Auftritt
Bremen: Das is ja ois aans
Theater Bremen: „Kauza Schwejk / Der Fall Šwejk“ nach dem Roman „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ von Jaroslav Hašek. Text, Regie und Bühne Dušan David Parízek, Kostüme Kamila Polívková
Erschienen in: Theater der Zeit: Am Nullpunkt – Alain Badiou, Philippe Quesne, Joël Pommerat, Du Zieu (01/2016)
Assoziationen: Theater Bremen
Mit „Kauza Schwejk / Der Fall Šwejk“ am Theater Bremen ist es ein bisschen so wie mit „Wallensteins Lager“: Es geht die ganze Zeit um eine Titelfigur, die nie auftritt. In Dušan David Parízeks Adaption des Romans „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ von Jaroslav Hašek wird der dramaturgische Kniff zum Programm. Denn in der militärischen Hierarchie ist kein Platz für den Angeklagten, dessen Leben hier verhandelt wird.
Das Vergehen des Soldaten Schwejk, zum Tatzeitpunkt Infanterist der österreichischungarischen Armee im Ersten Weltkrieg, ist schnell erzählt. Er wurde an der galizischen Grenze, dem östlichen Frontverlauf, in russischer Uniform aufgegriffen, die er – wie er vorgibt – aus einer Laune heraus angezogen habe, als er sie an einem Badeteich liegen sah. Das macht ihn in den Augen des Militärrichters General Fink (Martin Baum) höchst verdächtig. Der Junge ist Überläufer zu den Russen, so viel ist klar. Er möchte dem Tschechen kurzen Prozess machen.
Fink hält von den Tschechen ohnehin nicht viel. „Tschuschen, Tschechen, Serben, des is ja ois aans“, erklärt er dem Kadetten Biegler (Peter Fasching), der mit vorauseilender Dienstfertigkeit und herrlich windigem Opportunismus versucht, den Erwartungen des Generals gerecht zu werden. Ein Ding der Unmöglichkeit, denn Fink hat vor allem sprachlich einiges an dem jungen Kadetten auszusetzen. Auch politisch und militärisch muss der noch viel lernen. Bei den „Tschuschen“, so erklärt Fink, müsse man besonders aufpassen, diesen „heidnischen braunen Hunden“. Überhaupt: Das Einzige, was Wert hat, sei das Militär, bestenfalls „rassereine aktive Offiziere“, nicht diese „Zivilistenschweine“, und erst recht nicht die Einjährigfreiwilligen, diese „Viecher“.
So redet sich der brennende Nationalist unter antiken Gerichtsdokumenten, die Parízek überdimensioniert von der Decke baumeln lässt, in Rage. Die Szene ist nüchtern; ein Podest auf der Bühne erhöht den hinteren Bereich, darauf zwei Tische, mehrere Stühle, einige Overhead-Projektoren, die immer wieder genutzt werden, um den Hergang der Tat zu rekonstruieren – oder zu konterkarieren. Frau Oberleutnant Lukášová (Ivana Uhlírova) wird, wenn sie eine Ortsskizze anfertigen soll, hingebungsvoll Blümchen auf die Folie malen.
Die rechtstreue Lukášová gibt ihr Bestes, um das Urteil ohne Prozess zu verhindern, und lädt zwei ihrer tschechischen Landsleute als Zeugen vor. Dafür muss sie manche verbale und physische Gängelung über sich ergehen lassen, die sie mit stoischer Gelassenheit und manchem Augenrollen erträgt. Sämtliche Figuren sind dem Roman entnommen, teilweise aus mehreren Figuren zusammengelegt. Das funktioniert zum Teil gar nicht mal schlecht, manche Zugriffe wirken allerdings aufgesetzt, wie die weibliche Besetzung Oberleutnant Lukášovas, die sich in die historisierte Männerdomäne Militär nicht so recht fügen möchte.
Der Abend spielt mit der Multinationalität der österreichischen, tschechischen und ungarischen Schauspieler. Sprache ist Machtinstrument, ganz gleich, ob man sie beherrscht, andere damit degradiert oder sich ihr verweigert. Konsequenterweise widersetzen sich die tschechischen Zeugen, wenn sie den Tathergang in ihrer Landessprache erzählen und Frau Oberleutnant dabei mit sichtlicher Freude Fehlübersetzungen liefert. „Tschechen sind grinsen- de Bestien“, stellt Fink fest, und der offene Rassismus läuft durch die Komik der Szene wunderbar ins Leere. Schade aber, dass genau diese Sprachvielfalt dazu führt, dass ganze Passagen teilweise nicht zu verstehen sind.
Parízek legt in seiner Spielfassung den Figuren fast ausschließlich Originalzitate seiner Neuübersetzung in den Mund und verknüpft die Figuren durch die Geschichte Schwejks. Ein konsequenter Ansatz, allerdings muss man im Laufe des Abends feststellen, dass Parízeks Plan nicht aufgeht. Es mag daran liegen, dass die „Kauza Šwejk“ – wie man in der Pressemappe liest – als Teil einer Trilogie angedacht ist, die „sich auch um Jaroslav Hašek und seine politische Menschwerdung drehen soll“, denn viele Szenen hängen im luftleeren Raum.
Der Abend zerfällt in Einzelszenen und scheint nicht so recht zu wissen, wohin er will. Es fallen Formulierungen wie „totale Verrohung des Menschen durch das Militär“, es wird offen rassistisch gepöbelt, es gibt sehr körperliche, fast brutale Szenen. Ein Teil des Publikums bleibt nach der Pause, in der es Erdäpfelgulasch für alle gibt, wie als Mittäter auf der Bühne. Und doch: Der Abend ist eher ein sanfter Hauch als ein Sturm mit aktuellem Bezug. //