Performing (in) Berlin. Die Freie Szene als urbaner Motor und Stadtarchiv
von Anja Quickert
Erschienen in: Andere Räume – Die Freien Spielstätten in Berlin (04/2021)
Assoziationen: Freie Szene Berlin
Wenn über die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz geredet wird, sagt man: Was ihr dort gemacht habt, kann man in Berlin machen, aber nur dort“, schrieb Matthias Lilienthal im Jahr 1999. „Die Volksbühne 1992“, so Lilienthal weiter, „war vor allen Dingen ein Abenteuerspielplatz. Der uninstitutionalisierte Moment nach der Wende machte alles möglich. Die russischen Panzer waren schon abgezogen, die alten DDR-Machthaber hatten nicht mehr wirklich etwas zu sagen, die westdeutschen waren noch nicht eingezogen. Es war der utopische Moment, in dem Hierarchien außer Kraft gesetzt schienen.“
Dieser utopische Moment, von dem Lilienthal – von 1992 bis 1999 Chefdramaturg an der Berliner Volksbühne und zwischen 2003 und 2012 Intendant der Freien Spielstätte HAU Hebbel am Ufer – spricht, ist natürlich längst Geschichte. Ebenso wie die Intendanz von Frank Castorf, die lange vor ihrem Ende im Sommer 2017 bereits als legendär galt. Doch das besondere Verhältnis zwischen Berlin und seinem Theater kann man nur verstehen, wenn man sich die historische Situation der Stadt in Erinnerung ruft – als zugleich repräsentativer Schauplatz und konkreter Verhandlungsort der Wiedervereinigung, mit viel Raum für Gestaltung und Selbstermächtigung in der Mitte.
Ab 1992 war das Theater am Rosa-Luxemburg-Platz Plattform und Multiplikator einer künstlerischen Praxis, der es gelang, die diversesten...