Der dilettantische Exzess
Laien auf der Bühne
von Jens Roselt
Erschienen in: Lektionen 4: Schauspielen Ausbildung (12/2010)
Laien auf der Bühne
Alarm: Die Laien kommen
Als vor einigen Jahren Laiendarsteller im professionellen Theater auftauchten, ging ein Ruck durch das Publikum, der nicht nur im Feuilleton das gut sortierte Warenlager ästhetischer Bewertungsmaßstäbe durcheinanderpurzeln ließ. Nicht wenigen Begriffsstutzigen ist dabei das Wort „Authentizität“ in den Schoß gefallen. Wie anders sollte man beispielsweise den Auftritt von Irina Potapenko in Frank Castorfs Inszenierung Erniedrigte und Beleidigte (2001) bewerten, deren Darstellung der Figur Katja erkennbar nicht den stimmlichen und körperlichen Ansprüchen professioneller Schauspielkunst genügte, die aber dennoch durch ihre jugendliche Unbefangenheit die Zuschauer bezauberte und manchem der Vollblutschauspieler der Volksbühne die Show stahl? Dass die Konfrontation professioneller Schauspieler mit nicht professionellen Darstellern kurzfristig einen reizvollen Kontrasteffekt ergibt, mag verständlich sein. Doch dass es beim Buhlen um die Gunst der Zuschauer die Laien sind, die den entscheidenden Stich machen, lässt konventionelle Unterscheidungen vom guten (professionellen) und schlechten (laienhaften) Schauspielen merkwürdig alt aussehen.
Mittlerweile jedenfalls tauchen ganze Ensembles auf, die ausschließlich aus nicht ausgebildeten Darstellern bestehen. Nicht selten finden soziale Gruppen dabei unter professioneller Anleitung eigene theatrale Ausdrucksweisen, welche zur professionellen Schauspielkunst nicht in Konkurrenz treten, sondern diese um eigenwillige Facetten erweitern. Rentner, Obdachlose oder Strafgefangene formieren ebenso eigene Ensembles wie geistig oder körperlich...