Anschauungsverzicht und abstrahierendes Denken
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Verstärkt ist diese Akzentuierung wohl durch die Tendenz des modernen wissenschaftlichen Denkens zur Abstraktion, in diesem Sinne zur Entkörperlichung, zumindest zur Vernachlässigung des Sinnlichen (hier des Theaters). Die Griechen etwa hätten noch darauf bestanden, der „Natur ihre Einheit abzuringen“, so Hans Blumenberg zur historischen Bedeutung des Kopernikus und zum Anbruch und Verlauf des modernen Denkens seit der Renaissance. Dazu sei die Zweischichtigkeit zu überwinden gewesen, die im mythischen Denken bestehe zwischen dem, was man sehe, und dem, was wirklich geschehe. Uns falle es schwer, uns den Ausgangspunkt dieser Insistenz auf der Einheit der Natur noch einigermaßen zu vergegenwärtigen.49 In der Widmung seines Werkes REVOLUTIONES an Papst Paul III. im Jahr 1543 habe Kopernikus die Differenz seiner eigenen Position und der eines Zentrums reflektiert, damit zugleich aber auch die kosmologische Differenz zwischen der „terrestrischen Winkelperspektive und dem zentralen Konstruktionspunkt, von dem aus das Universum zwar nicht angeschaut, aber gedacht werden könne“. Die Winkelperspektive sei die Herausforderung der Vernunft, sich der konstruktiven Darstellung des kosmischen Systems zu versichern. Neuzeitliche Grunderfahrung sei, dass „der Gegenstand erst in der Abwendung von der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung zur indirekten Erfahrung und Konstruktion“ sich erschließe.50 Platoniker des 17. Jahrhunderts wie Henry More haben, gemäß...