Theater der Zeit

Zur Relation von fiktionalem Mikrokosmos und außertheatralem Makrokosmos

Anhand von „3/Fifths – SupremacyLand“ von Scruggs/Woodard

von Theresa Schütz

Erschienen in: Recherchen 164: Theater der Vereinnahmung – Publikumsinvolvierung im immersiven Theater (05/2022)

Assoziationen: Open Access Wissenschaft James Scruggs Tamilla Woodard

Zwei Performer*innen in der ihnen zugeteilten Aufgabe an der Station »Wet and Wild« in 3/Fifths – SupremacyLand, Foto: James Scruggs
Zwei Performer*innen in der ihnen zugeteilten Aufgabe an der Station »Wet and Wild« in 3/Fifths – SupremacyLandFoto: James Scruggs

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Um darzulegen, wie Zuschauer*innen über die affizierende Kraft von Zeichen, Symbolen und Stereotypen in das Aufführungsgeschehen und die fiktive Weltversion involviert und dabei auf der Ebene der Wirklichkeitssimulation vielfältig vereinnahmt werden, möchte ich bei diesem Aufführungsbeispiel nicht nur eine prägnante Situation herausgreifen, sondern eine Reihe verschiedener, sich nacheinander ereignender Situationen in den Blick nehmen. Ein längerer Auszug aus meinem Erinnerungsprotokoll beschreibt Wahrnehmungen und Prozesse der Bedeutungsgenerierung, die auf den singulären, von mir durchlebten Publikumserfahrungen an einzelnen Stationen basieren. Von ihnen ausgehend, soll aufgezeigt werden, a) in welchem Verhältnis Mikrokosmos Themenpark und Makrokosmos USA mit Blick auf Rassismus und Weiße Suprematie zueinander konstelliert werden und b) wie Zuschauer*innen über Handlungsaufträge, die Konfrontation mit Stereotypen und historischen Referenzen sowohl situativ als auch auf einer von der Diegese abstrahierenden Metaebene körperlich, affektiv und diskursiv vereinnahmt werden.

Station 1: Eine Performerin (Alyson Brown) steht hinter einem Tresen und lächelt mich freundlich an, lädt mich mit einer Geste ein, ihren Stand zu besuchen. Auf dem Tresen liegen Anleitungen und kleine Baumwollbändchen bereit. Hinter ihr, oberhalb der den Stand begrenzenden Holzwand, leuchtet ein Schild »Noose-Making« sowie ein Bildschirm mit Werbetrailer und dem Slogan »Learn to tie a Noose«. Inzwischen ist noch eine zweite weiß markierte Zuschauerin hinzugetreten. Gemeinsam zeigt uns die Performerin, wie man einen Galgen – was ich erst verspätet realisiere, da ich den Begriff »noose« nicht kannte – knotet. Ihr recht nah gegenüberstehend, erkenne ich, dass sie Miniaturgalgen als Ohrschmuck trägt. Als sie meines Blickes auf ihre Ohren gewahr wird, nutzt sie die Gelegenheit und bietet mir welche zum Kauf an – für nur einen Supremacy-Dollar. Überfordert von der Situation lehne ich höflich ab. Es kommen nun noch drei weitere, schwarz markierte Gäste an den Stand. Die Performerin fragt nach zwei Freiwilligen. Ohne mir was zu denken, melde ich mich; eine junge schwarz markierte Frau tut es mir gleich. Wir sollen daraufhin zu der Performerin hinter den Tresen treten. Dann gibt sie mir einen großen Galgen in die Hand und bittet mich, ihn um den Hals der anderen Freiwilligen zu legen. Währenddessen erläutert sie, wie einfach das sei und worauf man beim Festziehen des Knotens zu achten habe. Wo bin ich hier? Ich kann es überhaupt nicht fassen, suche den Blick der anderen Zuschauerin, um irgendwie zu signalisieren, dass es mir sehr unangenehm ist. Ich merke, dass ich mich zu schämen beginne, dafür, dass ich mich so unbedarft freiwillig gemeldet habe – was ich nur gemacht habe, weil ich mich als Zuschauerin inzwischen an immersive Theaterformen gewöhnt und entsprechend verinnerlicht hatte, dass ich mehr davon habe, wenn ich mich von Beginn an aktiv einbringe und unvoreingenommen auf Situationen einlasse. Das habe ich nun davon.

Station 2: Gleich links neben dieser Station ist eine kleine Bühne mit einem roten Vorhang aufgebaut. Vor dieser steht ein roter Knopf, eine Art Buzzer, wie man ihn aus Quizsendungen kennt. Über der Bühne leuchtet das Schild »Coon Dance«. Ich drücke den Knopf und der Vorhang geht auf. Auf einer kleinen, von Glühbirnen gerahmten Holzfläche stehen zwei Performer und beginnen zu tanzen. In dem Moment, in dem ich den Knopf loslasse, geht der Vorhang wieder zu. Also drücke ich ihn erneut, halte ihn gedrückt. Ohne Musik beginnen beide, mit einem sehr breiten Lächeln synchron zu tanzen. Im Gegensatz zu den anderen Angestellten tragen die beiden nicht die Uniformen mit der roten Weste und dem N-›Namens‹schild, sondern beigefarbene Stoffkleidung, die eher an eine andere Form der Arbeitskleidung erinnert. Ich realisiere, je länger ich sie für mich tanzen lasse, desto unwohler wird mir. Also lächle ich freundlich und lasse den Knopf los. Nachdem sich der Vorhang geschlossen hat, lugt einer der beiden Tänzer noch einmal hindurch und bittet mit seinem Hut um »Tip«. Ich reiche ihm den ersten meiner sieben Spielgeld-Dollar und bedanke mich.

Station 3: Weil die Station »Crime Scene« direkt daneben gerade überbesucht erscheint, mache ich als Nächstes bei einer Station mit einem Hau-den-Lukas Halt. Hier begrüßt mich eine weiße Performerin/Angestellte in weißem Kleid und Umhang (Meagan Stevenson). Sie gibt mir einen großen silbernen Hammer in die Hand und motiviert mich zu einem ersten Versuch. Es handelt sich bei der Station »Aryan Hammer« um einen weißen hohen Holzbalken, an dessen oberen Drittel zwei kleine horizontale Teile zu einem Kreuz ausfahren, wenn man mit dem Hammer kräftig auf das Bodenteil schlägt. Zwei Male gelingt es mir nicht. Für den dritten Versuch spricht mir die Performerin freundlich zu und setzt mir zur »Stärkung« ein weißes Party-Hütchen auf, das mir Kraft verleihen soll. Ich versuche es noch mal und es klappt. Mir wird euphorisch gratuliert, als Preisgeld erhalte ich drei Supremacy-Dollar und ich bekomme – mit den Worten »Welcome to our Club!« – ein Tuch mit Augenlöchern an die Vorderseite des Hütchens geheftet. Unterdessen leuchtet das Kreuz unter Musikeinspielung flackernd auf. Und wieder kann ich es nicht fassen. Die KKK-Assoziation – ich habe sie nicht kommen sehen. Mir wird ganz flau im Magen und ich versuche, nur schnell weg zu kommen.

Station 4: Vor einer Säule ist eine digitale Spielstation eingerichtet. Über einen roten Knopf setzt man den Bildschirm und damit das Spiel in Gang. Man benötigt zur Navigation ein kleines Polizeiauto, das schnell auf und ab bewegt werden soll. Tut man dies, wird auf dem Screen ein schwarzer, auf einer weißen Matte liegender Avatar durchgeschüttelt, es spritzt sogar Blut, wenn der herumwirbelnde Körper besonders hart auftritt – »Rough Ride« ist der Name der Station. Schockartig lege ich das Spielzeugauto beiseite und mache erst mal eine Pause. Für eine Weile verlege ich mich auf das Beobachten anderer. Ich schaue zu, wie vor einer Wand mit dem Graffiti-Schriftzug »Selfies with Homies« zwei weiß markierte Zuschauer*innen sich mit einem Schwarzen Performer in Lederjacke, rotem Hoodie und dicker Silberkette (William Delaney) ablichten lassen, während der Fotograf (Dexter McKinney) mit der Aufforderung »more gangsta!« zu einem stärkeren, klischierten Gangster-Habitus animiert. Mit einem Mal geht die Beleuchtung im Saal aus, alle weißen Performer*innen verharren in einem Freeze-Modus; die Schwarzen Angestellten formieren sich im Kreis: »Da Soup, da Soup, like a dumplin in a soup. / Soaked and smothered and stuck to da bottom«245 Diese Zeilen singen sie alle gemeinsam und bewegen sich dabei langsam schreitend im Rhythmus durch den Raum. Die Szene hat etwas Düsteres und Surreales. Ebenso plötzlich wie sie kam, endet sie und die Stille wird wieder vom Rauschen des Themenpark-Getümmels abgelöst.

Station 5: Ich stehe vor einer Station mit dem Titel »Flip Flop Race Ride« an. Es ist eine Art Container, der vorn durch einen milchigen Plastikvorhang die Sicht verschließt. Nach Betreten des Raums stehe ich einem weißen Performer/Angestellten, der auch die Uniform trägt, aber im Gegensatz zu seinen PoC-Kolleg*innen einen Namen auf seinem Namensschild zu stehen hat, gegenüber. Er bittet mich, vor ihm Platz zu nehmen, und fragt mich nach meinem Geschlecht. »You identify yourself as …?« Wie auch schon am Einlass gebe ich meiner Selbstbezeichnung entsprechend »female« an. Ich werde eingeladen, mich auf einen Stuhl zu setzen und zu entspannen. Kopfhörer werden mir aufgesetzt und ich realisiere, wie mich der Performer sanft am Nacken und oberen Rücken zu massieren beginnt. Eine von mir als weiblich gelesene Stimme begrüßt mich. Sie heiße Alice und sei »black«. Sie berichtet davon, wie es ihr immer wieder widerfahre, in der Öffentlichkeit entweder rassistisch beleidigt, offen angefeindet oder zum Opfer sexueller Belästigung zu werden. Wenngleich ich mir ihre Situation vorstellen kann, gelingt es mir nicht so recht, mich in ihre Position einzufühlen. Wie auch? Ich habe Diskriminierung aufgrund von race in meinem Leben noch nie auf diese Weise erleben müssen. Zudem empfinde ich es situativ als völlig unangemessen, von einem unbekannten Mann sanft massiert zu werden, während ich mit Alices Lebenswelt konfrontiert werde. Kein Flip-Flop, nein, sondern zwei völlig verschiedene Welten klaffen hier aus- und prallen zugleich aufeinander.

Kaum komme ich wie benommen aus dem Container zurück in das Themenpark-Tohuwabohu stürzt die weiße »Fragility Nurse«-Performerin auf mich zu und lotst mich in eine etwas ruhigere Ecke abseits der Stationen. Wieder bekomme ich Kopfhörer aufgesetzt und klassische Musik ertönt als Intro. Dann beginnt eine von mir als männlich gelesene Stimme mit den Worten »You are white and you reign supreme. We invite you to relax and embrace all that is white and good to you.« Die Fragility Nurse macht dabei sanfte Bewegungen, Gesten des ›calming down‹ und lächelt mir dabei bestärkend zu. »Privilege is of course another fake news fantasy. I am sure that you, like all white people have worked hard for what you have. […] We are the default race and it is OK to be colorblind but for the time you are here we invite you to see color. See whiteness and all beauty of this. Remember white is the presence of all colors and black, the absence.«

Ich verlege mich nun erst mal wieder auf das Beobachten anderer und nehme auf den Bänken in der Mitte des Themenparks Platz, mache mir ein paar Notizen. Kurz darauf beginnt eine Szene, die sich an ein größeres Publikum richtet. Einer der Performer aus der Coon-Dance-Station (Khiry Walker) tritt in ikonischem Jim-Crow-Kostüm auf die kleine Bühne. Er trägt eine Stoffhose, eine Weste, eine große blaue Schleife um den Hals sowie ein beigefarbenes Jackett und einen schwarzen Zylinder. Während sich das Publikum kreisförmig um ihn sammelt, beginnt er relativ unvermittelt, N-Witze zu erzählen. Nach jeder Auflösung wird ein Tusch vom Band eingespielt, welches von Dosengelächter und seinem eigenen, theatral überzogenen Lachen begleitet wird. Nach dem Vortrag von etwa acht bis zehn übler, rassistischer Witze, bei denen er hin und wieder das Mikrofon einem*einer Zuschauer*in für eine mögliche Antwort vor das Gesicht hält und für die er zwischendurch mit seinem Hut »Tip« erbittet, stößt ein weißer Zuschauer in kariertem Flanellhemd und Jeans dazu, um auch einen N-Witz zu erzählen. Es dauert etwas, bis ich realisiere, dass es sich bei ihm um einen Performer (Dylan Kammerer) handelt, der einen Fake-Zuschauer mimt. Die beiden duellieren sich im Verlauf in N-Witzen, bis »Mammy« (Vienna Carroll), eine Figur, die im zweiten Teil der Aufführung eine zentrale Rolle spielt, die beiden unterbricht.

Nach dieser Szene öffnet sich nun auch der hintere Bereich des Themenparks, der bislang noch mit einem übergroßen Vorhang mit Konföderiertenflaggen-Projektion verschlossen war. Und so beobachte ich, wie sich bei der Station »Wet and Wild« sogleich zwei Publikumstrauben sammeln. Je drei Besucher*innen pro Gruppe bekommen Plastik-Wasserpistolen ausgehändigt. Es gilt nun, auf zwei Schwarze Performer/Angestellte bzw. auf die rote-weiße Papp-Zielscheibe, die sie vor ihren Körpern halten, zu schießen. Sobald einer der beiden Performer*innen durch den Druck des Wasserstrahls an die Wand gepresst wird, siegt das Team. Während die Gäste loslegen, die Spielpistolen auf die beiden Performer*innen zu richten, um sie mit Wasser zu bespritzen, laufen hinter den beiden farblich verfremdete Videobilder ab, die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen dokumentieren. Als Preis erhält das Siegerteam blaue Abzeichen. Die Zuschauer*innen freuen sich und ich frage mich, ob ich das Ganze zu ernst nehme. Ist es legitim, dass sie sich unterhalten lassen und über ihren Sieg freuen?246

Der Themenpark-Teil endet mit zwei verschiedenen Szenen; die eine ist nur für die weiß markierten, die andere entsprechend nur für die schwarz markierten Zuschauer*innen vorgesehen. Erstere bleiben im Raum und treffen auf den Leiter des Parks, »The General«, gespielt von dem weißen, älteren Performer Ken Straus, der die Zuschauer*innen schmierig und selbstgefällig mit den Worten »Wow! I am glad to see so many beautiful people of the white race here today« begrüßt. Als Urgroßenkel eines ehemaligen weißen Plantagen- und Sklavenbesitzers erinnert er sich nostalgisch an jene »proud moments«, wenn bei einer Auktion ein besonders guter Sklave erworben werden konnte. Dabei führt er den Zuschauer*innen den Schwarzen Angestellten Washington (Lionel Macauley) vor, als sei er sein Besitz. Er betatscht ihn grob und fordert ihn auf, für uns – bei sich drehender Diskokugel und Popmusik – einen Lap Dance aufzuführen. Washington tut, wie ihm befohlen wurde, und ich kann kaum mehr hinsehen, so schnürt sich mir vor Wut die Kehle zu.247 Zu dem Klang von Lee Greenwoods »God Bless The USA« werden wir dann gemeinsam zum Cabaret im hinteren Teil und damit zum zweiten Aufführungsteil geführt.248

3/Fifths verdichtet im fiktionalen Themenpark mit dem sprechenden Titel SupremacyLand einen großen Teil der US-amerikanischen Geschichte und Gegenwart von struktureller Gewalt gegenüber Schwarzen Menschen. Die Referenzen reichen zurück bis zur Middle Passage, jener gewaltvollen Deportation von Millionen von Menschen aus Ländern des afrikanischen Kontinents, welche im 17. Jahrhundert begann und bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts andauerte. Auf den Zuckerplantagen der europäischen Kolonialmächte in Südamerika oder auf den karibischen Inseln wurden sie als Arbeitskräfte eingesetzt und ausgebeutet. Nach dem Verbot des Sklavenhandels zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Millionen von Sklav*innen von den karibischen Inseln in die amerikanischen Südstaaten verbracht, um dort auf Baumwollplantagen zu arbeiten. 3/Fifths rekurriert mit der Thematisierung des Ku-Klux-Klans (»Aryan Hammer«), der Lynchjustiz (»Noose-Making«) und den Jim-Crow-Gesetzen (»Wheel of Fortune«249) dann vor allem auf die Zeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg und spannt den Bogen über das Unterhaltungsformat der Minstrel-Shows (»Coon Dance«) und auch jenes des Themenparks selbst vom ausgehenden 19. Jahrhundert weiter ins 20. Jahrhundert, insbesondere in die Zeit nach der Bürgerrechtsbewegung. Mit der Thematisierung von Polizeigewalt und Racial Profiling (»Rough Ride«, »Crime Scene«, »Wet and Wild«), Masseninhaftierung (»The Incarcerated Man«250), Alltagsrassismus (»Flip Flop Race Ride«) und dem Aufkommen des Trumpismus (»Alt Facts Booth«) führt der historische Bogen bis zur aktuellen Gegenwart. Die Anordnung der Stationen in einem Kreis kann so auch als Zeichen für eine zyklische Struktur verstanden werden, wonach Rassismus und strukturelle Gewalt gegenüber als Schwarz gelesenen Menschen in den USA nie zu einem Ende kommen könne, sondern sich – wenn auch in je anderem, vermeintlich neuem Gewand politisch gewollt – fortsetze. Auf diese Weise stellt sich der fiktive Themenpark als modellhaft zugespitzter Mikrokosmos dar, der in den USA existierende Strukturen rassistischer Diskriminierung en miniature abbildet und innerdiegetisch reproduziert.

Um das Verhältnis von Mikrokosmos und Makrokosmos, das für die Publikumsinvolvierung in 3/Fifths von Gewicht ist, besser zu verstehen, bietet es sich an, sich vor Augen zu führen, welche spezifische kulturelle Form Scruggs und Woodard sich für ihre theatrale Wirklichkeitssimulation von SupremacyLand aneignen, nämlich die des Themen- und Vergnügungsparks. Abgesehen davon, dass gerade auch der transdisziplinäre Immersionsdiskurs immer wieder mit der kulturellen Einrichtung des Themen- und Vergnügungsparks verknüpft wird251, besteht die Besonderheit dieser kulturellen Einrichtung darin, »nicht-ernste[ ] alltagsfremde[ ] Welten« (Schirrmeister, 2009, S. 228) zu installieren und diese als »sehr sichere, weil überwachte Welt« (ebd.) zu Unterhaltungszwecken einem Publikum zugänglich zu machen. Dabei sorgen narrative, szenografische wie inszenatorische Strategien des Worldings bzw. Themings (vgl. Steinkrüger, 2013, S. 43ff.) dafür, dass Besucher*innen von der Hyperrealität der Parks physisch, imaginär und emotional ein- und zugleich analog zu Biegers Las-Vegas-Beispiel (vgl. Kap. 1.2) von der Außenwelt des eigenen Alltags abgeschlossen werden. Zu den populärsten Themen- und Vergnügungsparks der Gegenwart gehören sicherlich die Resorts des US-amerikanischen Disney-Konzerns.

Der 1955 eröffnete, erste Themenpark des Disney-Imperiums, das Disneyland Resort im US-amerikanischen Anaheim, ist in fünf Länder aufgeteilt. Der Anker- und Startpunkt bildet die Main Street USA, die eine ›typische‹ Kleinstadt im mittleren Westen im 20. Jahrhundert repräsentiert und nach Vorbild von Walt Disneys Heimatstadt Marceline in Missouri aufgebaut wurde (vgl. Robson, 2019, S. 29f.). Von dort strömen die Besucher*innen in alle Richtungen, in die verschiedenen Länder mit ihren je verschieden erzählten, historischen Zeiten aus. Frontierland repräsentiert einen stereotypen Mikrokosmos des amerikanischen ›Wilden‹ Westens, Fantasyland richtet sich vor allem an Kinder und nimmt Disney-Filmwelten wie z. B. die von Alice in Wonderland auf, Tomorrowland widmet sich als Mainstream-Sci-Fi-Welt vor allem dem All und der Raumfahrt und Adventureland versetzt seine Besucher*innen in die exotisierte Dschungelwelt von Disney-Figuren wie Indiana Jones und Tarzan.252

Während die Welt außerhalb des Parks in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung immer unübersichtlicher und komplexer wird, finden Besucher*innen im Themenpark eine geordnete, überschaubare Welt, deren Narrative sich von der eigentlichen Realität ab- und den fiktiven Welten des Disney-Universums zuwenden. Den Rezeptionsmodus dieser hyperrealen Mikrokosmen bezeichnet der Sozialwissenschaftler Aldo Legnaro als »Erlebnisarbeit« (Legnaro, 2000, S. 293), die zugleich eine Form der Subjektivierung darstelle. Denn Besucher*innen würden eingelassen in »Perspektiven und Anschauungen, die […] nicht nur weiß [seien], sie s[eien] auch männlich und kleinfamilienorientiert, und Erwachsene k[äm]en […] nur als Eltern vor« (ebd., S. 306). Es handele sich bei Disneyland-Themenparks um »Weltbetrachtungsmaschine[n]« (ebd., S. 301) für eine weiße Mehrheitsgesellschaft. Letztere würde durch die Erlebnisse hinsichtlich der hegemonialen Erzählung eines Amerikas, das für Grenzenlosigkeit, Freiheit und Abenteuer steht, bekräftigt. Dabei werden freilich all jene geschichtlichen Verwerfungen wie die Sklaverei, die Vertreibung indigener Bevölkerungsgruppen sowie eine auf Segregation basierende Politik systematisch ausgespart. Im Disney-Themenpark fänden sich Besucher*innen in einer »bereinigte[n] Welt« (Schirrmeister, 2009, S. 228) wieder, wo jede*r wieder zum Kind werden könne und alles seine Ordnung und jede*r seinen Platz habe (vgl. Legnaro 2000, S. 288). Und dieser Ordnung ist auch eine racial order eingeschrieben, insofern der Besuch dieser Themenpark-Welten eine privilegierte weiße Weltsicht bestätigen und reproduzieren soll.

Scruggs und Woodard adaptieren die weiße Institution eines Themen- und Vergnügungsparks sowie seine Funktion zielgruppenspezifischer Unterhaltung, um nicht nur auf die Konstruktion und Fabrikation einer solchen abgeschlossenen Weltversion zu kommerziellen Zwecken aufmerksam zu machen, sondern auch, um zu zeigen, für wen und wessen Weltsicht diese »Weltbetrachtungsmaschine« zuvorderst eingerichtet ist. Ihrem theatralen Worldbuilding liegt die Idee zweier zwar miteinander verflochtenen, aber doch strukturell getrennten racial worlds zugrunde, womit sie sich eine in den US-amerikanischen Mainstream-Medien gleichfalls gängige Strategie weißer Welterzeugung aneignen.253

Die Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Schirrmeister weist überdies darauf hin, dass sich Vergnügungs- und Themenparks aus der »Kirmes mit ihre[r] Aufregung und Angstlust erzeugenden Fahrgeschäften und dem Gefallen an der Betrachtung des Fremden und Exotischen« (Schirrmeister, 2009, S. 231) heraus entwickelt haben. Fest installierte Vergnügungsparks wie der Wiener Prater reichen bis ins ausgehende 18. Jahrhundert, das Tivoli in Kopenhagen, Coney Island in New York und der Lunapark in Berlin bis ins 19. Jahrhundert zurück. Zeitlich markieren sie damit die enge historisch-genealogische Verzahnung von Vergnügungsparks und Weltausstellungen, von Imperialismus und Kolonialismus sowie von Rassismus und Kapitalismus.254

Auf ebendiese Verflechtung rekurriert auch SupremacyLand. Zuschauer*innen werden zu fiktionalisierten, zahlenden Gästen eines Unternehmens der (weißen) Kultur- und Unterhaltungsbranche, welchem innerdiegetisch ein offen rassistischer »alter weißer Mann« vorsteht, der sich monetär bereichert, indem er Schwarze Angestellte über gamifizierte Attraktionsstände das Publikum ›bespaßen‹ lässt. Innerdiegetisch basiert der Reichtum des Generals auf der Ausbeutung seiner Angestellten.255 Dabei wirbt der Park u. a. über die Screens, die zwischen den Stationen verteilt sind, für seine besonderen Attraktionen wie die »BDSM Booth«. Diese Station, die ich aus Zeitgründen nicht mehr besuchen konnte, setzt sich aus vier kleinen Räumen zusammen. Nur wer die ersten drei Räume durchschritten hat, dem stand im letzten Raum die Attraktion »Hottentot Petting Zoo« bevor. Dort trifft der Gast auf eine Schwarze Angestellte mit Afroperücke und Bademantel. Darunter trägt sie Brust-, Po- und eine Penisattrappe. In einem intimen One-on-One lädt sie den Gast ein: »[E]xplore them all … for a tip […] I am here for you« (Skript, S. 31). Diese Station rekurriert auf die historische Khoi Sarah Baartman, die 1810 nach Großbritannien verbracht wurde, um dort u. a. aufgrund ihrer anatomischen Besonderheit eines hervorstehenden Gesäßes als sogenannte »Hottentotten Venus« im Rahmen von kolonialen Weltausstellungen vornehmlich weißem Publikum präsentiert zu werden (vgl. u. a. Fauvelle-Aymar, 2002, S. 111 – 117). Diese historisch verbürgte, koloniale Praxis, ›andere‹ zu exotisieren, zu fetischisieren und als ›Spektakel‹ der Schaulust ihrer (weißen) Betrachter*innen anheimzugeben, die zur Geschichte des Themen- und Vergnügungsparks als kultureller Einrichtung gehört, eignet sich SupremacyLand innerdiegetisch an und schreibt sich damit in die rassistische Geschichte der Konstruktion und Repräsentation des ›Anderen‹ als »freak« oder »living curiosity« (vgl. Kasson, 1978, S. 50ff.) oder als bestimmtes Stereotyp (Hottentot Venus) ein.

Der Kulturtheoretiker Stuart Hall hat in seinem Aufsatz »Das Spektakel der Anderen« das Repertoire eines »rassisierte[n] Regime[s] der Repräsentation«, welches aus der Zeit der Sklaverei stamme und bis in die Gegenwart fortwirke, analysiert. Er unterscheidet mindestens fünf zentrale Stereotype, die eine bestimmte Projektion auf den ›Anderen‹ verdichten: die Entertainer namens »Coons«, die bediensteten, beleibten »Mommies«, die überpotenten »Bad Bucks«, der gütig ergebene »Onkel Tom« und die »sexy Mulattin« (vgl. Hall, 2004, S. 134f.). Drei von ihnen kommen auch in 3/Fifths vor – der Coon-Dancer, »Mammy«, die die beiden Witz-Duellanten trennt, sowie der Gangster-Rapper. Der fiktive Themenpark SupremacyLand operiert innerdiegetisch mit den gleichen Repräsentationspraktiken wie seine historischen Vorläufer die Minstrel-Shows, koloniale Menschenausstellungen oder weiße Themen- und Vergnügungsparks, welche an der Konstruktion und Kontinuität der bis heute wirksamen race relations in den USA maßgeblich mitgewirkt haben.

Bei den Minstrel-Shows handelt es sich um eine Form der ›Unterhaltung‹, die am Ende des 19. Jahrhunderts vornehmlich im Norden der USA aufkam. Dabei traten weiße Schauspieler*innen mit rußgeschwärzten Gesichtern (blackfaced) zur Belustigung des vornehmlich weißen Arbeiter*innen-Publikums auf und schufen dabei ein Inventar klischierter Schwarzer Figuren, so u. a. die des »Jim Crow« als naivlachende Frohnatur (vgl. Sprenger, 2005, S. 49ff.), die in 3/Fifths gleichfalls (wieder-)aufgenommen wird. Nach dem Bürgerkrieg performten auch afroamerikanische Darsteller*innen die Minstrel-Rollen – und wurden dabei insbesondere von einem Schwarzen Publikum im Modus der Überaffirmation gelesen und als Klischee genossen (vgl. ebd., S. 66). Saidiya Hartman zufolge reproduzieren Minstrel-Shows die Gewalt von black subjection (vgl. Hartman, 1997, S. 29), insofern der Schwarze Körper als ein grotesker, infantilisierter oder animalisierter Körper begleitet von Publikumslachen dem »Terror der Unterhaltung« bzw. aus einer weißen Perspektive dem perfiden »Vergnügen jenes Terrors« ausgesetzt werde (vgl. ebd., S. 32). In 3/Fifths, genauer in der N-Witz-Sequenz, wird das Dosengelächter benutzt, um Konsens und Gruppenzugehörigkeit einer einheitlichen Zuschauer*innen-Gemeinschaft im Geist der Weißen Suprematie vorzutäuschen. Dass Supremacy Land innerdiegetisch diese Verfahren zitiert und reproduziert, kann auf einer Metaebene darauf verweisen, wie Kunst- und Kultureinrichtungen an Prozessen rassistischen race-makings bis heute systemisch Anteil haben (vgl. Kondo, 2018).256

Aufgrund der Tatsache, dass der im doppelten Sinne rote Faden von SupremacyLand die rassistische Vormachtstellung von weiß gegenüber schwarz markierten Menschen darstellt, öffnen sich im miteinander geteilten Erfahrungsraum der Aufführung für Zuschauer*innen gewissermaßen noch einmal zwei verschiedene Erfahrungsund Empfindungsräume. So machen schwarz markierte Zuschauer*innen in 3/Fifths z. B. gleich zu Beginn die Erfahrung, dass sich ihnen die Figur des »ol’ Angry N*« (William Delaney) in den Weg stellt, ihre Körper damit stoppt und davon abhält, zu wählen, wohin sie als Erstes gehen möchten. Beim »Aryan Hammer« erhalten schwarz markierte Gäste für ihren Spielversuch lediglich einen Miniaturhammer ausgehändigt, mit dem ihnen der Sieg und damit auch der Gewinn systematisch verwehrt wird.257 Da einige Stationen eine Teilnahme nur gegen einen Spieleinsatz von ein bis drei SupremacyDollar ermöglichen, ist zudem vorgegeben, dass schwarz markierte Zuschauer*innen nicht alle Stationen werden miterleben können. So ist ihre Chance, zusätzliche Dollars zu gewinnen, von Beginn an minimiert. Und wenn sie mit der SupremacyLand-Währung hantieren, haben sie einen Papierschein in der Hand, auf dessen Vorderseite das Gesicht des Generals und auf der Rückseite ein Bild einer Gruppe Schwarzer, auf einer Plantage arbeitender Männer abgebildet ist. Melden sich schwarz markierte Zuschauer*innen freiwillig für die Demonstrationsszene bei der »NooseMaking«-Station finden sie sich am Ende mit einem Strick, der ihnen um den Hals gehängt wird, wieder. Auf den Screens erscheint immer wieder – abwechselnd zu Aufnahmen des Generals – ein innerdiegetischer Werbetrailer für SupremacyLand, der einen Schwarzen nackten Mann auf dem Times Square zeigt, der der Waffengewalt weißer Polizisten hilflos ausgesetzt ist. Und anstelle der »Fragility Nurse« ist für sie eine Vertrauensperson des »Anger Management Squads« im Raum zugegen, die ihnen über Kopfhörer den Song »Don’t Worry, Be Happy« von Bobby McFerrin zuspielt. Whiteness fungiert in der Welt von SupremacyLand als ein Handlungsoptionen festlegender »Ein- und Ausschlussmechanismus« (Röggla, 2021, S. 69), welcher je nach Markierung am eigenen Leib miterlebt wird.

3/Fifths öffnet innerhalb des theatralen Erfahrungsgeschehens auch insofern zwei verschiedene Empfindungsräume, als dass bei Zuschauer*innen auch jenseits ihrer für die Aufführung gewählten Markierung Prozesse des (Wieder-)Erkennens, Dekodierens und Einordnens bestimmter Zeichen, Symbole, Rhetoriken und/oder stereotypen Darstellungen je nach eigenen race-bezogenen Lebenserfahrungen mit je unterschiedlichen Emotionen und Affekten verknüpft sind. Was sich z. B. mit dem Symbol der Konföderiertenflagge für Anhänger*innen der Aryan Nations oder ihnen nahestehenden Personen emotional verbindet, steht vermutlich in radikalem Kontrast zu den Empfindungen, die diese bei in den USA lebenden, von institutionellem Alltagsrassismus betroffenen People of Color auslösen können (vgl. Ahmed, 2004, S. 130). Die Involvierung der Zuschauer*innen durch das Dekodieren von Zeichen wie dem Miniaturgalgen, Stereotypen wie dem Coon-Dancer oder der N-Witze erzählenden Jim-Crow-Personifizierung sowie den historischen Referenzen auf die Middle Passageproduziert über die Diegese und das Rassismus-Theming nicht nur bestimmte Bedeutungen, sondern auch konkrete viszerale Empfindungen und Emotionen, die nicht mehr den Themenpark, sondern das eigene außertheatrale In-der-Welt-Sein der Zuschauer*innen vor dem Hintergrund ihrer biografischen Erfahrungen mit race betreffen. Alle Zeichen, Symbole, Rhetoriken, Darstellungs-, Handlungs- und Beziehungsweisen, die in diesem Themenpark zirkulieren, machen den Aufführungsraum zu einem von racial affects durchsetzten Erfahrungs- und Empfindungsraum (vgl. Kondo, 2018, S. 15), der das Risiko birgt, einzelne Zuschauer*innen mit traumatischen Erfahrungen und Erinnerungen zu konfrontieren. »It’s a safe place, as long as you’re white« (Collins-Hughes, 2017), so fasst es die Theaterkritikerin Laura Collins-Hughes in ihrer Besprechung von 3/Fifthszusammen.258

Einer der wenigen afroamerikanischen Rezensenten der Produktion beschreibt, wie er bereits während der Willkommensrede erwogen habe, die Performanceinstallation unverzüglich wieder zu verlassen (vgl. Rodney, 2017). Zudem verwendet Seph Rodney mehrfach die metaphorische Analogie eines Messerschnitts, um seine Aufführungserfahrungen von einer viszeralen Ebene auf eine verbalisierte zu übertragen:

Some people clearly identified as they chose, not as they are; I saw some black lines on very light-toned skin. Something about this felt like the insertion of a knife between the ribs: I identified myself and was thus encouraged to see the degradation that was to follow […]. Those jokes [within the scene of Jim Crow and Ronald Adams telling N*-Jokes to the audience] felt like a bloodletting, like a bevy of long knives inserted into every audience member. It’s as if […] the word «n[*]» is the only thing strong and sharp enough to pierce the swollen skin and let the pus flow out (Rodney, 2017, Hervorhebungen TS).

Die Ausführungen Rodneys zeigen, inwieweit rassistische Diskurse, Zeichen, Begriffe und Repräsentationsregime Menschen Schmerz zufügen können. Die Teilnahme an der N-Witz-Sequenz analogisiert er mit der Erfahrung zahlreicher Messerschnitte oder eines Aderlasses. Sie erzeugt körperlichen Schmerz, Wut (darüber, dass der Begriff überhaupt Verwendung finden muss) und Beklemmung. Mit den Worten Grada Kilombas hat die Verwendung des N-Wortes in der Erfahrungswelt Schwarzer, von Rassismus betroffener Menschen nicht selten den Effekt, dass sie sich plötzlich mit einer kolonialen Szene konfrontiert sähen, welche die Herrschaftsdynamik von master und slave wieder aufleben lasse (vgl. Kilomba, 2010, S. 95) und auf diese Weise die Gegenwart mit der kolonialen Vergangenheit über die viszerale Produktion von Schmerz verknüpfe. James Scruggs scheint ebendies mit seiner Arbeit beabsichtigt zu haben, wenn er darlegt: »I hope that black audience members will confront the smorgasbord of atrocities perpetrated against us so that they will viscerally ›know‹, in an effort to then ›always remember and never forget‹ so as not to have history repeat« (Scruggs/Teplitzky, 2016).

Neben Rezensent Seph Rodney beklagt auch Zachery Small das Fehlen einer Vision bezüglich der Frage, welche Formen von Wiedergutmachung, monetären Reparationen (vgl. Small, 2017), ja, welche »chances of recovery« (Rodney, 2017) für People of Color denkbar wären bzw. sich aus dem Aufführungsbesuch ergeben könnten. Im Nachhinein frage ich mich, ob für die meisten Zuschauer*innen of Color die viszeralen Erfahrungen, die sie als Aufführungsbesuchende machen, nicht lediglich schmerzhaft jene Erfahrungen in verdichteter Form wiederholen, die sie im Alltag auch erleben müssen oder mussten. Ich frage mich, ob hier nicht der Terror der black subjection, von dem Hartman spricht, im theatralen Modus der Wirklichkeitssimulation reproduziert und fortgeschrieben wurde.259

Diese Perspektive drängt sich auf, wenn man noch einmal die von mir im Erinnerungsprotokoll beschriebene Szene an der »Wet and Wild«-Station rekapituliert. An dieser zeigt sich, dass das Aufführungsdispositiv zulässt, dass teilnehmende Gäste Attraktionen im fiktiven Setting auch einfach nur spielerisch genießen können, dass sie mit entsprechenden mit-wirkenden affektiven Dispositionen in situ derart in ihr spielerisches und/oder wettbewerbsorientiertes Tun verwickelt werden können, dass dadurch das eigentliche Thema – die Gewalt der Weißen Suprematie und Rassismus – aus dem Blick gerät. Ich konnte beobachten, wie sich die teilnehmenden Zuschauer*innen unabhängig von ihrer Stirnmarkierung an ihrem Sieg und Gewinn erfreut haben. Sie waren situativ so eingenommen von ihrem spielerischen Tun, dass sie den Akt der Vereinnahmung, der sich in dieser Situation auf der Bedeutungsebene der Wirklichkeitssimulation abspielte, gar nicht realisiert zu haben scheinen. Zumindest lässt ihre Reaktion diesen Schluss zu. Wie wäre sonst zu erklären, dass sie an einer Situation Freude haben, in der sie im Modus einer gamifizierten Analogie weiße Polizeigewalt gegenüber unbewaffneten Men of Color reenacten? In diesem Fall bekommt die vereinnehmende Dimension noch einmal eine ganz eigene Schlagkraft. Als Teilnehmer*innen performen sie innerfiktional, auf der Ebene des Themenparkbesuchs, ein Selbst und Weltverhältnis, welches Zeugnis über ihre außertheatralen race relations innerhalb eines Spektrums Weißer Suprematie ablegt. Denn die Bedeutungsebene des Nicht-Sehens, in die diese Station eingelassen ist, führt auf der Ebene der Wirklichkeitssimulation vor, was Layla F. Saad mit Rekurs auf Peggy McIntosh als white privilege bezeichnet (vgl. Saad, 2020, S. 69ff.): Dass als weiß gelesene Menschen innerhalb der Struktur des Weiß-Seins mit Privilegien im Sinne bestimmter, unverdienter Vorteile ausgestattet sind, die ausschließlich aufgrund des Weiß-Seins gewährt werden und für eine gewisse (weiße) Blindheit für Belange von race mitverantwortlich sind.

245 Dem Skript von 3/Fifths zufolge handelt es sich hierbei um einen alten »Prison Song«.

246 Auch der Theaterkritiker David Barbour beschreibt in seiner Rezension von 3/Fifths vergnügte Zuschauer*innen, »those who regarded it as a lighthearted charade happily joining« (Barbour, 2017).

247 Parallel zu dieser Szene findet sich das schwarz markierte Publikum im Flur der Begrüßungsszene wieder, welcher nun via Videoprojektion und Lichtarrangement in das Innere eines Sklavenschiffes verwandelt wurde und damit unmittelbar Bezug auf die transatlantische Middle Passage nimmt. Eine Performerin of Color auf Stelzen und in blauem Kleid (»Mami Wata«, performt von Marie Donna Davis) führt die Zuschauer*innen-Gruppe und die innerdiegetischen Angestellten von gemeinsamem Gesang begleitet mit den Worten »The Sea … the Sea … the Sea brought us here. / The sea will bring us home« langsam durch den Gang. Da ich diesen Teil selbst nicht miterlebt habe, rekurriere ich mit dieser Beschreibung auf das Skript sowie den mir vorliegenden Mitschnitt von 3/Fifths, welcher beide Szenen inkludiert.

248 Aus meinen Erinnerungsprotokoll der Sichtung von 3/Fifths – SupremacyLand am 5.5.2017 in New York; nachträglich ergänzt um Zitate aus dem Skript.

249 Bei dieser Station nehmen Besucher*innen mit einem Einsatz von einem Supremacy-Dollar teil. Das »Wheel of Fortune« wird von einer Angestellten (Natalie Chapman) in Gang gesetzt und kommt dann bei je verschiedenen Jahreszahlen zwischen 1865 und 1960, also jenen fast einhundert Jahren, in denen die Jim-Crow-Gesetze in den USA galten, zum Stehen. Bei meinem Besuch wurde mir und meinem weiß markierten Mitspieler zum Jahr 1930 die Frage gestellt, wofür Schwarze damals gelyncht wurden: Die Antwortoptionen waren a) Steine schmeißen, b) falsche Partei wählen, (an c erinnere ich mich leider nicht mehr) und d) für alle genannten Aspekte. Beide wählen wir die letzte Antwortmöglichkeit und gewinnen für die richtige Antwort jede*r zehn Supremacy-Dollar.

250 »The Incarcerated Man« zeigt einen afroamerikanischen Performancekünstler im Format einer durational performance im äußeren Schaufenster des Veranstaltungsgebäudes als Häftling in einer Zelle. Ein Aufsteller mit den Worten »See what 989.000 black men are doing right now« auf der einen und »See a black man in his natural habitat« auf der anderen Seite kommentiert das Arrangement. Mit der eigenständigen Schaufenster-Performance, die unabhängig von der Aufführung stattfindet und damit vor allem auch zufällige Passant*innen ansprechen soll, wird über stellvertretende Sichtbarkeit versucht, der New Yorker Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu rufen, dass in den USA, dem Land mit der höchsten Anzahl an Gefängnisinsass*innen weltweit, 2014 – infolge einer Jahrzehnte andauernden Politik der Massenverhaftungen im Kontext eines »Kriegs gegen die Drogen« – insgesamt 2,3 Millionen Schwarze Amerikaner*innen Haftstrafen abbüßten. Michelle Alexander spricht in diesem Zusammenhang von der Herausbildung eines neuen »Kastensystems«, das sie »The New Jim Crow« nennt, vgl. Alexander, 2016.

251 So bindet z. B. Constance Balides die filmische movie ride-Ästhetik an Attraktionen in Themen- und Vergnügungsparks zurück, Immersionsapparaturen wie Hale’s Tours fanden ebendort ihren historischen Einsatzpunkt (vgl. Kap. 1.2) und etliche Film- und Serienbeispiele, die thematisch unter dem Aspekt der Immersion verhandelt werden, spielen mit dem Topos des Themenoder Vergnügungsparks (oder ihrer Simulation), so. z. B. Woody Allens A Purple Rose of Cairo (USA 1985), Robert Stevensons Verfilmung von Mary Poppins (USA 1964) – oder aktuell die Serie Westworld (USA 2016 –) wie auch die Folge San Junipero der dritten Staffel von Black Mirror (GB 2016).

252 Die Beschreibungen sind u. a. Steinkrüger, 2013, S. 256 – 265 entlehnt, da ich selbst nie vor Ort war.

253 Siehe dazu anhand ausgewählter literarischer oder filmischer Beispiele aus den USA u. a. hooks, 2018 und Wilder, 2017.

254 In Zeiten des aufkommenden technisch-industriellen Fortschritts waren die ersten Weltausstellungen ab 1851 einerseits Industrieschau, andererseits immer auch Ausstellung von Exponaten aus den jeweiligen Kolonien der Gastgeberländer. So wurden 1873 auf der Weltausstellung in Wien indigene Bevölkerungsgruppen und Lebensformen Südosteuropas in nachgebauten Dörfern der weißen Besucher*innen zur Schau gestellt, vgl. Kretschmer, 1999, S. 91. Zeitgleich veranstaltete Carl Hagenbeck 1874 seine erste Völkerschau in Deutschland, bei der er eine Gruppe Lappländer*innen mit ihren Rentieren, Waffen und ihrem Hausrat ›ausstellte‹, vgl. Steinkrüger, 2013, S. 212. Der auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis integrierte Vergnügungspark The Pike präsentierte 200 menschliche »Exponate« verschiedenster »Rassen« als »barbarische« und »halbbarbarische« Völker der Welt in ihrer »natürlichen« Umgebung, um Ausstellungsbesucher*innen in einer Zeit vor der Einführung von Film und Fernsehen eine direkte Anschauung »fremder« Menschen und Gebräuche zu ermöglichen, vgl. Kretschmer, 1999, S. 162f. Welt- und Kolonialausstellungen hatten massiven Anteil an der machtvollen Implementierung rassistischer Ideologien in den westlichen Gesellschaften der Kolonialmächte.

255 Insbesondere der zweite Teil von 3/Fifths erzählt von den Arbeitsbedingungen im Themenpark. Hier erfahren wir, dass eine Gefängniswärterin nebenbei für den General arbeitet und Häftlinge wie Lyle (David Robert) als abhängige Arbeitskräfte anwirbt, deren berufliche Perspektivlosigkeit damit ausgenutzt wird.

256 Die Kulturanthropologin und Dramaturgin Dorinne Kondo geht in ihrer Studie Worldmaking. Race, Performance, and the Work of Creativity von der Hypothese aus, dass gerade die Institution Theater als »key cultural site« (Kondo, 2018, S. 6) für die Zirkulation und Stabilisierung hegemonialer Ideologien von race (insbesondere in den USA) in hohem Maße mitverantwortlich sei, vgl. ebd., S. 11.

257 Diese Ausführungen basieren auf den entsprechenden Vermerken im Skript von 3/Fifths.

258 Bei diesem Aufführungsbeispiel hätte sich eine polyperspektivische Betrachtung über Zuschauer*innen-Interviews besonders angeboten, eine solche war für mich 2017 aus verschiedenen Gründen allerdings nicht zu realisieren und ist nun ein Desiderat innerhalb meiner eigenen Forschung.

259 Da sich diese Zuschauer*innen-Perspektiven meinem eigenen Erfahrungshorizont entziehen und sie mir leider auch nachträglich über Gespräche nicht zugänglich wurden, muss diese Äußerung im fragenden Modus (m)einer Zuschreibung verharren, wird aber zumindest von den bereits zitierten Rezensent*innen-Stimmen gestützt.

 

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