Kunst oder Soziales? Überwindung von tradierten Grenzen
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Der Schachzug des Gorkis, als erste „vollwertige“ Bühne mithilfe des Adjektivs „postmigrantisch“ Gruppen mit Migrationsgeschichte einen künstlerisch anerkannten Ort zu geben, ist ein erster Erfolg dieser vor allem an strukturelle und finanzielle Zuwendungen geknüpften Strategien kultureller Teilhabe. Allerdings sind die Vorbehalte seitens vieler etablierter Kunstszenen und deren Akteure nach wie vor enorm. Das mag daran liegen, dass sich die Kulturpolitik seit Langem an einer Polarisierung zwischen Sozialem und Künstlerischem abarbeiten muss und dass die Erreichung und Etablierung neuer gesellschaftlicher Gruppen im Theater vornehmlich als „soziales Projekt“ gehandelt wird. Auch von Beyme fragt am Ende seiner Bestandsaufnahme zur Kulturpolitik in Deutschland: „Welche Rolle kann staatliche Kulturpolitik zur Integration von Alt- und Neubürgern spielen?“282 und stellt wenig später fest:
Angesichts der Knappheit der Ressourcen entsteht keine Harmonie im normativen Anspruchsbereich der verschiedenen Kulturwissenschaften. Die Politikwissenschaft ist in ihrer Zielkultur weniger festgelegt. Je nach dem Fokus Gemeindepolitik bis zur Weltpolitik kann ihre kulturpolitische Präferenz anders aussehen. Gleichwohl sind beide Brennpunkte mit der Herausstellung der partikularen Sozio-Kulturen vereint. Beide unterliegen einem Demokratisierungsparadoxon: der Versuch, breite Schichten durch Soziokultur zu erfassen, ist immer nur von sehr partiellen Erfolgen gekrönt.283
Der ausbleibende Erfolg liegt – so argumentieren Luke Boltanski und Ève Chiapello in einem...