Musterungen des Unabgeschlossenen
Groteske Körper im Zeitgenössischen Tanz
von Susanne Foellmer
Erschienen in: Re-exploring the grotesque – Circus perspectives on diverse bodies (VOICES IV) (05/2023)
Assoziationen: Tanz
Im Tanz ist die Befragung des Körpers als unabgeschlossenes, bearbeitbares Material, das nicht an der Haut als Grenze endet, mittlerweile zu einer geläufigen Praxis und einem gängigen Topos zeitgenössischer Ästhetik geworden, für die Theorien des Grotesken wie jene Michail M. Bachtins und Wolfgang Kaysers als Referenzmodelle herangezogen und reformuliert werden können. Der kurze Beitrag umreißt die künstlerische Entstehung jener Tendenzen und rahmt diese theoretisch mit dem Grotesken als Analysemodell für solche Erscheinungsformen.
Das Unabgeschlossene als Modell im zeitgenössischen Tanz
Xavier Le Roys Arbeit Self unfinished (1998) kann als regelrecht künstlerische ‚Folie‘ für Phänomene des Unabgeschlossenen bezeichnet werden. In diesem Solo, in dem der Tänzer und Choreograph Le Roy verschiedene Stadien von Metamorphosen durchläuft, wird der Körper als bewegliches und bewegtes Arbeitsmaterial untersucht und zur Disposition gestellt. Einer Versuchsanordnung gleich2 bewegt sich Le Roy vom Stehen ins Kriechen, Kauern und Liegen, pellt seinen Körper im Verlaufe des Stücks aus der Kleiderhülle heraus und transformiert ihn in Torsionen und vexierbildhaften Inversionen, so dass bisweilen oszillierende Effekte in der ‚Zugehörigkeit‘ und Proportionalität von Gliedmaßen entstehen und in bestimmten Momenten unklar ist, wo vorne und hinten, oben oder unten zu verorten wäre.
Die Rezeption des Stücks war seinerzeit wesentlich bestimmt von Attributen des...