2.3 Theorien der Aufführung und des Performativen
von Clemens Risi
Erschienen in: Recherchen 133: Oper in performance – Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen (08/2017)
Das der semiotisch orientierten Aufführungsanalyse zugrunde liegende Theorem „Kultur als Text“ bzw. „Theater als Text“ hat sich, wie in Kapitel 2.2 gezeigt, als zu starr erwiesen. Um der Ereignishaftigkeit der theatralen Aufführung gerecht zu werden, bedarf es alternativer Bezugspunkte:
„Bis in die späten 1980er Jahre hinein herrschte in den Kulturwissenschaften ein Verständnis von Kultur vor, die in der Erklärungsmetapher ‚Kultur als Text‘ zum Ausdruck kommt. […] In den 1990er Jahren bahnte sich ein Wechsel der Forschungsperspektiven an. Nun traten die bisher weitgehend übersehenen performativen Züge von Kultur in den Blick, die eine eigenständige Weise der – praktischen – Bezugnahme auf bereits existierende oder für möglich gehaltene Wirklichkeiten begründen und den erzeugten kulturellen Handlungen und Ereignissen einen spezifischen, vom traditionellen Text-Modell nicht erfassten Wirklichkeitscharakter verleihen. Die Metapher von ‚Kultur als Performance‘ begann ihren Aufstieg.“1
Die Diagnose einer performativen Wende, eines performative turn, sowohl in der Kultur als auch in der Kulturwissenschaft wurde die Basis für vielfältige Überlegungen zum Potenzial des Performativitätsbegriffs als Erklärungsmodell für ein neues Verständnis von Kultur. Das Verdienst, diese Perspektive für die Theaterwissenschaft fruchtbar gemacht zu haben, kommt insbesondere Erika Fischer-Lichte und Jens Roselt zu. Mit der Fokussierung der Aspekte Körperlichkeit, Lautlichkeit und Stimmlichkeit widmet sich...