Bürgerliche Indienstnahme des Theaters
Aufklärung und bürgerliche Lebenswelt: Die vierte Wand
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Ein Ordnungsfaktor oder eine Manifestation von Ordnung konnte das Theater sein, das sich auf das (scheinbar) Unbewegbare, die (gedruckte) Literatur fixierte, das vor allem aber die Dinge vernünftig, wahrheitsgetreu illusionistisch (re-)präsentierte, das Widersprüchliche, den Mischmasch dieses (Re-)Präsentierens hinter einer „vierten Wand“ verbarg (internierte) und das Darzustellende neu gewichtete. Neben die Behandlung des Politischen, wie Freiheit (Voltaire), Anti-Tyrannei, nationalstaatlicher Patriotismus, trat die Gestaltung des spezifisch Individuellen, des Inneren des einzigartigen Menschen und seiner unmittelbaren, privaten, familiären Lebenswelt, und alle Dimensionen von Natur sollten jetzt repräsentiert werden. Spätestens seit Diderots Stücken in den 1750er Jahren schreiben Dramentexte mit teilweise recht ausführlichen Regieanmerkungen vor, wie sich die jeweilige Rolle in bestimmten Situationen gestisch-körperlich verhält, wie sich sinnlich ihre Emotionen äußern.140 Gegen das auf das Wort fixierte klassizistische Theater setzte sich allmählich eine Gestisch-Körperliches betonende Spielweise und eine umfassend um Wahrhaftigkeit bemühte Repräsentation der sinnlichen Umwelt durch. Im Zusammenhang mit seinen Stücken DER NATÜRLICHE SOHN und DER HAUSVATER legte Diderot die wohl erste umfassende sensualistisch-materialistische Theorie eines bürgerlichen Theaters vor. Lessings sofortige deutsche Übersetzung (1761) verdeutlicht die kulturhistorische Bedeutung und Wirksamkeit des Konzepts.141
Die Kunst, so Diderots Grundthese, soll in ihren Bildern und Vorstellungen, die sie liefert, mit...