Theater der Zeit

Auftritt

München: Weltstadt mit Schmerz

Münchner Volkstheater: „Dogtown Munich“ (UA) von Herbert Achternbusch. Regie Pýnar Karabulut, Ausstattung Franziska Harm

von Christoph Leibold

Erschienen in: Theater der Zeit: Playtime! – Der Theatermacher Herbert Fritsch (05/2017)

Assoziationen: Münchner Volkstheater

Wenn man jemanden einen „blöden Hund“ nennt, ist das auch in Bayern kein Kompliment. Sagt man allerdings: „A Hund is’ er scho!“, drückt sich darin Anerkennung aus. In dieser Ambivalenz ist auch „Dogtown Munich“ zu sehen. Herbert Achternbuschs neues Stück ist Hommage und Abgesang auf München in einem. Und eine Art Tagtraum: wirr und doch voller hellsichtiger Momente, die nur eine verrückte Fantasie gebiert – wie die des bayerischen Dramatiker-Unikats Achternbusch eben. Still war es zuletzt um den mittlerweile 78-Jährigen geworden. So still, dass sich manche gefragt haben dürften, ob er überhaupt noch lebt. Und jetzt: Ein neues Stück von ihm – Respekt! A Hund is’ er scho, der Herbert! Dabei setzt er kaum mehr einen Fuß vor die Tür seiner Wohnung, die nur wenige Schritte vom Münchner Marienplatz entfernt liegt. Dort nun, im Herzen der selbsterklärten „Weltstadt mit Herz“ – die für Achternbusch (hier ist der abgeschmackte Reim ausnahmsweise angebracht) immer auch eine Weltstadt mit Schmerz war –, spielt „Dogtown Munich“.

Der Süddeutschen Zeitung hat Achternbusch kurz vor der Uraufführung ein Interview gegeben, in dem er unter anderem erzählte, dass er eigentlich am liebsten schlafe, nur sei er dann nachts nicht müde genug, um zur Ruhe zu kommen. Man kann sich gut vorstellen, wie in diesem Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen das Großstadtrauschen in die Stille seiner Wohnung dringt und sich mit dem mischt, was ihm seit jeher im Kopf herumspukt. Oder, wie es im Stück einmal sehr hübsch heißt: „Es ist in mir nur ein Verhau, der umgerührt wird.“ Und so ist „Dogtown Munich“ eine Phantasmagorie ohne Handlung, dafür voller Dialoge, die nirgendwo hinführen. Begegnungen von Menschen auf dem Marienplatz: Frauen und Männer ohne Namen, ein neunmalkluges Mädchen namens Zunge, ein Priester, ein Schauspieler, ein Theaterdirektor, der griechische Held Herakles, Neonazis und Fußballfans. Sogar der bayerische Volkskomiker Karl Valentin (den schon Brecht verehrte) taucht auf. Achternbusch räumt ihm den Platz ein, den er als einer seiner persönlichen Säulenheiligen verdient hat. Buchstäblich aus heiterem Himmel landet Valentin auf der Mariensäule, weil die Muttergottes es trotz bester Sicht auf den zentralen Platz der Stadt leid ist, auf ihrem Sockel auszuharren. Maria steigt herab, sagt den schönen Satz „Mein Herz ist ein blutiges Schnitzel“ und zeigt außerdem (weniger schön) ein Herz für Hitler. Am Katholizismus mit seinen unheiligen Allianzen hat sich Achternbusch ja immer schon gern abgearbeitet.

In der Uraufführungsinszenierung der jungen Regisseurin Pınar Karabulut auf der kleinen Bühne des Münchner Volkstheaters hängt eine runde Leuchtstoffröhre wie ein riesiger Heiligenschein über der Spielfläche (Ausstattung Franziska Harm). Die Zuschauer sitzen auf Bierbänken zu beiden Seiten der Spielfläche, und auch die vier Schauspieler, die mit einer Vielzahl von geschmacklosen Kostümen (hauptsächlich im Seventies-Look) ebenso viele Rollen wechseln, hocken einmal an einer Biertischgarnitur und geraten beim Armdrücken aneinander. Wie alles löst sich auch dieser Bierkampf in Wohlgefallen auf, um in die nächste Szene überzugehen. Ein Schauspieler lädt einen Biertisch auf seinen Rücken, ein anderer packt noch eine Bank im rechten Winkel obendrauf, sodass der Beladene mit seiner Last davonwankt wie Jesus zur Kreuzigung. Heiliger Ernst und heilloser Unsinn liegen hier nah beieinander. Für Achternbusch-Kenner gibt es im Text viele Selbstzitate des Autors zu entdecken. Um tiefere Zusammenhänge zu entschlüsseln, müsste man ihm allerdings schon in den Kopf schauen können. „Dogtown Munich“ verlangt eher nach einem Traumdeuter als nach Textexegese. Das räumt der Regie viele Freiheiten ein. Pınar Karabulut lässt denn auch ihre Fantasie von der Leine. Ihr gelingen ein paar verrückte Tollheiten wie der Bierbank-Heiland, aber es gibt auch viel blinden, lauten Aktionismus.

Sein Stück, hat Achternbusch im Zeitungsinterview erklärt, sei keine Abrechnung mit München, eher mit seinem eigenen Denken – nach dem Motto: „Schaut’s her, was für ein blöder Hund ich bin!“ Kurz vor Ende macht ein Köter seinen Haufen im Herzen der Stadt. Ein kurioser Schluss für ein Stück, das wie ein Vermächtnis Achternbuschs wirkt. Passend für einen, der stets ein hingebungsvoller Nestbeschmutzer war – und geblieben ist. //

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