Das Erhabene ist das Unheimliche
Zur Theorie einer Kunst des Ereignisses
Erschienen in: Recherchen 12: Das Politische Schreiben – Essays zu Theatertexten (10/2012)
Auch wenn bereits die antike Rhetorik es erörterte – das Erhabene, wie es erneut Einzug in die ästhetische Theorie gehalten hat, ist wesentlich eine Erfindung oder Erfahrung des 18. Jahrhunderts. In den Theorien des Erhabenen begegneten sich die beiden Themen, von denen diese Epoche gefesselt war: analytische Introspektion in die verborgeneren Affektströme, philosophische Affirmation moralischer Freiheit. Freilich: Beide Erkundungen förderten mehr oder anderes zutage, als man gewünscht haben mochte – in den abgründigen Seelenlabyrinthen ganz unten die amoralische Natur des Gefühls, in der gleißenden Helligkeit der aufklärenden Kritik die Grenzen der hohen Vernunft. Am Ende der Lichtsuche standen Kant und Sade. Die elegante Klarheit der klassizistischen Fassaden ließ gespenstisch die Gewölbe eines Piranesi durchscheinen. In dieser Ambivalenz von hochgestimmtem Aufschwung und Zurückschrecken angesichts ungeahnter Abgründe formulierten sich die Theorien des Erhabenen. Lange schon hatte es das klassische Konzept des Sublimen gegeben, in dem es um die erhebende und zugleich beruhigende Kontemplation göttlicher Allmacht ging. Es war zunächst keineswegs, wie dann bei Burke oder Kant, ein Gegenbegriff zum Schönen, eher dessen Steigerung. Erhaben war großer, bedeutender Stil, Kunst, die »hohe« Themen mit strengem, namentlich antikisierendem Formniveau verband, ob man an Homer oder Milton, Michelangelo oder Poussin dachte. Indem sich nun die...