Die Sprechweise
von Viola Schmidt
Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)
Wir artikulieren unsere Gedanken in Lauten und Lautverbindungen, die an Bedeutung gebunden sind. Wie wir die Laute realisieren, lässt einen gewissen Spielraum zu, ohne dass die an den Laut oder das Wort gebundene Bedeutung verloren geht. Die Art, wie wir artikulieren, schafft aber auch neue oder zusätzliche Bedeutung. Wir können den Sinn von Worten, Wortverbindungen und Sätzen durch die besondere Form unserer Aussprache verändern. Aussprache kann nicht losgelöst betrachtet werden von Prosodie. Klangfarbe, Tonfall, Artikulationsspannung sowie Lautstärke- und Tempovariationen verändern die rhythmische und melodische Gestalt der gesprochenen Äußerung und ihren Sinn.
Deutsch ist, anders als z. B. Chinesisch, eine akzentzählende Sprache. Akzentuierte und nicht akzentuierte Silben wechseln in unregelmäßiger, aber einer Struktur folgenden, spezifischen Weise. Akzentuierte Silben nehmen wir als schwer, tonstark oder lang bzw. gedehnt wahr. Sie können auch lauter und dadurch ausgeprägter in der Tonhöhe sowie präziser artikuliert sein. Sie nehmen mehr Raum ein und beanspruchen mehr Zeit als nicht akzentuierte Silben, die wir als leicht, schnell und weniger präzise artikuliert wahrnehmen. Nicht akzentuierte Silben weisen häufiger artikulatorische Reduktionen und Elisionen auf.164 Der rhythmische Wechsel zwischen schweren und leichten Silben korrespondiert mit den bereits beschriebenen Merkmalen Auslautverhärtung und Glottisschlageinsatz und gibt der deutschen Sprache einen wiedererkennbaren Klang....