Gedenkrede gehalten bei der Trauerfeier für Bertolt Brecht am 18. August 1956
von Georg Lukács
Erschienen in: Georg Lukács – Texte zum Theater (06/2021)
Assoziationen: Dossier: Bertolt Brecht
Bedeutende Dichter, die unserer Periode vorangegangen – Ibsen und Tschechow – haben die eigentliche Aufgabe der Literatur darin gesehen: vernünftige Fragen an die Wirklichkeit, an ihre Zeit, an deren Menschen zu richten.
Die bürgerlichen Schriftsteller haben diesen Weg nur allzu bereitwillig eingeschlagen; je später, desto entschiedener. Jede Antwort ist aus der Sprache, aus der Gestaltung, ja man kann sagen aus der Kategorienlehre der Literatur verschwunden. Die bloße, abstrakte, zu Selbstzweck gewordene Frage pulverisierte die Welt der Dichtung, machte aus ihr ein wirres Spiel wesenloser, beziehungsloser Moleküle.
Die Gefahr, die darin lag, war unschwer zu erkennen. Und nicht wenige der Bestwollenden unter den Unsrigen replizierten mit gesteigerter Abstraktheit auf das Negative, sich in Abstraktion verlierende Fragen. War dort über das Fragen die Antwort vergessen, so verschlang hier die dogmatisch gewordene Antwort ein jedes Suchen, eine jede Frage.
Brecht fand mit dem Instinkt, mit der Vernunft eines bedeutenden Schriftstellers die königliche Mitte. Seine Dramen, seine Poesie stellen Fragen mit einer Radikalität, mit einer aufwühlenden Intensität, mit einem sicheren Zielen auf aktuelle und doch unerkannte Tiefen. Hinter all dieser wogenden Problematik steht aber stets die durch nichts erschütterbare Gewissheit der letzten Antwort, der wahren Perspektive.
Wenn also Brecht durch die Wucht seines Dichtertums...