Die Wut, lateinisch furor, ist kein so nobles Theatergefühl wie Furcht und Schrecken der Tragödie. Lutz Hübners und Sarah Nemitzs „Furor“ (siehe Stückabdruck ab Seite 52) ist im Hinblick auf ihren 29-jährigen Protagonisten, den Paketboten Jerome, jedenfalls hochaktuell: Sie zeigen den Wutbürger mit Netzanschluss. Dessen Typus konstruieren wir uns zwar sozio-, nicht mythologisch, doch wenn Jerry – so sein Kosename voll waberndem Germanentum (die Engländer im Ersten Weltkrieg verwendeten ihn für deutsche Soldaten in Ableitung von „Ger“many) – vor uns und dem Politiker Heiko Braubach sein Prekariatsbewusstsein auskotzt, kommt viel wirres Denken zu Wort. Und das gleicht einer Katharsis.
Lydia Merkels Bühne reserviert dem Trio Dietmar Bär (Braubach), Fridolin Sandmeyer (Jerome) und Katharina Linder (Nele Siebold, Jeromes Tante) eine in den Saal ragende Spielfläche mit abgewohntem Mobiliar – ein wandloses Wohnzimmer. Ihr Clou ist die fotogetreue Fassade eines breiten zehnstöckigen Wohnblocks im Hintergrund: ein Bau zwischen Platte-Ost und Sozialbau-West als Szenerie für Hübners und Nemitzs Kammerspiel im Großen Haus des Schauspiels Frankfurt. Der Maßstab von eins zu drei (oder vier) und viele Details von der Sonnenblende bis zum transparenten Fensterschmuck zeitigen einen Märklin-Effekt, der den Sinn fürs Modellhafte schärft.
Hübners Formensprache ist nicht allzu originell, doch ermöglicht sein Realismus...