Buchenwald, Bukavu, Bochum Was ist globaler Realismus?
Milo Rau im Gespräch mit Rolf Bossart
von Milo Rau und Rolf Bossart
Erschienen in: Lob des Realismus – Die Debatte (09/2017)
Rolf Bossart: Der Neue Realismus wird von Kritikern gerne als kurzlebige Mode bezeichnet. Wie bist du selbst zum Realismus gekommen? Oder konkreter gefragt: Wie lang ist der Weg von deinem Soziologiestudium, als du nach Chiapas zu den Zapatisten gefahren bist und während der Jugoslawienkriege Großdemonstrationen organisiert hast, bis zum „Kongo Tribunal“?
Milo Rau: Ich bin ja erst mit Ende zwanzig so was wie ein „Künstler“ geworden. Zu Beginn meiner Arbeit als Regisseur in den späten Neunzigern war ich im Grunde reiner Aktivist. Wir haben Massendemonstrationen gegen die beginnenden Privatisierungen des öffentlichen Sektors und gegen die damalige Flüchtlingspolitik organisiert, zusammen mit serbischen, französischen, lateinamerikanischen und russischen Aktivisten. Die Fragen, die sich mir damals stellten, waren praktischer Art: Wie baut man einen Demonstrationszug aus 5000 Leuten? Wie organisiert man ein Meeting im Dschungel mit zapatistischen Milizionären? Wie formuliert man eine Petition oder ein Manifest, damit es Wirkung zeigt? Etwa gleichzeitig nahm, durch mein Studium bei Pierre Bourdieu in Paris und durch meine Arbeit als Reporter, eine Art Realitätssucht von mir Besitz. Ich wollte dorthin gehen, wo ich mir die Dinge anschauen, sie face to face beschreiben und bekämpfen konnte. Ich begann also, nach Afrika zu reisen, nach Südamerika, nach Russland und an...