Frau Vinken, viele Schauspielerinnen, zumal in den auf den Kanon fixierten Stadttheatern, sind es leid, immer wieder die gleichen Frauenrollen zu spielen: zu klischeebeladen, zu gestrig, zu wenig emanzipiert, heißt es. Teilen Sie als Zuschauerin diese Kritik? Oder gab es in der letzten Zeit kanonische Frauenfiguren im Theater, von denen Sie fasziniert waren?
Zuletzt war ich in Stuttgart in der Oper, in dem Doppelabend „Cavalleria rusticana / Luci mie traditrici“ von Pietro Mascagni und Salvatore Sciarrino. In der „Cavalleria rusticana“ fand ich die Figur der betrogenen und ihren Bräutigam verratenden Santuzza faszinierend. Das ist eine Judasfigur, die aus verratener Liebe verrät; Barbara Frey hat das in Stuttgart trostlos brillant inszeniert.
Santuzza liebt Turiddu. Dieser aber ist Hals über Kopf in die schöne Lola verliebt, eine verheiratete Frau. „Reize mich nicht, denn ich bin nicht dein Sklave“, beschimpft Turiddu die verletzte Santuzza. Diese erwidert: „Töte mich! Ich will es dir danken.“ Nun ja, wenn das nicht kitschigste Männerfantasie ist …
Hier geht es nicht um Männerfantasien, sondern – die Szene spielt Ostern vor der Kirche – um die Pervertierung des unsere Gesellschaften begründenden und befriedenden Opfers.
Genau. Die Frau ist wieder einmal das Opfer. Und das beklagen Schauspielerinnen.
Nein, nein! Hier...