Theater der Zeit

I. EINLEITUNG

5. Bemerkungen zur Vorgehensweise

5.3 Risse / Lücken

von Charlotte Wegen

Erschienen in: Recherchen 163: Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny im Spiegel von Mythos und Religion – Eine Untersuchung der Opernwerke Ariadne auf Naxos und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (05/2022)

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Gleichwohl diese Arbeit zwei Opernwerke zum Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Untersuchung erklärt, wird sie keine Darstellung einer Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Kunstform Oper vornehmen.162 An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Unternehmung, mehr als 300 Jahre Operngeschichte kurzerhand in einem Kapitel zu exzerpieren, Gefahr liefe, einer Linearität im Sinne des traditionellen Historismus und damit einem naiven Geschichtsbild zu verfallen. Anvisiert ist also lediglich eine kondensierte Entstehungsgeschichte des jeweiligen Opernwerkes, das im Falle von Ariadne einerseits seine Uraufführung am Stuttgarter Hoftheater (1912) umfasst und andererseits die Vorstellung der veränderten Fassung an der Wiener Hofoper (1916) einbezieht. Für die Untersuchung von Mahagonny gilt indes jenevollendete Fassung, wie sie 1930 von Brecht und Weill zur Leipziger Uraufführung freigegeben wurde. Sowohl im Falle der Ariadne als auch Mahagonny wird von einem Abgleich zwischen Erstund Zweitfassung, von einem Rekurs auf Vorstufen und Neufassungen abgesehen.

Zudem wird diese Arbeit mit ihrer gezielten Schwerpunktsetzung auf den Text und seine jeweilige Figuration auch jeden Versuch einer musiktheoretischen Erörterung suspendieren163 und so den Einwand einer in gewisser Weise undialektischen Betrachtung gegen sich und ihre Argumentation gelten lassen müssen.164

162 ›Die Oper‹ im Sinne einer Homogenität der Formen gibt es nicht; auch wenn der Determinierer hier dergleichen nahelegt, ist die Kunstform ›Oper‹ doch von Pluralität gekennzeichnet. Für eine Übersicht der Oper als Kunstform bzw. ihrer Genese, siehe z. B.: Ehrmann-Herfort, Sabine/Finscher, Ludwig/Schubert, Giselher (Hrsg.): Europäische Musikgeschichte, Kassel/Stuttgart 2002. Für eine detailierte Nachzeichnung der Entstehung der Oper siehe Donington, Robert: The Rise of Opera, London/Boston 1981. Für die Operngeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, siehe beispielsweise Fischer, Jens Malte: Oper – das mögliche Kunstwerk. Beiträge zur Operngeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (= Wort und Musik Bd. 6), Anif/Salzburg 1991 und zur neueren, gleichsam interdisziplinär zu beleuchtenden Operngeschichte siehe u. a. Dahlhaus, Carl: Vom Musikdrama zur Literaturoper. Aufsätze zur neueren Operngeschichte, München 1983.

163 Für Ariadne siehe beispielsweise die Arbeit von Karl-Dietrich Gräwe, die sich dezidiert mit der Ariadne-Oper unter musikalischen wie auch sprachlichen Gesichtspunkten, d. h. dem Zusammenspiel von Strauss’ Musik und Hofmannsthals Librettistik auseinandersetzt: Gräwe, Karl-Dietrich: Sprache, Musik und Szene in »Ariadne auf Naxos« von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, München 1968. Über Mahagonny heißt es nicht ganz zu Unrecht: »Über den Text ist viel geschrieben worden, weniger über die Musik«. Feil, Arnold: Metzler Musik Chronik vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Stuttgart/Weimar 1993, S. 717 – 718, hier: S. 718. Für Aufsätze »über die Musik« in Mahagonny siehe beispielsweise Knopp, Peter: »Durch die Wüste – Kurt Weills musikalische Ausfahrt nach Mahagonny«, in: »Können uns und euch und niemand helfen«. Die Mahagonnysierung der Welt. Bertolt Brechts und Kurt Weills ›Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny‹, hrsg. v. Gerd Koch, Florian Vaßen, Doris Zeilinger (= wissen & praxis 138), Frankfurt/M. 2006, S. 84 – 93.

164 So ist es Brecht selbst, der eine absolute Gleichberechtigung von Musik, Text und Geste festhält. Brecht: »Anmerkungen zur Oper ›Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny‹«, in: Hennenberg, Fritz/Knopf, Jan (Hrsg.): Brecht/Weill »Mahagonny«, Frankfurt/M. 2006, S. 123 – 133, hier: S. 128: »Der Einbruch der 286 Endnoten Methoden des epischen Theaters in die Oper führt hauptsächlich zu einer radikalen Trennung der Elemente. Der große Primatkampf zwischen Wort, Musik und Darstellung (wobei immer die Frage gestellt wird, wer wessen Anlaß sein soll – die Musik der Anlaß des Bühnenvorgangs, oder der Bühnenvorgang der Anlaß der Musik usw.) kann einfach beigelegt werden durch die radikale Trennung der Elemente.« Zwar gilt seine Forderung in erster Linie ihrer nebeneinander bestehenden Präsenz auf der Bühne, dennoch genießt seine These auch abseits der Praxis Gültigkeit: Dass all jene Elemente die Oper gleichsam konstituieren, (das Genre Oper setzt in seiner Synthese von Gesang, Musik und Schauspiel dementsprechend die begriffliche und praktische Trennung dieser drei Ausdrucksformen immer schon voraus, Anm. C.W.), muss auch für die theoretische Ebene ihrer Behandlung gelten. Dazu schreibt auch Günter Schnitzler in seiner Auseinandersetzung mit Ariadne: »Da das Libretto stets vertonter und szenisch vorgestellter Text ist, gibt es keine Oper ohne Libretto, aber auch keinen Operntext ohne Musik, und beides ist wiederum von der Bühne, vom visuell Wahrnehmbaren nicht zu trennen. Diese Doppelbestimmung des Librettos, d. h. seine Unlösbarkeit von der Musik wie von der Szene unterscheidet den Operntext von allen anderen literarischen Gattungen […] in der Oper [ist] jede der drei dort gegenwärtigen Künste eine Verwirklichungsbedingung des Ganzen, das sie zudem in Wechselwirkung zueinander stehend konstituieren.« Schnitzler, Günter: »Entwurf einer Oper aus dem Geist Poussins – Ariadne auf Naxos von Hofmannsthal und Strauss«, in: Koebner, Thomas (Hrsg.): Ästhetische Existenz – Ethische Existenz. Ein zeitgenössisches Entweder – Oder?, München 2008, S. 149 – 170, hier: S. 150.

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