Rezension
Immer im Wandel
Der Sammelband „Ensemble in Bewegung“ über das Puppentheater Magdeburg
von Jessica Hölzl
Erschienen in: double 43: Barrieren | frei – Zugänge zum Figurentheater (04/2021)
Assoziationen: Buchrezensionen Sachsen-Anhalt Puppen-, Figuren- & Objekttheater
Ein Prolog eröffnet den Band programmatisch, wenn Puppe und Spielerin in Textfragmenten aus Astrid Griesbachs „Doktor Faustus reorganisiert“ (2012) zentrale Fragen der Animation im Knittelvers verhandeln. Leitmotivisch in der Geschichte des Hauses mal geliebt, mal geächtet, mischt sich dann auch noch eine Kasperfigur ein, um Gretchen zu retten. Wohin die Reise geht, klingt in Agnès Limbos’ poetischem Ausblick an, der die Verwobenheit von Spieler*in, Figur und Betrachter*in als Ausgangssituation zeitgenössischen dingtheatralen Spiels beschreibt. Zwischen diesen Konstellationen skizziert der Sammelband mit großer Sachkenntnis und spürbarer Liebe zum Gegenstand den historischen und künstlerischen Werdegang des Puppentheaters Magdeburg von seiner Gründung im Jahr 1958 bis heute.
Die Wiedervereinigung von DDR und BRD wird als tiefgreifender Einschnitt für personelle, ökonomische und künstlerische Ausrichtung des Hauses formal aufgegriffen und gliedert den Band in drei „Umbauten“. Unterschiedliche Formate erzeugen eine vielperspektivische Sicht auf die Geschichte(n), in deren Erzählung sich Stimmen aus organisatorischem Bereich, Gewerken und künstlerischen Positionen abwechseln. Damiet van Dalsum und Frank Bernhardt, ehemalige und aktuelle künstlerische Leitung, kommen zu Wort, aber auch Spieler*innen und Regieführende berichten von Chancen und Schwierigkeiten, die die Arbeit an einem städtischen, festen Puppentheaterensemble – ein „ostdeutsches Kulturphänomen“ (Meyer) – mit sich bringt. Im Zentrum steht dabei die künstlerische Entwicklung, wobei die Fähigkeit des Magdeburger Theaters zu Veränderung und Wandel immer wieder als entscheidende Eigenschaft herausgestellt wird, der das Haus – 2019 mit dem Theaterpreis des Bundes prämiert – seine heutige Lebendigkeit und Qualität verdankt.
Festivals wie UNIMA 2000 als wichtige programmatische Zäsur und dem „Horizont-Erweiterer“ Blickwechsel (Tom Mustroph) wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Verwoben mit formaler, inhaltlicher und ästhetischer Entwicklung des Repertoires zeigt sich der Spagat zwischen lokaler Verwurzelung und Internationalisierung, wobei Stadtgesellschaft und Kulturpolitik das Haus in diesem Prozess als unentbehrliche Partner unterstützen. Welch zentrale Rolle dabei die vielfältige Einbindung des Theaters vor Ort spielt, zeigen Einblicke in die Magdeburger Jugendkunstschule, die theaterpädagogische Arbeit und die 2012 eröffnete FigurenSpielSammlung.
Zwischen Broschüre, Magazin und Ausstellungskatalog verdankt der Band seine spielerische Leichtigkeit nicht zuletzt der schlichten Ästhetik und dem großzügigen Satz des Layouts (Robert Voss). Eine Vielzahl großformatiger Abbildungen erlaubt die Rückbindung und Visualisierung der vorgestellten künstlerischen Arbeiten. Anschaulich wird daran zudem die große ästhetische Vielfalt, die sich am „Fluchtpunkt Puppe“ (Meyer) entspinnt, verzichtet das Haus doch – ein weiteres spannendes und eindrucksvolles Charakteristikum des Magdeburger Puppentheaters – seit 2000 auf eine feste Besetzung der Position Puppenbau/Bühne und beschäftigt stattdessen wechselnde Gäste.
Überwiegt im ersten Teil ein forschender Duktus, lockert sich der Ton im letzten Drittel des Bandes auf. Dem Theater über lange Zeit verbundene Akteur*innen aus Künstlerischem Betriebsbüro, Technik und Ausstattung plaudern aus dem Nähkästchen und nehmen mich als Leserin mit in eine turbulente Theaterwelt, in der es leidenschaftlich drunter und drüber und dabei immer um die Sache geht. Das macht Spaß – und große Lust auf Figurentheater, in Magdeburg oder woanders, sobald das wieder möglich ist.
Ensemble in Bewegung
Wie sich das Puppentheater Magdeburg stetig neu erfindet
Herausgegeben von Anke Meyer und Silvia Brendenal
Theater der Zeit 2021, 168 Seiten
ISBN 978-3-95749-298-2
www.theaterderzeit.de