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Erschienen in: Love Play Fight – Dein Neumarkt 2019-2025 (06/2025)

love play queer
Prosecco. Glitzer. Milchjugend. Tanzen. Monas Wohnzimmer. Gala-Dinner. Spenden. Seifenblasen. Catwalk. Nebelmaschine. Queer Year’s Eve. Lipsync for your life. YMCA. Gin Tonic. Der Kreis. Ernst Ostertag feiert 90. Geburtstag. Es SCHMAZt. Make-up. Heaven Drag Race. Party. Discokugel. Spotlight. Vorhang auf. Diversität. Heidi Grebe. Champagne in your face. Früher war mehr Lametta. Trans Security Emergency Fund. Androgyn. All the Sex. Coming Out. Rachel Harder. Bunt. Luftballons. Mehr Champagner. Vorhang zu. Spass haben. Zusammen. Burlesque. DJing bis zum Morgengrauen.
Das Neumarkt ist seit über 70 Jahren eine zentrale Anlauf- und Wirkungsstätte der queeren Szene in der Schweiz. Für uns als Produktionsleiter und Disponenten war es ein unbedingter Auftrag, diese Tradition fortzusetzen, demgemäss Sichtbarkeit zu schaffen und zu erhalten. Wir haben uns dafür eingesetzt, das Neumarkt als Safe Space für die Community weiter zu stärken und durch das Kuratieren und Organisieren von queeren Veranstaltungen zu beleben. Es ist eine Institution, in der sich generationenübergreifend queere Kultur etabliert hat – von der Milchjugend bis hin zu Projekten wie «All the Sex I’ve Ever Had», bei dem der Fokus auf die Lebensgeschichte queerer Senior:innen gerichtet ist. Wir sind fest davon überzeugt, dass das Neumarkt auch künftig als ein solch weltoffener Ort einen bedeutenden Platz in der Stadt Zürich und der Schweiz einnehmen wird.
Jörg Schwahlen und Christian Raschke waren als Produktionsleiter und Disponenten am Neumarkt auch Hauptverantwortliche für Zusammenarbeiten mit verschiedensten Akteur*innen der queeren Szene(n).
no more so
War es «Love Play Fight», das mich reizte, meine absolute Aufmerksamkeit auf dieses Kleinstinserat im «A-Bulletin» vom Sommer 2022 lenkte? Oder das nicht weit entfernte «All the Sex I’ve ever had»? Ich weiss es auch heute, zwei Jahre später, nicht wirklich. Entscheidend ist, dass ich den Mut hatte, mich bei Eneas zu melden. Ich, ohne jede Erfahrung mit Theater.
Es war ein unendlich grosser Druck, mit dem ich lebte, kurz vor meinem 68. Geburtstag. Ich spürte ultimativ, dass mein Leben so nicht mehr weiter gehen konnte, der Punkt «of no more so» war seit einiger Zeit überschritten.
Und so meldete ich mich gespannt, nervös und mit einem grossen Druck: Die müssen mich nehmen! Und das Neumarkt nahm mich. Ich, geboren als Bueb, wollte endlich eine Frau sein, als Frau leben können. Ich wusste es seit Jahrzehnten, weit über zehn Jahre steckte ich in einer Psychoanalyse, zwei Themen: meine unendlich tiefe Depression, meine unendlich grosse Gewissheit, endlich als Heidi leben zu können. Doch glaubte ich auch zu wissen, dass ich zuerst die Depression überwinden müsste, was 2021 gelang.
Diese Theaterproduktion hat mein Leben nicht einfach verändert, nein, ich lebe heute ein völlig neues Leben. Die Erarbeitung des Stücks zeigte mir eine Realität von Queerness und Möglichkeiten, diese zu leben, alles weit über mein Vorstellungsvermögen hinaus. Die zwölf Aufführungen waren schliesslich zwölf Abende der Bestätigung wie auch der Ermutigung, meinen Weg als Heidi jetzt wirklich zu wagen. Noch als alter, weisser Mann auf der Bühne.
Drei Wochen nach der letzten Aufführung ging ich mit zwei Freundinnen ins Stadthaus, seitdem bin ich eine Frau, Heidi. Bald schon sass ich im Wartezimmer eines Endokrinologen, um weibliche Hormone zu erhalten, kurz darauf in der ersten Trans-Sprechstunde im Universitätsspital Zürich. Mit dem psychiatrischen Gutachten konnte der Prozess der Transition relativ bald starten: Gespräche über die operative Angleichung, Logopädie, Trans-Gesprächsgruppen und so weiter. Im Dezember 2023 dann die Wiederaufnahme von «All the Sex I’ve ever had», ich diesmal als Frau, auch schon mit meinem neuen, selbstgewählten Nachnamen Grebe. Heute, im Dezember 2024, habe ich die operative Geschlechtsanpassung hinter mir und bin Stadtzürcherin geworden. Mit einer zu tiefen Stimme, weiterhin im Thurgauer Dialekt, etwas gar lang, mit zu grossen Füssen. Ich bin so glücklich und stolz darauf, eine trans Frau zu sein, gebe älteren trans Frauen Sichtbarkeit und bin gleichzeitig eine trans Aktivistin, eine Mutmacherin für viele, vor allem junge, suchende Menschen.
Heidi Grebe, Transaktivistin, Performende bei «All the Sex I’ve ever had», www.heidigrebe.ch
jenseits von monotonie und homogenität
Das Neumarkt ist für mich weit mehr als ein Theater: Als ich nach Zürich zog, war es der erste Ort, der sich heimelig anfühlte – ein Raum, in dem ich mich und meine Geschichten wiederfinden konnte. Es war ein Ort der Begegnung, an dem ich Menschen traf, die sich für dieselben Themen begeistern, und der mir die Möglichkeit bot, mich kreativ und diskursiv zu entfalten.
Mit «not_your_bubble» konnten wir diese Offenheit nutzen, um Formate wie das Transalpine Festival und die Reihe E wie Erinnern zu entwickeln und umzusetzen. Unter der Leitung von Tine Milz, Hayat Erdoğan und Julia Reichert wurde das Neumarkt zu einem Theater der pluralen Erinnerungsreferenzen – ein Raum, in dem Ambivalenzen und Ambiguitäten verhandelt werden können und in dem durch Kunst Dialog und Diskurs stattfanden. Hier können Menschen ihre Perspektive ändern und Neues entsteht – jenseits von Monotonie und Homogenität, immer mit dem Anspruch, einen Beitrag zur pluralen Stadtgesellschaft zu leisten.In den letzten sechs Jahren tanzten, lachten und diskutierten, liebten, spielten und kämpften wir – und als die weltpolitische Lage keinen Raum mehr zum Atmen liess und die Räume sich verengten, war es das Neumarkt, das die Menschen sogar in ihrer Trauer vereinte: United in grief.
Für Zürich steht das Neumarkt als Symbol dafür, wie essenziell es ist, Räume zu schaffen, in denen Vielfalt nicht nur toleriert, sondern gelebt wird, wo diskriminierungskritische Arbeit keine Floskel, sondern Praxis ist. Es zeigt, dass Kultur nicht nur unterhält, sondern hinterfragt, herausfordert und verbindet. Danke Tine, Hayat, Julia und alle wunderschönen Menschen, die dieses Haus ermöglichen, ich werde euch vermissen.
Hannan Salamat, Kulturwissenschaftlerin, Stiftung ZIID, Gründerin not_your_bubble
investigativ-journalismus und theater: be no stranger
Yasmine Motarjemi bleibt ruhig. Sie hat Missstände bei Nestlé öffentlich gemacht. Seit Jahren kämpft sie vor Gericht. Fehler kann sie sich nicht leisten. Elektra schreit. Sie fordert Gerechtigkeit.
In der Inszenierung «whistleblowerin/elektra» treffen die Whistleblowerin und die Opernfigur aufeinander. Vor der Kulisse des Genfer Sees, am Hauptsitz von Nestlé in Vevey. Gesungen von Mona Somm, wird Elektra zur Stimme des Widerstands. Sie sprechen. Sie kämpfen. Die Bühne wird zum Ort, an dem Machtmissbrauch, Verrat und Verantwortung verhandelt werden. Themen, die auch Investigativ-Reporter*innen prägen. Sie decken Korruption, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen auf – oft gegen ein übermächtiges System.
Auf der Hacks-and-Hackers-Konferenz «The Secret Club of Radical Transparency» berichteten Chelsea Manning, Journalist:innen und Hacker:innen von Überwachung und ihrer Entscheidung, sich dagegenzustellen. Einzelne, die es mit Ungerechtigkeiten, Machtmissbrauch und gezielter Desinformation aufnehmen.
Die Bühne zeigt, was sonst verborgen bleibt. Fehlverhalten wird sichtbar. Prozesse werden verhandelbar. Theater öffnet Räume, die dem Journalismus oft verschlossen bleiben. Es macht spürbar, was Berichte nur beschreiben können. Ein Report informiert. Ein Theaterstück bewegt. Theater und Journalismus teilen den Glauben, dass Wahrheiten Kraft haben. Sie verändern, berühren, fordern heraus. Und sie zeigen: Wahrhaftigkeit ist unbequem – aber nötig.
Sylke Gruhnwald, investigative Reporterin
das neue bleibt
Das Zürcher Niederdorf im pandemischen Winter. Wir sind zu Besuch, um weiter an unserem Podcast-Projekt zu arbeiten, das wenig zuvor in München an einem Couchtisch seinen Anfang nahm. Eiswürfel in Aperol Spritz-Gläsern und ein bellender Shiba-Inu hatten die Tonkulisse gebildet für ein erstes aufgenommenes Gespräch über Literatur mit der landauf, landab notorisch bekannten Jovana Reisinger. Und jetzt, jetzt war die Welt schon wieder so grau und abgeschlossen und man bekam nach Sonnenuntergang nirgendwo mehr was zu Essen in dieser Stadt, die uns bei unserem ersten Besuch so fremd und abweisend erschien.
Plottwist: Inzwischen sind wir dann doch ziemlich verschossen in diese kleine, aufgeräumte, beinahe surreal friedliche Bankenstadt an der herzallerliebsten Limmat. Und sind zu Stammgästen in den Badis am Zürisee geworden, ja, es ist wahr. Das alles wäre sicher nicht so gekommen, wenn uns das Theater Neumarkt damals nicht so herzlich in ihre kleine Theater-Großfamilie aufgenommen hätte. Wenn Tine vom Neumarkt nicht intuitiv darauf vertraut hätte, dass sie mit uns die richtigen Kompagnons für eine Literatursendung gefunden hat. Obwohl wir alle drei vorher nie moderiert hatten, oder vielleicht auch genau deshalb, wurde »Das Neue«, unser Poddi, dann für um die zwanzig aufgenommene Stunden (mit ungefähr genau so vielen Büchern) ein Experimentierlabor ohne Filter und mit viel Intimität, immer auf Augenhöhe, immer spaßig und irgendwie auch jedes Mal aufregend. Das brachte uns, die wir beide ja auch sonst sehr viel, aber eben auf andere Weisen, mit Text arbeiten, so Vieles, das wir seitdem mit uns tragen.
Wenn wir jetzt, auf diesem Blatt Papier, ans Theater Neumarkt, also an diesen gemütlichen, übersichtlichen, so warmen Raum denken, vor allem aber an die Menschen, die ihn mit ihrem Geist und ihrer Wärme in den letzten Jahren gefüllt haben, dann fühlt sich die Gegenwart immer sogleich ein wenig leichter an. Denn auch abseits unserer Podcast-Aufnahmen waren die Theaterabende, denen wir am Neumarkt beiwohnen durften immer das: popkulturell und intellektuell vielgestaltige, von mutigem Assoziieren lebende Räume, in und mit denen man stets eine gute Zeit hatte. Danke für euer Vertrauen, liebe Neumarkt-Mannschaft, liebes Zürich. Und: bis glii!
Zeynep Bozbay & Sascha Ehlert
geschichte passiert
Ich wurde ausgewählt, das schmeichelte mir. Das Haus hat Geschichte, steht und stand für engagiertes, politisches Theater, das über den Bühnenrand hinausgeht, aneckt, aufdeckt, entdeckt. Ein Theater in einem Zunfthaus. Stellung beziehen, Ungerechtigkeiten benennen. Manchmal sind mir die Stücke zu intellelo, mir fehlt das Komische, das Absurde. Die Ausschreibung sah ich per Zufall und meldete mich, weil – wieso nicht? Damit öffnete sich für mich ein neues Fenster in diese Stadt und ihre Geschichte, eines der schönsten und spannendsten, wie ich rückblickend finde.
Drei Frauen führten zusammen das Theater. Das gefiel mir sehr. Endlich. Das war längst fällig. Das Rundumteam auch. Le Dramaturge, die Maske, die Technik, die Assistent:innen, die Frau an der Bar wunderbar, die Kostüme, die Probebühne, das Licht, der Ton, das Putzteam. Der Herr Regisseur aus Belgien.
Wir haben «Protest 1980» zusammengeknotet, zusammengebracht, zusammengeschweisst. Nur sauber gekämmt sind wir wirklich frei und dem Klima geht es eben nicht prima. It’s war time. Wir waren eine attraktive Gruppe. Innen wie aussen. Wir hörten zu. Wir hielten Widerrede. Wir zeigten viel. Erzählenspielentanzensingen und sich auf die Themen Jugend-Protest-Widerstand-Ungehorsam einzulassen, war die gestellte Anforderung. Bewegte, re:claim the Streets, Klimastreik – ein drei Generationenprojekt. Wir haben gelernt. Von uns. Zeitenwende. Das gefiel mir. Es wurde gelacht, erinnert, geweint. Die 80er-Bewegung war oft, aber nicht immer, lustig. Und Erinnerungen gehen häufig andere Wege, als mensch glaubt. Geschönt, verteufelt, vergessen, alles ist möglich.
Jeden Tag Sitzungen: planen, organisieren, demonstrieren – Klimastreik, Herbst 2019. Die Bewegung erlebte gerade ihren Höhepunkt, nur wussten wir das damals noch nicht. Mit zwei von diesen Menschen jetzt Theater: proben, bewegen, anpassen. Geschichte in dem Moment verarbeiten, in dem sie passiert. Das war spannend. Und herausfordernd. Und auch irritierend.
Vieles war gut, vieles ist wichtig. Aber es bleibt auch etwas Schales zurück. Ein Quantum Magerquark ohne Vanillezucker oder Senf. Der Rückblick auf Zeiten des Widerstandes hinterlässt in dieser Geldstadt keine grossen Fussabdrücke. Das ist ja auch okay. Hätten wir bloss mehr Zeit … jänu. Was bleibt sind Begegnungen mit liebgewonnenen Menschen, die sich mir, einem aufsteigenden Vollmond gleich, regelmässig im Erinnerungszentrum melden. Das gefällt mir sehr. Nachhaltig.
Wir sind drei Generationen. Wir können uns nicht einfach hinfläzen, optimieren, yogen. Wir sind Teilhaber:innen an der Welt. Wir haben Verantwortungen. Wir haben Liebe und können Liebe.
Brigitta Javurek und Dario Vareni, AktivistInnen und Performende bei «Protest 1980»
fremde welt
Die Zusammenarbeit zwischen der Sekundarschule Lachenzelg und dem Theater Neumarkt hat für das Bildungsangebot Schulkultur Stadt Zürich einen exemplarischen Wert. Es ist dem Team des Theaters Neumarkt gelungen, sich in die Welt der Schule einzufügen und damit für die Schüler*innen einen Raum zu schaffen, in welchem sie in eine für sie fremde Welt eintauchen konnten. Dies bedeutete, dass die Schulleitung und die Lehrpersonen Vertrauen zu den Theaterschaffenden aufbauen mussten und auf dieser Grundlage Aussergewöhnliches entstehen konnte.
Es ist gelungen, bei den Schüler:innen spielerisch die Lust am Theater zu wecken. In einer intensiven Projektwoche erhielten die Schüler*innen Einblick in alle Bereiche, die zum Theater gehören. Als Höhepunkt einer intensiven Projektwoche wurde das von den Schüler:innen entwickelte Stück auf der Bühne des Theaters Neumarkts aufgeführt. Ein unvergessliches Erlebnis.
Involviert waren alle, sei es als Schauspieler:innen oder hinter der Bühne. Zu sehen, was die jungen Menschen in so kurzer Zeit auf die Beine stellen und wie viele Kompetenzen sie erwerben durften, zeigt wie wichtig solch intensive Kooperationen sein können.
Susanne Spreiter, Leitung Schule+Kultur Stadt Zürich