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Zehn Minuten Ewigkeit
von Martin Krumbholz
Erschienen in: Theater der Zeit: Der Auftrag – Lars-Ole Walburg und Sewan Latchinian (10/2015)
Assoziationen: Akteure Ruhrtriennale
Die Unterwelt liegt diesmal oben. In einem der hoch aufragenden Türme der Essener Zeche Zollverein, einer ehemaligen Kohlenmischanlage, die man in Gruppen zu acht vom Wiegeturm aus über eine hübsch rumpelnde, kess die Gleise wechselnde offene Standseilbahn erreicht. Wer sich dieses abenteuerliche Opening ausgedacht hat, verfügt definitiv über einen Sinn für die Magie des Hades; man schließt die Augen, herausfallen wird man nicht, und träumt, man sei gestorben und rattere in einem unheimlichen Gefährt in die Unter- oder Oberwelt – nur Mut! Orpheus hatte diesen Mut, als er in die Unterwelt stieg, um seine Eurydike zurückzuholen. Aber, so fragt sich die deutsch-niederländische Regisseurin Susanne Kennedy, wollte sie überhaupt zurückgeholt werden?
Für die Inszenierung von Claudio Monteverdis Oper „Orfeo“ (Koregie Suzan Boogaerdt, Bianca van der Schoot) bzw. für deren Besuch gelten, wie für den Hades-Touristen Orpheus, strikte Regeln. Räume darf man erst betreten, wenn grünes Licht aufleuchtet. Nicht die zum Teil schwindelerregenden Schächte und Treppen der Halle dienen den Regisseurinnen als Hölle, sondern, quasi als horizontaler Gegenentwurf, eine Flucht aus kitschig tapezierten Zimmern, in denen man den Schweiß- und Kohlegeruch von einst vergisst und stattdessen einen Dunst aufzunehmen glaubt, der giftiger ist, einen stickigen Duft wie von tropischen Pflanzen (Bühne Katrin...