2. Bürgerpflichten, Bürgersinn
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Authentizität! – Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern (03/2017)
Andere Verhältnisse, andere Ansichten, andere Üblichkeiten. „Es ist Sache des Staates, den Mängeln der Gesellschaft abzuhelfen“, schrieb Bernard Mandeville schon im frühen 18. Jahrhundert9 und sprach die Einzelnen von übertriebenen Rücksichten auf das große Ganze frei. Ein ausschweifendes Leben mache die Vornehmen und Reichen unfähig, die Strapazen eines Krieges auszuhalten. „Allein, was haben die Ratsherren und überhaupt alle Leute in höherer Stellung mit der Kriegsführung zu tun, außer daß sie die Kosten zum größten Teile tragen müssen?“10
Selbstregierung, kognitive Pflichten, wahre Rede als Bürgen des Gemeinsinns, Gemeinwohls? In seiner Paraderolle als Bourgeois kennt der Bürger nur mehr eine Tugend: die der Bereicherung mit allem Mitteln, um jeden Preis. Einreden von Moralisten wie die von Helvétius – „Die Tugend besteht im Opfer dessen, was man persönliche Interessen nennt“ – prallen daran ab. Sich als modernes bürgerliches Subjekt zu konstituieren hieß, seine Bestimmung auf Erden zu kennen und ihr zu folgen, was die Kultivierung, die Sublimierung dieses Bürgerseins keineswegs ausschloss. Die Praktiken waren real, keine bloße Fassade, darauf ausgerichtet, den neuen Herren wie den ihnen Unterworfenen das Bewusstsein legitimer Herrschaft zu vermitteln. Wer es ‚geschafft‘ hatte, oben stand, war aufgrund beharrlicher Arbeit an sich selbst dorthin gelangt, durch Sparsamkeit, Selbstdisziplin,...