Gespräch
Was macht das Theater, Ulrich Matthes?
von Patrick Wildermann und Ulrich Matthes
Assoziationen: Dossier: Was macht das Theater...?
Herr Matthes, die Amazon Studios haben jüngst neue Richtlinien für Diversity beschlossen, unter anderem sollen jetzt nur noch Schauspielerinnen und Schauspieler engagiert werden, „deren Identität (Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung) mit den Figuren, die sie spielen, übereinstimmt“. Ganz grundsätzlich: Was halten Sie davon?
Das ist eine Mischung aus einem Witz und einer Katastrophe – weil es komplett die wunderbare, jahrtausendealte Profession der Schauspielerei infrage stellt. Das Gegenteil dessen wird damit erwirkt, was ich so berückend und auch politisch relevant an unserem Beruf finde: nämlich, dass er eine lebenslange Beschäftigung mit und eine Aufforderung zur Empathie ist. Diese Amazon-Richtlinie regt gerade nicht mehr dazu an, sich mit der Gedanken- und Gefühlswelt eines fremden Menschen auseinanderzusetzen, sie für sich selbst für möglich zu halten. Ganz abgesehen davon: Wie soll das praktisch umsetzbar sein? Man kann doch nicht alle Schauspielerinnen und Schauspieler einem Orwell’schen Lügendetektortest unterziehen: Bist du wirklich queer, bist du hetero?
Das erklärte Ziel der Amazon Studios ist es, authentische Geschichten zu erzählen. Ein Kommentar in der Zeit hält dagegen mit Diderots „Paradox über den Schauspieler“, das mit der Vorstellung bricht, Wahrhaftigkeit entstünde dort, wo Schauspielerinnen und Schauspieler wirklich fühlen, was sie spielen …
Ich will keine Forderungen für die Schauspielerei stellen, jede und jeder soll nach ihrer oder seiner Fasson glücklich werden. Ich selbst glaube daran, dass man – wenn wir vom Theater reden – in dem langen Prozess der Proben eine bestimmte Übereinkunft mit den Kolleginnen und Kollegen sowie der Regie erzielt, was für eine Szene oder Situation formal, gedanklich, emotional das vermeintlich Angemessene oder uns allen Einleuchtende ist. Das stellt man mit einer Form von Konzentration, Spiellust, auch mit emotionalem Klimperkram her – aber es bleibt natürlich ein Spiel. Das Versenktheater ist nicht meine Welt. Insofern habe ich Sympathien für Diderot.
An der Debatte hängen ja identitätspolitische Fragen, die teilweise auch im Kontext von „ActOut“ aufgekommen sind, der Initiative für mehr Sichtbarkeit queerer Menschen im Kulturbetrieb, die Sie auch unterstützen.
Aber auch bei „ActOut“ war mir das wichtigste Anliegen: Jede und jeder soll alles spielen können! Natürlich weiß ich, dass in unserer Branche noch immer manchmal gemunkelt wird: Die oder der ist lesbisch oder schwul, kann sie die Mutti mit fünf Kindern oder kann er den Familienpapi spielen? Ich glaube umgekehrt aber überhaupt nicht daran, dass eine Figur dann besonders authentisch wird, wenn beispielsweise ein schwuler Schauspieler einen Schwulen spielt. Es ist doch die Begabung eines schauspielenden Menschen, sich mittels Empathie, mittels Fantasie in eine oder einen anderen zu versetzen! Von mir aus auch genderübergreifend, ich würde gerne mal Penthesilea spielen – wenn sie mir noch mal angeboten würde wie vor 15 Jahren von Jürgen Gosch, wozu es leider nicht gekommen ist.
In der Amazon-Logik wäre mit der Übernahme einer queeren Rolle zwangsläufig ein Outing verbunden. Auch nicht unproblematisch, oder?
1997 habe ich den Lover von Hölderlin gespielt, in dem historischen Film „Feuerreiter“. Für die Rolle habe ich den Bayerischen Filmpreis bekommen, es hat mir also nicht geschadet. Die Sexualität von Rollen ist mir wurscht, sogar meine eigene Sexualität. Ich habe sie einfach! Ich würde auch einen homophoben Menschen spielen, wenn die Figur interessant ist. Ich hoffe weiterhin, dass mir alles angeboten wird, obwohl es leider nach wie vor Schubladendenken gibt. Aber das hat nicht nur mit Diversity zu tun.
Zumindest steckt ja hinter den Richtlinien eine gute Absicht: mehr Zugänge für Minderheiten und Diskriminierte zu schaffen.
Aber diese gute Absicht könnte man anders umsetzen – nämlich indem man ganz grundsätzlich Schwarze Schauspielerinnen und Schauspieler oder Schauspielerinnen und Schauspieler mit Migrationsgeschichte in Rollen besetzt, die gar nichts mit Hautfarbe oder Herkunft zu tun haben. Daran hindert doch auch niemand die Amazon Studios. Wie heißt das Sprichwort? Gut gemeint ist dumm getan. Das trifft es in diesem Fall.
Muss man Forderungen nach Gerechtigkeit nicht erst mal ins Extrem überziehen, damit in der Folge etwas Vernünftiges entsteht?
Nein. Quatsch wird doch dadurch nicht besser, dass er extrem formuliert ist. Sowohl als privater Uli als auch in meiner Position als Präsident der Filmakademie bin ich sehr dafür, Diversity in allen Bereichen zu stärken. Aber die Amazon-Richtlinie trägt dazu nichts bei. //