Frankreich
Französisches Theater – französischer Geist
Erschienen in: Theater der Zeit: Zeittheater oder Theater der Zeit? (07/1946)
Assoziationen: Europa
Um das französische Theater zu kennen, muß man das Land, in dem es entstanden ist, besonders lieben, denn Theater bedeutet Lebensform, Politik und Weisheit eines Volkes. Frankreich, das Land der Logik, das Vaterland der Menschenrechte, in dem Feinheiten der Konversation gepflegt werden, wie in anderen Ländern die Vervollkommnung der Technik, beherrscht die zeitnahe Bühne des Alltags. Ewig wandelbar, von einer nicht zu zerstörenden Lebensfreude, gleicht die dramatische Seele des Franzosen dem Wappen seiner Hauptstadt, der Welthauptstadt des Geistes: einem Schiff, das auf den Wellen in einem Sturm hin- und hergeworfen wird, ohne unterzugehen: „Flucluat nec mergiturl“.
Das Christentum, ein Geschenk des Orients – dieser mächtige Antrieb zur Entwicklung der Völker Europas –, verbreitete seine geheimnisvollen Liturgien durch die singenden Münder seiner Gläubigen und legte damit den Baustein zu den Passions- und Mysterienspielen, die in Frankreich großen Anklang fanden. Geistliche und Handwerker wirkten in diesen Spielen mit. Der Wille zum Tragen der Maske, der Wille zur Nachahmung beeinflußte den Menschen der primitiven Bühne und wurde durch den Willen einzelner Dramatiker Waffe in der Hand des Volkes und in der Hand der Könige. Dazu kam, daß die höfischen Theater der Renaissance auch auf der französischen Bühne heimisch wurden. Die Gestaltungen der Commedia...