Theater der Zeit

Der Fremde in der Tür

Bertolt Brechts Theater für Ingenieure

von Hans-Christian von Herrmann

Erschienen in: Recherchen 115: Auftreten – Wege auf die Bühne (11/2014)

Dramentext und Bühne stehen zueinander nicht wie Inhalt und Behälter, sondern sind vielfach miteinander verschränkt. Dramen werden nicht nachträglich auf die Bühne gestellt, sondern tragen ihre szenische Verräumlichung und Verzeitlichung immer schon in sich. Auftritte (und Abgänge) erzeugen eine topologische Ordnung, die sich in jeder Mise en Scène auf neue Weise aktualisiert und die das Theater in den Horizont einer Geschichte von Auftrittskulturen rückt. Das Theater der griechischen Antike war stets bezogen auf den überwältigenden Auftritt des Gottes Dionysos – das jähe Einbrechen einer die Sicherheiten des Alltags zerbrechenden tragischen Wahrheit.322 Das Theater der französischen Klassik stand hingegen ganz im Zeichen eines ordnungsstiftenden Souveräns, der als erster Zuschauer, Gegenstand der Darstellung und Akteur den theatralen Raum beherrschte.323 In beiden Fällen erscheint die Bühne als Ort einer Schwelle, auf der sich ein historisch konturiertes Spiel zwischen Anwesenheit und Abwesenheit ereignet. Mit Antonin Artaud, Samuel Beckett und Bertolt Brecht kommt es im 20. Jahrhundert zu einem radikalen Umbau des europäischen Theaterapparats auf dem Weg einer Abkehr von der Sprache als seinem bislang begründenden Element.324 Dies geschieht in Artauds Theater der Grausamkeit im Exzess einer Überschreitung der Repräsentation, in Becketts Endspielen als Ritornell zwischen Differenz und Wiederholung und in Brechts...

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