Protagonisten
„Es ist wieder ein Deutscher!“
Hermann Schneider leitet seit dieser Spielzeit das Landestheater Linz – und hat am Mehrspartenhaus rund 3000 Plätze zu füllen
Erschienen in: Theater der Zeit: Wie es euch gefällt – Christian Friedel vertont Shakespeare (12/2016)
Assoziationen: Akteure Landestheater Linz
In zwei Dingen muss sich die Bundeshauptstadt Wien der drittgrößten Stadt des Landes geschlagen geben: Linz, strategisch vorzüglich an der schnellen Weststrecke zwischen Wien und Salzburg gelegen, besticht dank der Nibelungenbrücke mit einer imposanten und neidvoll anerkannten urbanen Einbindung der Donau. Und außerdem verfügt die Stahlstadt seit der Auszeichnung als Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2009 über ein in Österreich unvergleichlich modernes Musiktheater. Der mühsam erstrittene Bau am Volksgarten (die FPÖ betrieb lange Jahre eine erbitterte Schmähkampagne) entwickelt sich seit seiner verspäteten Eröffnung 2013 wie zum Trotz zu einem überaus pulsierenden Ort des Kulturbetriebs. Das 1200-Plätze-Haus samt den hauseigenen vier Nebenbühnen erfreut sich eines hohen Zulaufs und ist oft ausverkauft. Die Mischung macht hier den Erfolg: Oper, Operette, Musical, Ballett und Konzerte. An einem zweiten Standort in der Altstadt verfügt das Landestheater Linz über drei weitere Spielstätten. Diese sind dem Sprechtheater vorbehalten. Insgesamt arbeiten an den verschiedenen Häusern 600 Mitarbeiter aus 30 Nationen. Alles zusammengerechnet gilt es, um die 2900 Plätze zu füllen.
Seit Beginn dieser Spielzeit leitet der 1962 in Köln geborene Hermann Schneider die Landesbühne. Aus 54 Bewerbern (davon nur drei Frauen) ging der versierte Mehrspartenexperte als idealer Nachfolger für Rainer Mennicken hervor. Zuvor hatte er elf Jahre lang das Mainfranken Theater Würzburg geleitet und sich dort im Mehrspartensegment verdient gemacht. Er ist erprobt im Ringen mit Sparmaßnahmen und versteht es, niemanden zu brüskieren, sich aber dennoch durchzusetzen. Und der 54-Jährige scheint loyal zu sein, hat er doch aus Würzburg zwei seiner Spartenleiter mit nach Linz genommen: Stephan Suschke für das Schauspiel und Nele Neitzke für das Kinder- und Jugendtheater. Und so traten die Vertreter der Linzer Kulturpolitik nach der Schlussanhörung mit einem Satz an die Presse, der fast nach einem Schuldeingeständnis klang: „Es ist wieder ein Deutscher!“
Hermann Schneider wird zudem als regieführender Intendant auch seine eigene künstlerische Handschrift einbringen und hat dies mit einer achtbaren Musicaluraufführung bereits getan („Solaris“ nach Stanislaw Lem in einer Arenabühne, bei der das Publikum mittig auf Drehstühlen saß). Außerdem – so lautet seine Ankündigung – möchte Schneider den Spielplan verstärkt österreichischen Dramatikern widmen. Insbesondere plant er, die Volksstücktradition von Ferdinand Raimund, Johann Nestroy und Ludwig Anzengruber wiederaufzugreifen, ebenso die Wiener Moderne mit Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal. „Mein Vorgänger hat mir eine gigantische Liste von hier lange nicht gespielten österreichischen Dramen hinterlassen“, merkte der neue Schauspielleiter Stephan Suschke in einem Gespräch mit den Oberösterreichischen Nachrichten an. Und da der österreichische Dialekt erst die Nähe zu Figuren schaffe, habe er den Anteil an österreichischen Schauspielern vergrößert.
Des Weiteren sollen Themen mit lokalen Bezügen auf den Spielplänen präsenter werden. Unter anderem bereitet Hans-Werner Kroesinger ein Dokumentartheaterprojekt zum Linzer Swap-Skandal vor, ein seit Jahren vor Gericht verhandelter Finanzdeal, den die Stadt einst mit der Bawag-Bank abgeschlossen hatte. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch Mennicken und sein mit ihm abgedankter Schauspielchef Gerhard Willert auf der Bühne mit der Region auseinandergesetzt haben. Ihre letzte Spielzeit ging im Juni etwa mit der Uraufführung eines Stückes von Christoph Nußbaumeder über die im Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei nach Oberösterreich ausgesiedelten Sudetendeutschen zu Ende („Das Wasser im Meer“).
Schneider bekennt sich zur Füllhorn-Programmatik. „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, zitiert er aus Goethes „Faust“ und unterstreicht damit sein Credo, dass die Vielfalt des Theaterangebots an einer Landesbühne wie in Linz das Wesentliche sei. Schneider sieht sich vom „öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag“ in die Pflicht genommen. Es gilt also, den aus einem Mühlviertler Dorf anreisenden Theaterliebhaber ebenso zu erreichen wie ein spezifisch interessiertes Publikum.
Das Publikum kann in Linz sehr anspruchsvoll sein. Die Arbeiterstadt hat ihr Industrieprofil längst um ein Kulturprofil erweitert. Hier lebt wenig Besitz- oder Bildungsbürgertum, dafür aber der Arbeiteradel und dessen Kinder, welche die namhaften Institutionen wie das Ars Electronica Center, das Lentos Kunstmuseum, die Tabakfabrik oder das Theater Phönix mit aufgebaut haben. Mit vielen dieser Institutionen wird das Landestheater in Zukunft stärker kooperieren, vor allem auch mit der Kepler- und der Kunstuniversität sowie mit dem Brucknerhaus. Im Musiktheaterbereich knüpft der neue Intendant Bande zu den Opernhäusern von Nizza und Lyon.
Bei der Eröffnung gingen Schneider und sein Schauspielchef Stephan Suschke auf Nummer sicher. Das Stück „Jägerstätter“ von Felix Mitterer machte im September den Anfang in den Kammerspielen. Es erzählt die auf einem wahren Fall basierende Geschichte des oberösterreichischen Bauern und Kriegsdienstverweigerers Franz Jägerstätter, der sich der Kollaboration mit den Nazis aus aufrichtigen christlichen Überlegungen verweigerte und deswegen hingerichtet wurde.
Dem Regisseur Markus Völlenklee gelingt eine formidable Inszenierung, die in Brecht’scher Manier das vorgezeichnete Martyrium auf einer Drehbühne seziert. In einem niedrigen Fichtenholzkasten, eine die gebückte Haltung forcierende Bauernstube, ringt der junge Mann vor den Augen seiner Familie immer wieder mit dem Gewissen. Einmal weitergedreht, lodern Hochofenflammen aus der Unterbühne (Jägerstätter arbeitet kurzzeitig in der Eisenerzeugung) und wieder weitergedreht erhebt sich der in der Causa befragte Bischof aus seinem Stuhl, um letztlich doch keine Worte für den Gewissenskonflikt in Bezug auf den Kriegsdienst zu finden.
Mit den immer weiterführenden Drehbewegungen wird auch die Schlinge um den Hals des armen, aufrichtigen Bauern enger. Völlenklee zeigt, wie ein Mensch zum Opfer des von der Kirche gestützten NS-Staats wird. In „Jägerstätter“ kann das junge Ensemble auch beweisen, was es kann – zum Beispiel in den chorischen Sequenzen: Es sind akkurate Spieler, etwa Julian Sigl in der Titelrolle, auf deren zukünftige Arbeit man sich freut.
Auch an narrativ komplexere Arbeiten hat sich das Schauspiel des Landestheaters – wie versprochen – herangewagt und hat mit „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“ eine famos einfache, wiewohl profund gebaute Inszenierung von Ewald Palmetshofers Erfolgsstück auf dem Spielplan. Regisseurin Katharina Schwarz bringt darin die Sprache des oberösterreichischen Dramatikers in bemerkenswert präzisen Setzungen zum Schwingen. Auf einer Stufenbühne (die auch gleich das Auf und Ab im Stiegenhaus des Mietshauses illustriert) klappen – wie der ehemalige Intendant des Schauspielhauses Wien Andreas Beck das einst so schön beschrieb – die Figuren ihr Visier höchstens in den Monologen hoch.
Mit einem zweiten oberösterreichischen Gegenwartsautor, Thomas Köck, begibt sich das Landestheater in den Performancebereich. Die von Christoph Todt für das Studio entwickelte Arbeit „paradies hungern“, zweiter Teil von Köcks Klimatrilogie, deren erster Teil mit dem Kleist-Förderpreis prämiert wurde, kämpft allerdings mit dem Dachbodenkammer-Charme und der technischen Unzulänglichkeit seiner vorläufigen Spielstätte sowie dem ein wenig ungelenken Handwerk der Nachwuchsschauspieler. Immerhin aber war Linz wieder schneller als Wien. Erst im Herbst 2017 soll Köcks „paradies fluten“, der erste Teil der Trilogie, im Akademietheater Premiere haben. //