Kolumne
Bon Appetit, Deutschland!
Erschienen in: Theater der Zeit: Schauspiel Leipzig – Martin Linzer Theaterpreis 2017 (06/2017)
Assoziationen: Debatte
Ein Dorf ist in Aufruhr. Eine Aktiengesellschaft hat sich eingekauft und will auf einem überschaubaren Hügel eine Altenresidenz errichten. Die anvisierte Klientel sind gut alimentierte, alte, aber rüstige und gewiss eigensinnige, weil ein erfolgreiches Leben im Privileg privilegiert abschließende Menschen. Die AG führt den Titel gemeinnützig. Ihre Gewinne sind steuerfrei. Das garantiert auch eine bleibende Rüstigkeit der AG.
Das Dorf gehört zu meiner Heimat. Vom künftig gemeinnützigen AG-Hügel aus kann man meine Heimat überschauen bis zur Sichtgrenze. Das sind die Alpen. Sie wirken wie eine hohe Mauer aus Stein. Die Menschen fühlen sich aufgehoben beim Anblick der Alpen. Sie formen ihrer Heimat den Begriff.
Ich hab’ das Wort Heimat selten gebraucht. Wenn, dann höchstens als Chiffre, als ironische Verbrämung meiner Ablehnung jeglicher Form von Volks- und Brauchtümelei. Ich will das Wort nicht verschleißen. Schließlich bin ich umgeben von Heimat. Ich muss mich damit nicht auch noch aufblasen.
Um mich herum wird das Wort gewürdigt wie eine Monstranz. Es gibt sogar einen Heimatminister in meinem Bundesland. Im benachbarten Nordamerika gibt es ein Heimatschutzministerium. Die neu errichtete Bundesrepublik führte zur Festigung des Heimatgefühls eine Zeit lang ein Vertriebenenministerium. Ich mach’ mich immer ganz klein, um nicht an die Untergrenze der Trachtenhüte...