Das Lager erzählen. Das ist die Prämisse für das Schreiben von Warlam Schalamow. Der russische Schriftsteller (1907–1982) musste das GULag-System während mehrerer erzwungener Aufenthalte in den zwanziger, dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren am eigenen Leib erfahren. Dabei war er nicht der antikommunistische Dissident, als den der Westen sich ihn gewünscht hatte. Schon gar nicht sehnte er Russland – wie der Literaturnobelpreisträger und gänzlich andere Chronist des Lagers, Alexander Solschenizyn – zurück ins Zarenreich. Er gehörte zur linken Opposition in der Sowjetunion, die in den Jahren Stalin’scher Herrschaft erbarmungslos verfolgt wurde. Nach kleineren publizistischen Arbeiten in den dreißiger Jahren widmete er sich seit Beginn der Chruschtschow-Ära einer Aufgabe, für die er bereits in seiner Haftzeit mit seinen „Kolymaer Heften“ den Grundstein gelegt hatte: Er wollte das Lager erzählen und hat dafür eine große Literatur geschaffen, die Worte für die Unmenschlichkeit sucht.
Für dieses Thema eine Öffentlichkeit zu finden in dem Staat, der doch angetreten war, mehr Menschlichkeit hervorzubringen, war freilich schwer. Wenn auch der Mythos, es sei unmöglich gewesen, nicht stimmt, vielmehr Unkenntnis der Bedingungen für das literarische Arbeiten im Realsozialismus offenbart. Zwischen Samisdat und Tamisdat erkämpfte Schalamow sich ein Publikum; in den Literaturzeitschriften der Sowjetunion erschienen vereinzelt seine Werke, in...
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