Fragen der Mitbestimmung am Theater
von Christoph Nix
Erschienen in: Theaterrecht – Handbuch für Theatermacher (05/2019)
Assoziationen: Recht

Wie kann ich am Theater mitbestimmen?
Wo liegen die Grenzen der Mitbestimmung?
Welche Bereiche kann ich mitgestalten – inhaltlich, arbeitsrechtlich, personell?
Zunächst sei noch einmal hervorgehoben, dass es im Theaterbetrieb mindestens zwei unterschiedliche Tarifverträge gibt. Für die Künstler oder besser gesagt für die in § 1 NV Bühne aufgeführten Künstler und Bühnentechniker den sogenannten Normalvertrag Bühne und für die übrigen Techniker und Verwaltungsangestellten gibt es den TVöD (auf Bundesebene und kommunaler Ebene) bzw. den TV-L (auf Landesebene). Dies sind die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst, die teilweise den BAT (Bundesangestelltentarifvertrag) abgelöst haben.
Ob es einen Betriebs- oder einen Personalrat gibt, hängt davon ab, ob das Theater öffentlich-rechtlich (Staatstheater, Regiebetrieb) oder privatrechtlich (GmbH, Stiftung) organisiert ist.
Betriebsverfassungsrechtlicher Tendenzschutz
Nach § 118 Abs. 1 BetrVG gelten die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) für bestimmte Unternehmen und Betriebe nur mit Einschränkungen. Es sind dies Betriebe und Unternehmen, die bestimmten ideellen Zielsetzungen dienen und für die sich die Bezeichnungen Tendenzbetrieb oder Tendenzunternehmen eingebürgert haben. Dabei ist allerdings die Tendenz des Unternehmens oder Betriebes nicht im Sinne einer bestimmten einseitigen Richtung zu verstehen. Geschützt werden nach dieser Bestimmung insbesondere auch Betriebe und Unternehmen mit einer künstlerischen Bestimmung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG.
Zweck der Regelung ist es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen den Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer, die im Sozialstaatsprinzip ihre berechtigte Grundlage haben, und den Freiheitsrechten der Tendenzunternehmen. Als solche Tendenzunternehmen werden vor allem Theater und Orchester bezeichnet, aber auch Cabarets, Konzertagenturen, Chöre und Gesangsvereine oder Museen. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Sozialstaatsgedanken kommt eine Beschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates allerdings nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn durch die Ausübung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates die durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte künstlerische Freiheit ernsthaft beeinträchtigt oder unmöglich gemacht würde (§ 118 Abs. 1 BetrVG). Der Tendenzschutz dient nicht dazu, das Bühnenunternehmen von der Mitbestimmung der Betriebsräte abzuschirmen, und auch nicht der Geheimhaltung tendenzbedingter Gründe beteiligungspflichtiger Maßnahmen. Überwiegend und nahezu durchweg in der Rechtsprechung des BAG wird eine Einschränkung von Beteiligungsrechten des Betriebsrates daher nur dann bejaht, wenn einmal die Maßnahme einen Tendenzbezug hat und sie sich zum anderen auf einen sogenannten Tendenzträger bezieht (sogenannte Maßnahmetheorie).
Arbeitnehmergruppen
Beteiligung in personellen Angelegenheiten
Nach § 93 BetrVG kann der Betriebsrat die Ausschreibung freier Arbeitsplätze im Betrieb auch für solche Arbeitsplätze verlangen, auf denen Tendenzträger beschäftigt werden sollen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Einstellung oder Versetzung mit der Begründung verweigern kann, dass die geforderte Stellenausschreibung unterblieben ist. Ebenso können die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei Einstellungen, Versetzungen und Eingruppierungen im Sinne von § 99 BetrVG eingeschränkt sein, soweit es sich um einen sogenannten Tendenzträger, also einen Künstler mit prägendem künstlerischem Einfluss, handelt. Allerdings hat auch hier aufgrund des Sozialstaatsprinzips der Betriebsrat auch bei der Einstellung oder Versetzung eines Tendenzträgers das Recht, entsprechend § 99 Abs. 1 BetrVG von der Maßnahme unterrichtet zu werden und innerhalb einer Woche Stellung nehmen zu dürfen. Auch die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 102 BetrVG, den Betriebsrat vor Kündigungen anzuhören, steht der Eigenart eines Tendenzunternehmens nicht entgegen. Auch dann nicht, wenn einem Tendenzträger aus Gründen gekündigt wird, die keinen Tendenzbezug haben. Erst die Geltendmachung eines Weiterbeschäftigungsanspruches durch den gekündigten Arbeitnehmer aufgrund des Widerspruchs des Betriebsrates nach § 102 Abs. 5 BetrVG beeinträchtigt die Tendenzverwirklichung, weil der Arbeitgeber den Tendenzträger gegen seinen Willen bis zum Ende des Kündigungsrechtsstreites beschäftigen muss. Nur der Weiterbeschäftigungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers wird daher durch § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgeschlossen, unabhängig davon, aus welchen Gründen die Kündigung des Tendenzträgers erfolgt und mit welcher Begründung der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat.
Beteiligung in sozialen Angelegenheiten
Beteiligungen des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG, etwa bei der Gestaltung von Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung sowie des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, sind schon weitgehend von ihrem Gegenstand her nicht geeignet, die Tendenzverwirklichung ernsthaft zu beeinträchtigen. Die Frage einer Einschränkung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten wird daher durchweg nur im Hinblick auf Arbeitszeitregelungen für Tendenzträger, insbesondere bei Dienstplänen an Theatern, diskutiert. Die Lage der Probenzeiten in einem Theater ist der Mitbestimmung des Betriebsrates allerdings dann entzogen, wenn künstlerische Gründe eine bestimmte Lage oder Dauer der Proben erfordern. Sonst bleibt es dabei, dass der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG in Arbeitszeitfragen auch bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie bei der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen hat. Für die unter den NV Bühne fallenden Bühnenangestellten ist die Probenzeit Arbeitszeit im Sinne dieser Vorschrift. Aufgrund der Grundrechtsgewährleistung des Art. 5 Abs. 3 GG hat das BAG in seiner Entscheidung vom 4. August 1981 jedoch auch klargemacht, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Festlegung von Beginn und Ende einzelner Probenzeiten nicht zu einer Mitbestimmung über die Dauer der Arbeitszeit der Bühnenangestellten überhaupt führen dürfe. Lediglich die zeitliche Lage unterfällt damit dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates.
Mitbestimmungstatbestände nach den Personalvertretungsgesetzen (PersVG)
Die angesprochenen Mitbestimmungstatbestände sind ähnlich auch in den einzelnen PersVG der Länder geregelt. Vereinzelt gibt es dort auch eine dem § 118 Abs. 1 BetrVG vergleichbare Tendenzschutzbestimmung. Bevor hierauf auch im Einzelnen einzugehen ist, sei noch ein Wort zur Abgrenzung der Geltungsbereiche des BetrVG und der PersVG zu sagen. Es soll also die Frage beantwortet werden: Wann kommt das BetrVG und wann kommen die PersVG der Länder zur Anwendung?
§ 130 BetrVG und § 1 (§ 95) Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) grenzen die Geltungsbereiche der beiden Gesetze lückenlos gegeneinander ab. Es kommt allein auf die formelle Rechtsform des Betriebes oder der Verwaltung an: Alle Betriebe mit Privatrechtsform, auch wenn sie in öffentliche Hand (ausschließlich oder überwiegend) gehören, mit privater Rechtspersönlichkeit unterliegen dem BetrVG. Alle öffentlichen Verwaltungen sowie alle unmittelbar von der öffentlichen Hand geführten Betriebe (so beispielsweise auch Eigenbetriebe) fallen dagegen unter das PersVG des jeweiligen Bundeslandes.
Beispielhaft sei ein Blick auf die PersVG der norddeutschen Bundesländer geworfen: Nach dem Bremischen PersVG (§ 52 Abs. 1) hat der Personalrat die Aufgabe, für alle in der Dienststelle weisungsgebunden tätigen Personen in allen sozialen, personellen und organisatorischen Angelegenheiten gleichberechtigt mitzubestimmen. Hieraus ergibt sich eine Allzuständigkeit des Personalrates. Eine Tendenzschutzbestimmung ist im Bremischen PersVG nicht vorhanden. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Hinblick auf eine im Bremischen PersVG nicht vorhandene Tendenzschutzbestimmung entsprechende Vorschriften dieses Gesetzes verfassungskonform dahingehend ausgelegt, dass dem Personalrat bei der Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten des künstlerischen Personals jedenfalls eine Beurteilung über die künstlerische Befähigung nicht zustehe.
Das Mitbestimmungsgesetz der Personalräte für das Land Schleswig-Holstein enthält in § 51 Abs. 1 eine dem Bremischen PersVG vergleichbare Regelung der Allzuständigkeit des Personalrates. Hiernach bestimmt der Personalrat bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen mit, die die Beschäftigten der Dienststelle insgesamt, Gruppen von ihnen oder einzelne Beschäftigte betreffen oder sich auf sie auswirken. Andere Personalvertretungsgesetze, etwa das PersVG von Mecklenburg-Vorpommern, regeln beispielsweise außerdem, dass in Personalangelegenheiten der Beschäftigten mit künstlerischer Tätigkeit die Mitbestimmung nur erfolgt, wenn die betroffenen Beschäftigten dies beantragen. Abgesehen davon gibt es auch im PersVG von Mecklenburg-Vorpommern keine Tendenzschutzbestimmung, übrigens genauso wie im Hamburgischen PersVG. Dahingehend schreibt das PersVG des Landes Niedersachsen in § 65 Abs. 2 für die Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages und für die Kündigung die Mitbestimmung des Personalrates vor, enthält aber in § 106 Abs. 1 eine dem § 118 Abs. 1 Nr. 1 vergleichbare Tendenzschutzregelung, die wie folgt lautet:
„Für öffentliche Theater und Orchester gelten die Vorschriften dieses Gesetzes nur insoweit, als dem nicht die Eigenart dieser Einrichtung entgegensteht. Sie gelten insbesondere nicht bei Maßnahmen, die die künstlerische Gestaltung von Aufführungen oder Veranstaltungen wesentlich beeinflussen können.“
Die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ist nach sämtlichen PersVG der norddeutschen Bundesländer dabei aber mitbestimmungspflichtig.