Totkürzungen drohen

Meine Verbindung zum Theater der Jungen Welt kam – natürlich – über Jürgen Zielinski zustande. Damals, in den fernen 1980er Jahren leitete er in Tübingen das Kinder- und Jugendtheater des LTT und ich schrieb nicht immer nur schmeichelhafte Theaterkritiken über seine Inszenierungen. Aber wir mochten uns, spielten sogar Fußball miteinander; die Verbindung riss auch dann nicht ab, als er auf Kampnagel und später in Leipzig war. Bei diversen Leipziger Theaterfestivals durfte ich den bösen Buben geben, der nach den Aufführungen mit schrägen Thesen die Diskussion anleierte. Das machte Spaß, und nebenbei lernte man dieses wunderbare Theater der Jungen Welt kennen, das nicht nur großartige Schauspieler und Regisseure hat, sondern sich – vor allem – um eine große Nähe zur sozialen Realität des Publikums bemüht. Als Mensch mit hundertprozentiger Wessi-Sozialisation fand ich es immer erstaunlich, dass im Osten der soziale Zusammenhalt sehr viel größer ist als in den alten Bundesländern, trotz aller Probleme. Vielleicht hat das auch mit der alten DDR zu tun, in der man gegen die Mächtigen zusammenhalten musste. Ich hatte schon zu DDR-Zeiten Freunde in Leipzig besucht; durch Jürgens Einladungen bekam ich nun mit, wie rasant sich die Stadt nach der Wende veränderte. Und das Theater der Jungen...

Die Bundesrepublik schaffen!

Die Heterotopien erhalten

Komplizierte Schwangerschaften, Nacht- und-Nebel-Aktionen und andere Redaktionsfälle 

Münchner Kammerspiele: Der Gott lacht über die sterbenden Demokratien

Weihnachtsmärchen »Ronja Räubertochter « 2002, die »Unterirdische« tritt im Nebel auf und man hört ein Kind aus dem Publikum rufen: »Mama, schau mal, der Geist pupst den Nebel!«

Mama, schau mal

1990 war’s, in der Zeit, zu der sich Oper und Schauspiel aus dem gemeinsamen Theaterverbund herauslösten und das kleine Theater der Jungen Welt ohne Spielstätte, aber zumindest mit sechzig tapferen Überlebenskünstlern übrig blieb. Ein paar Räume im vierten Stock des Hinterhauses der damaligen Neuen Szene mit ausrangierten Möbeln, das museale Dienstfahrzeug des ehemaligen Generalintendanten und ein Weniges an Technik – so war unser Neubeginn. Gespielt wurde mal hier, mal dort, wo es sich gerade anbot. Jene Spielstätten – bis auf das Haus der Volkskunst, das heutige Theaterhaus – gibt es mittlerweile nicht mehr. Wenn möglich, versuchte man, mit kleinen Gastspielen ein paar Mark zu erhaschen. Auf dem Gelände der AGRA in Leipzig-Dölitz fand in dieser Zeit eine Veranstaltung einer damals noch recht populären Partei statt, zu der auch als Gast ein gewisser Theo Waigel – seines Zeichens Bundesfinanzminister und Vorsitzender der CSU – geladen war. Kurzerhand verabredeten wir mit dem Veranstalter ein Mini-Gastspiel für die Kinder der Teilnehmer. Ich besaß die Frechheit, dem mir bekannten Veranstaltungsleiter unsere finanzielle und allgemeine Notsituation so tränenrührend darzustellen, dass er mich zu Theo Waigel schleppte und mit den Worten vorstellte: »Das ist der Direktor des Kindertheaters, dem ist 1989 das Theater abgebrannt worden.« Zumindest...

Die (finanzielle) Wende

Und dann geht es los. Alle sind aufgeregt. Manch einer zieht sich sogar extra schick an! »Was wird gespielt?«, fragen hauptsächlich die Erwachsenen. Die Kinder wissen Bescheid: »Ach ja, wir hatten da so ein Buch aus der Bibliothek. Da gab es einen Pinguin, der hieß und sprach ganz anders.« Ein Kind wusste: »Ja, so verdreht, Ginpuin«, oder »ich rache eine Meise«, sagte jemand. Die Eltern schauten darüber leicht verwundert, aber alle freuten sich. Endlich sitzen wir im Theater und lachen, sind traurig, gespannt, fiebern mit, uns wird eiskalt, dann wieder heiß und wir merken uns die verrücktesten Sachen. Singen mit, lachen wieder, sind glücklich, klatschen und wollen alles am liebsten nochmal von vorne erleben. Bald, Kinder, gehen wir wieder ins Theater, verspreche ich der Gruppe. Und die Kinder? Die spielen erst einmal selbst »Ginpuin«, unterhalten sich in einer geheimen Sprache und klopfen sich zur Begrüßung vergnügt auf die Schultern.

Wann gehen wir endlich wieder ins Theater der Jungen Welt?

Schon die Zusammenarbeit zwischen den Schauspielern und dem Team von »Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran« war besonders innig, kreativ und inspirierend. Aber jede einzelne Vorstellung und damit die Interaktion mit dem Publikum sind mir bis heute im Gedächtnis. Selten habe ich es erlebt, dass die Zuschauer derartig intensiv an einer Aufführung teilgenommen haben. Die Zeit in Leipzig war für mich in jeder Hinsicht eine Bereicherung! Ich wünsche euch noch unzählige spannende Projekte und erfolgreiche Produktionen. Vielleicht gibt es ja ein Wiedersehen. Alles Liebe!

Ein Team

Warum wir neue Demokratieerzählungen brauchen

Theater, Theater – 70 junge Jahre. Junge Welt trifft junge Welt, trifft alte Welt, trifft ganze Welt. Spielen, Rauschen, Alltag vertauschen. TdJW – mit dieser Bühne verbinde ich Lust und Freiheit, Mut zum Risiko, Möglichkeiten, Stücke zu entwickeln mit Themen, die in der Luft brennen. Da sind Theaterkollegen, die offen sind für Frisches, Ungewohntes, die selber denken, Gewerke, die alles möglich machen, Organisatoren, die extrem viel auf die Beine stellen, Zuschauer, die sich herzhaft neugierig im Saal den Experimenten ausliefern und kritisch hinterfragen, Zuschauer, welche sich wiegen lassen, herzhaft lachen, die Augen aufreißen, deren Herzen klopfen und die ganz still werden. Theater der Jungen Welt: 70 Jahre! Welch ein Rausch! Große Gratulation!

Die Herzen klopfen

Theater Orchester Neubrandenburg Neustrelitz: Wendeblues in Rückblenden

Das Theater der Jungen Welt spielte als eines der fünf großen ostdeutschen Kinderund Jugendtheater seit Beginn meiner Zeit als ASSITEJ-Geschäftsführer in den 90er Jahren eine große Rolle, als Projektpartner bei dem damals wegweisenden Vorhaben »Kinder- und Jugendtheater zu kommunalen Kulturzentren«, seine Intendanz und Dramaturgie als regelmäßiger Teilnehmer an den wichtigen Veranstaltungen von ASSITEJ und Kinder- und Jugendtheaterzentrum. Als Treffpunkt und Veranstaltungsort diente es aufgrund des Verlustes seiner Spielstätte in jenen Jahren nicht. Das Thalia Theater Halle übernahm diese Rolle mit den dort verorteten Werkstatt-Tagen der Kinderund Jugendtheater. Sie waren eines jener Projekte, die als Schaufenster der großen ostdeutschen Kinder- und Jugendtheater von der ASSITEJ nach der Wiedervereinigung als gesamtdeutsche Veranstaltung weitergeführt wurden. Das änderte sich dann mit der Übernahme der Intendanz durch Jürgen Zielinski, der beflügelt durch einen neuen Spielort und künstlerische Erfolge das Theater der Jungen Welt als Veranstaltungsort und Treffpunkt der Kinder- und Jugendtheaterszene lautstark in Erinnerung rief. Zugleich wurde die Zusammenarbeit der ASSITEJ mit dem Thalia Theater Halle nach mehreren Intendantenwechseln immer schwieriger und so beschloss die ASSITEJ, die Werkstatt-Tage nach Leipzig zu verlagern. Mit dem Umzug der Werkstatt-Tage wurde das Theater der Jungen Welt alle zwei Jahre zum Treffpunkt der Kinder- und Jugendtheaterszene und die Mannschaft...

Der Treffpunkt

Volkstheater Wien: Szenen einer Ehe

Das singende singende singende klingende klingende … Bäumchen. Das sollen wir so sagen, fragten die Schauspieler. So? – Ja, entgegnete ich, das ist sprachlicher Slapstick. – Aha, sagten die Schauspieler. Aber die Kinder, werden die das verstehen? – Bestimmt. – Ja? – Kinder haben Freude am Spiel mit der Sprache. Sie haben Humor. Sie wissen, wie wichtig das Lachen ist. Aus diesem ersten Flirt wurde eine langjährige Beziehung. Die Projekte am Theater der Jungen Welt waren immer besonders, Urlaub vom Stadttheater. Viele Jahre pendelte ich für mehrere Wochen zwischen Berlin und dem Lindenauer Markt. Die Abfahrt Leipzig-West wurde liebgewonnene Gewohnheit und anlässlich des 70. Geburtstags des Hauses zum Titel einer Revue. Danke, lieber streitlustiger Freund Jürgen Zielinski für das Vertrauen!

Eine langjährige Beziehung

Aus der Vielzahl der positiven Eindrücke, die eine Vorstellung am TdJW bei mir hinterlässt, sei insbesondere die musikalische Untermalung eines jeden Stückes hervorzuheben. Bisher war ich in jeder Inszenierung begeistert von den ausgewählten Liedern und der Live-Musik. Auf diese Weise gelingt es den Dramaturgen, alten und neuen Stoffen eine besondere Dynamik zu geben. Theater mit allen Sinnen erleben – dies ist einer der vielen Gründe, aus dem ich das TdJW als Privatperson und Lehrerin besuche.

Theater für alle Sinne

Frühlingstheater

Nach dem Gespräch war ich skeptisch. Würde Jürgen Zielinski Fuß fassen am Theater der Jungen Welt? An einem milden Oktobertag des Jahres 2001 haben wir in einem Plagwitzer Café ein Interview geführt für ein Porträt in der Leipziger Volkszeitung. In Kenntnis der Befindlichkeiten und Sensibilitäten im Haus am Lindenauer Markt schien es fraglich, ob der rustikale Charme eines Ruhrpottlers dort richtig ankommt. Ob Jürgen Zielinski – ein Mann, der vor einer Produktivität sprüht, in der durchaus auch Ungeduld wohnt – mit seiner Art ankommt. Ich beschrieb ihn als »Typen, der anklopft, bevor er mit der Tür ins Haus fällt, als einen Typen, der über Realismus-Theorien fürs Theater mit gleicher Leidenschaft spricht wie über den letzten Heimsieg von Borussia Dortmund«. 15 Jahre später ist Jürgen Zielinski noch immer Intendant und das Theater der Jungen Welt eine Top-Adresse, nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Ausgewachsene. Als eines von sehr vielen Beispielen steht der beeindruckende »Tod eines Handlungsreisen«, vom Chef selbst inszeniert. Es ist unter anderem die ganz und gar nicht geschrumpfte Unruhe, diese pure Energie des umtriebigen Jürgen Zielinski, die knarzig bis herzhaft möglich gemacht hat und macht, dass das TdJW deutschlandweit und auch darüber hinaus einen hervorragenden Ruf...

Theater ist Toleranzprobe

Salzburger Festspiele: In der Leichtigkeit Schweres erzählen

Vor einigen Jahren hatte ich den Auftrag, die Musik für das Stück »Ikar« von Katrin Lange zu komponieren. Regie führte Jürgen Zielinski, für den ich schon viele Stücke musikalisch betreut hatte. Eine wichtige Szene bei »Ikar« ist die Überfahrt auf dem Meer. Und da das Bandoneon seit jeher das Instrument der Seefahrer ist, lieh ich mir ein sehr gut klingendes altes »Alfred Arnold«-Bandoneon aus, fuhr damit in die Traumtonstudios in Berlin, nahm alle Einzeltöne nach allen Regeln der Kunst stereo auf und sampelte sie. Diese Samples mussten dann im Computer so bearbeitet werden, dass ich auf meinem Keyboard Bandoneon spielen konnte. Das alles dauerte vier, fünf Tage. Dann ging die eigentliche Arbeit des Komponierens erst los, und nach noch einer Woche hatte ich einige Versionen Bandoneonmusik auf Band. Musik, die schön dynamisch war, das Reisen gut verkörperte und auch nicht zu normal, sondern gut in eine ferne, etwas entrückte Zeit passte. Alan Bern, ein befreundeter und sehr guter Akkordeonist, kam zufällig vorbei und war begeistert von der Authentizität und Originalität der Aufnahme, was für mich die Nagelprobe war. Und es klang wirklich nach echtem Bandoneon, und auf einige Wendungen in der Musik wäre man nie gekommen, wenn man es wirklich...

Wie von Zauberhand

Die Emanzipation der Produzenten und ihre Grenzen: racialization als Instrument der Warenkritik

Der Herr, der schickt den Jockel aus: Er soll den Hafer schneiden, Der Jockel schneidt den Hafer nicht Und kommt auch nicht nach Haus. Als Dramaturgin am Theater der Jungen Welt war ich auf der Suche nach neuen Stücken für Kinder und stieß Anfang der 60er Jahre auf eine Notiz, dass der bekannte Schriftsteller Arnold Zweig nach einem jüdischen Volkslied, das auch Theodor Fontane als Ballade verarbeitete, in der Emigration in Haifa ein Lehrstück verfasst hatte. Und tatsächlich erhielten wir vom Autor das Recht zur Uraufführung. In den alten Fassungen schickt der Herr nacheinander alle möglichen Tiere, Leute und den Henker und den Teufel aus, um Jockel zur Räson zu bringen. In Arnold Zweigs Lehrstück mobilisiert der Herr den gesamten ihm dienenden Staats- und Machtapparat, um Jockels Widerstand zu brechen. Diese Figuren stellten wir in ihren Uniformen und Roben auf hohe Kothurne und statteten sie mit ihren jeweiligen Insignien der Macht als überdimensionale Requisiten aus. Da Arnold Zweig bei der Premiere anwesend war, sah sich auch der Generalintendant der Städtischen Bühnen Karl Kayser genötigt, in den Weißen Saal, den damaligen Spielort des Theaters der Jungen Welt, zu kommen, was höchst selten geschah. Nur die Texte musste ich ihm vorlegen, um...

Ein Lehrstück fürs Leben

Von der Staatsoper zum Supermarkt: Warum kulturelle Vielfalt die Basis für gesellschaftliche Relevanz ist!

Jürgen Zielinski: Welche Erinnerungen aus der Kindheit haben Sie an einen Besuch im TdJW? Skadi Jennicke: Als Kind habe ich Theater überhaupt nicht gemocht, weil ich mich dort fürchtete. Ich erinnere mich, dass ich im Weißen Saal in der Kongreßhalle war und das »Tierhäuschen« sah. Während der Aufführung hatte ich furchtbar Angst. Ich weiß gar nicht, wie alt ich war, aber in der Pause haben die Schauspieler in ihren Kostümen Autogramme gegeben. Das hatte mich enorm verstört. Ich erinnere mich noch an einen Storch. Dass der jetzt im Foyer stand und Karten beschrieb, konnte ich nicht einordnen. Wissen Sie, ob es zu DDR-Zeiten am Theater der Jungen Welt überhaupt Familienvorstellungen über die Weihnachtszeit hinaus gegeben hat? Skadi Jennicke: Tatsächlich bringe ich Theater in meiner Kindheit eher mit Weihnachten in Verbindung. Meine Oma schenkte mir immer Theaterkarten und war ungeheuer stolz darauf. Offenbar war es nicht so einfach, welche zu bekommen. Wir schauten uns im Schauspielhaus das Weihnachtsmärchen an. Wir saßen immer in der ersten Reihe, was meine Großmutter besonders toll fand. Und ich hatte dort immer Angst. Obwohl ich an Theater in meiner Kindheit keine guten Erinnerungen habe, muss es offensichtlich etwas in Bewegung gesetzt haben, denn...

Als Kinder fürchteten sie sich im Theater oder konnten es nicht leiden. Als Erwachsene zieht es beide als Dramaturgen dann doch ans Theater. Skadi Jennicke, Kulturdezernentin der Stadt Leipzig, und Jürgen Zielinski im Gespräch mit Maren Jütz über Theater, Kulturpolitik sowie die Bedeutung von Erfahrungen.

Skadi Jennicke und Jürgen Zielinski im Gespräch mit Maren Jütz

Das bessere Volkstheater

Das Theater der Jungen Welt ist das älteste professionelle Kinder- und Jugendtheater in Deutschland. Ein historischer Status, den ich während meiner gesamten Amtszeit nicht allzu sehr in den Vordergrund stellen wollte. Ein Attribut, das museal und altbacken klingt. Denn besonders ein Kinder- und Jugendtheater sollte sich doch durch alles andere als ein fortgeschrittenes Alter auszeichnen – also vielmehr lebensnah, im Hier und Jetzt sein sowie Zukunftsfragen und Ängste in den Fokus rücken. Das war dann auch unser Weg, nachdem ich 2002 an das Theater nach Leipzig kam. Und die Themen lagen, nun ja, auf der Straße – manchmal näher, als man wollte. Das NPD-Parteibüro siedelte sich zum Beispiel von 2008 bis 2014 in unmittelbarer Nachbarschaft des Theaters der Jungen Welt an – in »Steinwurfweite«, wie ich gerne betont habe. Der aggressive Impetus, der von dort ausging, brachte für uns durchaus auch Bedrohungsszenarien, als sich beispielsweise die Freien Kameradschaften zu unserer Veranstaltung anmeldeten. Mit der Groteske »Mein Kampf« von George Tabori transportierten wir Vergangenheitsbewältigung ins aktuell brennende Hier und Jetzt im Jahre 2010! Somit positionierten wir uns auch in der Stadt und in Sachsen als engagiertes Theater in Richtung Antifa, um diesen Begriff mal etwas breiter anzulegen und nicht nur im...

Grenzüberschreitungen

Ich erinnere mich gerne an meine erste schauspielerische Rolle als weibliches (!) Schaf Gullbra in dem Stück »In einer Winternacht « zurück. Es ist erstaunlich, wie gut die Figuren in den Stücken am Theater der Jungen Welt funktionieren und die Kinder im Publikum in ihren Bann ziehen – und das sogar nach den Aufführungen und ohne Kostüm. Mich hatte ein Virus erwischt und ich hatte eine Vorstellung an diesem Tag. Zum Glück konnte ich diese ohne weitere Zwischenfälle über die Bühne bringen. Dann rief ich ein Taxi, um mich nach Hause fahren zu lassen. Gerade, als ich völlig erschöpft ins Taxi gestiegen war, kam ein kleines Mädchen an der Hand ihres Vaters vorbei, schaute mich durch das Autofenster an und rief: »Guck mal, Papi! Da ist Gullbra!«

Ein Schaf fährt Taxi

Hamburger Marathon

Mit Blick auf die Produktionen der letzten Jahre beschleicht einen das sichere Gefühl, dieses Leipziger Kinder- und Jugendtheater hat in der aktuellen Debatte um ein Stadttheater der Zukunft längst einen Platz an vorderster Front eingenommen: Das Theater der Jungen Welt – eines der größten und ferner das älteste eigenständige Kinder- und Jugendtheater Deutschlands – ist durch Kooperationsprojekte und partizipative Formate fest mit der Stadt vernetzt, und spartenübergreifendes Arbeiten ist eine Selbstverständlichkeit. Letzteres womöglich, weil im Kinder- und Jugendtheater gar nicht die geistigen Schranken der Formate Oper, Schauspiel, Tanz existieren, weder im Publikum, noch bei den Machern? Spartenlose Tradition In den vor Enthusiasmus blitzenden Augen von Jürgen Zielinski, der seit 2002 überaus erfolgreich das Theater der Jungen Welt leitet, sind die Gründe hierfür verschieden: Theater für Kinder und Jugendliche sei eben ein Entdeckungsbecken, ein bisschen neurotisch auch, weil es sich immer beweisen muss aus Angst, im Feuilleton nicht wahrgenommen zu werden. Das macht erfinderisch. Nimmt man den ganzheitlichen Begriff der kulturellen Bildung hinzu, erklärt sich mehr noch, dass das Musische, Rhythmische, Tänzerische und Sprachliche wesentlicher Teil einer Inszenierung sein sollte. Abgesehen davon, ergänzt Zielinski, sei das Berliner GRIPS-Theater mit seinen revuehaft-musikalischen Stücken inklusive Tanzelementen eben lange Zeit prägend für di...

Am ältesten eigenständigen Kinder- und Jugendtheater Deutschlands – dem Leipziger Theater der Jungen Welt –
wird seit Jahren spartenübergreifend gearbeitet. Für den Leiter des Hauses, Jürgen Zielinski, eine Selbstverständlichkeit und Koordinationshöchstleistung.

Heute im Theater der Zukunft

Nun erlebe ich schon ein zweites Jubiläum am Theater der Jungen Welt Leipzig und Worte wie »damals« oder »früher« scheinen immer mehr in meinen Sprachgebrauch überzugehen. Man wird älter. Damals im November 1946 war das Stück »Emil und die Detektive« Eröffnungspremiere des neu gegründeten Theaters der Jungen Welt. Im November 2006 brachten wir es zur Jubiläumsspielzeit, in Erinnerung an die Theatergründung, wieder neu auf die Bühne. Seitdem spielen wir es: Vier Männer unterschiedlicher Generationen befragen ihr inneres Kind und versuchen auf der Bühne den Inhalt von Kästners Buch zu rekapitulieren und nachzuspielen. Was für ein Spaß für alle. Zu den glücklichsten Momenten während dieser nunmehr über 200 »Emil«-Aufführungen gehören das Beobachten der Kinderaugen, die Ehrlichkeit ihrer Reaktionen und ihres Applauses. Noch schöner ist für mich, dass ich mich bis zur Geburt unserer ältesten Tochter im Jahr 2008 beim Anblick der vielen Kinder im Zuschauerraum immer gefragt habe, wie wohl unsere Tochter in dem Alter mal aussehen wird. Nun, alt genug, hat sich unsere Tochter vor kurzem eine Vorstellung von »Emil und die Detektive« angeschaut und die Realität überflügelte meine früheren Tagträume. Noch ein glücklicher Moment! Was für ein Privileg, so etwas erleben zu dürfen, und wie schön, dass es dieses...

Noch ein glücklicher Moment

Erste Male vergisst man nie! Zum ersten Mal begegnete ich Jürgen Zielinski in Magdeburg. Er reiste zu dieser Zeit als Kurator für das Kinder- und Jugendtheatertreffen Augenblick mal! quer durch Deutschland, um Stücke zu sichten. Also wartete ich im Magdeburger Theater auf den Mann, der meine Inszenierung von »Titus« bewerten sollte. Ich war aufgeregt, denn ausgerechnet bei dieser wichtigen Vorstellung musste kurzfristig eine neue Inspizientin einspringen. Es war ein kalter, dunkler Montagabend. Im riesigen Foyer des Opernhauses wirkten die wenigen Zuschauer, die in die winzige Studiobühne passten, wie verloren. Fünf Minuten noch bis zum Beginn der Vorstellung und kein Kurator in Sicht. Kommt er überhaupt? Noch zwei Minuten. Auftritt Jürgen Zielinski: Den Rest seiner Zigarette im Aschenbecher zerdrückend, gab er mit einem Brummen zu verstehen, dass die Taxifahrer in dieser Stadt keine Ahnung hätten, wo das Theater ist. Der Regen und die Verspätung seines Zuges hätten ihm obendrein die Laune verdorben. Wir wollten gerade zur Vorstellung gehen, als ein Junge vom Jugendclub zu uns kam und mir verschwörerisch, doch viel zu laut sagte: »Kommt nicht heute der Typ vom Theatertreffen? Ey, wir werden heute besonders laut klatschen.« Ich wünschte Zielinski viel Spaß bei der Vorstellung und verzog mich in die...

Das war’s dann

Als ich im Dezember 1991 nach Leipzig kam, fand ich das TdJW in einer schwierigen Situation vor. Es wurde im Haus Leipzig gespielt, später in anderen improvisierten Spielstätten. Das war ein Nomadendasein, und natürlich litt die öffentliche Präsenz darunter. Im Vergleich zu den großen Einrichtungen stand das TdJW im Schatten und bekam auch von der Politik nicht die Wertschätzung, die es eigentlich verdient hätte. Da war es doch erstaunlich, dass 1993 der Beschluss gefasst werden konnte, das Haus der Volkskunst in ein Theaterhaus umzuwandeln. Das war ein mühseliger und langwieriger Prozess, eigentlich unvertretbar. Bis zur Inbetriebnahme des Großen Saals 2003 hat es zehn Jahre gedauert. Vorher war schon die Verwaltung dort eingezogen, dann gab es zunächst nur den kleinen Saal – dieser unbefriedigende Zustand erstreckte sich also auf eine längere Zeit. Ich sah das TdJW mit seinen besonderen Problemen als immer sehr wichtig an, aber im Stadtrat gab es andere Prioritäten, vor allem im Bereich der Kulturbauten. Es gab unendlich viele Aufgaben im baulichen Bereich. In meiner ganzen Amtszeit habe ich eine halbe Milliarde DM verbaut. Und doch ist das TdJW im Bereich der Kulturbauten gegenüber Gewandhaus, Oper, Schauspiel oder Völkerschlachtdenkmal nach hinten gerutscht. Da gab es immer wieder Abstriche...

Nomadendasein von Georg Girardet, aufgezeichnet

Zu Kinder- und Jugendtheater habe ich nie eine rechte Beziehung gehabt, und das obwohl ich seit meiner frühesten Jugend ein wahrer Theaternarr gewesen bin. Aber es war immer Erwachsenentheater. Kinder- und Jugendtheater, das hatte für mich immer stark den Geschmack des Krippenspiels im Gemeindezentrum. Es gab bei uns – tief im Westen – offenbar keine relevante Institution dieser Art, kein Ensemble, das mich hätte begeistern können. Das war in den 60er und 70er Jahren. Wohl nicht ganz ohne Grund liegt das mit diesem Buch gefeierte Institut im Osten unseres Landes. 70 Jahre Theater der Jungen Welt Leipzig, älter als beide deutschen Nachkriegsrepubliken, die jetzt seit über 25 Jahren wieder eine Republik geworden sind. Ein Haus, das sich ausschließlich dem Kinder- und Jugendtheater verpflichtet, gab es tief im Westen bis in die 80er Jahre nicht. Jürgen Zielinski hat dann den heroischen Versuch unternommen, so etwas auf Kampnagel in Hamburg zu installieren. Das war erfolgreich, scheiterte aber an den Finanznöten der Hansestadt. Das Theater der Jungen Welt in Leipzig aber lebt. Und wie es lebt! Wenn man seinen Protagonisten auf Facebook folgt, liest man von zahllosen Preisen und Auszeichnungen. Ich könnte dem jetzt einen ganz persönlichen Preis hinzufügen, den Preis nämlich, der...

Publikumsüberzeugungspreis

Was macht das Theater, Jutta Maria Staerk?

Premieren

Ein Teil Leipzig

Schauspielhaus Bochum: Sanft zerfledderte Welt

Nationalsozial-charaktermasken

Der Materialergründer

Das TdJW spielt seit jeher eine große Rolle in meinem Leben und das ist keine Übertreibung. Es fing an mit den typischen Schulklassenbesuchen. »Nathan der Weise« erwischte mich zwar noch nicht so sehr, doch bei »Antigone« von Anouilh, die damals noch im Theaterzelt lief, verliebte ich mich schwer – sowohl in die Ritterlichkeit der Titelheldin als auch in den Schauspieler, der damals ihren Bräutigam Hämon verkörperte. Nach einem anderen Stück, das »Ritzen« hieß und sexuellen Missbrauch in der Familie thematisierte, offenbarte sich mir endlich eine Freundin mit einem schrecklichen Geheimnis, das sie fortan nicht mehr alleine tragen musste. Die Rechnung ging auf. Gutes Theater veränderte was. Irgendwann wollte ich dann selbst Theater spielen und schloss mich einem Jugendprojekt im Grünauer Theatrium unter Didi Voigt an: »Rattenfänger oder mach weg das Nazi« – eine Adaption von »Die Welle«, in der ich einige meiner Lieblingssongs von Portishead am Klavier singen durfte. Mark Daniel von der Leipziger Volkszeitung fand das so berührend, dass ich einen Riesenartikel bekam und gar nicht wusste, wie mir geschah. Dann ging ich erstmal nach Berlin, wo ich Politikwissenschaft studierte. Doch dann holte mich Antigone wieder ein. Ich ging auf Vorsprechen und landete schließlich an den Konservatorien in Wien...

Theater verändert was

Wir Kinder- und Jugendtheaterleute, wir hatten ja nur fünf Theater, wir waren natürlich innerhalb von etwa achtzig Theatern in der ganzen DDR immer noch eine kleine Besonderheit und hatten viele Kontakte. Und wir in Leipzig, so ein kleines unbedeutendes Theater, fuhren seit 1974 Jahr für Jahr zu etwa zehntägigen Tourneen auch ins so genannte »feindliche Ausland«, auch nach Westdeutschland. Und der eine durfte mitfahren, der andere nicht, es gab immer irgendwelche Schwierigkeiten. Trotzdem war viel möglich. Auch die Klischees – Unverheiratete durften nicht mitfahren – wurden mal gebrochen, wenn es nötig war. Je nach Laune. Wir waren 1974 in Westdeutschland, und ab 1974 eigentlich bis 1982/83 regelmäßig. 1983 starb das dann allmählich aus, dann gab es auch neue Reisegesetze, ab 1982. Ich weiß noch, ich habe die Reisegenehmigung dann wieder beantragt, weil wir Einladungen kriegten – auf die Genehmigung warte ich heute noch. Die Westreisen waren nicht einmal so besonders angenehm, weil sie durch sehr viel Bewachung gekennzeichnet waren. Da wurde zum Beispiel nach der Vorstellung in einer westdeutschen Stadt der Bus so platziert, dass nur noch ein Meter Platz zum Ausgang blieb, und da stand dann unser technischer Direktor, ein strammer Genosse, und der passte auf. Vor allem bei...

Der Bus stand direkt vor Tür

2011 konnte ich mit dem Studentenclub des TdJW ein sehr spaßiges Format realisieren: »Wilde Herzen – Leipzigs erste Studisoap«. Das Herzstück der sechs Folgen bildete eine Studenten-WG mit den in Soaps gängigen Charakteren: Das weltfremde rich kid, die Fleißige aus sozialschwacher Familie, das Biest und die Überbehütete. Diese vier Mädels in einer WG, dann der böse Prof, der Intrigen spinnt und Studentinnen verführt, die Oma, die zeitweise in der WG wohnt und Lebensratschläge aller Art verteilt, das »gute« Paar (Halbgeschwister, ohne es zu wissen) und das »böse« Paar (das Biest und der böse Prof). Dann eine zweite Ebene: die Filmarbeiten mit knausrigem Produzenten, gestresster Regisseurin, divenhaften Schauspielerinnen und Schauspielern. Die Szenen an unterschiedlichsten Orten des Theaters: Von den Garderoben im Keller bis zum Bühnenbildnerarbeitsplatz unter dem Dach musste das Publikum sich bewegen, um den »Dreharbeiten« beiwohnen zu können, und oft auch Statistenrollen übernehmen. Bei so viel Nähe zum Publikum gab es auch einige Überraschungen und eine davon ereignete sich in Folge drei. Oma hatte gerade das »gute« Paar ein Stück näher gebracht – die Armen waren etwas schüchtern, aber sowas von »gut«. In der nächsten Szene würde die Überbehütete versuchen, mal ganz was Verrücktes zu tun, und für Greenpeace in...

Diagnose: Applaus

Das Leipziger Theater der Jungen Welt ist nicht nur ein Haus mit großer Tradition im Kinder- und Jugendtheaterbereich, es hat sich auch bestens für die Gegenwart und Zukunft aufgestellt: Der Spielplan ist mit ungewöhnlichen Stückentwicklungen, mit Gegenwartsdramatik und experimentellen Tanzprojekten konzipiert – die dann ein starkes Ensemble auf kontinuierlich hohem Niveau für die Bühne umsetzt. Originäre Stoffe und vielfältige Regiehandschriften fordern die jungen Zuschauer (und Erwachsene!) auch ästhetisch immer wieder beispielhaft heraus, sich mit den eigenen widersprüchlichen Gefühlen und Haltungen wie mit den Ambivalenzen der sie umgebenden Welt auseinanderzusetzen.

Ungewöhnliche Stückentwicklungen

Das TdJW hat mich als einzige Kulturstätte durch mein bisheriges Leben begleitet. Das schafften nicht einmal Oper, Schauspiel- und Gewandhaus. Auch wenn die Erinnerungen an den ersten Besuch im TdJW nur noch vage vorhanden sind, ist das spannende Gefühl »raus aus der Schule, Abwechslung im Alltag« noch spürbar. Waren doch die Kindheitsjahre im vergangenen Jahrhundert tatsächlich eine Zeit ohne permanente Eventkultur, Dauerberieselungs-TV, Web 2.0 und Smartphones. Theaterbesuche avancierten zu Höhepunkten im Schulalltag. Und so begaben wir uns 1970, die Mädchen in blitzsauberen Kleidchen, die Jungen frisch gekämmt und mit geputzten Schuhen, auf eine »Tagesreise« mit der halboffenen Straßenbahn von Gohlis bis zur Kongreßhalle. Ehrfürchtig betraten wir den Weißen Saal und warteten, bis sich der Vorhang öffnete. Weitere Besuche folgten, Theater war eine sehr schöne Abwechslung zum Schulalltag, auch immer ein Eintauchen in eine andere Welt. Als jungen Deutschlehrer verschlug es mich in den 80er Jahren in den trostlos verfallenden Leipziger Osten, wo graue Tristesse bleischwer über maroden Häusern und in Eile errichteten Plattenbauten lag. Nähe Rabet und Kohlgartenstraße wohnte man nicht gerade auf der »Sonnenseite« der Stadt. Die Kids meiner Klasse nahmen Besuche im TdJW dankbar an, waren sie doch teilweise Erstbegegnungen mit kultureller Bildung. Die 90er Jahre muss ich...

Theater fürs Leben

Kunstinsert: Modelle von Gesellschaft

Ich, Ricarda, mittlerweile 31 Jahre alt, kann mich an diese Geschichte nicht mehr erinnern – wohl aber an die vielen Theaterbesuche, die folgten. Als ich 14 Jahre alt war, hatte ich ein Schulpraktikum zu absolvieren. Etwas Kreatives sollte es sein, das wusste ich – aber was? Meine Mutter schlug vor: »Frag doch beim Theater der Jungen Welt, da gefällt es dir doch immer.« Gesagt, getan – kurz vor den Februarferien 1999 durfte ich zwei Wochen lang Theaterluft schnuppern. Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass dies einer der schönsten Abschnitte meiner Schulzeit war. Das Theater hat mich begeistert, ich habe Freunde und für einige Jahre ein zweites Zuhause gefunden. Mein Entschluss, auch nach der Schulzeit – nicht auf, aber hinter – den »Brettern, die die Welt bedeuten« zu arbeiten, stand nun fest. Drei Jahre war ich als Ausstattungsassistentin am Schauspiel Leipzig tätig. Mein beruflicher Weg hat mich zwar mittlerweile woanders hingeführt, aber dem Theater – und im Besonderen dem Theater der Jungen Welt – bin ich treu geblieben. Ich freue mich immer noch, genauso wie als Kind, gemeinsam mit meiner Mutter zum Bühnenhaus am Lindenauer Markt zu fahren, um eine neue Inszenierung zu erleben – und vielleicht auch Gösta Bornschein zu...

… und wie es weiterging

Kompositionsprinzip Collage

Interimsspielstätten in Leipzig

Als Grundschullehrerin besuche ich das TdJW regelmäßig mit meinen Klassen. Die Faszination, die dabei bei den Kindern und mir entsteht, ist großartig und hält meist lange an! Bis zum nächsten Besuch – vielen Dank!

Die Faszination der Kinder

Immer wenn ich Jürgen Zielinski treffe, fühle ich mich wie Andy Möller. Oder wie Jens Lehmann, was auf dasselbe hinausläuft: Beide haben für den BVB und Schalke ’04 gespielt. Obwohl ich BVB-Fan bin, habe ich 2004 ein Stück mit dem Titel »Steht auf, wenn ihr Schalker seid« geschrieben. Ein Ding der Unmöglichkeit? Ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass ich kein richtiger BVB-Fan bin? Ich kann hier mildernde Umstände ins Feld führen: einen Vater und einen Bruder, die beide Schalke-Fans sind, eine Schauspielerin, für die ich das Stück geschrieben habe und die nun mal eine blau-weiße Trainingshose trug in dem Augenblick, als mir die Idee zu dem Stück kam. Aber muss ich das überhaupt? Schließlich hat der große BVB-Fan Jürgen Zielinski das Stück 2006 umschreiben lassen und selber an seinem Haus inszeniert. Ob sich Jürgen Zielinski deswegen wie Udo Lattek fühlt? Oder wie Uli Maslo? Denn die beiden haben sowohl den BVB als auch Schalke trainiert. Dabei könnte ich mir Jürgen gut als Trainer vorstellen. Die Stimme für deftige Kabinenansprachen hat er allemal, dazu das Temperament eines Seitenlinien-Derwisches. Und wer ein Team seit 15 Jahren so aufstellt wie er das TdJW, der muss auch schon was vom Spiel verstehen. Im Fußball sind...

Der Seitenlinien-Derwisch

Angstlos! Heimatlos?

Das TdJW Leipzig ist meine persönliche feste Insel im stürmischen Ozean des Lebens eines Freiberuflers. Hier war 2007 meine letzte freiberufliche Inszenierung, bevor ich für sieben Jahre in eine feste Anstellung an die Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg gegangen bin. Es war »Tintenherz« von Cornelia Funke. Und am Theater der Jungen Welt war – im Frühjahr 2014 – auch meine erste, erneut freiberufliche Inszenierung: »König der Kinder: Macius!« von Katrin Lange. Das kleine, spritzige, sympathische Haus in Lindenau überspannte also sieben Jahre in der baden-württembergischen Diaspora! Wenn das keine Symbolkraft hat! Ein Brückenschlag von Freiheit zu Freiheit.

Von Freiheit zu Freiheit

Detlef Vitzthum (Schauspieler am TdJW, 1974–2011): Unser Theater war weg, die Wende lief an – was tun? Wir machten uns sofort auf die Suche nach einem neuen Haus. Das hätte das Kino der Jugend in der heutigen Eisenbahnstraße werden können. Es gab schon richtige Arbeitseinsätze dort, die alte Bestuhlung rauszureißen. Aber ungeklärte Besitzverhältnisse, wie sie mit der »Wende« auftraten, machten den Umzug dahin bald unmöglich. Heute würde ich sagen: Gott sei Dank! – denn der jetzige Bau ist viel, viel besser. Marion Firlus (Dramaturgin am TdJW, 1981–2015): Die »Wende« hat uns absolut kalt erwischt. Es war ein Umbruch in jeder Hinsicht, den ich als irrational empfunden habe. Am dringlichsten war aber die Aufgabe, einen Ort zum Spielen und Probieren zu finden. Es gab einen Spielplan, aber keinen Ort mehr dafür. Da sind wir in der ganzen Stadt rumgefahren, haben uns alte leerstehende Kinos angeguckt. Schließlich fanden wir einen Veranstaltungssaal am Brühl mit einer kleinen Bühne, kleiner als im Weißen Saal und wie dort ohne ansteigendes Parkett. Es war von den Bedingungen her schrecklich, aber wir haben dort eine Zeit lang gespielt. Dann gingen wir in den kleinen Saal hier im Haus der Volkskunst. Da hats durchgeregnet, weil das Haus völlig...

Die Suche nach einem neuen Haus, aufgezeichnet

Schauspiel Leipzig: Weltangst und Ulk

This cake didn’t rise. I’ll make another cake

In meiner ersten Spielzeit am Theater der Jungen Welt, Anfang 2006, stand er mir gegenüber: ein kleiner drahtiger Mann, fast 80, sehr humorvoll, charmant und witzig. In »Zimmer frei« spielte ich ein pubertierendes, trauriges Gothic-Mädchen, er einen spießigen Witwer. Diese zwei sollten sich in einer WG arrangieren. Das Ganze in einer Komödie mit Wortwitz und Slapstick. Am Ende wurde es ernst, denn der alte Herr hatte es nicht nur »manchmal mit den Ohren«, sondern auch mit dem Kreislauf und dem Herzen. Krücke hatte es auch mit dem Herzen, was ihn aber nicht davon abhielt, vor jeder Vorstellung edle, schlanke Zigaretten zu rauchen, danach natürlich Pfefferminz, ein Gentleman eben. In der letzten Szene saßen wir zusammen im Sarg, der dem Gothic-Mädchen als Bett diente, ich hielt ihn im Arm, denn er schien ernst zu machen mit der Voraussage, dass es vielleicht nicht mehr so lange gehe mit ihm. Nach einer Probe dieser letzten Szene sagte mir Krücke ganz im Vertrauen, es sei wirklich sehr schön, wie ich ihn da im Arm halte, aber ob ich doch bitte aufpassen könne, nicht auf seinen Herzschrittmacher zu drücken, wenn ich ihn herze. Irgendwann wollte Krücke das Stück nicht mehr so gerne spielen, er wollte...

Krücke

»Denn es gehört zu den selbstverständlichen und schönsten Aufgaben eines jeden Theaters unseres Landes, für die Kinder und Jugendlichen zu spielen, ihnen eben so vielfältige wie anregende Theatererlebnisse zu bereiten, die mit dazu beitragen können, die Gefühls- und Gedankenwelt der jungen Menschen zu bereichern und das Weltbild der jungen Generation im Geist des Friedens und des Humanismus, der Freundschaft und der Solidarität – im Sinn des Sozialismus als der menschlichsten aller gesellschaftlichen Ordnungen – mitzuprägen. Diesen hohen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen die Theater mit großer Verantwortung gegenüber der Jugend, mit politischem Engagement und mit künstlerischer Meisterschaft …« (Aus »Kinder- und Jugend­theater in der Deutschen Demokratischen Republik«. Berlin 1974.) Das Theater der Jungen Welt ist eines der fünf Berufstheater von Leipzig und untersteht der Generalintendanz der Stadt. Dem 22-köpfigen Ensemble steht ein Direktor vor, der auch für das Spielplankonzept verantwortlich ist. Vier der Schauspieler führen Regie, die Stücke werden aber im Ensemble erarbeitet. Das Theater hat eine eigene pädagogische Abteilung mit zwei vollamtlichen Mitarbeitern, die Berater sowohl der Theaterleute wie der Lehrer sind. Sie gibt dem Lehrer Arbeitshilfen in die Hand für Vorbereitung und Auswertung der Stücke, zusammen mit Inhaltsangabe und Hinweisen auf Lektüre im Themenkreis der Stücke. Je nach Spielzeit werden...

Sechse kommen durch die Welt

Was macht das Theater, Raphaela Bardutzky?

Es gibt Stücke, bei denen geht einem Schauspieler schon beim Lesen das Herz auf. So eines war für mich »Ab heute heißt du Sara«. Ein ernstes Thema, mit Gefühl, Tiefgang und zartem Humor erzählt. Petra Dannenhöfer inszenierte es mit viel Energie und Leidenschaft. Dazu eine Liveband, die uns Schauspieler durch die Lieder trug. Erzählt wird die Geschichte der Jüdin Inge Deutschkron, die als Jugendliche den Holocaust in Berlin überlebte. Das Stück basiert auf ihrer Autobiograpfie. Während der Proben hatten wir das Glück, diese beeindruckende Dame persönlich kennenzulernen. Mehr als zehn Jahre danach ist mir unsere Inszenierung noch sehr präsent. Eine Vorstellung ist mir besonders nachhaltig in Erinnerung geblieben. Damals lag eine Spannung im Raum, die nie ein Regisseur inszenieren könnte. Meine Figur Inge verkauft mit ihrer Mutter den Hausstand, in der Erwartung, schon bald Deutschland verlassen zu können. Drei Interessenten kommen und feilschen aufs Ärgste, die Notlage der Familie ausnutzend. Die Szene gipfelt in einem Streit um eine antike Vase, welche die Mutter nicht bereit ist, für nur vier Reichsmark herzugeben. Schließlich lässt sie sie fallen und die Vase zerbricht. Worauf Inge frech grinsend ruft: »Ätsch, nu kriegt’se keener!« Eines Tages war der Vorrat dieser Vasen aufgebraucht. Neue – diesmal...

Ätsch, nu kriegt‘se keener!

Fenster für bewegtes Licht

Theater Orchester Biel Solothurn: Kollektives Glitzern einer Biografie

Mucksmäuschenstill. Kein Laut. Keine Regung. Das junge Publikum in Krakau rührte sich während der Vorstellung kein bisschen. 90 Minuten lang Verharren. Auf die Bühne des Theaters Groteska, wenige Kilometer von Auschwitz entfernt, hatte das Theater der Jungen Welt die Collage »Kinder des Holocaust« gebracht. Eine ebenso erschütternde wie provozierende Inszenierung. Auf schmalen Holzstühlen saßen vier Schauspieler und zitierten aus historischen Berichten von osteuropäischen Kindern, die den Holocaust überlebt hatten. Auf der Bühne vor den Rezitatoren erzählten elf Jugendliche ihre eigenen Geschichten. Es ging um Angst und um Versagen, um Alleinsein und Verletztwerden. Ein unzulässiger Holocaustvergleich im Kinder- und Jugendtheater? Mitnichten! Denn die dramatischen Verbindungen der Lebenswelten heutiger Jugendlicher mit dem unendlichen Grauen, das Kinder damals erlebt haben, sollen aufregen, anrühren und verhindern, dass Geschichte abgehakt wird. Für diese hohe Kunst steht für mich das Theater der Jungen Welt beispielhaft wie vorbildlich. Davon zeugen auch die unzähligen anderen Inszenierungen, Diskussionsforen, Workshops oder Lesungen zu den Themen Nationalsozialismus und Rechtsextremismus am TdJW. Es sind diese bedeutenden Mosaiksteine in der aktuellen Auseinandersetzung mit Neonazis, Rassisten, Hetzern und Menschenfeinden. Dieses Demokratie-Programm ist heute wichtiger denn je. Danke, TdJW!

Ein unzulässiger Holocaustvergleich?

»In Connewitz, da hat’s geblitzt«: Mich trifft der Blitz, als die ältere Dame mich vorm Herzliya Theater anspricht. Die ehemalige Leipzigerin konnte vor der deutschen Mordlust flüchten und hat vor langer Zeit ein neues Zuhause in Israel gefunden. Nun wartet sie gespannt auf die erste Vorstellung von »Kinder des Holocaust«. Sie war nur eine von vielen älteren Menschen im Publikum, darunter einige ehemalige Leipziger, von denen viele Angehörige durch den...

Das Wagnis

»Vorhang auf!«, heißt es seit 70 Jahren im Theater der Jungen Welt in Leipzig! Das sind 70 Jahre Erfolgsgeschichte, denn seit 70 Jahren werden immer wieder neue und bekannte Stücke inszeniert und auf den Bühnen des Theaters der Jungen Welt Leipzig präsentiert. Die Kinder-Akademie Fulda gratuliert zu diesem schönen Erfolg von ganzem Herzen und wünscht weiterhin gutes Gelingen und ein begeistertes Publikum! Kunst und Kultur sind nicht das schöne Nebenbei...

Die Impulsgeber

Ich war zuerst in Erfurt, dann in Halle, danach in Greifswald, schließlich kam ich nach Leipzig. Das Leipziger Jugendtheater war ein sehr gutes zu dieser Zeit. Ich wollte gern wieder nach Mitteldeutschland, nicht oben an der Küste bleiben. Dort hatte ich – theatermäßig gesehen – das Gefühl, dass man sehr weit weg war. Leipzig war wohl die lebendigste Stadt der damaligen Zeit, mit einem tollen Theater unter dem bald schon scheidenden Generalintendanten Max Burghardt. Außerdem hatten sie dort ein gutes Ensemble, nicht unwichtig für einen jungen Schauspieler – je besser der Partner, desto besser auch die eigenen Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Mein Interesse hat sich auch an dem relativ offenen Spielplan festgemacht. »Die Gewehre der Frau Carrar«, »Die Matrosen von Cattaro«, »Die deutschen Kleinstädter« von Kotzebue als Raritäten, die damals alle in der Regie von Ludwig Friedrich den Schauspielern zuliebe angesetzt wurden, damit wir richtige Charaktere zu spielen bekamen. Das war also sehr gemischt mit den Kinder- und Märchenstücken und eine interessante Palette für einen jungen Schauspieler, um sich auszuprobieren. Das war wahrscheinlich der wesentliche Grund, aus dem ich nach Leipzig wollte. Vom Weißen Saal stammt meine Wut auf langgezogene Räume. Ich war vor einiger Zeit in Pirna in einem...

Ein flinker Bär von Rolf Hoppe, aufgezeichnet

Wenn es aus dem Schnürboden des Theaters der Bayer AG in Leverkusen am Ende einer umjubelten Premiere – nein, nicht rote Rosen, sondern – bunte Pillen regnet, muss es damit schon eine besondere Bewandtnis haben. Mit einer missglückten Marketing-Kampagne hatte dies aber nichts zu tun. Im Gegenteil! Vielmehr wurden in der Uraufführung von »Crystal – Variationen über Rausch« die extremen Auswirkungen dieser Mode-Droge auf realitätsnahbeängstigende, aber auch auf künstlerisch ebenso mitreißende Art und Weise zur Diskussion gestellt. TdJW meets Pharmariese – wie kam das denn? Zurück auf Start: Von 2005 bis 2008 war ich als künstlerischer Direktor der Musikalischen Komödie direkter Nachbar von Jürgen Zielinski und seinem wunderbaren Theater der Jungen Welt. Wie es sich gehört, machte ich irgendwann auch meinen »Antrittsbesuch«. Zugegeben, nicht ohne Hintergedanken. Mir schwebte nämlich vor, gemeinsam irgendetwas Spannendes für junge Leute zu machen. Große Überraschung: die schwarz-gelbe Borussia-Geschäftsstelle – pardon: das zurückhaltend und geschmackvoll in den Farben Schwarz und Gelb eingerichtete Intendanten-Büro! Der Bann war sofort gebrochen! Selbst aus NRW kommend, ebenfalls die Schwarz-Gelben liebend, verstanden Jürgen und ich uns gleich prächtig (nicht eigens betont werden muss, dass es in unserem Gespräch natürlich primär um künstlerische Fragen ging!). Aus unseren Plänen wurde aber – zunächst...

Eine nicht ganz gewöhnliche Zusammenarbeit

Es müssen Köpfe rollen

Was macht das Theater, Alexander Karschnia?

Marion Firlus (Dramaturgin am TdJW 1981–2015): Ich bin 1981 an dieses Theater gekommen. Das war eine Strafversetzung, was schon einiges über den Stellenwert des Theaters damals sagt. Mein Freund hatte das Schauspiel verlassen und wurde, wie jeder andere vor ihm auch, zur persona non grata erklärt. Ich war in der Dramaturgie, und der Intendant wollte mich dort nicht mehr sehen und versetzte mich ans TdJW. Im Kayser-Kombinat wurde das TdJW nicht besonders gemocht, obwohl es auf Anregung der Sowjetischen Militäradministration einst nach dem Motto »große Kunst für kleine Zuschauer« gegründet worden war. Wir waren sozusagen das fünfte Rad am Wagen. Aus der Sicht des Generalintendanten gab es folgende Rangordnung: Schauspiel, Oper, dann die schon ungeliebte Operette und dann irgendwann das TdJW. Es war festgelegt, dass wir hier nur bis zum Alter von 14 Jahren zu spielen hatten, alles darüber hinaus war Aufgabe des Schauspielhauses. »Das Tagebuch der Anne Frank« wurde deshalb im Schauspielhaus gezeigt, und nicht von uns. Das hatte weit reichende Folgen für unseren Spielplan. Der bestand hauptsächlich aus den Bearbeitungen klassischer Märchen, Stücke von Autoren aus der DDR, der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern. Der westliche Kanon war praktisch Tabu, auch weil Devisen für Tantiemen in erster Linie...

Fünftes Rad im Theaterkombinat, aufgezeichnet

singend, während er die gesehene Szene lebhaft mit Buntstiften auf Papier malt – so findet eine Mutter ihren dreijährigen Sohn im Kinderzimmer vor. Gemeinsam haben sie vier Monate zuvor (!) eine Vorstellung von »Fische &amp; Süßer Brei« besucht. Ich habe mich sehr gefreut über diese Rückmeldung. Ein Herzöffner für mich als Regisseurin. Das Foto dieser Zeichnung hängt noch immer an der Wand in meinem Arbeitszimmer.

Nach vier Monaten

»Eine Knochenmühle«, haben sie zu uns auf der Hochschule gesagt, »Ein Kinder- und Jugendtheater ist eine Knochenmühle.« Stimmt. Dafür spielst du Hauptrollen, statt nur den dritten Baum von links. Das übt. Als Nichtmehrganzanfängerin kam ich an das Theater der Jungen Welt Leipzig, spielte und spielte und erfuhr (mehrmals), dass man von den Brettern, die einem die Welt bedeuten (man verzeihe mir dieses überstrapazierte Bild, aber es passt), auch runterfallen kann, so dass es weh tut. Aber woran erinnere ich mich am deutlichsten, was hebt dieses Theater in meinem Gedächtnis von anderen ab? Die Straßenbahn, die gefühlt direkt über die Bühne rattert? Der Szenenapplaus, nachdem ich aufgab, die Fassung zu bewahren, weil das Luftmatratzen-Bett während einer Vorstellung von »Die zertanzten Schuhe« geplatzt war? Oder als ich während einer Probe zu »Schneewittchen lebt!« unfreiwillig in die Zwergenhöhle gestürzt war und die Regieassistenz als Ersthelferin gemäß dem Stücktitel rief: »Sie lebt!«? Nein, es ist das Publikum: Denn während man in Erwachsenentheatern wohl größtenteils davon ausgehen kann, dass die Zuschauer gekommen sind, weil sie das auch wollten oder wenigstens geschenkt bekommen haben, trifft man im Kinderund Jugendtheater, insbesondere bei den Vormittagsvorstellungen, häufig auf weniger Vorfreude: »Theater?! Na ja, immerhin besser als Mathe!« So nahm...

Eine Knochenmühle

Wenn Sie in Leipzig ein Festival besuchen, dann sollten Sie gut ausgeschlafen sein und ein wenig Talent zum Durchhalten haben! Denn wenn ein Tag mit einer theatralen Kahnfahrt auf der Elster beginnt und gleich darauf eine Vorstellung im Haus mit Diskussion folgt und nach der Pause für’s Abendbrot eine Late-Night im Lofft gezeigt wird, dann brauchen Sie das! Nichts davon wollen Sie verpassen, eines ist spannender als das andere und in der Nacht sehen Sie dann die wirklichen Herausforderungen an Ihren Theaterbegriff! Weiter so, Junge Welt Leipzig! Und danke für viele spannende Anregungen!

Tipps

Der genetische Code Amerikas

Figurationen im Film

Das Puppentheater am TdJW wurde im September 1991 gegründet, also inmitten einer Umbruchszeit. Die Idee stammte noch aus der DDR-Zeit, und ein paar Leute haben den Kopf geschüttelt, als sie erfuhren, dass ich das hier machen wollte. Unter Karl Kayser wurde das Kindertheater gerade so geduldet, und eine Erweiterung durch Puppenspiel war unter ihm undenkbar, obwohl es immer wieder Versuche gab, das einzurichten. Ein Impuls fürs TdJW war das Gastspiel der Berliner Gruppe Zinnober, die im Weißen Saal der Kongreßhalle 1988 ihr legendäres Stück »Die Jäger des verlorenen Verstandes« zeigten. Gösta Bornschein und die Leute vom Haus waren begeistert und fragten mich, ob ich nicht so etwas hier am TdJW aufbauen könnte. Ich war aber noch am Theater Karl-Marx-Stadt für ein weiteres Jahr vertraglich gebunden. Erst 1991 konnte ich anfangen. Mit dem Stück »Algot Storm« der Schwedin Barbro Lindgren ging es los, eine schöne Kombination von Schauspiel und Puppe. Die Mittel für einen anspruchsvollen Puppenbau waren aber nicht vorhanden. Zum Teil habe ich mir Puppen ausgeliehen, in Zwickau und Chemnitz, wohin ich ja gute Verbindungen hatte. Umso mehr habe ich mich ins Spiel geschmissen, das wettzumachen und zu zeigen, was möglich ist. Viele Leute haben gesagt, ich sei komplett verrückt....

Komplett verrückt von Wilfried Reach, aufgezeichnet

Meine Laufbahn begann mit Kinder- und Jugendtheater, nun neigt sie sich langsam dem Ende und ich bin wieder bei den Anfängen gelandet. Und das ist gut so, denn die Noch-nicht-Erwachsenen sind das ehrlichste Publikum. Die Nähe zu den Zuschauern des TdJW, egal in welcher Spielstätte, ist ein großes Plus für den Schauspieler. Ich bin immer wieder berührt von der Energie, die da zwischen den Besuchern und den Machern ausgetauscht wird; näher dran und direkter geht es gar nicht. Das kostet Kraft und manchmal bin ich nach Vorstellungen wie aus dem Wasser gezogen. Das vorherrschende Gefühl ist aber das des Zusammenseins und dadurch kann ich etwas von meiner Sicht auf die Welt, von meiner Auffassung von Kultur und der Ehrlichkeit im Umgang miteinander in der Mitte der Gesellschaft platzieren. Alle Theater, an denen ich bisher gearbeitet habe, haben so eine spezielle Art, ein Flair. Das TdJW ist für mich das Haus der Verbundenheit.

Das Haus der Verbundenheit

Die digitale Masse

Der Atem des Raumes

Es gibt Theater, in denen fühlt man sich wohl, und es gibt Theater, in denen fühlt man sich nicht so wohl. Das ist ganz simpel und außerdem ganz normal. Und das hat fraglos auch, aber keinesfalls nur, mit den Stücken und der künstlerischen Qualität zu tun, die man an diesen Theatern dann jeweils so geboten bekommt. Wobei, was das angeht, das Kinder- und Jugendtheater freilich einen generellen Vorteil auf seiner Seite hat: Das Publikum, für das hier produziert wird, zeigt schneller und lautstärker an, wenn es sich gelangweilt fühlt, als Erwachsene es je zu tun wagen. Kinder und Jugendliche sind ja im entscheidenden Moment tatsächlich weniger korrumpierbar, sagen wir ruhig: weniger käuflich, durch inszenatorischen und intellektuellen Glasperlennippes jener Art, mit dem sich anderenorts Theatermacher wie Rezipienten so gern behängen. Und vielleicht ist das ein entscheidender Punkt: In den vielen Jahren, die ich beruflich, aber auch privat Aufführungen am TdJW besuchen durfte, wurde mir hier nie Nippes angeboten. Was nicht heißt, nur um es gesagt zu haben, dass jede Inszenierung gelungen ist. Darum geht es aber auch gar nicht – wohl aber darum, dass an diesem Haus dem Publikum naturgemäß so einiges vorgespielt, aber eben nie was vorgemacht wird. Das ist...

Nie Nippes

Der Club Melo wurde in der Spielzeit 2014/15 gegründet. Was war eure Idee, das Ziel und die Vision, als ihr den Theaterclub gestartet habt? Yvonne Weindel: Der Anfang verlief ohne große Erwartungen, offen in alle Richtungen – mit unendlich viel Neugierde. Ein wirkliches Bild davon, wer da kommt und was mich erwartet, hatte ich nicht. Das Überraschende für uns alle war, dass gerade die Menschen mit Behinderung die Initiative ergriffen haben, zu spielen, ihre Fantasien einzubringen und sogar die Regie mit zu übernehmen. Das hat dazu geführt, dass wir eine Umkehrung von Hierarchien hatten, ja eine Umkehrung von Inklusion, denn so haben die Spieler mit Behinderung auch einen Teil der Leitung für uns alle übernommen. Für mich war es eine neue Perspektive, eine neue Form von Theaterarbeit. Tobias Audersch: Viele von den Personen, die sich bei uns in der Lebenshilfe bewegen, haben einen sehr starren Lebenslauf und sind die ganze Zeit unter sich. Unser Ziel war es, diesen starren Weg aufzubrechen. Die Herausforderung ist, dass das Produkt am Ende auf keinen Fall so aussehen darf, als ob es dieser sozialen Idee untergeordnet ist. Herauskommen sollte mit diesem Theaterclub Theater. Deswegen war klar, dass wir es nur mit einem...

Yvonne Weindel, Leiterin der Jungen Wildnis und des Club Melo, sowie Tobias Audersch, Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei der Lebenshilfe Leipzig e. V., im Gespräch mit Torben Ibs über den inklusiven Theaterclub

Umkehrung der Inklusion

Feuer – Comic

Plattenstufen-Festspiele für die Vielen

Jetzt spielen sie auch noch Theater: Caroline Mährlein und Roland Bedrich springen auf Tische und fordern Leistung. Sie mimen Motivationstrainer. »Besser ich« ist ein Stück, das die gegenwärtige Leistungsgesellschaft hinterfragt. »Besser ich« bewegt sich thematisch und ästhetisch am Puls der Zeit. Aber da ist noch etwas, das auffällt: Mährlein und Bedrich sind keine Schauspieler – sie sind Theaterpädagogen des Theaters der Jungen Welt. Dass sie selbst spielen, ist nur ein Beispiel für den Wandel, den die Theaterpädagogik seit ein paar Jahren erlebt. Das TdJW versteht sich als einer der Schrittmacher: offen für Experimente, neugierig auf Konzepte aus dem Ausland. Im Sinne der reinen Kunstvermittlung ist Theaterpädagogik ein alter Hut am TdJW. Nur wurde sie lange Zeit als »verlängerter Arm der Dramaturgie« verstanden. Es ging darum, den Spielplan zu begleiten und Inhalte intellektuell zu erschließen. Ein Kernauftrag, der immer noch ernst genommen wird. Etwa mit Publikumsgesprächen oder Premierenklassen, die schon den Probenprozess erleben. Aber das Aufgabenspektrum wächst und die Methoden wandeln sich. Man könnte auch sagen: Die Betonung hat sich verschoben – weg von der Pädagogik, hin zum Theater. »Es geht konsequent um spielerische Aktionen«, so Jürgen Zielinski. Kinder und Jugendliche erleben die Angebote nicht als Konsumenten von Wissen, sondern –...

Theaterpädagogik heute – eine Bestandsaufnahme

Umrundet von einer quietschenden Straßenbahn, die mehr oder weniger präzise getaktet den Sound des Lindenauer Marktes in die Geschichten hineinträgt, liegt die Insel der Jungen Welt im Ozean der Fantasie. Geschichten, die Tag für Tag aufs Neue neu erzählt werden, leben mit und zuweilen von diesem seltsam klagenden Laut. (Nachts, so heißt es, fährt dann die quietschende Bahn sinnbringend quer durch die Träume ambitionierter Regisseure.) Auf der Insel der Jungen Welt sitzt ein 70-Jähriger und spielt im Sand, gräbt lauter schöne, oft kluge oder aber ganz verrückte Schätze aus, um damit Kinder zu beschenken, und wird dabei, oh welch ein Wunder, selbst wieder jung, fast ein Kind, aber nur dann, wenn er sich selbst nicht ganz wichtig nimmt. Und die quietschende Straßenbahn bringt Tag für Tag offene, neugierige junge Herzen und nimmt sie später ein wenig reicher wieder mit sich – Inseltouristen in einer jungen Welt.

Die Insel der Jungen Welt

Wenn ich an die Junge Welt Leipzig denke, mischt meine Erinnerung ein ganz wunderbares Kaleidoskop ab. Da tauchen Menschen auf, deren Engagement für ihr Haus und ihre Stadt ans Fanatische grenzt – zum Beispiel Paul Kuhn, Inspizient, gerne auch Empfangskomitee und Hans Dampf in allen Gassen. Als er mir auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt die Biber am Ufer des Karl-Heine-Kanals zeigte, mit viel Spannungsaufbau und »Psssssst!« und »Achtung!«, da war schon etwas von seiner Liebe für die Heimatstadt auf mich übergesprungen. Oder Kollegen des Ensembles, die der Gastdramaturgin ein Fahrrad besorgen, Kassendamen voller Wissbegier über das Stück, das da entsteht, eine Vorzimmerdame des Chefs, die über ihn wacht, als sei sie in Dortmund geboren und nicht in Leipzig. Aber auch das Umfeld des Theaters in diesem wunderbar abgerockten Stadtteil liefert Bilder ohne Ende – das großartige »Buchkinder«-Projekt, natürlich Partner für die Produktion »Tintenherz«, mit Menschen, die mit Kindern Kunst-Bücher produzieren, wahre Schätze sind darunter. Oder die Probebühne in der Engertstraße – der Weg dorthin eine Zeitreise, die Arbeit dort so produktiv wie abgeschieden. Gerade deswegen? Ich habe das Haus aus den verschiedensten Perspektiven kennenlernen dürfen – als Gast-Dramaturgin, als Besucherin der Werkstatt-Tage und auf dem Podium beim...

Biber am Kanal

Die performative Baustelle

Mehr als 2500 Besucher erlebten »Marmolada // Home Sweet Home«, eine performative und musikalische Installation des Theaters der Jungen Welt im Botanischen Garten der polnischen Stadt Breslau. Das TdJW war als einziges deutsches Theater für das FLOW-Festival am Samstag, den 11. Juni, einem der vier größten Events im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Wrocław 2016, an die Oder eingeladen. Das Vorspiel: Internationale Kooperationen haben einen enormen Reiz – aber auch ihre Tücken. Das sollte man wissen. Dennoch sind sie eine Bereicherung und eröffnen zumeist auch einen neuen Erfahrungsfundus für die Theaterarbeit. Ebensolchen machte ich persönlich unter anderem, als ich in Pakistan für das Goethe-Institut inszenierte und auch mit unserer länger angelegten Kooperation mit drei israelischen Theaterinstitutionen. Die vor mehr als einem Jahr begonnene und im Juni 2016 erfolgreich abgeschlossene Arbeit in Breslau/Wrocław hatte jedoch eine besondere Dimension. Fünf Vorreisen, ein Treffen in Berlin, ein Besuch der Assistentin des Kurators in Leipzig. Daneben machte sich in Polen der Regierungswechsel sowie der Rechtsruck bemerkbar. Kunst und Kultur stehen jetzt unter einer anderen Beobachtung. Erst im Dezember 2015 kündigte der neue Kulturminister Piotr Gliński an, dass zukünftig die staatlichen Zuschüsse für Theater anders verteilt werden. Für seine Rede vor internationalem Publikum bei der Eröffnungsveranstaltung...

Brief aus Polen: Im Rahmen der Feierlichkeiten zur Kulturhauptstadt Europas war das Theater der Jungen Welt mit seiner szenischen Installation »Marmolada // Home sweet home« in Breslau. Über die Kunst der Improvisation und viel Marmelade im Botanischen Garten Breslaus

Unterwegs in der Welt: Die Marmolada-Installation

Intensität in Slow Motion

Bei einem Zuschauergespräch: »Was machen Sie eigentlich beruflich?« »Ist Ihnen das peinlich?« »Sind Sie wirklich ein Prinz?« »Heißen Sie wirklich Kevin?« »Wie können Sie das eigentlich verantworten, was Sie da machen?« Nach einer Vorstellung in einer Schule, als ich gerade – natürlich nicht auf dem Schulgelände – eine Raucherpause einlegte, kam eine Lehrerin auf mich zu und sprach: »In welche Klasse gehörst du? Hast du keinen Unterricht? – Und außerdem wird hier nicht geraucht! Mach das Ding aus, aber ganz, ganz schnell und dann rein mit dir, sonst sind wir beide ruckzuck beim Direktor!« Auf der Probe: »Jetzt wird er aggressiv, das ist gut!« »Gä bitte, mach’s einfach!« »Nee, das ist zu lustig.« »Hört doch mal mit diesem psychologischen Scheißdreck auf!« »Ich mache den Beruf seit fünfzig Jahren und es war immer schön gewesen, es hat immer funktioniert und den Leuten hat’s immer gefallen!« »Du, wir haben ’ne Drehbühne, die könnten wir doch mal benutzen …« »Mehr Licht, ich hör nichts!« Lehrerin bricht zusammen / Kind übergibt sich im Zuschauerraum / Standing Ovations von sichtlich gerührten Jugendlichen / Umbesetzung innerhalb eines Tag / Jemand wirft mir Geld auf die Bühne Im Klassenzimmer bei einer Aufführung von »Erste Stunde«: Die Schülerinnen...

Erinnerungsstücke

Gegen die Vereinzelung

Zehn mal zehn Prozent

Meine Ossi-Werdung und was sie heute bedeutet

1946 – Comic

Theater ist überlebensnotwendig

Nicht nur leidende Natur

Theater sammeln

Das Haus der Volkskunst am Lindenauer Markt gehört zu den Gebäuden, die am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung mit weitflächigen, damals hochmodernen und heute noch architektonisch interessanten Fabrikarealen in den Vororten des Leipziger Westens gebaut wurden. 1911 vom Architekten Carl Fischer als »Hotel-, Konzert- und Ball-Etablissement Deutsches Haus« in einem damals noch vorstädtisch geprägten Umfeld an dessen zentralen Markt errichtet. Die Tanzvergnügen waren in ganz Leipzig legendär. Nach dem Krieg bis 1965 Spielstätte des Operettentheaters, in dem der spätere DDR-Fernsehliebling Lutz Jahoda in den 50er Jahren große Erfolge feierte und 1963 Gerd Natschinskis Leipzig-Operetten-Hit »Messeschlager Gisela« aufgeführt wurde. Nach dem Auszug des Operettentheaters wurde der Große Saal baupolizeilich geschlossen und das Gebäude in Haus der Volkskunst umbenannt. Es diente fortan als Aufführungsort sogenannter Kleinkunst. Später zogen einige Amateurtheater und das Kabarett Lindenauer Brettl in die noch zur Verfügung stehenden Räume ein. Das Brettl wurde 1983 de facto verboten. Mit dem fortschreitenden Verfall wurde das ganze Gebäude Anfang der 90er Jahre stillgelegt, als Veranstaltungshaus mit der Grundinstandsetzung aber bald neu und schließlich als Hauptsitz des TdJW neben der Unterbringung von Theatern der freien Szene als LOFFT geplant und saniert. Das LOFFT zog bereits...

Neue Heimat Lindenau

In einer Phase, in der nach der von Joseph Goebbels »für den totalen Kriegseinsatz« zum 1. September 1944 verfügten Schließung aller deutschen Bühnen die Theater ihre erste Friedensspielzeit hinter sich haben und an der Wiederherstellung eines regelmäßigen Spielbetriebs arbeiten, wird das Theater der Jungen Welt gegründet. Häufig müssen wegen der umfassenden Bombenschäden in vielen deutschen Städten die Theatergebäude provisorisch repariert oder eigens neue Spielstätten gefunden werden. Das städtische Schauspiel Leipzig wurde in dem nach Kriegszerstörung notdürftig hergerichteten Centraltheater am 19. Dezember 1945 eröffnet. Die Gründung des Theaters der Jungen Welt als erstes kommunales Theater für Kinder und Jugendliche in Deutschland ist eine Erweiterung des Theaterangebots in dieser schwierigen Zeit des Wiederaufbaus. Das Volksbildungsamt beim Rat der Stadt führt zunächst Verhandlungen mit dem Schauspieler Hans Finohr aus Böhlitz-Ehrenberg über die künstlerische Leitung des Städtischen Theaters der Jungen Welt. Am 16. September 1946 wird jedoch Richard Füchsel »aushilfsweise«, wie es in einem Brief des Volksbildungsamtes vom selben Tag heißt, als Intendant des TdJW in Gründung angestellt. Bereits vier Tage später legt er den vom Amt gewünschten Stellenplan vor. Geschäftsführerin der Vorbereitung war die spätere Verwaltungsdirektorin Erna Ueberrück, die in dieser Phase Bekannte um finanzielle Hilfe bat.

Kultur für den Wiederaufbau

Dass es 1946, ein Jahr nach einem schrecklichen Krieg mit all seinen Zerstörungen und Toten, als Menschen hungerten und Wohnungen fehlten, viele Städte in Schutt und Asche lagen und es überall an dem Notwendigsten mangelte, Menschen gab, die ein Theater gründeten – ein Theater für Kinder und Jugendliche! Menschen, die um die Wirkung von Kunst und Theater wussten und mit Hoffnung und in friedlicher Absicht in die Zukunft schauten. Und wie widersinnig scheint es demgegenüber, in Zeiten allgemeinen Wohlstandes Theaterhäuser zu schließen. Dass ich in den 80er und 90er Jahren mit meinen Söhnen häufiger Gast im Theater war. Dass ich nun, erwachsen und selbst im Bereich der Kulturvermittlung tätig, größten Respekt habe vor den Leistungen des »kleinen Hauses«, dem es mit einem kleinen Team, aber großer Leidenschaft, Professionalität und einem tollen Feeling für Themen, Geschichten, Formate und Spielorte seit Jahren gelingt, neben einer an sich schon höchst bemerkenswerten Auslastung von mehr als 90 Prozent höchst zufriedene, nachdenkliche und/oder fröhliche Kinder, Eltern und Zuschauer aller Altersgruppen zu erreichen. Theater als Ort für Geschichten, Zeitfragen, Lebenswelten junger Menschen. Ein Theater, dem nie die Fantasie ausgeht, das Jahr für Jahr neue innovative Ideen produziert, Preise holt und für Preise nominiert wird, Theatertreffen und...

Ein Haus für alle

Da sitzt man also in einem alten Theater inmitten von Lindenau. Der Saal voller Schüler und den dazugehörigen Lehrern, die echt Respekt verdient haben. Die Inszenierung beginnt, doch nicht auf der Bühne, sondern inmitten des Publikums. Das Stück, »Crystal – Variationen über Rausch«, war abwechslungsreich und nicht mit dem Zeigefinger mahnend. Die Schüler, durch die Aufführung beschwingt, sind richtige Teenager und machen einfach Spaß. Mal kichert es, mal wird sich kurz ausgetauscht, doch sie stören nicht. Die Lehrer sind entspannt und lassen sie gewähren. Am Ende feiern sie die Aufführung und tauschen sich rege im Foyer über das Gesehene und Erlebte aus. Das alles ist typisch für eine Theatervorstellung am TdJW: offen, bunt und auf jeden Fall einen Besuch wert.

Respekt

Alles fließt

Was schreibt man nun zum 70. Geburtstag des Theaters der Jungen Welt? Viele Gratulanten beziehen sich auf die Themen, die sich über Jahrzehnte innerhalb des Hauses auf der Bühne im Weißen Saal, später im Theaterzelt und dann hier in Lindenau im wahrsten Sinne des Wortes abgespielt haben bzw. »abgespielt« wurden. Ich möchte gern den Blick auf die Außenwirkung des Theaters lenken. Insbesondere unter der Leitung von Jürgen Zielinski nehme ich als Lindenauer Kommunalpolitiker eine feste Verankerung des Hauses in der Stadtgesellschaft wahr, vor allen Dingen, wenn es um die Themen Demokratie und Demokratiedefizite und auch darum geht, Stellung zu beziehen gegen rechte Umtriebe. Wegen dieses Engagements ist das Theater im Jahr 2010 im Rahmen einer bundesweiten Kampagne auch als Ort der Vielfalt ausgezeichnet worden. Jedes Jahr, insbesondere am 8. Mai gab es Kundgebungen auf dem Lindenauer Markt mit anschließender Demonstration gegen das NPD-Büro. Hier hat Jürgen Zielinski mit seinem Team immer klar Stellung bezogen und war in der ersten Reihe mit dabei, den Anwesenden zu erklären, warum wir diese rechten Hassprediger weder in Lindenau noch sonst irgendwo brauchen. Manchmal hat auch der umtriebige Mitarbeiter Paul Kuhn die Lautsprecheranlage aufgebaut und betrieben. Wir alle zusammen (Kommunalpolitik, Gewerkschaften, Bürgervereine, Kirchen und eben...

Feste Verankerung in der Stadt

Ende der Exception Culturelle

Die „hohe“ Kunst, Freiheit und Sicherheit gegeneinander aufzubringen

Theater ist eine Wundertüte – immer wieder neu, immer wieder gleich – und immer wieder zählt nur eines: die Qualität und die Umsetzung. Es ist kein leichter Beruf, ein Theater zu leiten. Es gibt Widerstände. Man kämpft dagegen an. Kämpft um das heilige Wunder der Imagination, das nur möglich ist, wenn man an das glaubt, was man macht, und wenn man sich nicht zermürben lässt. Man verausgabt sich. Regisseure voller Einfühlungsvermögen zu finden, die bei den Proben eine herzliche und produktive Stimmung erzeugen, sodass alle ihr Bestes geben und das Beste daraus wird – das ist nicht leicht. Kluge Dramaturgen zu haben, die den Mitwirkenden neue Einsichten geben und mit konstruktiver Kritik weiterhelfen – auch das gar nicht so einfach. Und dann noch auf charmante Theaterchefs zu treffen, die voller Leidenschaft sind und ihre Belegschaft lieben und unterstützen. Das ist so schwer! Und oft fehlt dann auch ein bisschen diese Lässigkeit, diese Freundlichkeit gepaart mit großem Wissen und Professionalität. All dies habe ich seit der ersten Begegnung bei dem Theater der Jungen Welt, bei dem ganzen Team rund um und mit Jürgen Zielinski gefunden. Wann das allererste Treffen und Kennenlernen war, weiß ich gar nicht mehr genau. Aber an die...

Vortreffliche Kumpane

Sticky Fragments: Die Audiodeskription als Kunstform

Der Brief – Comic

Sweet Dreams?

»Oh Mama, warum müssen wir ins Theater?«, hat mich mein achtjähriger Sohn gefragt, »Können wir nicht lieber einen Film im Fernsehen oder im Internet anschauen, gemütlich zu Hause?« Ja, das könnten wir, war meine Überlegung, das wäre auch für mich als Mutter einfacher. Keine volle Straßenbahn auf dem Hinweg, kein Anstellen an der Kasse, kein Geld ausgeben, kein Gedrängel oder womöglich laute Schulklassen usw. Trotzdem – Theater ist etwas anderes als ein Film. Das hab ich als Kind selbst gespürt, wenn meine Mutter oder Oma mit mir hingegangen ist. Es wurde zelebriert. Vorher sorgsam ausgewählt, was »gegeben« wurde, dann ein Plan für den besonderen Tag gemacht. Einer der schickeren Pullover oder gar eine Bluse wurde angezogen, meine Mutter legte Lippenstift auf. Dann ging es zum Theater: immer ein großes, imposantes, altes Haus; lange, breite Treppen hinauf; eine Frau die Jacken und Mäntel abnimmt und ordentlich aufhängt, Plätze suchen; den schweren Samtvorhang bestaunen. Dann das Stück, mal mehr, mal weniger mitreißend, ehrlich gesagt: Manchmal habe ich auch nur die Hälfte verstanden. Hinterher alles retour, aber irgendwie mit dem Gefühl etwas gemeinsam erlebt zu haben, dabei gewesen zu sein. So versuche ich es meinem Sohn zu erklären. Er nickt wissend: »Okay, also...

Publikumserinnerung: Das schafft kein Film

Kunst, Kultur und kulturelles Lernen haben an diesem Stadttheater für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien eine herausragende gesellschaftliche und politische Bedeutung und stellen einen wichtigen Eckpfeiler der Leipziger Kulturpolitik dar. Kultur und Bildung sind Grundbedingungen für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Kultur und Bildung bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Das Theater der Jungen Welt, 1946 als erstes professionelles Theater für Kinder und Jugendliche in Deutschland gegründet, stellt sich dieser Aufgabe mit Bravour. Die Aktualität des Programms, die ständige Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Diskursen, Schul- und Partizipationsprojekte und vieles weitere machen das Theater am Lindenauer Markt zu einem faszinierenden Ort in Leipzig. In meiner Arbeit als Stadtrat und kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion sehe ich es als eine meiner wichtigsten Aufgaben, allen Menschen in unserer Stadt eine aktive Teilhabe am kulturellen Reichtum unserer Stadt zu ermöglichen. Diese Zielstellung beginnt bei Kindern und Jugendlichen. Das Theater der Jungen Welt zeigt auf städtischen und sozialen Veranstaltungen Präsenz. Es beweist dabei nahezu täglich sein gewachsenes Leistungsvermögen. Es ist längst ein deutschlandweit nachgefragtes Theater. Zum 70. Geburtstag alles Gute, viel Kreativität, Neugier und die Kunst spielerisch Theater zu vermitteln.

Gesellschaftliche Teilhabe

Meine erste Begegnung mit dem Theater der Jungen Welt: 2007. Meine ersten Werkstatt-Tage der Kinder- und Jugendtheater: 2008. Die Vorgeschichte: Mein erster Termin in Leipzig. Die Bahn hat Verspätung und ich komme zur Sitzung im Foyer der Etage 1. Alle sitzen schon um den großen Tisch und arbeiten konzentriert. Ich war um 6 Uhr morgens aufgestanden, jetzt ist es 11. Bis 15 Uhr arbeiten wir. Ohne Mittagspause. Ich sterbe vor Hunger. Zum Abschied sagt Jürgen Zielinski: »Hier im Osten gibt man sich die Hand!« und schüttelt beherzt meine rechte. Der Beginn einer Theaterfreundschaft, bei der es nicht um Benimmregeln, sondern um die Suche nach dem Kern der Sache, nach den wichtigen Fragen und den künstlerischen Impulsen geht. Nicht nur für Leipzig. Von da an: jede Menge Termine. Jede Menge Sitzungen. Jede Menge Inszenierungsgespräche, Debatten, kritische Fragen und Ideen für die Zukunft. Jede Menge anregende Gespräche im ganzen Haus, das sich immer im Wandel befindet, das sich selbst immer neu erfindet. Und: jede Menge Aufführungen aus ganz Deutschland, aus Europa und vom Theater der Jungen Welt, die die Grundlage aller Gespräche und Debatten, allen Nachdenkens über die richtigen Formate, die spannendsten Fragestellungen, die besten Provokationen und die abseitigsten Impulse sind. Es...

Ich sterbe vor Hunger

Ich erinnere mich gern an die Zeit von 1973 bis 1995, in der ich an dieser Bühne der Leipziger Theater gearbeitet habe. Nach Abschluss meines Studiums hatte ich die Möglichkeit, mich »freizuschwimmen«, mich in die Abläufe des großen Theaterbetriebs einzuarbeiten und mich künstlerisch auszuprobieren. Wir haben gemeinsam über die Jahre viele Probleme gemeistert und Inszenierungen geschaffen, an die ich mich auch heute gern erinnere. Stellvertretend seien genannt: »König Jörg«, »Schule mit Clowns« und »Leonce und Lena«. Ich wünsche dem Theater weiterhin viel Erfolg und begeisterte Besucher!

Probleme gemeistert

Brief der Klassen 8a und 8b der Rudolf-Hartig-Oberschule an die 8a und 8b der Bruno-Leuschner-Oberschule, Januar 1981 Hallo FDJler und Schüler der Klassen 8a und 8b (oder seid Ihr alles FDJler?), Ihr wart neulich mit uns zusammen im Theater der Jungen Welt und erlebtet die Aufführung des Stückes »Armer Ritter«. Einige von uns waren ja begeistert, aber andere hätten sich dies und das auf der Bühne oder in der Spielweise anders gewünscht. Wir sind bestimmt keine Musterschüler, aber wir haben uns wirklich für euch geschämt, wie untheatergemäß Ihr Euch benommen und wie saumäßig Ihr Eure Stuhlreihen hinterlassen habt. Mußtet Ihr ewig rascheln und so blöde Bemerkungen machen, daß man es bis auf die Bühne hören konnte und die Schauspieler fast die Lust verloren haben? Wir sind dabei eine Theater-Wandzeitung zu gestalten. Ein neuer »Knigge« fürs Theater, soll die Überschrift sein. Wenn sie hängt fotografieren wir sie mal und schicken Euch einen Abzug. Bestimmt hat euch unsere Darstellung auch etwas zu sagen. Schreibt uns mal, ob Ihr über den demontierten Stuhlsitz das liegen gelassene Knisterpapier und die Kekskrümel schon diskutiert habt! Als wir vor zwei Jahren Gäste in Eurer schönen ferngeheizten Br.-L.-OS waren, hatten wir eigentlich gedacht, bei euch ginge es...

Ein neuer Knigge fürs Theater. Schülerbriefe von 1981

1953 war ich als Fünfjähriger das erste Mal im TdJW, im Weißen Saal am Zoo. Seit dieser Zeit bin ich fasziniert von Theater. 2010 meldete ich mich zum Mehrgenerationenprojekt am TdJW und spiele nun mit Begeisterung auch selbst Theater.

Ein Leben lang

Publikumserinnerungen

Das Ende des Theaters, wie es auch in New York nie vorbei ist

Das Letzte – erhellende Aussagen zum Kinder- und Jugendtheater

Eigentlich sollte ich einen Text schreiben … Die Leipziger waren immer so nett. Es war schön im Theater zu wohnen, wenn man dort arbeitete. Ich mag das. Wenn Leben und Arbeiten sich ineinander verwachsen. Aber ich komponiere gerade. Ich schreibe noch diesen Song fertig, dann schreibe ich den Text. Was hat es alles gegeben von mir am TdJW? »König Salz«, »Max und Murx«, »Der feingeschmeckte Suppenkoch und die liebende Bratwurst« mit Puppen, die haben die Künstler mit der Nagelschere ausgeschnitten. Ich muss jetzt unbedingt den Song fertigschreiben. Ein Song fällt mir im Bruchteil einer Sekunde ein, aber fürs Hinschreiben brauche ich zwei Tage … Ich erinnere mich an eine kleine Taschenlampe, die alle geschenkt bekamen, die in die ersten Aufführungen nach der Renovierung gingen. Auf ihr stand: »Wenn ich groß bin, werde ich ein Scheinwerfer.« Das gefiel mir. Ich weiß nicht, ob die Taschenlampe sich schließlich in einen Scheinwerfer verwandelt hat. Irgendwann verschwand sie aus meinem Haushalt. Ich vermute, sie ist nach Leipzig getrampt, um dort Scheinwerfer zu werden. Das heißt: einer Bestimmung folgen. Der Song sollte jetzt mal fertig werden. »Herzstück« von Heiner Müller. Bei der Wiederaufnahme hatte ich mein zweites Kind im Bauch und passte nicht mehr so...

Ich sollte einen Text schreiben

Ans Theater glauben

Notizen zu Piscator

Das erste Mal war ich im Theater der Jungen Welt als dieses noch in der Kongreßhalle am Zoo war. Da, wo es heute ist, war früher das Haus der Volkskunst, und das kannte ich besser, denn da habe ich getrommelt. Als ich 15 Jahre alt war, hat mein Schlagzeug-Lehrer Karl Tietz genau an dieser für mich historischen Stätte das Kunststück vollbracht, mich in knapp zwei Jahren für die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik »Felix Mendelssohn-Bartholdy« fit zu machen. Später dann, als das Studium vorbei und die Mauer längst gefallen war, vertrieb es mich aus anderen Gründen in die Gegend. Das »Bürgerbüro« der NPD war gleich um die Ecke, und auf dem Lindenauer Markt fanden in schöner Regelmäßigkeit genau dagegen Demos statt. An irgendeinem 8. Mai sprach mich ein cooler, sympathischer Typ an – er sei jetzt Chef vom Theater der Jungen Welt. Wir haben innerhalb von Sekunden gemerkt, dass wir auf derselben Wellenlänge funkten, es war, um ein schönes Zitat zu bringen, der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Jürgen Zielinski hat dieses Theater in die heutige Zeit geholt, es bezieht Stellung, mischt sich politisch ein und erfüllt damit genau die Aufgabe, die für die Kunst sehr weit oben steht: das...

Eine Zufallsfreundschaft

Staatstheater Darmstadt: I am a butchposition

Es war Liebe auf den ersten Blick. Mizzi, das HUHN. So der Besetzungszettel. Aber auf dem Betriebsausflug ins Leipziger Umland steht vor mir ein kapitaler, rotblonder Hahn. Ein wenig jung noch. Etwas schüchtern, aber dabei charmant. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Ich nehme ihn auf den Arm und zum ersten Mal im Leben rieche ich, wie wunderbar und herrlich so ein Hahnhuhn duftet. Es dauerte noch ein Weilchen, bis Mizzi, der transvestitische Hahn, die Probebühne betrat. So ein Hühnerstar hat nämlich eine prachtvolle Gage, nach der sich so mancher Schauspieler nur sehnen kann. Man konnte ihn nicht zu oft bestellen. Zumal er sich ja auch noch auf die Rolle vorbereiten musste. Ein Mädchen spielen. Für einen Gockel eine rechte Herausforderung. Aber er kam gut vorbereitet, nachdem er einen Method-Acting-Kurs besucht hatte. Und da haben wir eine weitere Gemeinsamkeit, die uns verbindet. Die Uraufführungspremiere von George Taboris »Mein Kampf« habe ich in Wien gesehen, wo ich glücklich auch an des Autors Theater Der Kreis spielen und an dem von ihm nach New Yorker Vorbild gegründeten Actors and Actresses Studio das Method Acting nach Lee Strasberg erlernen konnte. Für mich prägend. Eine besondere Gabe, dass der kongeniale Jürgen Zielinski mir...

Der transvestitische Hahn

Zufluchtsort vor der Welt

Im September 2010 stand die Premiere des Stückes »Kiwi« auf dem Spielplan. Als ich das Theater betrat, ergab sich für mich ein ungewohntes Bild. Das Foyer, sonst bei Premieren gut mit Menschen gefüllt, war diesmal leer. Nur eine Schulklasse verlor sich im Raum. Die Erwachsenen, die dann neben mir im Foyer auf den Beginn der Vorstellung warteten, waren an einer Hand abzählbar. Einen davon identifizierte ich als Dietmar Bär, den als Tatort-Kommissar bekannten Schauspieler und – wie ich inzwischen auch weiß – treuen Wegbegleiter des Theaters der Jungen Welt. Als wir dann in den großen Saal geführt wurden, war ich doch etwas erstaunt: Man hatte ein großes Zelt aufgebaut. Die Zeltwände entlang waren Sitzgelegenheiten installiert und wir Zuschauer nahmen im Karree Platz. Das Schauspiel begann und durch die unmittelbare Nähe zu den Schauspielern wurde man sehr schnell in ihr Spiel hineingezogen und fühlte sich weniger als Zuschauer, als vielmehr als Bestandteil der Darbietung. Bei »Kiwi« geht es um Straßenkinder in Asien, deren angestammter Kiez durch die geplanten Bauarbeiten für die bevorstehenden Olympischen Spiele in Gefahr ist. Kiwi, eines dieser Kinder, versucht in dieser Situation, die Hoffnung, ihre Träume und ihre Sehnsüchte nicht zu verlieren. Irgendwann fiel mir auf, wie...

Unbezahlbar

Bildnachweis

Wiesbaden: Kristina Malyseva gewinnt „OPEN-PORT-PREIS für junge Regie“ beim Festival PAD 03

Die zerstörerische Kraft eines Einzelnen kann Schlimmes bewirken. 1989 wurde der wunderschöne Weiße Saal der Kongreßhalle durch Brandstiftung eines Technikers zum Fraß der Flammen. Die Spielstätte des Theaters der Jungen Welt war unwiederbringlich verloren. Im Herbst 2016 zerstörte ein Mann mit gezielten Fußtritten die wunderbare »Eva« von Rodin in der Bauhaus-Universität Weimar, sinnlos und barbarisch. Die Liste des Unfassbaren ließe sich fortsetzen. Was treibt diese Menschen an? Eines scheint festzustehen: Sie stellen sich gegen Ehrfurchtgebietendes, um mindestens für den Moment die Grenzen vernünftigen Handelns zu überschreiten. Gibt es einen Weg, die Herzen, Sinne und den Verstand der Menschen von Kindheit an zu bilden, damit in ihnen die Fähigkeit zu Toleranz, Friedfertigkeit und menschlicher Wärme wächst? Kunst und Kultur vermögen, ihren Beitrag hierzu zu leisten. Wenn sie diesem hohen Anspruch genügen wollen. Das Theater der Jungen Welt feiert Jubiläum. Glückwunsch. Respekt. Dank. Dank wofür? Zunächst und vor allem dafür, dass die Intendanten, Regisseure und Ensemblemitglieder über die vergangenen Jahrzehnte hinweg den Versuch unternommen haben, Kindern und Jugendlichen auf verschiedenste Weise die Augen zu öffnen. Der jungen Welt die große weite Welt näherzubringen, das ist ein großes Unterfangen. Die weite Welt draußen, die innere Welt des eigenen Ichs und die Welt des...

Große Welt für junge Welt

Ich erinnere mich, wie ich zu fernen Schulzeiten in schöner Regelmäßigkeit selbst Besucher des Theaters der Jungen Welt war. Damals war es für mich »klar wie Kloßbrühe«: Ein Schauspielort für Schüler ist’s, für junge Leute eben. Der Schule entwachsen, blieb mir dieses einmal generierte Bild erhalten. Nicht zu Unrecht offenbar; strebten doch auch weiterhin vornehmlich jüngere Generationen zu diesem Bühnenhaus hin. Erst viel später stellte ich fest, nachdem mich die besonders reizvolle Inszenierung »Aus der Traum!« unter dem jetzigen Intendanten ins TdJW lockte, dass meine festgefügte Meinung vom ausschließlichen Spielplatz für die Jugend so nicht zu halten war. Anspruch und Tiefgang vermochten sehr wohl auch dem erwachsenen Publikum, weiterführende und hilfreiche Impulse aus dem Spiel heraus zu vermitteln. Diese Botschaft nach außen zu tragen, also Werbung für das generationenübergreifende Konzept des Theaters am Lindenauer Markt über die Stadtgrenzen hinaus zu machen, gestaltet sich ob des Namens nicht immer leicht. Ja, man vermutet zu allererst und im Besonderen einen Ort, an dem junge Leute für ihre eigene Zielgruppe inszenieren. Das ist zwar durchaus hin und wieder inbegriffen, aber eben nicht die ganze Wahrheit. Insofern ist der Name des Theaters für Außenstehende durchaus irreführend. Umso passender ist er für die Herangehensweise der...

70 Jahre Zukunft

Assoziationen

Theater

Theater der Jungen Welt

ixypsilonzett Jahrbuch 2018

Zur Lage des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschland

Neuerscheinungen im Verlag