, dasser machen kann, wat er will, sondern dasser nicht machen muss, wat er …
KATHRIN … NICHT will, schon verstanden. (Denkt noch einmal kurz nach, dann entschlossen:)
KATHRIN … … Is jekooft. Brauch ick. Brauch ick jetzt allet. Weiter!
RALF Wat weiter? Nüscht weiter. Reicht doch.
JOHANNES Also mein liebster …
KATHRIN … Ha! Also doch! …
JOHANNES … Also mein liebster is eigentlich keen Spruch, sondern ’n Fluch.
KATHRIN Fluch! Geil! Munitionier’ mich uff! Ick kann jetzt jede Sorte Fluch jebrauchen.
JOHANNES ’n chinesischer Fluch, und der geht: MÖGEST DU IN GROSSEN ZEITEN LEBEN!
Stille. Kathrin und Ralf starren ihn an.
KATHRIN Hä?
JOHANNES Ne Verwünschung. Mögest du in großen Zeiten …
RALF … nich schlecht! Wenn allet immer von „großen Zeiten“ plärrt, denn is meistens Dreck und schlimmer Scheiß. So wat wie Dschingis Kahn, Mao, Hitler und so.
KATHRIN Katja, du Bitch!: MÖGEST DU IN GROSSEN ZEITEN LEBEN! Ah, nee, zieh ick zurück. Det hatse nich verdient. Die nich.
JOHANNES Aber die Arschlöcher schon.
Alle drei springen begeistert auf und recken die Faust hoch.
KATHRIN/ JOHANNES/ RALF MÖGET IHR IN GROSSEN ZEITEN LEBEN!
Gelächter, gute Laune.
RALF Und? Wat is nu, sind wa schon Stücke weiter?
JOHANNES Womit denn, lieber Ralf?
RALF Mitm Mond, Mann! Wir sind wegen de Mondfinsternis hier.
JOHANNES Tja, eigentlich is jetze jenau die Zeit aber …
Er sieht zum NACHTHIMMEL hoch: alles dicht bewölkt.
KATHRIN Jenau so kenn ick meinen Osten. Is mal wat zu sehen, schieben wa ne Mauer oder Wolken oder sonstwat vor.
JOHANNES Aber es heeßt ja ooch, det wir furchtbar clever mit so Mangelzuständen umjehn können. Kreativ geradezu.
KATHRIN Ja? Heeßtet dit? Dann gröhlen unsere Nazis wohl aus lauter Kreativität.
JOHANNES Mann, nu mal nich schon wieder so depri, die Party jeht inne Zieljerade!
KATHRIN Dann mach die scheiß Wolken weg.
JOHANNES Kann ick nich.
KATHRIN (steht auf) Tja, also … Meine Herren, es war mir eine Ehre, aber nu muss ick paar Stündchen uffn Rücksitz und pennen, denn ick bin ja nu zwar eene alleinstehende, aber dennoch hoch berufstätige junge Dame.
JOHANNES Du bleibst!
KATHRIN (befremdet) Wat?
RALF Spinnste? Warum sollse bleiben, wennse …
JOHANNES … Weilse nüscht verpassen will.
KATHRIN Wat denn? Wat verpass’ ick denn?
RALF Ja, wat, Hannes? Mondfinsternis vorbei. Probiern wirs in hundert Jahren noch mal.
KATHRIN (lacht) Ok. Gleiche Stelle, gleiche Zeit. Wir sind verabredet.
JOHANNES Also ick fänds sehr schade, wenn ihr jetzt schon abhaut.
KATHRIN Aber warum?
JOHANNES Deswegen.
Johannes drückt einen Knopf auf einer Fernbedienung und ein Silvesterfeuerwerk bricht los. Kathrin schreit begeistert auf, Maik bellt panisch, selbst Ralf glotzt verblüfft. Raketen, Feuerräder, Funkenfontänen. Kathrin tanzt begeistert mit hoch erhobenen Armen. Dann die letzte Rakete. Kathrin und Ralf „begleiten“ sie mit ihren Stimmen, bis sie explodiert.
KATHRIN UaaaAP! NE BLAUE!!!!
RALF UaaaAP! NE BLAUE!!!!
Johannes grinst zufrieden.
RALF (begeistert) Aller, wann haste denn dit inschtalliert? Hab jar nüscht mitjekriegt.
JOHANNES (zuckt mit den Schultern) War ja ooch bloß Notfall.
KATHRIN Geil, ab jetzt nur noch Notfälle! Isset schon vorbei?
Johannes sieht auf seine Fernbedienung, drückt ein bisschen.
JOHANNES Ja. Gloob ja.
Kathrin reißt ihm die Fernbedienung aus der Hand.
KATHRIN Gib her!
Sie drückt wahllos darauf herum.
RALF Det wird nich helfen. Wenns aus is, is aus.
KATHRIN Nich mit mir!
Kaum hat sie ausgesprochen, kommt in Hannes’ Gerät Bewegung. Es schnieft, sprotzt, pufft und kämpft mit sich.
KATHRIN (feuert an) Komm, komm! Mach, du Aas! Du packstet!
Endlich doch noch: ein paar letzte Raketen schießen in den Nachthimmel und lassen Sterne regnen.
KATHRIN (brüllt) Na jeht doch!

© Kiepenheuer Bühnenvertrieb

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