Theater der Zeit

Stück

Leben und Sterben des Kaplans Joachim Slüter zu Rostock (Auszüge)

von Holger Teschke

Erschienen in: Theater der Zeit: Schauspiel Leipzig – Martin Linzer Theaterpreis 2017 (06/2017)

Assoziationen: Dramatik Volkstheater Rostock

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PERSONEN
Joachim Slüter
, Magister und Kaplan zu St. Petri in Rostock
Katharina Jelen, seine spätere Frau
Soske Jelen, ihre Mutter
Kaspar Huck, Narr und entlaufener Mönch
Mine Rieck
, Fischfrau
Barthold Kerkhoff, Ratsherr zu Rostock
Johann Oldendorp
, Syndikus
Barthold Moller, Dekan zu St. Jakobi und Professor der Theologie
Johannes Bugenhagen, Reformator zu Wittenberg
Ludwig Dietz, Buchdrucker zu Rostock
Herzog Heinrich V.
, Landesherr zu Mecklenburg
Konrad von Greyffenhagen, herzoglicher Rat Fischer, Fährleute, Bürgerinnen und Bürger und Kinder

Das Stück spielt in Rostock und Wittenberg in den Jahren 1523 bis 1549

VORSPIEL
Fastnacht. Marktplatz vor dem Rathaus zu Rostock. Buden, Bierbänke und eine Bühne auf großen Fässern samt Portal und Vorhang. Kaspar, der Narr kommt mit Engeln und Teufeln, einem Schwert- und Feuerschlucker sowie mit Moriskentänzern und Musikanten.
Kaspar: Hochwohllöbliches Publikum, stehengeblieben und zugeschaut! Wir bringen euch heute das Fastnachtsspiel vom Groß-Türken, wie es geradezu Nürnberg mit unerhörtem Erfolg über die Bühne gegangen ist! Seitdem läuft es auf allen Jahrmärkten zwischen Bayern und Mecklenburg! Das Fastnachtsspiel vom Sultan Soleiman, dem Schrecken des Abendlandes! Stehengeblieben und zugeschaut!
Der Vorhang öffnet sich und ein Herold tritt auf.

Herold:
Nun schweigt und hört die fromme Mär: Der große Türke wird kommen hierher, der Griechenland erobert hat und manche Festung, manche Stadt, der schlecht bewehrten Christenheit in dieser sündenvollen Zeit darin kein Mensch mehr sicher haust und wo es Weib und Kindern graust vor Räubern, Mördern und Landsknechten, die über uns viel Elend brächten. Geplünderte Dörfer verbrannte Felder, geschlachtetes Vieh, zerhaune Wäldern und nun auch noch der schlimme Zwist: welcher Glauben der Rechte ist! Der, den der Papst aus Rom uns lehrt Oder der neue aus Wittenberg? Der von der Gnade der Gottesmutter Oder der vom Doktor Luther? Dazu der Krieg im Heilgen Römischen Reich Macht Stadt und Land dem Erdboden gleich.

Das hört der Türke im Morgenland Und nimmt sein Krummschwert in die Hand und nimmt die Fahne des Propheten und spricht zum Klang der Kriegstrompeten: Lasst uns auf unsre Pferde springen, dem Abendland Allah und Koran bringen!

Der Sultan tritt auf mit Krummschwert und Fahne. Ein Ritter stellt sich ihm in den Weg.

Ritter:
Steh, Türke und kehr wieder um!
Dein Wort ist wie dein Schwert so krumm.
Dir geht es nicht um Treu und Glauben,
du willst nur unsre Jungfraun rauben!

Der Sultan stößt den Ritter um, der fällt hinter den Vorhang.

Sultan:
Die Christen-Ritter führn ein großes Maul, doch haut man drauf, ist alles hohl und faul.

Ein kaiserlicher Rat tritt auf mit Schriftrolle und Siegeln.

Rat:
Unser Kaiser ist fromm und mächtig Und nur dem wahren Gott andächtig ! Kehr um und fürchte seinen Zorn Bevor du Leib und Leben verlorn!

Der Sultan stößt den Rat um, der fällt hinter den Vorhang.

Sultan:
Des Kaisers Räte halten sich für groß und weise, doch was sie raten, das ist alles Scheiße.

Ein Bischof tritt auf mit Krummstab und Weihrauch.

Bischof:
Nur unser Gott der wahre ist! Kehr um, du Sohn des Antichrist! Lass unser Abendland zufrieden Sonst wirst du in der Hölle sieden!

Der Sultan stößt den Bischof um, der fällt hinter den Vorhang.

Sultan:
Die Pfaffen schwenken Kreuz und Kutten Und saufen heimlich Wein mit Nutten.

Luther tritt auf mit einer großen Bibel.
Luther:
Eine feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen, der hilft uns wohl in aller Not, gegen Teufel, Türk und Pfaffen !

Sultan:
In diesem Kerl ein mächtig Feuer brennt-Ich kehre um und bleib im Orient.

Er geht schnell ab, das Publikum johlt und Kaspar geht Geld sammelnd mit seiner Kappe herum.

Kaspar: Eine Gabe für die Schauspieler, hochwohllöbliches Publikum ! Die Kunst geht nach Brot und das Brot ist teuer, vom Wein ganz zu schweigen. Eine Gabe, ihr Damen und Herren!

Die Musikanten spielen auf, die Moriskentänzer tanzen mit den Engeln und Teufeln. Auf der Bühne treten die Schauspieler vor den Vorhang und verbeugen sich, dann zeigt der Feuer-und Schwertschlucker seine Künste.

Kaspar: Und nun folgt mir zu unserem Spiel vom Leben und Sterben des Joachim Slüter, Kaplan zu Sankt Petri, wie es sich zugetragen hat in dieser Stadt Rostock an der Warnow! Ein Mönch wird heute den Narren spielen, die Gaukler die Geistlichen und das Volk sich selber, das ist ergreifend und spart Geld. Aber weil Fastnacht ist, dürfen die Gaukler auch Herzöge und Ratsherren spielen, das ist zum Lachen und tut keinem weh. Solange sie nicht zeigen, dass die Herzöge und Ratsherren selber Gaukler sind, in welchem Falle das Theater geschlossen wird und die Gaukler aus der Stadt fliegen. Ich werd euch jetzt durch dieses Stück begleiten: Ich spiel den Narrn! So überlebt man finstre Zeiten!

1. BILD
Hof zu Schwerin Herzogliches Kabinett März 1523 Herzog Heinrich V., Rat von Greyffenhagen
Kaspar: Schloss zu Schwerin im Mecklenburger Land Sein Herzog ist schon wieder abgebrannt!
Herzog Heinrich V. in einem Sessel, er balanciert einen schweren Jagddolch. Rat Greyffenhagen steht vor ihm mit einer langen Schriftrolle.
Herzog: Genug! Also kurz und bündig, die Kassen sind leer?
Rat: So könnte man es auch sagen.
Herzog: Warum sagst du es dann nicht? Was soll mir dieser Rattenschwanz von Nullen?
Rat: Fürstliche Gnaden, mein Amt hat mich gelehrt, die nackte Wahrheit in einen trostreichen Mantel zu hüllen.
Herzog: Trostreich, dieser Schuldensermon? Lass die Kassen wieder füllen, und zwar ein bisschen plötzlich.
Rat: Fürstliche Gnaden, wir haben schon auf alles eine Steuer gelegt, selbst auf die Misthaufen. Die Bauern gehen am Bettelstab.
Herzog: Das sagen sie immer. Aber wenn ich meine Vögte und Soldaten ausschicke, dann sind ihre Scheunen voll und das Vieh steht im Fett.
Rat: Ja, aber wenn Eure Soldaten abziehen, dann sind die Scheunen leer und das Vieh ist abgestochen.
Herzog: Ach was. Die Bauern sind träge und versoffen. Ich kenne meine Mecklenburger, ich bin ja selber einer. Das sitzt lieber in der Schänke und schwadroniert über Gott und die Welt statt zu arbeiten. Was ist mit den Städten? Die Hansen sind reich, die rechnen sich nur arm.
Rat: Die Hansen haben sich von Abgaben und Zöllen freigekauft. Und sie stehn einander bei. Legen wir uns mit Rostock und Wismar an, haben wir Lübeck und Hamburg am Hals. Unsere Ritterschaft …
Herzog: Ich weiß selber, wie es um die Ritterschaft steht. Also, was ist dein Rat?
Rat:
Es gäbe da eine Möglichkeit.
Herzog: Welche ?
Rat: Fürstliche Gnaden haben das Patronat über Sankt Petri in Rostock.
Herzog: Und was hab ich davon? Ein paar Seelenmessen fürs Paradies. Und jetzt kommt auch noch dieser Luther und behauptet, dass die einen Dreck wert sind.
Rat: Fürstliche Gnaden werden auch ohne Messen ins Paradies kommen.
Herzog: So? Bist du auch schon Lutheraner? Ich kenne mein Sündenregister. Soviel Ablass kann ich gar nicht kaufen.
Rat: Gott in seiner unendlichen Gnade wird sie Euch vergeben für all die guten Werke, die Ihr an Eurem Land getan habt.
Herzog: Ich hoffe, er hat bessere Räte als ich. Also, was ist mit Sankt Petri? Nicht mal mein Leibarzt wollte diese Bettelpfründe. Lieber hat er eine bucklige Witwe mit einem Haufen Geld genommen.
Rat: Wenn Gott will, blüht ein Besen. Wenn Ihr nun den Rostocker Ratsherren einen Lutheraner in den Pelz setzen würdet…
Herzog: Einen Lutheraner? Hab ich nicht schon genug Ärger mit meinem Herrn Bruder? Katholischer als der Papst und voll von Hirngespinsten über ein Großnordisches Reich. Willst du mit leeren Kassen einen Krieg vom Zaun brechen?
Rat: Es müsste nicht gleich ein Krieg sein. Ein kleiner Aufruhr, bis die Ratsherren und die Geistlichen nach Eurem Beistand rufen.
Herzog: Weil ich meine Kirchen schützen muss?
Rat: Gegen gutes Geld, versteht sich. Ruhe und Ordnung kosten. Und wenn wir einen Lutheraner finden, der ernst macht mit dem Evangelium, dann kämen wir vielleicht auch an das Geld der Klöster.
Der Jagddolch fällt dem Herzog zu Boden, der Rat hebt ihn auf und gibt ihn zurück.
Herzog: Für diesen Rat wirst du in der Hölle kochen.
Rat: Nicht, wenn der Luther Recht hat. Es steht Euch zu, in Glaubensfragen das letzte Wort zu haben.
Herzog: Und, hast du schon so einen starrköpfigen Lutheraner gefunden?
Rat: Ein Schulmeister an Sankt Petri, ein gewisser Slüter.
Herzog: Nie gehört.
Rat: Der Sohn eines Fährmanns von der Elbe. Nicht versippt oder verschwägert mit den Prälaten und Professoren und auch den Ratsherren keinen Gefallen schuldig. Hat aber Theologie studiert und ist sogar Magister. Wenn Ihr ihn einsetzt, wird man ihm die Pfarre nicht verwehren können.
Herzog: Mein Bruder wird fluchen. Und die Pfaffen von der Universität erst. Ein Lutheraner in Rostock! Wieviel Geld steckt in Sankt Johannis und Sankt Katharinen?
Rat (reicht ihm ein Blatt): Eine Schätzung.
Herzog: Da kommt was zusammen, beim Beten und Betteln. Ich sollte aus diesem Schloss ein Kloster machen, mit wundertätigen Heiligen und Ablasshandel. Neulich beim Lützower hab ich eine hübsche Geschichte gehört. Im Brandenburgischen soll ein Ritter bei einem Ablasskrämer so einen Brief gekauft haben, der ihn von allen künftigen Sünden lossprach. Als er den hatte, stieß er den Mönch vor den Bauch und schnappte sich den Geldkasten. Und wie ihm der Paffe mit Fegefeuer und Hölle drohte, da winkte der Ritter mit seinem Brief. So einen musst du mir auch besorgen, bevor wir den Pauker zum Kaplan machen. Aber mein Bruder wird fluchen.
Der Herzog steckt seinen Jagddolch ein und winkt. Der Rat verbeugt sich und geht ab.

2. BILD
Kirchenschiff zu Sankt Petri Mai
1523 Slüter auf der Kanzel, später Kaspar, Katharina und Mutter Jelen

Kaspar:
Mai 23 in Sankt Petri ! Und es raunt die Stadt: Der neue Priester predigt hier auf platt!
Slüter: As uns Herr Jesus öwer all dat Volk sei, dat sich versammelt har, dor güng hei rup up ein Barg, sett sick dor hen un seggt: Selig sünn all de, de arm in Geist sünn, denn de warn dat Riek von Heben tau seihn kriegen. Un selig sünn ok de miit een sanften Gemöd, denn de sulln de Ierd bekamen. Un selig sünn ok de, wegger Hunger un Döst hebben nah de Gerechtigkeit, denn de sulln ollig satt dorvon warn. Un selig sünn ok de Barmhirzigen, denn se sulln Barmhirzigkeit erläwen. Un selig sünn ok all de mit een gauden Hart, denn se warn uns Herrgott tau seihn kriegen. Un selig sünn ok de, de den Freeden holln, denn se sünn uns Herrgott sin Kinnings. Un selig sünn ok de, de üm Recht un Gerechtigkeit jogt un schinn warn, denn för se steiht de Heben wiet open. Amen.
Gemeinde: Amen.
Slüter steigt von der Kanzel herunter. Kaspar, Soske Jelen und ihre Tochter Katharina.
Soske: So voll war’s lange nicht mehr in Sankt Petri, Herr Kaplan. Wenn Ihr so weiter predigt, dann müsst Ihr bald eine Kanzel vor der Kirche aufstellen.
Kaspar: Warum nicht ? Unter Gottes freiem Himmel sind wir ihm näher als unter all den steinernen Bögen.
Slüter: Und wer bist du, dass du unter deinem bunten Rock so luftige Gedanken mit dir herumträgst?
Kaspar: Ich bin ein Gaukler, wie mein Rock anzeigt. In meinem früheren Leben war ich Mönch, bis mir meine Zelle zu eng und die Klosterluft zu stickig geworden ist. Ich hab heimlich gelesen, was der Doktor Luther über die Freiheit eines Christenmenschen geschrieben hat. Die musste ich mir selber nehmen, weil unser Abt sie nicht herausgeben wollte.
Slüter: Und wovon lebst du jetzt?
Kaspar: Ich ziehe mit ein paar Gauklern von Stadt zu Stadt. Wir spielen auf den Marktplätzen und zur Kirchweih. Wenn sie besoffen sind, dann geben die Leute.
Slüter: Wirst du denn auch satt von deiner Kunst?
Kaspar: Nie, Herr Kaplan. Ich brauch zwar wenig, Brot, Eier und Schinken und eine Kanne Bier, aber davon viel. Geldstücke werden auch angenommen.
Slüter: In der Kirche darf nur der Kirchendiener sammeln. Außerdem hast du noch nicht gesungen.
Kaspar: Kommt mit vor die Tür! Oder seid Ihr einer jener Ungläubigen, die meinen, ein Gaukler kann nichts für ihr Seelenheil tun?
Slüter: Kannst Du’s?
Kaspar: Allerdings, denn wir haben einen mächtigen Schutzpatron, den Heiligen Genesius. Welcher selber ein Schauspieler war zu Rom, am Hofe des Kaisers Diokletian. Da hat er allabendlich die armen Christen auf dem Theater verhöhnt. Eines Tages bat er jammernd um die Taufe, auf dass er endlich in den Himmel komme. Und während das Publikum grölte, sah er plötzlich das Antlitz Christus im Wasserbecken und bekehrte sich auf offener Bühne.
Slüter: Ein Gauklertrick.
Kaspar: Keineswegs, ein echtes Gefühl. Leider wollte er anschließend gleich den Kaiser bekehren, der ihm dafür bei laufender Vorstellung den Kopf abschlagen ließ. Woraus wir lernen, dass man sich nie zu stark einfühlen, aber auch nicht zu sehr aus der Rollen fallen soll.
Slüter: Ich seh, in welche Schule du gegangen bist. Ich such nach einem neuen Kirchendiener. Der alte ist fortgelaufen. Er wollte sein Seelenheil nicht aufs Spiel setzen.
Kaspar: Davor habe ich keine Angst. Aber wie sieht es mit Kost und Logis aus?
Slüter: Brot und Bier kann ich bieten und einen Schlafplatz unterm Dach.
Soske: Und Freitisch am Sonntag in unserem Haus. Kommt mit, es ist angerichtet.
Kaspar: Spricht der Apostel: Richtet nicht nach dem, was Euch vor Augen steht, sondern richtet ein rechtes Gericht. Was gibt es denn?
Soske:
Brathering mit Speck.
Kaspar:
Zu Tisch, zu Tisch!

3. BILD
Rathaus zu Rostock Mai 1523. Ratsherr Kerkhoff, Dekan Moller
Kaspar: Das Rathaus zu Rostock, in Glanz und Ehren: Ein Pfarrherr kommt, sich zu beschweren!
Kerkhoff: Mein lieber Herr Dekan, beruhigt Euch! Ich habe den Slüter nicht berufen. Sankt Petri steht unter dem Patronat des Herzogs, wie Ihr wisst.
Moller: Und ob ich das weiß! Erst vergibt er es an seinen Kanzler, dann an seinen Leibarzt und jetzt an einen Lutheraner! Wer wird als nächstes in Sankt Petri predigen? Ein Türke?
Kerkhoff: Dem Rat sind die Hände gebunden.
Moller: Ihr könnt in Schwerin protestieren!
Kerkhoff: Bei wem? Beim Bischof, seinem Sohn? Oder bei Kaiser Karl? Der hat andere Sorgen. Die Türken, allerdings. Sie stehen schon in Ungarn und Griechenland.
Moller: Umso wichtiger, dass unsere Heilige Kirche mit einer Stimme spricht und den Glauben des Abendlandes verteidigt! Aber nicht im Kauderwelsch der Fischweiber.
Kerkhoff: Im Kirchspiel von Sankt Petri spricht kaum jemand Latein.
Moller: Wozu auch? Es reicht, wenn unsere Geistlichen es sprechen.
Kerkhoff: Ich bin ganz Eurer Meinung. Leider hat der Mann Zulauf. Großen Zulauf, wie ich höre.
Moller: Den hat der Teufel auch.
Kerkhoff: Eure Studenten pilgern zu ihm hin.
Moller: Ein paart verirrte Schafe.
Kerkhoff: Hoffentlich finden sie zurück.
Moller: Ich leugne nicht, dass unsere Kirche eine Reinigung an Haupt und Gliedern nötig hat. Aber das ist Sache unserer Kardinäle und Bischöfe und nichts für Mönche und Kaplane.
Kerkhoff: Ihr seid Professor der Theologie. Weist ihm Ketzerei nach, dann können wir Eure Beschwerde beim Herzog unterstützen.
Moller: Wie stellt Ihr Euch das vor? Soll ich in seine Predigt schleichen und mitschreiben?
Kerkhoff: Nicht Ihr selber, Herr Dekan. Schickt jemanden, dem Ihr vertraut. Einen Studenten, der sich für die neue Lehre interessiert. Wir müssen beweisen, dass die Lehre Luthers nicht für unsere Stadt taugt. Rostock braucht keine Reformen.
Moller: Ihr hört von mir, Ratsherr.
Kerkhoff: In Gottes Namen, Herr Dekan.

7. BILD
Rathaus zu Rostock Mai 1525. Ratsherr Kerkhoff, Rat von Greyffenhagen, später Slüter
Kasper:
Mai 1525. Herr von Greyffenhagen kommt selbst ins Rathaus, einen Rat zu sagen!
Rat: Habt Ihr den Slüter rufen lassen?
Kerkhoff: Er muss jeden Augenblick hier sein. Was hört Ihr von den Bauernaufständen in Sachsen?
Rat: Allesamt niedergeschlagen. Die Fürsten halten das Heft wieder fest in der Hand. Aber was treibt der Slüter?
Kerkhoff: Er predigt die anderen Kirchen leer. Seit vorigem Ostern hält er Gottesdienste im Freien ab. Sankt Petri fasst die Menschen nicht mehr, die aus der ganzen Stadt gelaufen kommen. Die Pfarrherren liegen uns in den Ohren, der Rat soll ihn bändigen.
Rat: Das ist nicht Eures Amtes. Dem Herzog liegen sie auch in den Ohren. Aber es ist sein Patronat und geht die Herren von Sankt Marien einen Scheißdreck an.
Kerkhoff: Auch Herzog Albrecht hat an uns geschrieben. Er fragt, wie lange wir den schwarzen Ketzer noch gewähren lassen.
Rat: Herzog Albrecht schreibt viel, wenn der Tag lang ist. Aber er ist nicht Euer Landesherr.
Kerkhoff: Er könnt es eines Tages werden.
Rat: Herzog Heinrich ist gesund wie ein Stier.
Kerkhoff: Gelobt sei Gott.
Rat: In Ewigkeit. Also, wo bleibt der Slüter? Kann er den Rat schon warten lassen? Nebenbei, ist das Amt Eures Syndikus noch immer vakant?
Kerkhoff: Gute Rechtsgelehrte sind rar in Mecklenburg.
Rat: Kennt Ihr den Doktor Oldendorp aus Greifswald?
Kerkhoff: Ein hochgelehrter Herr, sagt man. Aber ein Akademiker.
Rat: Ein Mann, der sich in weltlichem Recht ebenso gut auskennt wie im geistlichen. Der Herzog schätzt ihn. Warum ladet Ihr ihn nicht ein, wenn der Professor Moller Euch Bauchschmerzen macht.
Kerkhoff: Ich glaube nicht, dass einen solchen Gelehrten die Zänkereien der Rostocker Geistlichkeit interessieren.
Rat: Fragt ihn. Und wenn Ihr ihn bekommen könnt, bezahlt ihn anständig. Er ist sein Geld wert.
Kerkhoff: Ist das ein Wunsch des Herzogs?
Rat: Ein wohlgemeinter Rat.
Kerkhoff: Ich verstehe.
Die Kabinettstür wird geöffnet.
Ratsdiener: Kaplan Slüter von Sankt Petri auf den Ruf des Ehrbaren Rats!
Slüter tritt ein, nimmt die Kappe ab und verbeugt sich.
Kerkhoff: Ihr habt uns warten lassen, Kaplan.
Slüter: Verzeiht. Ein dringender Krankenbesuch.
Kerkhoff: Dieser Herr ist der Herzogliche Rat von Greyffenhagen. Er ist Euretwegen gekommen.
Slüter: Euer Diener, Herr Rat.
Greyffenhagen (freundlich): Ihr seid also der schwarze Ketzer, der den Herren von Sankt Marien die Kirchen leerpredigt. Wie kommt Ihr dazu?
Slüter: Gnädiger Herr, wenn die Leute zu mir kommen, kann ich ihnen nicht die Tür des Gotteshauses weisen.
Rat: Sie kommen, weil Ihr in der Sprache des Pöbels predigt und den Papst und die Heiligen verhöhnt!
Slüter: Das sind Gerüchte, die meine Feinde verbreiten.
Rat: Sie verbreiten noch mehr. Ihr hetzt das Volk auf, den Zehnten nicht mehr zu bezahlen.
Slüter: Verleumdungen, gnädiger Herr.
Rat (zieht einen Brief aus der Tasche, immer noch freundlich): Lest!
Slüter: Der Brief trägt keine Unterschrift.
Rat: Wir wissen, woher er kommt. Und Ihr wisst es auch. Der Herzog schickt mich, Euch zu vermahnen. Die Fürsten von Sachsen und Hessen sind gnädig mit den Aufrührern verfahren. Es geht auch anders.
Slüter: Ich weiß, gnädiger Herr.
Rat: In Ungarn, wo der Ketzer Dohacs die Bauern aufgestachelt hat, ließ man ihn und seine Spießgesellen zwei Wochen in einem Loch ohne Wasser und Brot verschwinden.
Slüter: Ich habe davon gehört.
Rat: Dann hat man sie herausgeholt und den Dohacs auf einen eisernen Thron gesetzt, der rotglühend im Feuer stand. Als er nach einer Stunde geröstet war, hat man seine hungrigen Kumpane auf ihn losgelassen. Sie haben ihren Propheten bis auf die Knochen abgenagt.
Slüter: Der Herr möge ihrer armen Seelen gnädig sein.
Rat: Habt Ihr gelesen, was der Luther über die mörderischen Rotten der Bauern geschrieben hat?
Slüter: Sehr gründlich, gnädiger Herr.
Rat: Wohl nicht gründlich genug. Deshalb befiehlt unser Allergnädigster Herr, dass Ihr nach Wittenberg geht.
Slüter: Ich soll meine Gemeinde allein lassen in diesen Zeiten?
Rat: Wollt Ihr Euch einem herzoglichen Befehl widersetzen?
Slüter: Nein, gnädiger Herr.
Rat: Also, macht Euch reisefertig. Man erwartet Euch in Wittenberg.
Slüter: Sehr wohl. Darf ich den Amtsbruder sprechen, der mir nachfolgen wird?
Rat:
Dürft Ihr nicht. Packt Euern Kram und verfügt Euch morgen früh hierher. Der Ratsherr wird Euch Briefe und Reisegeld aushändigen lassen.
Slüter:
Sehr wohl, gnädiger Herr.
Greyffenhagen winkt, Slüter verbeugt sich und geht.
Rat: Ein stolzer Pfaffe, dieser Slüter. Kein Speichellecker, wie die anderen.
Kerkhoff: Stolz und eigensinnig. Aber Euch schien er zu gefallen. Wie lange soll er in Wittenberg bleiben?
Rat: Das wird sich finden. Sorgt für sein Reisegeld.
Kerkhoff: Sehr wohl.
Rat: Und schickt nach dem Oldendorp. Den werdet Ihr bald brauchen.
Kerkhoff: Wie dem Herzog beliebt. Darf ich Euch auf eine Kanne Wein einladen?
Rat: Bedaure, ich muss zurück. Der Herzog erwartet Bericht.
Kerkhoff: Versichert seiner Fürstlichen Gnaden unsere immerwährende Treue.
Rat: Vergesst nicht, dass der Herzog Euch heute geholfen hat. Gott befohlen, Ratsherr.

9. BILD
Wittenberg, Studierstube von Bugenhagen. Oktober 1525 Bugenhagen, Slüter. Bugenhagen an einem Tisch mit Kruzifix, der mit Briefen übersät ist.
Kaspar: Herbst 1525. Slüter kommt zu Bugenhagen: Nach Wittenberg mit einem Sack voll Fragen !
Slüter: Vielleicht könnt Ihr noch einmal ein Wort für mich einlegen, Herr Pfarrer. Ich muss den Herrn Professor sprechen, bevor ich nach Rostock zurückkehre.
Bugenhagen (über einem Brief): Wie? Ach ja. Nein, Luther hat keine Zeit. Ich seh ihn selber nur selten.
Slüter: Aber Ihr seid sein Beichtvater.
Bugenhagen: Ja. Aber da sprechen wir nicht über Besucher. Es kommen einfach zu viele Leute nach Wittenberg. Wann soll der Mann arbeiten, wenn sich die Bittsteller bei ihm die Klinke in die Hand geben?
Slüter: Ich bin kein Bittsteller. Und ich brauch nur eine Viertelstunde.
Bugenhagen: Das sagen alle. Denkt an das gewaltige Werk, das Luther zu verrichten hat. Lest seine Schriften, darin werdet Ihr Antwort auf all Eure Fragen finden.
Slüter: Ich kann keine Antwort auf die Frage finden, warum er die Schrift wider die Bauern verfasst hat. Warum er die Fürsten aufgerufen hat, sie totzuschlagen wie tolle Hunde. Und warum er den Fürsten zusichern konnte, sie würden sich das Himmelreich mit Blutvergießen besser verdienen als mit Gebeten.
Bugenhagen
(nimmt den nächsten Brief): Wie? Ach so, das. (schreibt Randbemerkungen und überhört die Frage)
Slüter:
Er sagt weiter, man solle den Bauern die tauben Ohren mit Kanonenkugel öffnen. Ist das noch die Sprache des Evangeliums?
Bugenhagen: Es ist die Sprache Luthers! Wenn es Not tut, dann spricht er so deutlich wie die alten Propheten.
Slüter: Einen Christenmenschen totschlagen, weil er sich gegen Unrecht und Willkür wehrt?
Bugenhagen (legt den Brief weg): Mein lieber Slüter, Ihr seid ein Schwärmer. Wie viele Verbündete haben wir denn noch? Der Kurfürst von Sachsen ist tot, sein Nachfolger zögerlich. Steht es in Mecklenburg besser? Über Luther und alle seine Anhänger ist die Reichsacht verhängt. Auch über Euch und mich. Soll er da vor aller Welt Ja und Amen sagen zu Aufruhr und Gewalt in seinem Namen? Der Papst und der Kaiser würden schreien: da seht den Heuchler! Mit der Rechten predigt er das Evangelium und mit der Linken segnet er Spieße und Sensen!
Slüter: Aber nun segnet er die Kanonen der Fürsten.
Bugenhagen: Mann Gottes, wollt Ihr nicht begreifen? Wenn unsere Sache wegen ein paar Bauernaufständen verloren geht, dann triumphiert der Papst für die nächsten tausend Jahre.
Slüter: Ich begreife. Aber die Seeleute und Fischer in Rostock, die werden’s nicht begreifen.
Bugenhagen: Dann erklärt es ihnen.
Slüter: Ich will’s versuchen. Es heißt, der Luther wird eine Messe auf Deutsch halten?
Bugenhagen (nimmt einen neuen Brief): Er schreibt daran.
Slüter: Das wär ein großes Zeichen. So wie die Evangelisten in ihrer Sprache zum Volk gepredigt haben, so müssen wir es auch tun. Noch eins.
Bugenhagen: In Gottes Namen.
Slüter: Ich würde gern auch heiraten. Wie Ihr. Und wie der Luther.
Bugenhagen (legt den Brief weg, amüsiert): Habt Ihr eine reiche Rostocker Witwe gefunden, die Euch aus der kalten Pfarrstube herausholen will?
Slüter: Keine Witwe, ein Mädchen. Nicht reich, aber gut und stark in unserem Glauben.
Bugenhagen: Weil sie Euch am Sonntagstisch ihrer Mutter hat beten hören?
Slüter: Woher wisst Ihr?
Bugenhagen: Mein lieber Slüter! Die Wahrheit geht zu Fuß, aber der Klatsch hat Flügel. Wollt Ihr deshalb so schnell wieder zurück nach Rostock?
Slüter: Auch deshalb. Aber vor allem wegen meiner Gemeinde.
Bugenhagen: Geduldet Euch. Der Paschen Gruwel soll seine Sache sehr gut machen.
Slüter: Wir sind alle ersetzbar.
Bugenhagen: Na, na. Woran arbeitet Ihr hier in Wittenberg?
Slüter: Ich übersetze Luthers Gesangbuch.
Bugenhagen: Ins Plattdeutsche?
Slüter: Ja. Darüber wollte ich mit ihm reden.
Bugenhagen: Macht nur weiter und zeigt’s mir, wenn Ihr fertig seid. Im Frühjahr soll’s ein großes Bündnis geben, zum Schutz der Evangelischen Lehre. Dann wird’s auch Herzog Heinrich leichter fallen, Euch zurück zu rufen.
Slüter: Noch ein halbes Jahr?
Bugenhagen: Zeit, Euer Gesangbuch zu vollenden. Und lest Luthers Schrift über die Ehe. Damit Ihr vorbereitet seid, wenn Ihr mit Eurem Mädchen vor den Altar tretet. Wie heißt sie denn?
Slüter: Katharina.
Bugenhagen: So. Das wird wieder ein Geschrei geben. Na, Gott befohlen. Schreibt mir, wenn das Gesangbuch fertig ist. Ihr seht, ich liebe Briefe.
Bugenhagen steht auf und gibt ihm die Hand. Slüter verbeugt sich und geht ab.
Bugenhagen (zum Kruzifix): Wir alle sind ersetzbar. Wenn er das dem Luther gesagt hätte, lieber Herr Jesus!
Er setzt sich und öffnet einen neuen Brief.

10. BILD
Rathaus zu Rostock Frühjahr 1526. Ratsherr Kerkhoff, Professor Johann Oldendorp
Kaspar: Im Frühjahr 1526 blüht die Linde: Der Rat wünscht, dass Sankt Petri Ruhe finde.
Kerkhoff: Willkommen in Rostock, Professor Oldendorp! Wie war Eure Reise?
Oldendorp: Pommersche Straßen, Mecklenburger Pferde.
Kerkhoff: Ihr werdet hier viel Arbeit finden. Wir wollen in Rostock keinen Kirchenbruch und keinen Bildersturm.
Oldendorp: Das wollte der Stralsunder Rat auch nicht. Leider hat er die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Kerkhoff: Deshalb wüssten wir gern Euch an unserer Seite.
Oldendorp: Ich bin Jurist und kein Apostel. Wenn die Herren Geistlichen nicht aufwachen wollen, wird’s nicht gehen.
Kerkhoff: Ihr kennt Professor Moller und den Herrn Offizial aus Schwerin. Die denken nicht an Zugeständnisse.
Oldendorp: Auch die Herren Theologen zu Greifswald wollten nichts von Luthers Lehren hören. Jetzt lesen sie vor leeren Bänken.
Kerkhoff:
Das hatten wir auch schon. Als der Slüter zu Sankt Petri predigte.
Oldendorp:
Ich höre, er kommt zurück?
Kerkhoff: Auf Wunsch des Herzogs, ja.
Oldendorp: Euch wäre es lieber, er bliebe in Wittenberg?
Kerkhoff: Habt Ihr die letzten Hanserezesse gelesen? Lübeck hat sich scharf gegen den Luther und seine Anhänger ausgesprochen. Die Rede ist von Ausweisung und Gefängnis.
Oldendorp: Rostock hat zugestimmt.
Kerkhoff: Was sollten wir tun? Wir brauchen die Hanse. Aber wir können es uns auch nicht mit dem Herzog verderben.
Oldendorp: Da ist guter Rat teuer.
Kerkhoff: Wie teuer, Herr Professor?
Oldendorp: Einhundert Mark im Jahr.
Kerkhoff: Das ist sehr teuer.
Oldendorp: Rostock ist reich.
Kerkhoff: Der Handel nach Frankreich und in den Süden ist eingebrochen. Die Kriege ruinieren uns.
Oldendorp: Der Handel mit den Russen floriert.
Kerkhoff: Ja, noch. Aber ein höchst riskantes Geschäft.
Oldendorp: In diesem Fall muss ich einhundertfünfzig Mark verlangen.
Kerkhoff: Die Kämmerer werden außer sich sein.
Oldendorp: Das sind sie ja immer. Wann kommt der Slüter zurück?
Kerkhoff: Wir erwarten ihn jeden Tag. Ich hoffe, Ihr findet einen Ausweg. Für einhundert Mark.
Oldendorp: Einhundertfünfzig, Ratsherr. Und ohne Abzüge. Bis dahin, Gott befohlen.
Oldendorp verbeugt sich und geht ab. Kerkhoff macht sich eine Notiz.

11. BILD
Vor Slüters Pfarrhaus Juni 1526. Slüter und Dietz, später Katharina.
Kaspar:
Ein neu Gesangbuch hat Herr Dietz gedruckt: Jetzt wird auf Platt gesungen wie verruckt!
Slüter auf einer Leiter, er zieht mit roter Farbe den Spruch nach, der über seiner Haustür steht: „Dat Wurd Gottes blyfft ewiglich.“
Dietz: Willkommen zu Haus, Herr Kaplan! Einen guten Spruch habt Ihr da über Euer Haus gesetzt. Der erfreut des Buchdruckers Herz.
Slüter: Er war ein wenig ausgebleicht übers Jahr.
Dietz: Jetzt seid Ihr ja Gottlob wieder zurück. Ich bring Euch etwas zum Willkommen.
Slüter steigt von der Leiter, Dietz übergibt ihm ein Buch.
Dietz: Ich hatte Euch das erste Exemplar nach Wittenberg geschickt. Aber es scheint nicht angekommen zu sein.
Slüter:
Vielleicht liest es gerade jemand in Rom.
Dietz:
Da dürften die Herren von der Inquisition schwere Mühe haben mit Euerm Mecklenburger Platt. Die Leute reißen mir das Buch aus den Händen. Sogar der Professor Moller hat eins bestellt.
Slüter: Will die Theologische Fakultät jetzt auf ihren Sitzungen singen? Ich höre, Ihr druckt auch die Thesen gegen mich, die die Fakultät in Auftrag gegeben hat?
Dietz (zieht sie aus der Tasche): Hier sind sie. Aber ich weiß nicht, woher Ihr sie habt. Ich muss auch leben.
Slüter: Und Euer Gewissen?
Dietz: Mein Gewissen ist rein. Hier sind auch noch die Thesen von Kaplan Becker. Er wird Euch demnächst auffordern, mit ihm zu disputieren. Ich hoffe auf Gottes Vergebung.
Slüter (lacht, blättert im Gesangbuch): Saubere Arbeit, Meister Dietz. Wenn ein Buch erst einmal in der Welt ist, dann schaffen es auch Feuer und Index nicht einfach wieder hinaus.
Dietz: Im Gegenteil. Feuer und Index sind gut für den Verkauf. Ich hoffe, Euer Buch wird bald verboten.
Slüter: Die ganze Stadt wird bald nach diesem Büchlein singen! Ganz Mecklenburg!
Dietz: Das wär fast noch schöner als ein Verbot. Gott befohlen, Herr Kaplan.

13. BILD
Rathaus zu Rostock September 1526. Ratsherr Kerkhoff, Syndikus Oldendorp, vor einer großen Landkarte. Später Slüter.
Kaspar: Die Priester toben und die Ratsherrn greinen: Slüter muss auf dem Rathaus erscheinen!
Kerkhoff sitzt an seinem Schreibtisch, Oldendorp auf einer Bank unterm Fenster.
Kerkhoff: Habt Ihr ihn mitgebracht?
Oldendorp: Er wartet draußen.
Kerkhoff: Und was sagt der Herr Kaplan zu diesem ungeheuerlichen Vorfall?
Oldendorp: Er sagt, er war nicht dabei.
Kerkhoff: Das ist alles? Wisst Ihr, was der Offizial des Bischofs verlangt?
Oldendorp: Ich weiß. Er war auch schon bei mir. Die Herren haben auf eine solche Gelegenheit nur gewartet. Der Offizial tobt, weil er weiß, dass der Herzog Slüter nicht ausweisen wird.
Kerkhoff: Ein Gaukler auf der Kanzel! Die gesamte theologische Fakultät war bei mir. Die Universität besteht auf einer Kirchenstrafe.
Oldendorp: Slüter gehört ihrer Kirche nicht mehr an. Daran sollten sich die Herren langsam gewöhnen.
Kerkhoff: Es ist nicht nur die Universität und der Offizial. Es sind auch etliche Ratsherren, die mir in den Ohren liegen. Auch wegen Euch, Herr Syndikus. Sie behaupten, Ihr seid selber ein Lutheraner. Ihr schützt den Slüter. Könnt Ihr nicht in Schwerin vorsprechen? Vielleicht, dass der Herzog den Slüter nach Stralsund schickt. Da fällt ein Schwärmer mehr nicht weiter auf.
Oldendorp: Sollten wir nicht erst den Slüter selber hören?
Kerkhoff nickt, Oldendorp geht zur Tür und winkt Slüter herein.
Kerkhoff: Herr Kaplan, wie konntet Ihr Euren Kirchendiener von der Kanzel predigen lassen? Ich höre, der Kerl ist ein entlaufener Mönch und Gaukler!
Slüter: Er hat nicht gepredigt. Er hat nur ein Lied mit den Kindern gesungen.
Kerkhoff: Ein lutherisches Lied.
Slüter: Ein selbstgedichtetes. Schlechte Reime und ein schlechter Scherz. Er ist ein Kindskopf.
Kerkhoff: Werft ihn hinaus, auf der Stelle! Und sorgt dafür, dass so etwas nie wieder vorkommt.
Slüter: Wegen eines Lieds?
Oldendorp: Der Mann war Mönch. Er sollte wissen, dass die Kanzel heilig ist. Was wird Luther sagen, wenn er erfährt, dass Ihr einen Gaukler schützt, der die ganze Stadt gegen ihn aufbringt. Also, erstattet uns Bericht, wenn Ihr einen neuen Kirchendiener gefunden habt. Damit es nicht wieder Überraschungen gibt. Die könnt Ihr doch jetzt auch nicht brauchen, oder?
Slüter: Was meint Ihr, Herr Syndikus?
Oldendorp: Man hört, Ihr wolltet heiraten?
Slüter: Sehr wohl. Kann ich jetzt gehen?
Kerkhoff winkt, Slüter ab.
Kerkhoff: Er ist blass geworden, bei Eurer Frage nach der Heirat.
Oldendorp: Ohne Pfarramt kann er nicht heiraten.
Kerkhoff: Und nicht ohne unsere Einwilligung.
Oldendorp: Der Rat sollte sie nicht verwehren. Wer verheiratet ist, lernt schnell, wie hoch der Brotkorb hängt.
Kerkhoff: Wem sagt Ihr das. (dreht sich zur Landkarte) Wenn es so weitergeht, dann wird der Türke bald auf Wien marschieren. Was wird dann aus dem Heringshandel?
Oldendorp: Hering wird auch im Krieg gefressen. Vielleicht mehr als im Frieden.
Kerkhoff: Dann zieht hoffentlich der Preis wieder an. Das sind unsere wirklichen Sorgen, Herr Syndikus.
Oldendorp: Wenn die Sorgen kommen, dann kommen sie in Schwärmen.

16. BILD
An der Stadtmauer bei St. Petri Mai 1527
Kaspar (flüstert): Die Nachtigall singt in der alten Linden Als zwei sich unter ihrer Krone finden.
Slüter und Katharina stehen an der Stadtmauer und sehen auf die Warnow hinaus.
Katharina: Wie das Mondlicht auf der Warnow spielt. Wie im tiefsten Frieden.
Slüter: Fürchtest du dich?
Katharina: Ich muss an die Toten von Rom denken, von denen die ganze Stadt spricht. Man hat ihre Leichen in den Tiber geworfen. Zweitausend, heißt es. Mutter sagt, es wird auch bei uns bald Aufruhr geben. Du hast den Kaspar wegschicken müssen?
Slüter: Ja.
Katharina: Was soll jetzt aus ihm werden?
Slüter: Ich hab ihm einen Brief mitgegeben, an den Ketelhot in Stralsund. Der wird eine Stelle für ihn finden.
Katharina: Die Kinder vermissen ihn.
Slüter: Wenn unsere Sache gesiegt hat, hol ich ihn zurück.
Katharina: Dafür bete ich jede Nacht.
Slüter: Mit dem Rosenkranz?
Katharina: Der hat schon meiner Großmutter gehört. Sie hat ihn heilig gehalten und damit zur Gottesmutter gebetet. Die Menschen brauchen jemanden, der Fürbitte für sie leistet.
Slüter: Sie können selber beten.
Katharina: Aber sie haben Angst, dass ihre Gebete nicht erhört werden. Das haben sie oft genug erfahren, wenn ein Schiff unterging oder die Pest kam. Warum ist es falsch, zu Sankt Nikolaus oder zum Heiligen Rochus zu beten?
Slüter: Weil wir mehr von den Wundern der Heiligen reden als von der Botschaft Christi.
Katharina: Der Prediger von Sankt Marien sagt, die Lutheraner wollen die Heiligenbilder verbrennen, weil sie ihre Wunder fürchten.
Slüter: Glaubst du wirklich, dass eine bemalte Holzfigur Wunder wirken kann?
Katharina: Ich weiß nicht. Aber die Figuren sind schön und es ist ein Trost, sie anzusehen. Wie den Rosenkranz oder die Tafeln am Altar. Die meisten können nicht lesen, was nützt ihnen da Doktor Luthers Bibel?
Slüter: Sie können lesen lernen, wie du.
Katharina: Das verdank ich meinem Vater, der einen Lehrer für uns ins Haus geholt hat. Aber hier in Sankt Petri müssen schon die Kinder arbeiten. Da bleibt ihnen keine Zeit zum Lernen.
Slüter: Wenn der Kaspar zurückkommt, dann machen wir eine Schule für die Kinder der Armen auf. Wirst du mir dabei helfen?
Katharina:
Werden die Ratsherren nicht sagen, dass ein entlaufener Mönch und eine Frau nichts in einer Pfarrschule zu suchen haben?
Slüter:
Wir werden einen neuen Rat haben. Und eine neue Kirchenordnung.
Katharina: Wenn eure Lehre siegt. Aber warum mit Gewalt? Warum kann nicht wenigstens in der Kirche Frieden sein? Warum können nicht die Alten den Gottesdienst auf ihre Weise feiern und wir Jungen auf die neue?
Slüter: Weil es nur einen Gott geben kann, Katharina. Und weil geschrieben steht: deine Rede sei Ja, ja; Nein, nein. Was darüber ist, das ist von Übel.
Katharina: Und deshalb soll ich meinen Rosenkranz fortwerfen?
Slüter: Behalt ihn. Aber behalte vor allem im Herzen, was du im Evangelium liest. „Glaube, Liebe, Hoffnung, diese Drei – aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.“
Hornsignal.
Katharina: Ich muss gehen. Die Stadtwache zieht gleich auf.
Slüter: Warte noch. (zögert, dann nimmt er ihre Hand) Willst du mich heiraten, Katharina?
Katharina: Heiraten?
Slüter: Ich will ein Zeichen setzen, wie der Luther. Dass wir endlich nach Gottes Wort leben in allen Dingen. Gott sagt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Du kannst lesen und schreiben. Außerdem kannst du kochen und backen und nähen. So werden wir nicht verhungern und erfrieren, falls der Ehrbare Rat mich doch noch aus der Stadt jagt.
Katharina: Aber ich will hier bleiben! Hier ist mein Zuhause, hier sind meine Mutter und alles, was ich hab.
Slüter (lacht): Dann bleibt mir nichts anderes übrig als den Kampf zu gewinnen. Aber das schaff ich nur mit dir an meiner Seite.
Katharina: Dazu muss die Mutter ihr Jawort geben.
Slüter: Was sagst du?
Katharina: Ich sag: du sollst den Kampf gewinnen und den Kaspar zurückholen. Den Alten sollst du ihre Heiligenbilder lassen. Und auf der Kanzel sollst du nicht poltern, denn Jesus Christus spricht: „Selig sind die Sanftmütigen.“
Slüter: Auch Jesus war nicht immer sanftmütig. Die Händler und Geldwechsler hat er mit der Peitsche aus dem Tempel gejagt.
Katharina: Nach Sankt Petri kommen keine Geldwechsler. Da musst du schon auf den Markt gehen mit deiner Peitsche. Schlaf gut, schwarzer Ketzer!
Slüter: Wo willst du hin?
Katharina: Nach Hause! Einen Rosenkranz beten für unsere Hochzeit!
Sie läuft weg. Von fern das Horn des Nachtwächters und das Waffenklirren der aufziehenden Stadtwache.

21. BILD
Schloss zu Schwerin. März 1531
Kaspar: Düstere Zeichen über Meer und Himmel ziehn: Da schreibt der Rat von Rostock nach Schwerin!
Herzog Heinrich V. mit seinem Jagdhund. Rat Greyffenhagen mit einem Brief.
Rat: „In Glaubensdingen müssen wir Gott mehr gehorchen als den Herren der Welt. Denn zweierlei Glauben in einer Stadt, daraus kann nur Zwietracht entstehen. Angesichts dieser geistlichen Not bitten wir daher um den Beistand durch Eure Fürstliche Gnaden für die endgültige Einführung der neuen Zeremonien.“ Jetzt, wo auch Lübeck evangelisch geworden ist, werden die Rostocker nervös.
Herzog: Hat lang genug gedauert. Sie wollen kurz vorm Weltuntergang noch ihre Krämerseelen läutern.
Rat: Die Augsburger Konfession macht ihnen mehr Angst als der Große Komet. Sie brauchen Euren Brief, um sie später sagen zu können: es war ein Befehl des Herzogs.
Herzog: Pfeffersäcke. Ich hätte Lust, ihnen ein paar Landsknechte zu schicken. Aber die brauch ich jetzt selber. Die Ritterschaft wird auch nervös. Mein Herr Bruder schreibt intrigante Briefchen.
Rat: Aber er duldet selber einen lutherischen Prediger in Wismar.
Herzog: Ja, wahrscheinlich hat er auch einen Plan. Aber dein Plan war ein Arschwisch, Greyffenhagen. Kein Aufruhr in Rostock, kein Sühnegeld. Nur ein rebellischer Pfaffe und ein störrischer Rat.
Rat: Schreibt dem Rat, dass er Euren Beistand haben kann. Wenn er dafür die Klöster und Stifte kassiert. Rostock lässt schon das Kirchensilber einsammeln. Angeblich zum Schutz vor Plünderung.
Herzog: Schlau, diese Pfeffersäcke. Schlau und unverschämt. Das muss der Oldendorp sofort unterbinden. Wozu sitzt der im Rathaus?
Rat: Er geht neuerdings eigene Wege. Hat den Ratsherren einen Spiegel vorgehalten. (gibt dem Herzog ein Buch). Ein neues Recht, geistlich und weltlich. Halb Rostock schwatzt darüber, wenn’s auch kaum einer gelesen hat. Das kann der Rat nicht mehr lange ignorieren.
Herzog: Die können. In Rostock ignorieren sie sogar den Weltuntergang. Also, wie antworten wir auf diesen Brief?
Rat: Die lassen wir schmoren, bis sie weich sind. Dann können wir über die Klöster und das Silber reden.
Herzog: Und wie lange soll das dauern?
Rat: Ostern steht vor der Tür. Da wird wieder die halbe Stadt nach Sankt Petri pilgern.
Herzog:
Ich meine nicht die Kirchenordnung. Ich mein die Klöster.
Rat:
Ich werd den Oldendorp um Eile bitten. Aber Fürstliche Gnaden kennen den Rostocker Rat.
Der Hund knurrt.
Herzog: Ruhig, Hassan. Er riecht den Angstschweiß der Pfeffersäcke sieben Meilen gegen den Wind. Mach dem Rechtsverdreher Beine, ich brauch das Geld.

22. Bild
Platz vor Sankt Petri. 1. April 1531
Kaspar: Der Rat gibt ein Gesetz bekannt: Das läut ich ein in Stadt und Land!
Er läuft in die Kirche, Glockengeläut setzt ein. Slüter kommt, gefolgt von Katharina, Soske, Mine und Dietz.
Mine: Wat is nu? Steiht der Türk vör’t Duur? Orrer kümmt die Komeet?
Soske: Mal nicht den Teufel an die Wand, Mutter Mine!
Slüter: Kein Türke und kein Feuer, Mine. Ein großes Aufleuchten, wenn’s wahr ist.
Dietz: Es ist wahr, Herr Kaplan. Heute Morgen war der Ratsschreiber bei mir. Ich soll’s als Anschlag drucken.
Mine: Herregott, wat denn nu?
Dietz: Der Rat verfügt: ab Palmsonntag ist an allen vier Stadtkirchen Gottesdienst nach evangelischer Ordnung zu halten.
Slüter: An allen vieren? An dieser wird er schon seit sechs Jahren gehalten.
Dietz: Aber jetzt bekommt Ihr’s schwarz auf weiß.
Slüter (lacht): Ab Palmsonntag. Als Jesus in Jerusalem eingezogen ist. Der Rat hat einen Sinn für Symbole.
Dietz: Das ist wohl dem Herrn Syndikus zu danken.
Kaspar (kommt aus der Kirche): Der Herr Syndikus hat auch einen Sinn für Humor.
Slüter: Es steht kein Glockengeläut im Kalender, Kaspar.
Kaspar: Verzeiht die Eigenmächtigkeit, Herr Kaplan. Die Freude ist mit mir durchgegangen. Werd ich jetzt wieder hinausgeschmissen?
Slüter: Tu Buße und bete zehn Vaterunser.
Kaspar: Das will ich gern. Und das Geläut steht ab nächstem Jahr im Kalender.
Slüter: Hört ihr, wie still es ist. Keine andere Glocke läutet. Wir dürfen uns nicht zu früh freuen.
Soske: Wenn Herzog Heinrich stirbt und sein Bruder auf den Thron kommt, dann kassiert der Rat seine Entscheidung, meint Ihr?
Slüter: Würd‘s Euch wundern, Soske?
Soske:
In Rostock wundert mich gar nichts mehr.
Slüter: Wer die Kirchenordnung ohne Zustimmung des Bischofs ändert, der begeht Landfriedensbruch. Wenn der Kaiser siegen sollte und den nächsten Reichstag einberuft, kann wieder alles anders kommen.
Katharina: Seit sechs Jahren hast du für diesen Tag gepredigt und jetzt sollen wir nicht einmal Dank beten?
Kaspar (kommt aus der Kirche): Ganz recht, Frau Kaplanin. Wir sollten tanzen und singen.
Slüter: Zehn Vaterunser? Das ging schnell.
Kaspar: Wer sich freut, der betet wie ein Mönch vorm Abendmahl. Wir sollten wenigstens ein Danklied singen.
Slüter: Zu viele haben noch Angst. Sie bleiben lieber beim alten Glauben. Jetzt soll ich das Evangelium nur noch in Luthers Sprache predigen. Aber wieder mit lateinischen Gesängen.
Katharina: Verlangt der Luther das?
Slüter: Luther und Bugenhagen. Von dem hätte ich’s nicht erwartet. Ich muss nach Lübeck. Der Bugenhagen soll’s mir selber sagen.
Katharina: Hat er’s dir nicht schon in Wittenberg gesagt?
Slüter: Das waren andere Zeiten. Da standen wir allein gegen eine ganze Welt. Weißt du, was er mir zum Abschied mitgegeben hat? „Gottes Reich ist groß genug, dass wir alle darin Unrecht haben können.“ Wohl wahr. Aber wenn alle, dann auch der Luther.
Katharina: Du fieberst, Joachim. Komm nach Haus.
Slüter: Bin ich starrsinnig, nur weil ich sehe, wie den Menschen Herz und Augen aufgehn, wenn ich in ihrer Sprache predige?
Katharina: Nein. Aber der Luther wird’s nicht zulassen. Denk an die Michaelisbrüder, denen er ihr Neues Testament für die Armen verboten hat. Bleib hier. Ich will nicht, dass du schon wieder fortgehst. Wozu brauchst du eine Erlaubnis?
Slüter: Ich muss ihn auch nach den Sakramenten fragen. Was wird aus Abendmahl, Beichte und Taufe? Soll das alles beim Alten bleiben?
Katharina: Das kannst du ihm auch schreiben.
Slüter: Du brauchst keine Angst um mich haben, Katharina.
Katharina: Wir werden ein Kind bekommen, Joachim.
Slüter stutzt einen Augenblick, dann umarmt er sie.
Katharina: Ich will, dass wir hier mit ihm sitzen und das Mondlicht auf der Warnow sehen, wenn’s laufen kann.
Slüter: Das werden wir. Komm, es wird kalt.
Er legt seinen Mantel um sie und sie gehen langsam ab.

25. BILD
Stube Bugenhagens in Lübeck Mai 1531 Bugenhagen am Schreibpult, vor ihm Sanduhr und Kruzifix. Slüter auf einem Stuhl, krank.
Kaspar: Nach Lübeck kommt, mit einem Sack voll neuer Fragen noch einmal Slüter zu dem großen Bugenhagen!
Slüter: Aber warum, Herr Pfarrer? Warum? Unsere Sache hat doch gesiegt! In Hamburg, in Braunschweig, hier in Lübeck und endlich auch in Rostock. Warum soll ich nicht mehr predigen wie bisher?
Bugenhagen: Ihr sollt predigen. Nur nicht im Vokabular der Fischer und Höker.
Slüter: Aber das ist die Sprache, die meine Gemeinde spricht! Kommt nach Sankt Petri und seht ihnen in die Augen, wenn sie das Evangelium hören. Wenn sie es selber singen, im Angesicht des Gekreuzigten!
Bugenhagen (sucht unter den Papieren, wirft ein Buch aufs Pult): Ihr habt ein neues Liederbuch herausgebracht. Mit Liedern vom Müntzer.
Slüter: Und vom Luther!
Bugenhagen: Ich habe Euch gewarnt, in Wittenberg.
Slüter: Aber Ihr seid doch selber Pommer, Herr Pfarrer. Ihr wisst, was uns die Muttersprache bedeutet.
Bugenhagen: Ja. Aber Müntzer war kein Pommer. Er hat unserer Sache auf den Tod geschadet.
Slüter: Er war ein Schwärmer, vielleicht. Aber was hat das mit seinen Kirchenliedern zu tun?
Bugenhagen: Ihr seid auch ein Schwärmer, Slüter. Der Rostocker Rat bestürmt mich mit Briefen, Euch abzumahnen. (wirft ein Bündel aufs Pult) „ Slüter predigt den Aufruhr in der Sprache der Buden und Keller. Wir bitten, den Kaplan Gruwel wieder einzusetzen, welcher niemals Unfrieden gesät hat.“ Was sagt Ihr dazu?
Slüter: Ich predige in der Sprache, die so stark ist wie die der Heiligen Schrift. Mit dieser Sprache bin ich aufgewachsen. Wenn ich sie spreche, dann höre ich meine Mutter, wie sie an bittersten Tagen noch einen Scherz machen konnte. „Kopp hoch, wenn de Hals ok dreckig is!“ In der Sprache, die keine Angst vor der Wahrheit hat. Wenn man die Menschen wirklich liebt, dann muss man sie auch über die Wahrheit zum Lachen bringen, hat mein Lehrer Bruder Hubertus gesagt. „De eenzig Wahrheet is: sik von den Glowen an de eenzig Wahrheit to befreien.“
Bugenhagen: Bruder Hubertus. Auch so ein Schwärmer von den Franziskanern. Ein Zeichendeuter und Träumer. Dem Rostocker Rat ist die Sprache des Evangeliums egal. Seinetwegen könntet Ihr auch auf Aramäisch predigen. Hauptsache, es herrschen Ruhe und Ordnung. Aber die stört Ihr.
Slüter:
Weil ich plattdeutsch predige?
Bugenhagen: Weil Euch die Leute beim Wort nehmen! „Wenn Christus Armut und Enthaltsamkeit gepredigt hat, warum sind dann unsere Ratsherren reich und unsere Prälaten verfressen?“
Slüter: Aber so hat Luther doch selbst einmal gepredigt! So habt Ihr…
Bugenhagen (nimmt die Sanduhr auf und setzt sie hart aufs Pult): Ich hab’s Euch schon einmal erklärt. Vergesst Ihr einen guten Rat so schnell?
Slüter: Hat der Erlöser nicht auch in der Sprache der Armen und Aussätzigen gepredigt, in Galiläa?
Bugenhagen: Ihr seid nicht der Erlöser. Durch den Erlöser hat der Heilige Geist gesprochen. Aber der Heilige Geist spricht nicht plattdeutsch.
Slüter: Luthers Deutsch…
Bugenhagen: Ist verbindlich. So wie das Latein für die Zeremonien. Daran habt Ihr Euch zu halten, wenn Ihr weiter in Rostock predigen wollt.
Slüter: Und wo bleibt die Freiheit des Christenmenschen?
Stille. Bugenhagen steht auf, kommt zu Slüter und legt ihm seinen Arm um die Schulter.
Bugenhagen: Mein lieber Slüter. Wir haben vielleicht in Sachsen und Hessen gesiegt, im Ordensland und an der Ostsee. Aber unsere Feinde lauern in ganz Europa auf ihre Stunde. Wenn der Kaiser mit Frankreich und mit den Türken fertig ist, dann wird er mit dem Papst gegen uns zu Felde ziehen. Deshalb brauchen wir ein starkes Verbündnis. Mit den Fürsten und mit den Städten. Wir brauchen eine Kirchenordnung, an die unsere Prediger sich halten. Wir müssen der Welt zeigen, dass es uns um die Wahrheit des Evangeliums geht. Um nichts Anderes.
Slüter: Wo de Wahrheet nich is, kann de Tung ehr nich moken.
Bugenhagen: De Wahrheet kümmt von Gott un nich von de Tung. Sprecht meinetwegen mit den Leuten in ihrer Sprache, wenn sie zur Seelsorge kommen. Aber nicht auf der Kanzel. Wir würden Euch ungern verlieren in Rostock. Und Ihr würdet ungern Sankt Petri verlieren, nicht wahr? Also gebt den Herren keinen Vorwand. Und hört auf, Müntzerlieder anzustimmen.
Slüter: Ich habe verstanden, Herr Pfarrer.
Bugenhagen (zeigt auf die Sanduhr): Die Sanduhr hab ich noch von Greifswald her. Sie zeigt nicht nur, wie die Zeit verfliegt, sondern erinnert mich auch an den Staub, zu dem wir werden.
Slüter: Ich danke Euch für Eure Zeit.
Bugenhagen: Gute Reise, Kaplan, und Gottes Segen.

26. BILD
Slüters Stube Abend im April 1532
Kaspar: Für Slüter ist der Kampf noch nicht erledigt: er brütet über seiner Osterpredigt.
Slüter, noch immer krank, mit einer Kerze an seinem Pult. Katharina lässt Oldendorp ein.
Oldendorp: Es freut mich, dass Ihr so spät noch Zeit für mich habt, Herr Kaplan. Trotz der Osterpredigt.
Slüter: Ich kann nur am Abend daran schreiben. Tagsüber kommen so viele Leute.
Oldendorp: Ihr müsst Euch Ruhe gönnen. Ich höre, Ihr seid noch immer krank?
Slüter: Die Armut gönnt den Menschen auch keine Ruhe, Herr Syndikus.
Oldendorp: Die Stadt weiß um das Schicksal ihrer Armen. Aber es ist uns nicht gegeben, alles Elend der Welt zu lindern.
Slüter: Wem, wenn nicht uns?
Oldendorp: Unserem Schöpfer und unserem Erlöser, Herr Kaplan.
Slüter (zeigt auf seine Predigt): „Was du dem Geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan.“
Oldendorp: Sicher. Wir alle versuchen dem Wort zu folgen. Aber wir sind schwach und fehlen mannigfaltig.
Slüter: Warum seid Ihr gekommen, Herr Syndikus?
Oldendorp: Die Lehre Luthers hat auch in Wismar gesiegt. Die Herren von Sankt Marien und von der Universität halten still. Aber sie haben noch immer ihre Verbündeten im Rathaus. Sie behaupten, dass Ihr Euch über Luthers Anweisungen hinwegsetzt.
Slüter: Wegen der Predigt ?
Oldendorp: Wegen der Predigt und den Liedern.
Slüter: Ihr selber habt den Ratsherren einen Spiegel vorgehalten.
Oldendorp: Einen Spiegel des Rechts, wie es meinem Amt zusteht. Aber Ihr mischt Euch in geistliches Recht, und das steht Euch nicht zu.
Slüter: Was hat sich geändert, wenn Luther allein bestimmt, was evangelisch ist und was nicht? Wo ist der Unterschied, wenn der Papst nicht mehr in Rom sitzt, sondern in Wittenberg?
Oldendorp: Der Unterschied ist, dass Ihr nicht vor die Inquisition gerufen und verbrannt werdet. Und dass Ihr Eurer Gemeinde das Evangelium auf Deutsch predigen könnt.
Slüter: Auf Luthers Deutsch und nur in seinen Worten.
Oldendorp: Wenn Ihr noch einen Rat annehmt: legt Euch zu Ostern ins Bett und werdet gesund. Dann predigt der Paschen Gruwel und der Rat ist zufrieden.
Slüter: Wenn die Herren sich so sehr vor der Sprache der einfachen Leute fürchten, dann muss sie eine fürchterliche Waffe sein.
Oldendorp: Sie erinnert an eine gewisse Regenbogenfahne.
Slüter: Ich komme nicht mit Sense und Morgenstern. Ich komme mit dem Evangelium.
Oldendorp: Warum wollt Ihr mit dem Kopf durch die Wand? Die Wände sind dick in Rostock. Vor allem die Stadtmauer, wenn man davor steht.
Slüter: Soll ich wieder aus der Stadt? Seid Ihr deswegen gekommen?
Oldendorp: Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden. Ich gehe nach Lübeck, Herr Kaplan.
Slüter: Hat Euer Rechts-Spiegel zu vielen Herren im Rathaus in die Augen geblendet?
Oldendorp:
Ich hab getan, was ich konnte. Aber die Herren sind hartleibig. Sie glauben, sie könnten selbst den Weltuntergang noch auf ihrem Ratsgestühl aussitzen.
Slüter: Gottes Segen auf Eure Reise, Herr Syndikus. Da werde ich noch ein wenig weiterschreiben.
Slüter gibt Oldendorp die Hand, der zögert einen Augenblick, dann geht er.

28. BILD
Rathaus zu Rostock Mai 1532
Kaspar: Mai 1532. Nur ein einzger Satz läuft von Sankt Petri bis zum Rathausplatz.
Ratsherr Kerkhoff am Fenster, Dekan Moller kommt hereingestürmt.
Moller: Slüter ist tot! Durch die ganze Stadt läuft das Gerücht, wir hätten ihn vergiftet. Ihr müsst etwas unternehmen, Ratsherr.
Kerkhoff: Was stellt Ihr Euch vor? Wachen vor die Kirchen und Klöster? Würde das dem Gerücht nicht noch mehr Nahrung geben?
Moller: Der Pöbel rottet sich vor Sankt Petri zusammen. Sie werden bis vors Rathaus ziehn.
Kerkhoff: Dann werden wir sie empfangen. Schließlich sagen sie ja nicht, dass wir den Slüter vergiftet haben.
Moller: Er ist an seiner eigenen Galle verreckt. Es war Gottes Strafe!
Kerkhoff: Wenn Ihr den Leuten das von der Kanzel verkündet, dann werden sie sich sicher schnell beruhigen.
Moller: Der Rat Ihr will den Verleumdungen also nicht entgegen treten?
Kerkhoff: Wozu die Aufregung, Herr Dekan? Noch ist alles ruhig. Es wird ruhig bleiben, wenn Ihr die Leute nicht reizt. Sie haben jetzt ihren Märtyrer. Ich werde zu Slüters Witwe gehen und ihr das Beileid des Rats bezeugen. Ihr könnt gern mitkommen, im Namen der Universität. Schließlich hat der Slüter bei Euch studiert.
Moller: Was soll der Spott?
Kerkhoff: Ich spotte nicht. Wenn Ihr nicht mitkommen wollt, dann schickt einen Eurer Priester. Eine barmherzige Geste unter Christenmenschen.
Moller: Wir sollen dem Slüter Abbitte leisten?
Kerkhoff: Warum nicht? Jesus hat für seine Peiniger gebetet.
Moller: Ihr wollt das Gerücht also benutzen, um den alten Glauben auszumerzen? Um Hand an die göttliche Ordnung zu legen?
Kerkhoff: Was die Kirchenordnung betrifft, so hat der Ehrbare Rat seine Entscheidung getroffen. Sie mag Euch nicht gefallen, aber sie ist beschlossen und der Herzog hat sie gebilligt.
Moller:
Und Slüter ist Rostocks erster Märtyrer für Luthers Ketzerlehre!
Kerkhoff: Vielleicht wird dieser Ketzerlehre, wie Ihr zu sagen beliebt, das Evangelium besser unters Volk bringen als die Eure. Ihr wart in den letzten Jahren nicht eben erfolgreich, Herr Dekan. Gestern Nacht hat die Stadtwache wieder einen Mann aufgegriffen, der gerade einen toten Hund unter seiner Schwelle vergraben wollte. Als Wächter gegen böse Geister. Die Rostocker sind noch immer halbe Heiden.
Moller: Weil der Rat nie durchgegriffen hat gegen die Hexen und Ketzer!
Kerkhoff: Überall, wo die Scheiterhaufen brannten, hat es Aufruhr gegeben. Wo man mit Feuer und Schwert gegen den Luther vorgegangen ist, da haben sich seine Lehren noch schneller verbreitet. Ein Märtyrer, warum nicht ? Wir sollten dem Slüter einen Stein setzen, damit seine Gemeinde eine Wallfahrtsstätte hat. Einen schönen Stein mit einem frommen Spruch.
Moller: Ihr spottet, Ratsherr.
Kerkhoff: Keineswegs. Ihr wollt Euch nicht anschließen? Schade, es wäre eine hochherzige Geste gewesen. Dann Gott befohlen, Herr Dekan. Ich muss nach Sankt Petri.

29. BILD
Friedhof an der Stadtmauer hinter Sankt Petri Mai 1532 Slüters Grab. Katharina, Soske, Mine, Kaspar, Dietz und die Kinder stehen um das Grab und singen.
Chor:
Dor kümmt een Schipp beladen bet an dat böwelst Buurd, dräggt Gott sein Söhn vull Gnaden, bringt uns dat ewig Wuurd.

Dat Schipp kümmt liesen dräben Un dräggt ne rieke Last. Gotts Lew dat is dat Sägel, de heilig Geist de Mast. De Anker, de ist fallen, dor is dat Schipp an’n Strand. Dat Wuurd is Minsch uns worden, so geiht uns Herr an Land.
Sie legen Blumen aufs Grab und gehen ab.

30. BILD
Kanzel unter der Linde neben Sankt Petri Abend im Frühjahr 1549 Kaspar sitzt mit einem Licht und einer ledernen Weinflasche an der Kanzel und trinkt Von der Kirche Glockengeläut und Chorgesang, später Oldendorp.
Kaspar: Da feiern sie nun den Sieg von Luthers Lehre im ganzen Land, Bruder Slüter. Siebzehn Jahre nach deinem Tod. Man wird Reden halten und sagen, dass du nicht umsonst gestorben bist, aber das ist ein blöder Trost. Ich hätt dich lieber hier auf der Kanzel als da oben bei den Engeln. Zumal ich an das da oben nicht mehr so recht glauben kann, nach allem, was ich gesehen hab. Ich glaub an das Theater und an Rotwein. (trinkt). Auf dem Theater ist der Himmel zwar nur gemalt und die Engel tragen Perücken und Flügelchen aus Goldpapier. Dafür bekommt aber jeder Einlass. Und in der Hölle sitzt nur, wer nicht besetzt ist. Auf dem Theater kann jeder sehen, wo Bartel den Most holt und wer ihn am Ende bezahlt. (trinkt) Das Theater ist das Himmelreich für die Narren. Da können sie so spielen, als gäb’s am Ende doch noch ein gutes Ende.
Oldendorp kommt aus der Kirche.
Oldendorp: Gott zum Gruß, Kaspar. Feierst du deinen Gottesdienst mit den Toten?
Kaspar: Eine gute Gesellschaft, Herr Syndikus. Was bringt Euch hierher?
Oldendorp: Ich bin auf der Durchreise. Man hat mich zu den Feierlichkeiten eingeladen.
Kaspar: Ein schöner Sieg. Der Bürgerausschuss ist entlassen, weil er den Rat beim Wort nehmen wollte. Der Superintendenten davongejagt, weil er den Ratsherren aufs Wort geglaubt hat. Wer sich mit dem Rostocker Rat einlässt, der muss ein Narr sein.
Oldendorp: Kein Wunder, dass du nicht eingeladen bist.
Kaspar: Der neue Prediger hat mich rausgeschmissen. Ich bin jetzt freischaffend.
Oldendorp: Der Rat hat dir dein Kanzellied noch immer nicht vergessen?
Kaspar: Die Kinder auch nicht.
Oldendorp: Sie werden groß und lernen, auf welcher Seite das Brot gebuttert ist.
Kaspar: Ja, mit dem Hunger wird noch immer regiert. Mit dem Hunger und mit der Angst. Aber auch das bleibt nicht in alle Ewigkeit.
Oldendorp: Bist immer noch ein Träumer, wie? Du siehst, wo sie hinkommen.
Kaspar: Da kommen wir alle hin, Herr Syndikus. Der Slüter wollte eine Kirche für die, die ihr Brot essen müssen im Schweiße ihres Angesichts. Die dem Beispiel von Jesus Christus nachfolgen ohne daran zu denken, welchen Lohn sie davon haben werden.
Oldendorp: So eine Kirche gibt es nicht. Vielleicht war sie nur der Traum des Mannes aus Nazareth.
Kaspar: Jetzt predigen andere in seinem Namen. Und füllen sich auch nur die Taschen. Das Letzte, was sie wollen, ist seine Wiederkehr.
Oldendorp:
Ich hoffe, das erzählst du nur den Toten.
Kaspar: Die Toten sind ein gutes Publikum. Sie haben alles gesehen und bleiben trotzdem still in ihren dunklen Logen. Nur zahlen sie leider nichts.
Oldendorp: Wo sind deine anderen Fastnachtsspieler?
Kaspar: Zerstreut in alle vier Winde. Das Theater bringt nichts mehr ein. Die Leute gehen lieber zu Hinrichtungen.
Oldendorp: Also spielst du nur noch allein?
Kaspar: Auf Hochzeiten, bei Kindstaufen und wo man mich lässt.
Oldendorp: Und was spielst du?
Kaspar (zieht ein Buch aus der Tasche): Ich predige ein Neues Evangelium, Herr.
Oldendorp: „Das Narrenschiff“? Passend für Mecklenburg.
Kaspar: Ich dachte, die Narren sind die größte Gemeinde auf der ganzen Welt. Aber ich habe nicht bedacht, dass die meisten ihre Narrheit für Weisheit halten und nichts dabei zum Lachen finden.
Oldendorp: Weil sie glauben, dass es nur ihre Wahrheit gibt.
Kaspar: Wie der Luther, zum Beispiel.
Oldendorp: Das hast du gesagt. Sieh, ich trag da auch ein Büchlein mit mir. (zieht ein Buch aus der Tasche und gibt es Kaspar). Vom Meister Albrecht Dürer.
Kaspar: „Unterweisung der Messung und Proportionen“? Seid Ihr unter die Künstler gegangen?
Oldendorp: Schau dir dieses Blatt an.
Projektion des Dürer‘schen Holzschnitts.
Kaspar: „Denkmal zum Sieg über die Bauern 1525. Wer ein Siegesmal aufrichten will, dass er die aufrührerischen Bauern überwunden hat, der möcht folgendes gebrauchen: einen Haferkasten als Basis, dann einen Kochkessel, ein Butterfass, eine Milchkanne, eine Korngarbe mit Mistforken und Dreschflegeln und darauf einen Bauern, mit einem Schwert durchstochen.“ Wo die Wahrheit doch manchmal versteckt steht.
Oldenburg: Man braucht Geduld, um immer wieder ein Stückchen zu finden.
Kaspar: Und Geld.
Oldendorp: Ja. Geld ist gemünzte Freiheit. (zieht ein Geldstück aus der Tasche und gibt es Kaspar)
Kaspar: Wofür ?
Oldendorp: Weil mir dein Fastnachtsspiel gefallen hat. Damals hab ich nichts gegeben. Nimm’s jetzt mit Zinsen.
Kaspar (besieht das Geldstück und steckt es ein): Wenn Ihr so denkt, wie könnt Ihr da noch Syndikus sein?
Oldendorp: Geduld ist die Tugend der Apostel. Aber der Slüter hatte keine Geduld. Er wollte das Himmelreich auf Erden, hier und jetzt.
Kaspar:
War das falsch?
Oldendorp:
Es war zu früh. Wie hast du damals gesagt: Wer Ohren hat zu sehen, der wird schmecken?
Kaspar: Ja. Wenn sie einem vorher nicht abgeschnitten werden. Ich denke, ich wandere aus.
Oldendorp: Wohin?
Kaspar: Vielleicht ins Morgenland. Da spiele ich am Hof des Sultans den abendländischen Narren.
Oldendorp: Dann musst du den Wein aber hierlassen.
Kaspar: Nehmt einen Schluck. Die Landstraßen sind staubig. Wer weiß, wo wir uns wiedersehen.
Oldendorp: Spätestens zum Jüngsten Gericht.
Er nimmt einen Schluck, gibt Kaspar die Flasche zurück und geht. Kaspar hängt die Flasche an seinen Gürtel, nimmt seinen Mantelsack und geht in die andere Richtung singend ab.

Kaspar:
Wach auf, wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen! Bedenk was Gott an dich gewandt Wozu er dich erschafft. Bedenk was Gott dir hat gesandt Und dir vertraut sein höchstes Pfand Dann magst du wohl aufwachen!

DAS ENDE

© Holger Teschke

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