Konzepte und Schemata – Sinn und Sinnlichkeit – Ein gleiches
von Viola Schmidt
Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)
In dem im vorherigen Kapitel erwähnten Goethe-Gedicht „Ein gleiches“ begegnen uns zunächst vier Konzepte: Gipfel stehen für die unbelebte Materie, Wipfel repräsentieren die Flora, Vögelein die Fauna, im Du erkennen wir den Menschen. Auch das Konzept Distanz und Nähe können wir ausmachen. Die Ruhe ist über den Gipfeln. Der Raum ist nicht genau definiert, ruft aber ein Gefühl von Weite, wenn nicht sogar von Erhabenheit wach. Das Du ist ganz nah, auch wenn wir nicht explizit sagen können, um welches Du es sich handelt, fühlen wir uns angesprochen. Je nach dem Standpunkt des Betrachters können wir ein horizontales oder vertikales Betrachtungsschema zugrunde legen. Denken und empfinden wir vertikal, stellen sich kreuzmodale Assoziationen ein. Das polysemantische Wort Gipfel löst räumliche und mentale Vorstellungen vom Konzept oben aus: Berggipfel, Gipfel des Glücks, Gipfeltreffen usw. (vgl. Kapitel Wahrnehmung). Die Präposition „über“ öffnet diesen Raum nach oben, was auch immer wir da vermuten. Die Assoziation hell/dunkel bzw. oben/unten finden wir auch in den Vokalklängen wieder. Das helle /i/ in Gipfeln steht dem dunklen /u/ in Du und Ruh gegenüber. Betrachten wir die Präpositionen, entdecken wir auch das Konzept „innen und außen“: Über den Gipfeln/in den Wipfeln. Gleichzeitig haben wir eine Vorstellung von der äußeren...