Die 1960er und 1970er Jahre
Heiner Müller: Die Ideen und die Körper
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
1964/65 veröffentlichte Müller mit PHILOKTET, seiner Verarbeitung des PHILOKTET von Sophokles, und DER BAU zwei Stücke, die seine in der von Brecht ausgehenden narrativ linearen, gleichsam chronologischen Verhandlung äußerst widerspruchvoller, konfliktbeladener historischer Prozesse der Jahre 1956 bis 1961 weiterführten,75 zugleich aber nicht nur für das Theater der DDR wesentlich neue Akzente setzten. Sie sind gleichsam der Auftakt seiner künstlerischen Arbeiten, die das Verhältnis von Subjektivität und sozialen Strukturen ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt verhandeln, ob/wie sich das Individuum in geschichtlichen Prozesse entfalten kann und/oder ob ihm produktive Freiräume verschlossen werden.
DER BAU erzählt von der sozialistischen Industrialisierung in der DDR. Er spricht von der Tragik des historischen Wandels aber härter als seine früheren Texte. Biografien und Lebensweisen verändern sich tiefgreifend, gleichsam irreversibel, die Körper werden strenger, durchgreifender Disziplinierung unterworfen, die Figuren diskutieren ungleich offener und tiefschürfender schlimme menschliche Folgen, ihr menschliches Dilemma. PHILOKTET sprach radikal vom Ich, dem Universum des Eigenen, der Einmaligkeit des Körpers, der entscheidenden Rolle, die die Identität des Einzelnen spielt. Es ist nicht das einzige, aber wohl das Thema der Geschehnisse zwischen, einerseits, dem jungen Neoptolomos, dem moralischen Helden, der den Bogen des Philoktet für die Schlacht um...