Die „Nummer“ als Spielbegriff
von Horst Hawemann
Erschienen in: Recherchen 108: Horst Hawemann – Leben üben – Improvisationen und Notate (03/2014)
Ich setze mich nicht an den Schreibtisch und gebe mir den Auftrag, eine Nummer,1 Übung, Etüde oder Improvisationsaufgabe zu erfinden. Ich entdecke sie an normalen und weniger normalen Orten, bei Tätigkeiten, die gemacht werden müssen, die nichts weiter von mir fordern, als tätig zu sein.
Sie entstehen als Idee in Verkehrsmitteln und auf Wegen, die gegangen werden müssen. Beim Einkaufen fällt mir nichts ein, auch nicht beim Anprobieren von Hosen, was zum Glück selten bei mir vorkommt. Ich gehe auch nicht zum Beobachten von Menschen durch die Gegend.
Während meines Studiums wurde uns die Aufgabe gestellt, Bettler zu beobachten. Das ganze Studienjahr stellte sich vor einer Kirche auf, in der Nähe eines Almosensammlers, und starrte auf das Elend des Bettlers. Bei dem Bettler entwickelten sich Hoffnungen auf größere Einnahmen, aber bei uns war außer Beobachtung nichts weiter zu holen. Ich sah nichts, was mir in meiner künstlerischen Ausbildung wegweisende Erkenntnisse geliefert hätte, warf ein wenig Geld in seine Mütze und entfernte mich verkrampft. Ich hatte nur einen Gewinn bei der Geschichte, nämlich die Gewissheit, dass ich mich nie wieder zu einer „gezielten“ Beobachtung zum Zwecke einer künstlerischen Verarbeitung aufmachen würde.
Darin wurde ich bestätigt, als mir ein Schauspieler, der...