Theater der Zeit

Thema

Vom „Kälbchen“ des Selbermachens

Große Wirtschaftsunternehmen wollen Kultur nicht mehr nur sponsern, sondern selbst gestalten. Der Kulturmanager Bernd Kauffmann im Gespräch mit Frank Raddatz

von Frank M. Raddatz und Bernd Kauffmann

Erschienen in: Theater der Zeit: Birgit Minichmayr – Ich bin es und bin es nicht (01/2013)

Anzeige

Herr Kauffmann, die Zeiten sind unsicherer geworden, hat die Wirtschaft trotzdem noch Spaß am Sponsoring?
Der Spaßfaktor dürfte nicht entscheidend sein. Das Sponsoring von Unternehmen und der Finanzwirtschaft hat, glaube ich, nicht nachgelassen. Das Sponsoring für die Kultur ist allerdings mit Blick auf die immensen Summen, die für den Sport verausgabt werden, verhältnismäßig gering. Was mir und auch anderen immer mehr auffällt, ist die Tatsache, dass neben das übliche Sponsoring eines Kunstprojekts welcher Ausdrucksform auch immer zunehmend die Tendenz tritt, dass Unternehmen nicht nur irgendetwas „anteilig fördern“, also subventionieren. Sondern sie nehmen „das Ganze“, zum Beispiel ein Festival, ein Museum samt Betrieb, eine große Ausstellung, allein in die Hand: entwickeln es konzeptionell, bewerben es, realisieren es und machen alles Weitere, was dazugehört, selber.
Manche Unternehmen beginnen vom Antragsverfahren einer Kulturinstitution abzusehen und befreien diese Institution so vom schweißtreibenden Antrags- und Förderungsbegründungsverfahren. Mit der Vermeidung dieses Verfahrens entfällt selbstverständlich auch die Gegenleistung vonseiten der Kulturinstitutionen, die meist in Logo-begleiteten Danksagungen in den Medien und anderen Veröffentlichungen, im „Placement“-Wesen in den vorderen Reihen und nach vollzogener Tat in „Meet-andgreet- Eventereien“ mit Häppchen, Schlückchen und Küsschen ihren wenig erschöpfenden Ausdruck findet. Vielleicht hat mancher Sponsor auch, um auf Ihre konkrete Frage zurückzukommen, den Spaß an derlei Pflichtübungen verloren und wäre über die eine oder andere gute Idee vonseiten der Kultur dankbar, wie man Sponsoring in diesem Bereich attraktiver machen kann.
Im Ergebnis heißt das: Es wird nicht mehr nur subventioniert, es wird jetzt seitens der Unternehmen in zunehmendem Maße „statuiert“: Man nimmt die Dinge selber in die Hand. Nehmen Sie die Stiftung Schloss Neuhardenberg. Die Sparkassen-Finanzgruppe hat das Ensemble mit erheblichen Mitteln saniert und renoviert, dann hat sie eine Stiftung als Betreiber gegründet, und diese führt nicht nur das Hotel, sondern realisiert fernab jeder staatlichen Förderung ein ganzjähriges eigenes Kulturprogramm. Oder nehmen Sie die Deutsche Bank, die Unter den Linden ein Kunstausstellungshaus eingerichtet hat und betreibt. Entsprechendes macht die Hypovereinsbank in München; Jan Philipp Reemtsma gründete ein eigenes Institut für Sozialforschung, und die Autostadt in Wolfsburg, eine Tochter des Volkswagen- Konzerns, veranstaltet seit einem Jahrzehnt das internationale Festival Movimentos, das mittlerweile dem Tanz, der Musik, dem Wort und dem Theater ein beeindruckendes Podium gibt. All diese Träger eigener Kulturereignisse entscheiden selbst, was sie wollen, und entziehen sich naturgemäß damit staatlicher Teilhabe und staatlicher Kontrolle bzw. Supervision. Insgesamt scheint mir neben der „traditionellen Kuh“ des Sponsorings nun ein „Kälbchen“ des eigenen gestaltenden Engagements für die Kultur auf den deutschen Förderwiesen zu grasen.

Ist das eine Opposition zum Topos „Demokratisierung der Kultur“?
Zum einen: Von Opposition zu reden ist ebenso Unfug wie von Demokratisierung der Kultur zu reden. Kunst und Kultur sind per se nicht demokratisch. Ihr Umfeld muss es sein. Die Demokratie hat als Verfahren für die Ermöglichung – meist im Wege „freiwilliger Leistungen“ – zu sorgen und sich im Übrigen herauszuhalten. Der Verlauf, die Verfahren zur Finanzierung und ihrer Ermöglichung, ja, die unterliegen demokratischen Verfahren, so zumindest in Deutschland, das in Sachen staatlicher Kulturförderung auf eine lange Tradition zurückblickt. Nun kann man behaupten – und das meinen Sie offenbar –, dass die geschilderten Initiativen von Unternehmen zwar lobenswert sind, aber gleichermaßen auch kritikwürdig, weil hier ohne demokratische Teilhabe bestimmt wird, wer von unternehmerischem Geld profitiert und wer nicht, wo also fern vom Staat und jenseits von Beiräten, Kuratorien, Jurys, Ausschüssen und sonstigen offiziell berufenen Gremien entschieden wird, was künstlerisch gefördert wird und was nicht.
Nun wollen wir hier kein neues Fass aufmachen und nach der demokratischen Legitimation derjenigen fragen, die sich mit Sitz und Stimme im kommunalen und zentralen Beratungswesen tummeln und ja auch deutliche künstlerische Vorlieben verfolgen, Abneigungen hegen und eigene Positionen vertreten. Diese Präferenzen, die hier Stimme und Gewicht bekommen, sind im Zweifel nicht im demokratischen Prozess, sondern – bestenfalls – in Nägel kauender und Kompromisse suchender Auseinandersetzung entstanden – und manches Mal sicher auch in den vertraulichen Hinterzimmern des „Kulturbetriebs“ und seiner vielfältigen Akteure.
Im Grunde ist Ihre Frage nach der demokratischen Teilhabe also eine Schimäre. So wie zum Beispiel für Theater meist im Beirats-Kompromissweg gremiengesättigt Intendanten verpflichtet werden (die letzten Könige der Republik), die dann hoffentlich erfolgreiche und eigenwillige Programme entwickeln, die notwendigerweise gänzlich undemokratisch entstehen, so berufen Unternehmen Fachleute, oft ebenso eigenwillige Persönlichkeiten, die der Kunst auf ähnliche Weise eine Schneise schlagen. Eine gewisse Gefahr in dieser Entwicklung sehe ich darin, dass der Staat, der endlich sparen muss, sich in dem Maße aus der Kulturförderung zurückzieht, wie und wo andere sich engagieren.

Gehen wir einmal davon aus, dass diese Unternehmen nicht der Wunsch nach kultureller Einflussnahme antreibt: Was motiviert sie dann, Kultur aktiv gestalten zu wollen.
Nun bin ich nicht der Motivforscher der deutschen Industrie. Aber die Beweggründe dürften sehr unterschiedlich sein. Die Sparkassen-Organisationen sind rechtlich verpflichtet, dem „Gemeinwohl“ zu dienen. Im Bewusstsein dieser Verpflichtung sind sie mit derzeit 120 Millionen Euro per annum der größte Kulturförderer in Deutschland, ganz abgesehen davon, dass diese Gemeinwohlverpflichtung sich ebenso im Sozialen wie im Sport niederschlägt. Bei Volkswagen spielt die traditionelle Verbundenheit mit der Region und dem Land Niedersachsen eine große Rolle. Der VW-Konzern hat immer darauf geachtet, für die Region neben der sozialen auch eine besondere kulturelle Verantwortung zu übernehmen. Bei BMW in München ist es nicht anders. Selbstverständlich sind bei allen Aktivitäten der Unternehmen auch kommunikative und werbliche Interessen samt Imagetransfer wichtig. Aber ist das bei staatlicher Förderung so viel anders? Auch die Kulturstiftung des Bundes will in Logo und erstreihiger Platzierung ihren Anteil am Zustandekommen von Kulturereignissen gewürdigt wissen.
Die raunende Vermutung inhaltlicher Einflussnahme seitens der Unternehmen im Sinne einer irgendwie „wirtschaftsfreundlichen“ Kunst ist eine alte 68er-Mähr, deren tatsächliches Stattfinden mir bisher jedenfalls nicht begegnet ist, im Gegensatz zu einer Bundesregierung, deren Innenminister eine seiner Meinung nach zu verzeichnende „Buchenwaldisierung“ des Kulturstadtprogramms Weimar 1999 zu verhindern bzw. zu unterbinden trachtete, was im Übrigen nicht gelang.

Nun träumt das Theater immer davon, skandalträchtig zu sein. Gibt es da nicht eine Unverträglichkeit mit dem Selbstverständnis solcher Akteure?
Ich wäre ja glücklich, wenn das Theater mal wirklich skandalträchtig wäre und zum streitigen Stadtgespräch würde. Es gibt schließlich genug Anlässe, nicht gleich zur Tagesordnung des Beliebigen und der Nabelschau zurückzukehren. Der Skandal ist doch zur Geste erstarrt. Dass ein Unternehmen jedoch Unverträglichkeitsäußerungen von sich gibt, das habe ich nicht erlebt. Wo war denn die skandalisierte Choreografie „La Pornographie des Âmes“ von Dave St-Pierre zu sehen? In Wolfsburg! Wo war Marie Chouinards „Orpheus und Euridice“ zu sehen? In Wolfsburg! Wer hat Martin Wuttkes und Jonathan Meeses „Zarathustra“ produziert? Neuhardenberg, ebenso Wuttkes „Brinkmann“-Collage.

Der Wunsch, künstlerische Ereignisse selber zu gestalten, könnte zugleich weg vom Sprechtheater führen.
Ich habe eben zwei Beispiele für Sprechtheater genannt und könnte noch etliche hinzufügen, die belegen, dass selbstgestaltete künstlerische Ereignisse in der Verantwortung von Unternehmen durchaus „wortgeneigt“ sein können. Aber traditionell findet Sponsoring bezogen auf Theater eher weniger statt. Ein Großteil des Kultursponsorings geht in die Hardware: in Neubauten, in Restaurierungen, in den Brunnen auf dem Markt, in den Ankauf von Gemälden und in Stuhl und Bank mit Sponsorplakette. Es ist leichter, Geld für etwas Bleibendes, für einen Neubau zu erhalten als für eine Theaterproduktion, die immer ephemer bleibt und irgendwann verschwindet.

Man könnte mit Blick auf theatralische Events auch argumentieren, dass im Zusammenhang mit privatem Geld Produkte gewählt werden, die wenig Risiko bergen. Das Bewährte, das auch gut sein kann – keine Frage –, wird protegiert, das Unfertige, Irritierende, das Rohe bleibt außen vor. Klingt auch etwas nach Langeweile.
Ich will nicht bestreiten, dass Sie recht haben könnten. Wobei ich auch hier wieder sagen würde, das betrifft auch den Staat, der – ich finde das auch nur natürlich – ein Interesse daran hat, Beeindruckungs- und Repräsentationskultur zu ermöglichen, um so in seiner Identität und seinem Wirken sichtbar zu sein. Ein Unternehmen wird sich im Zweifel von sich aus weniger ins totale Risiko begeben wollen, als es staatlich subventionierte Theater eigentlich könnten und sollten, dies aber viel zu wenig real auch tun. Aber trotzdem: Es ist durchaus möglich, Unternehmen davon zu überzeugen, dass es gut und richtig ist, in der Kunst etwas zu riskieren, das nicht zuverlässig jedem gefällt. Mut zum Risiko ist immerhin eine unternehmerische Tugend par excellence.
Als wir in Weimar mit Daniel Barenboim und Edward Said das West-Eastern-Divan-Orchestra gegründet haben, da war die Angst vor dem Risiko, dass uns das alles um die Ohren fliegt, von Staats wegen fast genauso groß wie vonseiten der Unternehmen, die immerhin nach dem sich einstellenden Erfolg durchaus fördern wollten. Die öffentliche Hand ihrerseits hat sich, nebenbei bemerkt, beim zweiten Divan-Workshop, als es um die Kontinuität und Verstetigung der Initiative ging, aus diesem riskanten Unterfangen ganz herausgehalten, was auch der Grund dafür ist, dass es heute nicht in Deutschland, sondern in Spanien ansässig ist.
Es wäre doch die ureigene Aufgabe eines demokratischen Staates, nicht nur kulturell Etabliertes zu sichern, sondern im quotenfreien Raum der jungen, innovativen, verqueren, streitigen und unbequemen Kunst angemessene Existenz- und Entwicklungsbedingungen zu schaffen. Aber versuchen Sie mal, sich das unter staatlicher Förderung vorzustellen: Zwei freie Off-Gruppen werden für fünf Jahre engagiert, man gibt ihnen ein Haus und sagt: „Macht mal. Wir sichern euch ab, damit ihr eure Zeit nicht mit Antragsschreiben verplempert.“ Ich kann mir aber vorstellen, dass man einem Unternehmen so etwas antragen kann. Da geht es gar nicht um inhaltliche Vorgaben, sondern darum, etwas Lebendiges zu schaffen, etwas, das gegen die Wirklichkeit gesetzt wird und aufstört. Das kann nur blühen, wenn diese Leute wirklich frei sind und nicht mit dem Sammeln von Verwendungsnachweisen gegängelt werden oder damit, Berichte für Sachbearbeiter zu schreiben, die eher Misstrauen ausstrahlen als mit Ver- und Zutrauen gesegnet zu sein.
Das ist eine verlockende Idee, aber ich sage auch: Es ist etwas vermessen, das von Sponsoren bzw. von Unternehmen zu erwarten, solange nicht der Staat hier Initiative zeigt, wobei er im Grunde gar kein echtes Risiko damit zu tragen hätte. Und bei näherem Hinsehen werden Sie – denken Sie zum Beispiel an die VW SoundFoundation – eine Vielzahl von jungen, innovativen Initiativen finden, die von der Industrie gefördert werden – während sich das halbwegs gut dotierte Musikleben von Gnaden staatlicher Förderung vor allabendlich sich einfindenden weißen Häuptern abspielt. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Alex Tatarsky in „The Future Is For/ Boating“ von Pat Oleszkos, kuratiert von ACOMPI für die Galerie David Peter Francis, Juni 2024, vor dem Lady Liberty Deli im St. George Terminal, Staten Island, New York