Eine Geschichte der langen und kurzen Wege
von Stéphane Bauer
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen“, so der bekannte Ausspruch von Max Frisch – und man möchte ergänzen: Noch schlimmer, es kommen Künstler*innen! Seit Anfang der 1970er Jahre hat sich in Berlin-Kreuzberg eine sehr politische Künstler*innenszene aus der Türkei entwickelt und (nicht nur) die dortigen Kulturorte geprägt. Der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien (vormals Kunstamt Kreuzberg), den ich seit 2002 leite, ist einer dieser Orte. Hanefi Yeter, Mehmet Aksoy, Azade Köker u. a. stellten dort aus. Auf dem Mariannenplatz, direkt vor dem Haus, trat der Türkische Arbeiterchor Westberlin regelmäßig auf. Es waren Zeiten, die von Arbeitskämpfen um gleiche Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und Gleichstellung geprägt waren. Gemeinsames Ziel des Türkischen Akademiker- und Künstlervereins e. V. und des Kunstamts war es, die damalige „isolierte gesellschaftliche Lage türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familien“ zu durchbrechen und „den deutschen Mitbürgern ein größeres Verständnis für die Probleme der Türken zu vermitteln“ (Vorwort des Katalogs „Mehmet kam aus Anatolien“, 1976). Es war die Zeit der sogenannten ersten Einwanderergeneration, die mit kulturellen und künstlerischen Mitteln gleiche politische Rechte einforderte.
Die Kämpfe und Strategien der zweiten Generation zeugen davon, dass – wenn auch manche Rechte erlangt wurden – strukturelle Diskriminierungen fortdauern. To stay here is my right-Posse und Street 94...