Schmerz und Lebenslust, Freiheit und Gefängnis
von Cem Özdemir
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Assoziationen: Maxim Gorki Theater
Wenn jede Metropole dieser Welt ein Theater wie das Gorki beheimatete – was wäre das für eine Welt? Eine bessere. Denn wie könnte es dann noch Autokraten geben? Man muss Demokratin oder Demokrat sein, um das Gorki zu „ertragen“. Es ist ein politisches Theater, das Finger in Wunden legt und kritisch aufbegehrt, das die eigene Stadt, ihre Menschen, Themen und Konflikte ernst nimmt – und ihr Spiegel vorhält.
Nicht nur einen Spiegel, sondern viele. Nicht nur herkömmliche Spiegel, glatt, homogen und streifenfrei, sondern auch bunte und fleckige, grundiert mit Schmerz und Lebenslust, mit Freiheit und Gefängnis, mit migrantischen Erfahrungen und Lebenswelten. Darum geht es, wenn ich das Gorki betrete. Es ist eine besondere Mischung an Menschen, denen ich dort begegne. Weltoffen, klug und meinungsstark. Hier und da auch mal Zweifel nicht duldend. Aber darin steckt auch Leidenschaft angesichts der Abgründe, mit denen wir konfrontiert sind – und das betrifft auch die Türkei.
Warum sollen wir uns hier in Deutschland um die Türkei kümmern, fragt man mich immer wieder. Weil sie ein Teil unseres Lebens ist – und weil Schweigen Zustimmung zu den Verhältnissen, mindestens ihre Duldung bedeutete. Ich bin dankbar, dass wir im Gorki, mitten in Berlin, an diesem besonderen...