Aktuelle Inszenierung
Theater brauchen Gedankenfreiheit
Erschienen in: Theater der Zeit: Die Bibliothek des Körpers – Der Tänzer-Choreograf Ismael Ivo (03/2015)
Assoziationen: Theaterkritiken
Man stelle sich vor: Es gibt jemand ein Porträt von sich bei Georg Baselitz in Auftrag. Und als es fertig ist, bemerkt er konsterniert: „Das Bild steht ja auf dem Kopf!“ Dürfte er mit Verständnis für sein Unverständnis rechnen?
Frank Castorf inszeniert nicht erst seit gestern. Dass er Stücke zuweilen auf den Kopf stellt, sollte niemanden überraschen, der nur ein klein wenig Ahnung vom Gegenwartstheater hat. Umso verwunderlicher ist nun die Empörung des Suhrkamp Verlags und der Brecht-Erbin Barbara Brecht-Schall.
Aber es geht hier nicht nur um Castorf. Man traut es sich kaum niederzuschreiben, weil es fast schon ein Gemeinplatz ist: Inszenieren heißt immer Interpretieren. Doch selbst das scheint sich noch nicht überall herumgesprochen zu haben. Wer zwischen erlaubten und verbotenen Deutungen unterscheidet, schränkt das Denken ein. Dramen aber brauchen Gedankenfreiheit, um auf der Bühne lebendig zu werden. Dafür werden sie geschrieben.
Allerdings: Was als gutes Recht des Theaters scheinen will, deckt sich nicht zwingend mit dem Urheberrecht, das aufseiten des Verlags stand. Um dessen Einschreiten zu vermeiden, hätte das Münchner Residenztheater Bearbeitungsrechte erwerben können (auch die gibt es), freilich auf die Gefahr hin, dass Suhrkamp diese gar nicht erst erteilt hätte. Dem Theater hätte das zwar eine Menge Ärger...