Anthropozäne Kartografierungen
Antje Boetius, Hans-Jörg Rheinberger und Frank-M. Raddatz im Gespräch
von Hans-Jörg Rheinsberger, Antje Boetius und Frank M. Raddatz
Erschienen in: Wendungen: Das Drama des Anthropozäns (03/2021)
Frank-M. Raddatz:
Für Kunst und Theater, die sich mit dem Anthropozän konfrontieren wollen, ist es wichtig, sich ein Bild über die Wissenschaft zu machen. Schließlich beruht das meiste, das wir über den globalen ökologischen Bedrohungshorizont wissen, auf deren Forschungen und Modellen.
Für mich war es ein Schock, als mir der Physiker Hans-Peter Dürr in einem Interview Ende der 1980er Jahre erklärte, dass eine Stoffgruppe wie die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) entwickelt wurde, weil sie für uns ungiftig ist, die aber freigesetzt in die Atmosphäre aufgrund von vollkommen unberechneten Interdependenzen im Erdsystem seine schädliche Wirkung entfaltet – in dem Fall das Ozonloch. Das Treibhausgasproblem heute verifiziert ebenfalls die These des lange aus dem Fokus geratenen Alexander von Humboldt, dass in der Natur alles mit allem zusammenhängt. Heute sprechen wir vom Netz des Wissens, das Humboldts Vorstellung viel näher kommt als die traditionelle Aufteilung der Naturwissenschaft in Einzeldisziplinen.
Hans-Jörg Rheinberger:
Dieses Motto des alten Humboldt, dass „alles mit allem zusammenhängt“, lässt mich ein wenig schmunzeln. Denn darum, wie die Dinge zusammenhängen, dreht sich schließlich das ganze wissenschaftliche Unternehmen. Michel Serres schreibt 2010 in Biogée, seiner eigenwilligen Autobiografie:
Meine Hoffnung ruht auf der gegenwärtigen Entwicklung des Wissens. Einfach und leicht basierten unsere alten Wissenschaften auf...