Kanada ist flächenmäßig der zweitgrößte Staat der Erde. Das Land zwischen Atlantik, Pazifik und arktischem Ozean zeichnet sich durch ein relativ stabiles Sozialsystem, eine sprichwörtliche Toleranz sowie durch eine funktionierende staatliche Kulturförderung aus. Gleichzeitig grollt es unter der Oberfläche.
Die Indigenen Völker auf dem kanadischen Staatsgebiet fordern stärkere gesellschaftliche Teilhabe und das Eingestehen des Landraubs durch die Kolonialregierungen und die des späteren Kanada. Nur mühsam erholen sie sich von jahrhundertelanger Unterdrückung und gewaltsamer Assimilierung, die zunehmend
als „kultureller Genozid“ bezeichnet wird. Auch andere marginalisierte Gruppen wie People of Color und queere Menschen klagen vehement an, dass die Entscheidungsmacht in dem Land mit einer der diversesten Bevölkerungen der Erde noch immer in den Händen heterosexueller weißer Männer liegt.
Doch die kulturelle Landschaft Kanadas befindet sich in einem strukturellen Wandel. Dabei ist vor allem die Theaterszene ein Gradmesser für den kulturellen und historischen Aufbruch.
In dieser Spezialausgabe von Theater der Zeit kommen Theaterkünstler:innen zu Wort. Sie geben aktuelle Konflikte und Diskussionen einer Gesellschaft wieder, die eine Vielzahl an Geschichten, kultureller Praktiken und Ästhetiken vereint.
Freuen Sie sich auf ein vielstimmiges Porträt einer heterogenen Theaterszene, die gemeinsam auf der Suche nach einem neuen, diskriminierungsfreien Miteinander ist und dabei alternative Formen des Darstellens und Erzählens erprobt.
Unser besonderer Dank gilt der Dramatikerin und Übersetzerin Mishka Lavigne, die für die Übertragung der Texte ins Englische und Französische verantwortlich ist. Wichtige Kontakte und Hinweise bei der Recherche verdanken wir Jessie Mill, Bobby Theodore und Pascale Joubert. Außerdem möchten wir uns bei Annette Dörner für ihre kritischen und klugen Anmerkungen sowie allen Autor:innen dieser Ausgabe für ihre Offenheit und ihren Mut bedanken.