Auftrittsweisen
Überlegungen zur Historisierung der Kategorie des Auftritts
von Doris Kolesch
Erschienen in: Recherchen 115: Auftreten – Wege auf die Bühne (11/2014)
Assoziationen: Schauspiel Theatergeschichte
Es mag überraschen, doch der Auftritt scheint eine in Theater-, Medien- und Kulturwissenschaften vernachlässigte Kategorie zu sein. Obwohl die Relevanz und Bedeutung theatraler Auftritts- und Aufführungssituationen in Geschichte und Gegenwart, in Theater, Film und Fernsehen, aber auch bei politischen Veranstaltungen, Sportwettkämpfen, Festen, Feierlichkeiten und alltäglichen Situationen tradierter und inkorporierter Bestandteil unseres Praxiswissens ist und von der historischen, politischen, theaterwissenschaftlichen, kulturwissenschaftlichen und anthropologischen Forschung vielfach belegt und untersucht ist, scheint das beschreibende wie analytische Potential der Auftrittskategorie noch nicht wirklich gehoben und lohnt eine Erforschung der kulturhistorischen, gattungsspezifischen, medialen wie ästhetischen Spezifika von Auftrittsphänomenen.
Die nachfolgenden Überlegungen verstehen sich vor diesem Hintergrund als erster bescheidener Beitrag zu einer kulturhistorisch wie medial informierten Theorie des Auftritts. Denn den Auftritt, so möchte ich im Folgenden zu zeigen suchen, gibt es nicht. Für den Auftritt scheint Ähnliches zu gelten wie für das Theater: Ein bestimmtes Theaterkonzept, mit Lessing wäre zu präzisieren: „[d]as Theater des Herrn Diderot“89, ist für unser Verständnis von Theater insgesamt hegemonial und dominant geworden. Bezeichnenderweise wird damit eine historische Ausnahme, die für einen begrenzten Zeitraum in unserer Kultur Maßstab bildend war, nämlich das bürgerliche Theater des 18. und 19. Jahrhunderts, mit Theater schlechthin gleichgesetzt. Doch weder die Entgrenzungen...