Möglicherweise bin ich im Unrecht
von Milo Rau und Valentin Groebner
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
Valentin Groebner / Milo Rau
Milo Rau Sprechen wir über einen Begriff:
„Reenactment“. Sprechen wir über diese eigentlich so primitive ästhetische Form, die darin besteht, dass man ein Ereignis materiell nachbaut, es detektivisch erforscht und rekonstruiert, um es zu verstehen. In methodologischem Zusammenhang wird, soweit ich weiß, der Begriff „Reenactment“ zum ersten Mal vom britischen Archäologen und Historiker R. G. Collingwood Anfang des letzten Jahrhunderts verwendet. In einem Werk, das den hübschen Titel „The Idea of History“ trägt, nimmt er als Beispiel Cäsars Übergang über den Rubikon. Collingwood unterscheidet dabei zwischen einem äußeren, sichtbaren, auffindbaren und einem inneren, zeichenhaften Körper dieses Ereignisses. Der äußere Körper, also der Rubikon selbst, ist natürlich materiell – eine Menge von Wasser, darin ein Pferd und darauf sitzend ein Mann namens Julius Cäsar. Die innere Wahrheit dieses Durchgangs durch einen Fluss aber ist unkörperlich, sie ist geistig, wie Collingwood sagen würde. Die Überschreitung des Rubikon ist eine ungeheure Provokation, die zum Bürgerkrieg und schließlich zum Zusammenbruch der römischen Republik geführt hat. In einem primitiven semiotischen Modell könnte man dies die Appellations-Ebene nennen. Das, was eine Szene hervorruft, als wäre sie selbst ein historischer Akteur.
Valentin Groebner Ja.
Rau Collingwood gibt nun dem Historiker, der mit...