Theater der Zeit

Editorial

von Christine Peters, Dorte Lena Eilers und Frie Leysen

Erschienen in: Arbeitsbuch 2010: Theater der Welt (06/2010)

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Die zwölfte Ausgabe von Theater der Welt in Essen und Mülheim an der Ruhr nimmt den Titel beim Wort, steht daher nicht unter einem bestimmten Motto. Theater der Welt ist ein Künstlerfestival und somit keine thematische Verkettung der bemerkenswertesten Inszenierungen der globalisierten Theaterwelt, keine Show der Besten. Starke Künstlerpersönlichkeiten stehen im Mittelpunkt dieser Ausgabe, denn sie sind es, die man kennenlernen muss - sie sind keine Repräsentanten ihrer Kultur oder der Probleme und Konflikte ihrer Heimat, sondern sprechen für sich und über ihre Vorstellungen und Interpretationen von Welt. Die Medien und Darstellungsformen, die sie für ihre Projekte gewählt haben, sind dabei nicht vordringlich charakteristisch; spartenübergreifendes Arbeiten ist für viele von ihnen selbstverständlich. In urbanen Kontexten situiert - die Künstlerinnen und Künstler arbeiten unter anderem in Mexiko-Stadt, Bangkok, Pretoria, Budapest, Buenos Aires, in Singapur, Paris, Johannesburg, Los Angeles oder Moskau -, trennt sie der geographische Raum, doch teilen sie die Zeit, in der wir leben. Diese, ihre und unsere, Zeitgenossenschaft begreift Theater der Welt als eine gemeinsame Sprache. Das Zusammentreffen, der Clash ihrer Visionen, die Verschränkung der Welt mit dem Ruhrgebiet und des Ruhrgebiets mit der Welt führen unvermeidbar zu produktiven Missverständnissen. Im Dialog lassen sich diese hinterfragen, korrigieren, die eigene Weltsicht, der eigene Standpunkt dadurch feiner nuancieren - aber nur, wenn man akzeptiert, dass Missverständnisse eine schöne, produktive Sache sind.

Da beim Festival in einem Zeitraum von knapp drei Wochen lediglich ein Ausschnitt der Weltsichten der Künstler präsentiert werden kann, versammeln Theater der Zeit und Theater der Welt in dem vorliegenden Arbeitsbuch ausführliche Interviews mit den Künstlerinnen und Künstlern, die eigens für diese Publikation geführt wurden.

In den per E-Mail, Telefon und live geführten Gesprächen geben die Künstlerinnen und Künstler Einblicke in ihre jeweiligen Lebens- und Arbeitsrealitäten. Sie erzählen von ihrem Werdegang, von dem Ort, an dem sie leben, von ihrer Sicht auf das kulturell jeweils Andere, Spezifische oder Ähnliche und erläutern ihre Standpunkte zur künstlerischen Produktion im globalen Zeitgeschehen. Auf diese Weise sind die vorliegenden 32 Zeitzeugenporträts konstitutiver Teil des geistigen, kreativen und kritischen Kapitals von Theater der Welt 2010 und Ausdruck einer vielschichtigen Spurensuche, die den unterschiedlichen Sprachen und Sprechakten auch in Textform begegnet. Im Widerhall dieser Vielstimmigkeit begreift sich Theater der Welt 2010 als Welttheater im kosmopolitischsten Sinne.

Wir danken allen Künstlerinnen und Künstlern für ihre Energie, Geduld und Zeit, die sie zur Beantwortung unserer Fragen aufgebracht haben, sowie für ihre differenzierte Auseinandersetzung.
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir eine elektrisierende und erhellende Lektüre.

Die Herausgeberinnen
Dorte Lena Eilers, Frie Leysen und Christine Peters

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