Ein bürgerlicher Gesellschaftsentwurf vor mittelalterlicher Folie
Heinrich Marschners Der Templer und die Jüdin
Erschienen in: Recherchen 161: Fremde Leidenschaften Oper – Das Theater der Wiederholung I (12/2021)
Heinrich Marschners 1829 uraufgeführte Oper Der Templer und die Jüdin gehört zu dem einst populären, heute weitgehend vergessenen Repertoire der vorwagnerianischen deutschen Romantik.1 Eine ihrer Besonderheiten ist, dass sie in vielerlei Hinsicht die Merkmale einer Grand Opéra zeigt, jedoch zu einem Zeitpunkt entstand, als Marschner die ersten Werke dieses Genres, Daniel-François-Esprit Aubers La Muette de Portici und Giacomo Rossinis Guillaume Tell, höchstwahrscheinlich nicht kannte.2 Das Stück hat eine historisierende Handlung und ist angesiedelt in einer nationalstaatlichen Krisenzeit unter Einbindung der Frage nach religiöser Toleranz. Zudem gibt es eine große Besetzung, sowohl auf der Bühne als auch im Graben, und einen Chor, der als Kollektiv dient, als Stütze der hervorgehobenen Einzelpersonen. Hinzu kommen Tableaux und ausgeprägte szenische Effekte. Anzumerken ist, dass Marschner in seinen anderen beiden zeitnah entstandenen Opern Der Vampyr und Hans Heiling mit anderen Formen experimentiert und Der Templer und die Jüdin so einen Sonderfall darstellt. Das wirft die Frage auf, welche zeitgenössisch relevanten Themen innerhalb des mittelalterlichen Settings von Marschner und seinem Librettisten Wilhelm August Wohlbrück exploriert werden.
Ein paar Stichworte sollen den hierfür maßgeblichen historischen Kontext vor Augen führen: Mit der Französischen Revolution begann eine der folgenreichsten Epochen der neuzeitlichen europäischen Geschichte. Während dieser...