Herr Stegemann, mit Ihrem Buch „Kritik des Theaters“ plädieren Sie dafür, dass Theater wieder zu einer kritischen Instanz in einer spätkapitalistischen Öffentlichkeit wird. Das ist sicherlich kein einfaches Unterfangen in einer Gesellschaft, die sich im Grunde vor der Zukunft fürchtet.
Intellektuelle Kritik, wie sie mit den großen Namen von Kant bis Adorno verbunden ist, besagt, dass es die primäre Aufgabe des Intellektuellen ist, ein kritisches Denken öffentlich zu machen. Publizität war immer elementarer Bestandteil von Kritik. In diesem öffentlichen Vorgang der Kritik spielte das Theater eine fundamentale Rolle, denn Theater ist eine spezifische Form der Veröffentlichung wie der Kreation von Öffentlichkeit.
Wenn man heute Theater macht, stellt sich die Frage: Welchen Weg muss man in einer Probenarbeit beschreiten, damit das, was am Ende auf der Bühne den Abend strukturiert, mehr ist als die Bestätigung der ästhetischen Intelligenz der Zuschauer? Denn das wäre eine zutiefst affirmative Geste, die allein ein bestimmtes Selbstbild feiert. Dieses Selbstbild ist das des Eigentümers. Eines Eigentümers an seinen eigenen seelischen Fertigkeiten, seiner eigenen Bildungsgeschichte, also seiner Stellung in der Gesellschaft und seiner Stellung innerhalb des Regimes des Kapitalismus. Diesem Narzissmus gegenüber dem eigenen symbolischen und realen Kapital wird gehuldigt, wenn auf der Bühne Ereignisse produziert...