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Welt ohne Außen
Anne Imhofs „Faust“ in Venedig.
von Thomas Oberender
Erschienen in: Theater der Zeit: Götterdämmerung – Polen und der Kampf um die Theater (10/2017)
Niemand sagt in Anne Imhofs Arbeit im Deutschen Pavillon zum Augenblick „Verweile doch, du bist so schön“ – diesen Zustand kennen die Performerinnen und Performer in diesem „Faust“ genannten Stück nicht. Von Goethes Dramentext wird kein Satz gesprochen und keine seiner Figuren tritt auf. Der „Scheißfaust“, den Peter Handke gerne davon erlösen würde, auf rastlose Weise immerfort tätig zu sein, kommt in Imhofs Arbeit nicht vor. Vielmehr sind in Venedig Gestalten zu sehen, die ihre Seele erst noch finden müssen. Der Deutsche Pavillon ist das Zwischenreich, wo sie als Zombies ans Licht kommen, mitten unter uns, um Blut zu trinken wie Odysseusʼ Mutter am Ausgang des Hades; das Blut, das sie begehren, ist unser sie betrachten.
Anne Imhofs Stück zeigt die Faustfigur als Symptom einer Zeit, in der das Subjekt immer nur werden muss und nie sein kann. Dieser Stimmung schafft sie einen Raum, in dem auch der Zuschauer nie nur Betrachter sein kann, sondern mitschaffen muss und Teil wird einer dynamischen Situation, in der sich die Ge-schehnisse, die eigene Lage und Umgebung ständig in Echtzeit verändern. Imhofs Arbeit akzentuiert eine selten so klar empfundene Doppelnatur der Faustfigur – ihre Unerfülltheit geht einher mit dem Verlust ihre sozialen Bindungen, zugleich...