Thema
Das Lachen der Medusa
Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken im Gespräch über starke Frauenfiguren und besseren Sex
von Dorte Lena Eilers, Christine Wahl und Barbara Vinken
Erschienen in: Theater der Zeit: Das Lachen der Medusa – Feminismus Theater Performance u. a. mit Barbara Vinken (01/2021)
Assoziationen: Berliner Ensemble
Frau Vinken, viele Schauspielerinnen, zumal in den auf den Kanon fixierten Stadttheatern, sind es leid, immer wieder die gleichen Frauenrollen zu spielen: zu klischeebeladen, zu gestrig, zu wenig emanzipiert, heißt es. Teilen Sie als Zuschauerin diese Kritik? Oder gab es in der letzten Zeit kanonische Frauenfiguren im Theater, von denen Sie fasziniert waren?
Zuletzt war ich in Stuttgart in der Oper, in dem Doppelabend „Cavalleria rusticana / Luci mie traditrici“ von Pietro Mascagni und Salvatore Sciarrino. In der „Cavalleria rusticana“ fand ich die Figur der betrogenen und ihren Bräutigam verratenden Santuzza faszinierend. Das ist eine Judasfigur, die aus verratener Liebe verrät; Barbara Frey hat das in Stuttgart trostlos brillant inszeniert.
Santuzza liebt Turiddu. Dieser aber ist Hals über Kopf in die schöne Lola verliebt, eine verheiratete Frau. „Reize mich nicht, denn ich bin nicht dein Sklave“, beschimpft Turiddu die verletzte Santuzza. Diese erwidert: „Töte mich! Ich will es dir danken.“ Nun ja, wenn das nicht kitschigste Männerfantasie ist …
Hier geht es nicht um Männerfantasien, sondern – die Szene spielt Ostern vor der Kirche – um die Pervertierung des unsere Gesellschaften begründenden und befriedenden Opfers.
Genau. Die Frau ist wieder einmal das Opfer. Und das beklagen Schauspielerinnen.
Nein, nein! Hier wird ein Mann geopfert. Und das zeigt den heillosen Bankrott dieser Gesellschaft an. Er wird abgestochen, weil Santuzza seine Affäre mit Lola an deren besitzerstolzen Ehemann – reich, erfolgreich – verraten hat. Von ihr, der Entehrten, der vielleicht Schwangeren, der Verstoßenen und Verlassenen, wird er ans Messer geliefert.
Vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte wäre es doch aber wünschenswert, nicht immer wieder die gleichen patriarchalen Strukturen zu reproduzieren, um zu schauen, wie der Mann reagiert. Schauspielerinnen sehen genau darin die Stereotype: Egal, ob hinterher auch der Mann tot ist oder lebt, zuallererst richtet sich die Gewalt, insbesondere die sexualisierte, gegen die Frau.
Ich finde nicht, dass es hier um Stereotype geht. Es geht um Analyse. Nehmen Sie den Arachne-Mythos aus Ovids „Metamorphosen“. Er erzählt vom Kampf um die Möglichkeit weiblicher auctoritas – und zwar gegen eine Göttin! Es handelt sich um einen Kampf zwischen zwei Frauen, nämlich zwischen einer hochbegabten Sterblichen und einer phallisch identifizierten Göttin: Athene, mutterlos, Tochter des Zeus, eine von Kopf bis Fuß gerüstete Jungfrau. Eigentlich sollte sie die Jungfrauen verteidigen, lässt sie aber, ganz Papakind, regelmäßig über die Klinge springen. Was heißt das jetzt? Stereotyp jedenfalls ist die Sache nicht. Ich finde Arachne auch deshalb eine unheimlich interessante Figur, weil sie ihr Handwerk zu einer Kunst macht und es gerade das Gekonnte ist, was die Herrschenden so erfolgreich denunziert.
Arachne ist Weberin. Der Teppich, den sie in Konkurrenz zu Athene webt, zeigt ziemlich explizite Sexszenen – was Athene entsetzt. Sie nennen das in einem Aufsatz „pornografischen Realismus“ – ein interessanter Begriff auch für den heutigen ästhetischen Diskurs. Die Sexszenen jedoch werden, wie fast überwiegend in Ovids „Metamorphosen“, aus einer männlichen Gewaltperspektive heraus dargestellt.
Arachne denunziert auf ihrem Teppich den Olymp, die Herrschenden, ihre unendlichen seriellen Verführungen und Vergewaltigungen. Die Götter kommen in der Regel heil davon – bestraft werden die von ihnen verführten Frauen. Aber nicht von Zeus, also nicht von Männern, sondern meistens – wie auch Arachne – von Pallas Athene oder Juno, patriarchalisch identifizierten Frauen.
Sie würden also sagen: Eben weil unsere Gesellschaft – das hat die #MeToo-Debatte explizit gezeigt – von männlich konnotierten Machtverhältnissen geprägt ist, ist das Aufzeigen dieser Strukturen im Theater nicht gegen die Frauen gerichtet, sondern hat einen aufklärerischen Gestus?
Im Ernst: Wo kriegen Sie Klügeres über Macht, Sex und Gewaltverhältnisse oder, wie bei Ovid, Sex als Mittel des Krieges heraus als in dieser Literatur? Nirgendwo. Heutzutage lesen viele Leute so, als wäre das, was sie lesen, mimetisch zu verstehen, eins zu eins abbildend. Sie denken, wenn sie von einer Vergewaltigung lesen, hieße das erstens, dass der Autor das Dargestellte genießt und unterschreibt, und zweitens, dass sie damit latent selbst Opfer dieser Vergewaltigung werden. Drittens sind sie folglich bereits schockiert, weil sie davon lesen.
Bei Ovid ist das alles viel raffinierter und nicht auf Einfühlung und Nachmachen angelegt. Er zeigt den Krieg aller gegen alle und besonders den Krieg der Götter gegen die Menschen. Die Götter legitimieren sich gegenüber den Menschen, indem sie behaupten, den Bürgerkrieg niedergeschlagen, das Chaos beendet, schöne Ordnung gestiftet zu haben. Ovid aber zeigt das Gegenteil und folglich diese Götterreligion als ideologische Verblendung. Denn die Götter führen Krieg gegen die Menschen. Und das mit den Mitteln des Sexes. Das ist doch eine unglaubliche Einsicht! Ich würde sagen, dass darin das spezifische Können der Literatur liegt: Du kannst etwas wirklich begreifen, ohne dass es dir ideologisch vorgehalten wird. Du wirst widerständig in dem Moment, in dem du die Geschichten liest und anfängst, zu verstehen.
Woher kommt Ihrer Meinung nach das identifikatorische Lesen, das ja, wie in den USA, nicht nur zu Triggerwarnungen führt, sondern sogar zu Verboten? Auch im Theater heißt es, man möchte diese und jene Gewaltszene nicht mehr auf der Bühne darstellen, weil sie als verletzend und echt gelesen werden könnte.
Es gab natürlich schon immer eine Literatur, die auf Nachahmung zielte: die Exempla, die illustren, glorreichen Vorbilder starker Frauen und tugendhaft heroischer Männer: „prenez modèle“, sagten die Lehrerinnen dann früher, heute vielleicht so etwas wie Kim Possible. Spätestens mit der Empfindsamkeit im 18. Jahrhundert hat sich das geändert. Der Realismus im 19. Jahrhundert führte von den Exempla zu psychologischen Porträts, die uns eine Figur ohne Strahlenglanz lebendig vor Augen stellten. Die waren aber gerade nicht, auch wenn man sich in sie einfühlen konnte und sie Menschen wie du und ich waren, zur Nachahmung gedacht. Mit Anna Karenina sollen wir Höhen und Tiefen der Leidenschaft bis zu ihrem verzweifelten Selbstmord durchleben – aber gerade nicht, um ihr nachzufolgen. Natürlich gab es auch immer Literatur, die das einfühlende Lesen oder gar die Nachahmung auf den Arm nahm: die Satire etwa.
Von der Hüterin der Macht sollte die Literatur, in der Absicht der Regierenden, zur Hüterin der bürgerlichen Moral werden. Die Literatur wurde nicht mehr der Zensur unterworfen, weil sie die Macht attackiert hatte – Majestätsbeleidigung –, sondern weil sie die Moral gefährdete. Nehmen Sie den Prozess gegen Gustave Flauberts „Madame Bovary“. Als ein „Hohelied auf den Ehebruch“ klagte es der Staatsanwalt an; es gäbe überhaupt keine Vorbilder in diesem Roman, niemanden, der es richtig mache. Und deshalb sei er überhaupt nicht erbaulich und eine Gefahr für die öffentliche Moral. Oder Charles Baudelaires lesbische oder nekrophile Gedichte: Würden die jungen Damen und den Rest der Welt auf dumme Ideen bringen, Perversionen entschuldigen. Diese beiden großen Prozesse gegen die Literatur wurden vom Staat im Namen einer moralischen Ordnung geführt. Ihnen zugrunde lag die Vorstellung eines imitativen, für Nachahmung anfälligen Lesens. Aber vielleicht ahnte der Staat, dass Flaubert in „Madame Bovary“ keineswegs den Ehebruch featured, sondern im wiederholten Ehebruch der Protagonistin dieser Gesellschaft in ihrer brutal schamlosen Unmenschlichkeit den Prozess macht.
Ein weiterer Schritt erfolgte durch den performative turn mit seinem Wechsel vom Mimetischen zum Authentischen. Eine Person steht auf der Bühne und erzählt von sich selbst. Vielleicht ebenfalls eine Art role model. Hinzu kommt ein identitätspolitisches Programm, etwa der Kampf um die Gleichberechtigung marginalisierter Gruppen, der ohne Zweifel wichtig, für die Kunst aber nicht ganz unkompliziert ist, droht doch im Überschwang der Aktivitäten die Ästhetik hinter der Ethik zu verschwinden. Man sitzt nicht mehr im Theater, sondern wird eingeladen in eine Wertegemeinschaft.
Im Prinzip entspricht das der geistigen Erbauungsliteratur, die man genauso gelesen hat, wie Sie es eben beschrieben haben: authentisch, nachahmend, identitätsverstärkend, die richtigen Werte vermittelnd und so weiter. Das war nicht die beste Literatur. Die beste Literatur hat etwas ganz anderes gemacht als ethisch, moralisch, identifizierend zu argumentieren. Damit will ich nicht sagen, dass die Welt gut ist und nichts geändert werden muss. Die Frage ist: Wie?!
Jedenfalls nicht, so sagen es viele Schauspielerinnen und Regisseurinnen, mit dem Kanon und seinen passiven Dulderinnen wie Iphigenie, Gretchen oder Ophelia.
Brecht hat mal gesagt, die Tragödie des Faust sei es, dass er sich mit Gretchen in eine Kleinbürgerin verliebt hat. Nicht in eine Frau, die zur freien Liebe fähig ist, sondern eben Gretchen – kleinbürgerlich, eng, bescheuert, in reaktionären Strukturen verhaftet. Ich finde das zynisch. Goethe denunziert im „Faust“ die patriarchalen Strukturen, welche letztlich die Kindsmörderin umbringen – woran Frauen wiederum beteiligt sind –, und zwar schonungslos: das Widerliche, das Liebesunfähige, das nur die eigene Lust suchende Begehren dieses dummen Typen da auf der Bühne. Ist nicht Faust, der Typ, das moralisch Letzte, was einem unterkommen kann?
Klar. Aber warum müssen Schauspielerinnen in ihren Rollen bloß der Sidekick sein, um den männlichen Kollegen als großen, komplexen, irgendwie auch unheimlichen Widerling brillieren zu lassen?
Machen Sie Medea oder Klytämnestra oder Andromache! Great girls! Die großen Frauenfiguren sind in der Antike zu finden. Phädra! Das sind super Rollen, aber das ist Tragödie – nicht eben ideal für role models.
Selbst die Antike wird im Theater aber gerne identifikatorisch gelesen. Medea als Nachbarin, die angelehnt an einen authentischen Fall ihre Kinder umbringt und in Blumentöpfen vergräbt – alles schon gesehen. Der andere Weg ist, die Rolle zu dekonstruieren. Medea ist ja vor ihrer Rache auch Opfer.
Jedenfalls haben diese Frauen Agens, sie haben Charakterstärke, sie gehen bis ans Ende ihres Begehrens, sie gehen über die Leichen ihrer eigenen Kinder. Ich weiß nicht, was Schauspielerinnen im Theater wollen. Heiligen-Rollen? Dann müssen sie Jeanne d’Arc spielen. Aber das geht auch schlecht aus. Effi Briest? Endet ebenfalls nicht gut. Kann man nicht sagen: Es ist das Privileg dieser Frauenfiguren, durch ihr Leiden die brutalen Machtverhältnisse, in denen sie leben, aufscheinen zu lassen? Sie analysierbar zu machen? Sie uns jenseits der herrschenden Ideologie vor Augen zu stellen?
Wenn sie role models wollen, bleibt nur der Arztroman: Krankenschwester heiratet Arzt und wird anschließend Präsidentin. Aber das ist Schrott, das will man nicht lesen: Kitschromane, Rosamunde Pilcher. Welche Rolle finden Sie gut, angebracht, in der Zeit?
Natürlich geht es nicht um Glückseligkeit. In der Kunst schon gar nicht. Es geht darum, komplexe Frauenfiguren zu zeigen, die nicht bloß Töchter sind, nicht bloß Ehefrauen, und deren Konflikte sich nicht bloß um – wie es Fanny van Dannen nennt – „Herzscheiße“ drehen.
Ist das Private nicht politisch? Und hat die Bourgeoisie der Aristokratie nicht unter dem Header der moralischen Überlegenheit den Garaus gemacht? Schauen Sie mal: Maria Stuart, die Händel-Opern, Phädra, Medea – das sind alles starke Frauen, herrschende Frauen. Die Tragödie hat immer mächtige, ja übermächtige Frauen. Man sollte immer schauen: Was heißt Macht, was heißt Stellung, was heißt Privileg, und wie werden diese Fragen in den Stücken verhandelt? Das Theater und die Literatur sind nicht dazu da, role models anzubieten.
Es geht der Literatur nicht um die Ermächtigung des Subjekts. Im Gegenteil. In Komödien geht es um die Fähigkeit, mit der Entmächtigung umzugehen; in Tragödien zerbricht man an dieser Ermächtigung, weil es Schicksalskräfte gibt, die stärker sind als ein Subjekt. Darin liegt vielleicht eine Art Selbsthilfe, aber auf einem fortgeschrittenen Level. Jedenfalls geht es nicht um Omnipotenz, um freie Wahl der Identität. Sondern um Probleme, Identität zu erlangen: um Abgründe menschlicher Schwächen und Unzulänglichkeiten, bei Männern wie bei Frauen, und um die Frage, wie man aus der Schwäche, keine feste Identität erlangen zu können, ohnmächtig zu sein, eine Stärke macht. Aber das kann nicht gegen die Schwäche entstehen, sondern nur aus der Schwäche heraus. Literatur ist keine Selbstermächtigungslehre. Die bringt uns die Werbung bei, um uns in der Erfolgsgesellschaft effektiv unterzubringen.
Im Theaterbetrieb sehen viele das anders: Selbstermächtigung – Empowerment – ist zurzeit ein wichtiges Thema, die #MeToo-Bewegung hat auch die Bühnen beeinflusst.
#MeToo ist ein interessantes Phänomen, weil es etwas zutage gefördert hat, was man im Prinzip als ein Moment der Dysfunktion des Patriarchats lesen kann, als katastrophalen Ausfall der patriarchalen Ordnung: Statt eines funktionierenden republikanischen Patriarchats haben Männer ihre Macht in tyrannische Willkür verwandelt; armselig impotent. Ein vollkommen inakzeptables Verhalten. So durfte und darf sich nirgendwo – wirklich nirgendwo – ein halbwegs anständiger Mann benehmen.
Sie lesen die #MeToo-Zeugnisse als eine „Dysfunktion“ des Patriarchats? Ist es nicht im Gegenteil gerade das Patriarchat, wie es leibt und lebt, das diese Übertretung zu verantworten hat? Die Männerbünde, die man mit ihm assoziiert, das kumpelhaft-anerkennende Schulterklopfen dafür, wie viele Frauen man flachgelegt hat …
Das ist die Brüderhorde, die sich tyrannisch ermächtigt, nicht das Patriarchat! Wenn Sie sich die Geschichte des Patriarchats anschauen, dann hat es sich immer gegen die Übergriffe der mächtigen, übermächtigen Männer auf Frauen, Kinder und Schwache definiert. Frauen werden im Patriarchat gerade davor geschützt: In die Rechte der anderen Männer – also der Väter, Brüder, Verlobten oder Ehemänner – darf nicht eingegriffen werden. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, dass Männer sich so benehmen, kann man nur aus einer Verwilderung des Kapitalismus begreifen, der schlicht tyrannisch geworden ist. Wo traditionell patriarchale Kräfte herrschen, heißt es: Kind – Junge – so nicht! #MeToo zeigt eher, dass das Patriarchat nicht mehr funktioniert – und vielleicht dringend restauriert werden muss? Reign the idiots in???
Das Patriarchat restaurieren? Das wäre zurzeit im Theater tatsächlich ein unique selling point! Aber im Ernst: Unterm Strich bleibt die passive Frau, nicht die selbstermächtigte.
In diesem Punkt muss ich Ihnen etwas für Sie Bizarres sagen: Ich bin nicht für Selbstermächtigung. Weder bei Männern noch bei Frauen.
Sondern?
Man sollte mit seinen Schwächen und denen der anderen menschlich umgehen, statt ständig sein Ego aufzublasen. Ich finde Selbstironie und Selbstdistanzierung wesentlich interessanter als Selbstermächtigung – und im Übrigen auch viel anziehender, viel charmanter.
Eine Schauspielerin oder Regisseurin, die sich täglich mit dem verbrieftermaßen virulenten Typus des narzisstischen Generalintendanten auseinandersetzen muss, kommt mit der Selbstironie wahrscheinlich schnell an ihre Grenzen.
Weiß ich nicht, probieren Sie es mal mit Lachen. Aber natürlich: Die Strukturen müssen unbedingt geändert werden! Ich bin absolut für die Machtergreifung der Frauen und dafür, dass die Verherrlichung des männlichen Genies, die in diesen Berufen immer neue Blüten treibt und beklatscht wird, aufhört. Dafür muss man kämpfen, und es ist höchste Zeit, vor allem in der Kulturindustrie, wo das Genie passenderweise immer männlich daherkommt. Allerdings ist das nicht allein die Schuld der hochgelobten Genies, sondern eines offenbaren Bedarfs in der Rezeption. Die Muse, auch die von Frauen betriebene Verehrung – das muss endlich ein Ende haben. Todöde! Darüber sollte man Tag und Nacht lachen und Satiren schreiben, das ist zu unterminieren. Aber diese nötige und schwere Arbeit würde ich nicht Selbstermächtigung nennen. Die illusionäre Sucht des Publikums danach sollte nicht verstärkt, sondern durchkreuzt oder auch kritisch zurückgespiegelt werden, sodass man sich an die eigene Nase fasst.
Was haben Sie denn gegen Selbstermächtigung?
Ich sehe das psychoanalytisch: Das Subjekt ist eine Illusion. Die müssen wir – glauben wir – glauben, und die bauen wir deshalb immer neu auf. Dagegen ist Demontage die viel stärkere Strategie. Weil das Subjekt der Neuzeit als männliches konstruiert ist und mit Universalitätsanspruch auftritt, plädiere ich für Abbau, Raumnehmen durch Ironie, Lachen – denken Sie an das Lachen der Medusa! Ich halte diese selbst-dienliche Ego-Psychologie nicht für die beste Idee des Jahrhunderts. Resilienz ist die interessantere und, das lehrt die Literatur, auch die bewährtere Fähigkeit. Mit Schwäche umzugehen ist nicht nur klüger, sondern – um es in Ihrer Terminologie zu sagen – auch ermächtigender. Und lustvoller.
Na ja. Wir würden uns ähnlich wie Sie auch eher in der Denktradition der postmodernen Dekonstruktion verorten, für die es generell keine festen Identitäten gibt: Das Subjekt ist ein fluides soziales Konstrukt. Heute dominiert aber die Identitätspolitik, in der die ethnische, sexuelle, kulturelle oder soziale Identität die zentrale Kategorie bildet, um bestimmte politische Ziele durchzusetzen. Können Sie erklären, wie es zu dieser identitätspolitischen Wende kam?
Das frage ich mich auch – mindestens zweimal am Tag. Bizarrer Essenzialismus.
Um noch einmal auf #MeToo zurückzukommen: Sie sagen ja unmissverständlich, dass Übergriffe geahndet werden müssen. Gleichzeitig plädieren Sie aber immer auch für das Spiel der Liebe, der Verführung, der Erotik. Wie kann man dieses Spiel aufrechterhalten?
Das hat wieder mit der Ermächtigung, mit Macht zu tun. In den Vorstellungen der Antike – und auch der Moderne – ist der Eros eine Kraft, die das Subjekt außer Kraft setzt, es fesselt, unterwirft, entmächtigt. Eine Macht, die einen ziemlich schafft. Ich finde diese Vorstellung nicht schlecht, weil sie den Eros nicht an ein muskulöses Subjekt bindet, das sich in der Liebe beweist, sondern als ein erleidendes zeigt, das auf Schwäche und Unvermögen gestoßen wird. Ich glaube, wenn wir die Liebe wieder als eine Kraft annehmen würden, die wir nicht in der Hand haben, würde es sowohl um den Sex als auch um Weiblichkeit deutlich besser stehen. //