Über die Kunstfreiheit
von Christoph Nix
Erschienen in: Theaterrecht – Handbuch für Theatermacher (05/2019)
Was darf die Kunst?
Wo hört die Freiheit der Kunst auf?
Wer greift in die Kunstfreiheit ein, wer verteidigt sie?
Man kann nicht über Theaterrecht und die Kunst sprechen, ohne über die Freiheit zu reden. Die Kunstfreiheitsgarantie der Weimarer Republik war in Art. 142 der Weimarer Verfassung geregelt. Bedenkt man, in welch kurzer Zeit die Nationalsozialisten sämtliche Freiheitsgarantien beseitigt und wie viele Künstler und Intellektuelle ermordet wurden, so ist die Kunstfreiheit eines der am meisten bedrohten Rechte. Solidarität von Künstlern in Deutschland mit anderen Künstlergruppen in der Welt ist dringend geboten und konkret angesagt. Art. 5 Abs. 3 GG enthält die Kunstfreiheit und ist eingebettet in die Struktur der „anderen guten Geister der Freiheit“: die Meinungsfreiheit und die Wissenschaftsfreiheit.
Die Kunstfreiheit ist ein soziales Grundrecht. Sie wird auch als ein kommunikatives Grundrecht bezeichnet. Die Kunst ist eine Form der Verbindung der Menschen untereinander: Sie thematisiert Formen von Unterdrückung und Lebensweisen und ist der Kitt, der es erst möglich macht, untereinander sozial zu sein. Sie steht nicht im Gegensatz zu sozialen Belangen: Die Kunst und das Soziale sind Geschwister.
Im sogenannten Mephisto-Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht zur Frage der künstlerischen Betätigung geäußert:
„Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Fantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.“
(BVerfGE 30, 173 ff.)
An anderer Stelle wird das Bundesverfassungsgericht noch deutlicher:
„Ein weitverbreitetes Misstrauen von Künstlern und Kunsttheoretikern gegen starre Formen und strenge Konventionen sind Eigenheiten des Lebensbereichs Kunst, welche zu respektieren sind und bereits darauf hindeuten, dass nur ein weiter Kunstbegriff zu angemessenen Lösungen führen kann.“
(BVerfGE 67, 213 ff.)
Eingriffe in die Kunstfreiheit finden fast täglich statt. Manchmal intervenieren Kulturbürgermeister oder auch -referenten aus Ministerien. Es gibt aber auch zahlreiche Fälle, in denen Intendanten in Inszenierungen eingreifen. Hier stellt sich das eigentliche Problem dar: Was ist die Freiheit eines Intendanten, wo endet sie? Was ist die Freiheit der Regie und wo endet sie? Was ist der Freiraum der Bühnenbildner? Und vor allem: Was ist die Freiheit der darstellenden Künste eines Schauspielers?
In der Fachliteratur gibt es die Auffassung, es gebe sogenannte kleine und große Träger der Kunstfreiheit. Damit will er sagen, dass zunächst einmal die Intendanten oder Leiter von Sparten die Inszenierungen ihrer Häuser, die Spielpläne, die Zusammensetzung ihres Ensembles zu verteidigen haben. Weiterhin aber auch, dass die kleineren Träger, also die konkreten Künstler, eigene Freiheitsbereiche haben und diese auch zu respektieren und auszuloten sind: Die Freiheit des einen endet da, wo die der anderen beginnt. „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“, heißt es bei Rosa Luxemburg.
Solche Diskurse, die gesellschaftliche, rechtliche und ästhetische Implikationen beinhalten, wären die vornehme Aufgabe junger Künstler und alter Theaterleiter zugleich.