Das Epische als Darstellungs- und Kommunikationsprinzip
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Auffällig ist der epische Grundzug der kulturell teilweise bis heute hochbedeutsamen traditionellen Theaterkunst Asiens. Episch im Sinne des offenen Ausstellens des Kunstmachens, markieren sie ihre spezifische Theaterrealität mit musikalisch, tänzerisch, gestisch zeichenhaften, symbolisierenden, metaphorischen Techniken und der offenen, gleichsam wilden Dramaturgie, in der sich Darsteller als Darsteller und als Rolle vorstellen und so die fiktionalen Geschichten souverän, lässig als solche dargeboten werden.
„Ich bin der und der“, stellt sich der Nebenschauspieler vor und führt so das Nō als eine besondere Kunstrealität ein. Wahrscheinlich waren die Nachahmungs-Darstellungen, die monomanen Komponenten des collageartigen Saragaku, der direkten Vorform des Nō, orale Performances einzelner Figuren, also Erzähler-Darstellungen. Auch im vorwiegend komödischen Kyōgen stellen sich die Darsteller direkt dem Publikum vor. Die nur kurzen, maskenlosen Kyōgen-Darstellungen waren (zunächst) Bestandteil der ernsten Nō-Aufführungen, wurden aber (dann) als kurze weniger zeremoniell stilisierte Dialog-Stücke zu einer selbstständigen Form, die als Zwischenspiele zwischen den in der Regel eine Aufführung ausmachenden fünf Nō-Dramen hauptsächlich Vorgänge aus der Lebenswelt zeigten. So dürfte die alte, „archaische“ Kunst des Erzählens ein wesentliches produktives Element japanischer Aufführungsgattungen bis in die Moderne hinein gewesen sein. Der Nō-Experte Zeami definierte bereits den Kyōgen-Spieler als Erzähler geistreicher und pointierter Geschichten.227
Im Kabuki begrüßt ein Erzähler...