Zehn Thesen
These 6: Theatermusik ist Klangforschung und Arbeit am Rhythmus
von David Roesner
Erschienen in: Recherchen 151: Theatermusik – Analysen und Gespräche (11/2019)
Heutige Theatermusik findet, wie eingangs erwähnt, weder in der Musikwissenschaft noch in der Musikkritik nennenswerte Beachtung, was neben den bereits genannten Gründen unter anderem daran liegen mag, dass hier kompositorisch andere Prioritäten gesetzt werden als z. B. auf den Festivals für Neue Musik in Darmstadt, Witten oder Donaueschingen. Die Theatermusik stellt sich selten in den unmittelbaren Kontext oder die Traditionslinien der Neuen Musik (auch wenn die Theatermusiker*innen diese oft durchaus rezipieren, zum Teil sogar studiert haben und bisweilen ihre eigene Musik auch als experimentell verstehen). In ihr werden weniger der »Materialstand« im Sinne Adornos zur Disposition gestellt oder die Grenzen kompositorischen Denkens neu vermessen.115 Die musikalische Entwicklung der Theatermusik findet also im Großen und Ganzen weniger auf der Ebene harmonischer, formaler und melodischer Neuerungen statt. Stattdessen ist Theatermusik besonders im Bereich der Entdeckung und Collagierung von Klangmöglichkeiten innovativ. Sie interessiert sich für die Materialität von Klang116 und seine mikro- und makrorhythmische Strukturierung.117
Das Interessante und Untersuchenswerte an Theatermusik sowie ihr »Gehalt«118 finden sich daher eher in der fortwährenden Suche nach klanglichen und rhythmischen Texturen, die Räume konturieren, unsere Zeitwahrnehmung lenken, szenische Wirkung in einem hochkomplexen Wechselspiel mit den vielen anderen Medien des Theaters atmosphärisch aufladen und...