Zehn Thesen
These 9: Das Theater unterdrückt nicht länger sein ›Rauschen‹, sondern musikalisiert und inszeniert es
von David Roesner
Erschienen in: Recherchen 151: Theatermusik – Analysen und Gespräche (11/2019)
Während ›noise‹ seit einiger Zeit vor allem im englischsprachigen Kontext kulturwissenschaftlich und insbesondere auch in Bezug auf Musik und Theater diskutiert wird140, haben die äquivalenten Begriffe im Deutschen (Lärm, Rauschen, Geräusch) weniger Konjunktur.141 Dabei werden in der Theaterpraxis Geräuschhaftigkeit, akustische Störungen, klangliche Unreinheit, Ablenkung, Diffusion usw. immer häufiger genutzt und thematisiert. Sie treten an die Seite – bisweilen sogar an die Stelle – von traditionellen Klang- und Höridealen der Klarheit, des Wohlklangs einerseits und der konzentrierten und fokussierten Versenkung andererseits. So beobachtet Katharina Rost,
dass sich viele Arbeiten des Gegenwartstheaters mit diesem historisch und kulturell dominanten Aufmerksamkeitsideal beschäftigen, indem sie es zersetzen, übertreiben, unterlaufen oder verunmöglichen. Sie weisen somit auch implizit darauf hin, dass diese Risiken, Gefahren, Minderungen, Störungen, Überlagerungen etc. schon immer Teil des Zuhörprozesses sind und eine Konzeption von störungsfreier, allumfassender und allein auf das Verstehen gerichteter Aufmerksamkeit nicht nur ein konstruiertes Ideal und eine restriktive Norm darstellt, sondern darüber hinaus auch eine Verkürzung der Weisen, wie auditive Wahrnehmung verläuft und erfahren wird.142
Die Zeiten, in denen man mit dem théâtrophone per Telefon einer Aufführung lauschen konnte143, oder in denen Tonaufzeichnungen von Theaterinszenierungen live erstellt und als Schallplatte verkauft werden...